Verfassungsschutzbericht 2022 Vorwort der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser Seit dem 24. Februar 2022 greifen russische Truppen ukrainische Städte und Dörfer an. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die Sicherheitslage in Deutschland verändert. Die Bedrohung durch Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe hat sich um eine zusätzliche Dimension erweitert: Russlands Krieg gegen die Ukraine bedeutet auch für die innere Sicherheit eine Zeitenwende. Diese Entwicklung bestimmte im Jahr 2022 auch die Arbeit des Verfassungsschutzes, der entscheidend daran mitwirkt, unsere freiheitliche Demokratie zu schützen und zu bewahren. Gerade in Kriegszeiten stützt sich die Führung im Kreml auf die Arbeit der russischen Nachrichtendienste. Angesichts der Sanktionen gegen Russland und der Unterstützung der Ukraine unter anderem durch Deutschland haben russische Nachrichtendienste ein erhöhtes Aufklärungsinteresse. Um den Aktivitäten russischer Nachrichtendienste in Deutschland entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung seither eine Vielzahl russischer Nachrichtendienstangehöriger ausgewiesen. Zu betonen ist allerdings, dass neben Russland weiterhin auch Staaten wie China, Iran, Türkei oder Nordkorea bei uns massiv geheimdienstlich tätig sind. Im Zuge der angespannten Sicherheitslage hat sich auch die Bedrohungslage durch staatliche Cyberangriffe im vergangenen Jahr weiter verschärft. Die Umsetzung der Cybersicherheitsagenda ist daher ein wichtiger Schwerpunkt meiner politischen Arbeit als Bundesinnenministerin: Damit schaffen wir neue Instrumente - nicht nur, um Cyberangriffe fremder Mächte durch das 3 Bundesamt für Verfassungsschutz besser aufzuklären, sondern auch um auf IT-Infrastrukturen einwirken zu können, die für einen Angriff genutzt werden. Mit dem russischen Angriffskrieg rücken sogenannte hybride Bedrohungen zunehmend ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Auch das gezielte Streuen und Weiterverbreiten von Desinformation gehört zum Repertoire der illegitimen Einflussnahme fremder Staaten. Solche Desinformationen, wie auch immer sie in Umlauf geraten, sind Nährboden für Verschwörungserzählungen und andere Formen zur Diskreditierung unserer freiheitlichen Demokratie. Entwicklungen wie diese haben die islamistische Bedrohung in den vergangenen Jahren überlagert, sodass sie teilweise aus dem öffentlichen und medialen Fokus gerückt ist. Aber der islamistische Terrorismus bleibt gefährlich - in Deutschland sowie für deutsche Interessen und Einrichtungen weltweit. Die Bedrohung geht dabei weiterhin vor allem von jihadistisch motivierten Einzeltätern mit einfach zu beschaffenden Tatmitteln aus. Aufgrund ihres kurzfristigen Charakters mit knapper Planungsphase und geringem Organisationsaufwand sowie oftmals kaum vorhandenen relevanten Netzwerkund Kommunikationsstrukturen stellt die Verhinderung solcher Taten eine besondere Herausforderung dar. Dass wir uns allen Widrigkeiten zum Trotz auf den Verfassungsschutz verlassen können, zeigen die - auf dortige Hinweise zurückgehenden - Festnahmen von Castrop-Rauxel und Hamburg im Januar und April 2023, durch die mutmaßlich Planungen für islamistische Anschläge vereitelt werden konnten. Eine bleibende Herausforderung stellt auch der Rechtsextremismus dar - unverändert die größte extremistische Bedrohung für unser demokratisches Gemeinwesen. Im Jahr 2022 ist die Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund um rund 3,8 % auf rund 21.000 angestiegen. Zudem verbleibt das Potenzial gewaltbereiter rechtsextremistischer Personen mit 14.000 Personen auch 2022 auf unverändert hohem Niveau. Wurden Anfang 2022 auch bei den Rechtsextremisten noch die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen instrumentalisiert, waren im Herbst und Winter die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, wie hohe Inflation und eine drohende Energiekrise, Themenschwerpunkte ihrer Agitation. Sie fand in Schlagwörtern wie 4 "Heißer Herbst" und "Wutwinter" Ausdruck. Nachdem dies in der breiten Bevölkerung nicht verfing, wurde das Thema Migration wieder verstärkt von Rechtsextremisten aufgegriffen. Eine weitere Szene, die im Jahr 2022 von sich reden machte, ist die der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Spätestens seit den im Jahr 2022 öffentlich bekannt gewordenen Umsturzplänen einer Gruppierung, die auf einen Staatsstreich hinarbeitete, ist offensichtlich, dass es sich hier nicht einfach um harmlose "Querulanten" oder "Wirrköpfe" handelt. Die Waffenaffinität der Szene ist seit Langem bekannt, und ihre Ablehnung unseres Staates, seiner Organe und seiner Verfassungsordnung hat immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen geführt, bei denen selbst vor Mord und Totschlag nicht zurückgeschreckt wird. Als Bundesinnenministerin bekämpfe ich Rechtsextremismus und seine menschenverachtenden Erscheinungsformen entschlossen und konsequent. Es braucht dafür repressive und präventive Maßnahmen der Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden genauso wie Maßnahmen der politischen Bildung, der Demokratieförderung und Extremismusprävention. Neben den Elementen des von mir im März 2022 vorgestellten Aktionsplans gegen Rechtsextremismus gehört dazu die Entwicklung der Gesamtstrategie der Bundesregierung gegen Extremismus und zur Stärkung der Demokratie. Im Rahmen dieser phänomenübergreifenden Gesamtstrategie wird auch die Präventionsarbeit gegen Linksextremismus adressiert. Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2022 um 1.800 auf nunmehr 36.500 Personen angewachsen, darunter 10.800 gewaltorientierte Linksextremisten. Zwar ging die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten 2022 um rund 37,4 % zurück. Dennoch zeigen einzelne besonders erhebliche Angriffe, immer noch zahlreiche Körperverletzungen sowie die regelmäßig verursachten hohen Schadenssummen durch Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen das unverändert hohe Gefahrenpotenzial. Dabei ist die Polizei das zentrale Feindbild. Vor allem gewaltorientierte Linksextremisten verunglimpfen Polizeibedienstete auf das Übelste und schrecken nicht davor zurück, Staatsdienerinnen und Staatsdienern das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abzusprechen. Der damit verbundenen Entmenschlichung der Beamtinnen und Beamten, die nicht zuletzt auch deren 5 Menschenwürde verletzt, stelle ich mich als Bundesinnenministerin entschlossen entgegen. Die Menschen, die sich bei der Polizei und in den übrigen Sicherheitsbehörden tagtäglich für unseren freiheitlichen demokratischen Staat einsetzen und zum Teil buchstäblich den Kopf hinhalten, verdienen unsere uneingeschränkte tatkräftige Unterstützung und Rückendeckung. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jeden Tag motiviert, engagiert und sachkundig unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unsere Demokratie verteidigen, sage ich an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön! Es ist gut zu wissen, dass wir uns auf unseren Verfassungsschutz verlassen können. Nancy Faeser Bundesministerin des Innern und für Heimat 6 INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie I. "Frühwarnsystem" Verfassungsschutz 17 II. Kontrolle des Verfassungsschutzes 19 III. Verfassungsschutz durch Aufklärung 21 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 24 I. Definitionssystem PMK 24 II. Gesamtüberblick PMK 25 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 26 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 26 1.1 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten 28 1.1.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 29 1.1.2 Rechtsextremistische Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 30 1.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 31 2. Extremistische Straftaten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" 32 3. Linksextremistisch motivierte Straftaten 34 3.1 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten 35 3.1.1 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 37 3.1.2 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden 38 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 39 4. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" 40 4.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 42 5. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - ausländische Ideologie" 43 5.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 46 7 INHALTSVERZEICHNIS Rechtsextremismus/rechtsextremistischer Terrorismus I. Überblick 48 1. Entwicklungstendenzen 48 2. Personenpotenzial 51 II. Gewalt und rechtsterroristische Ansätze 52 1. Entwicklung der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten 52 2. Gefahr rechtsterroristischer Ansätze 53 3. Staatliche Maßnahmen 54 3.1. Verhinderung von Waffenbesitz bei Rechtsextremisten 58 3.2 Aufklärung von Finanzierungsaktivitäten der rechtsextremistischen Szene 59 III. Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus 60 1. Instrumentalisierung von Krisen durch Rechtsextremisten 60 2. Onlinevernetzung und Radikalisierung gewaltaffiner Minderjähriger 63 3. Rechtsextremistische "Erlebniskultur": Musik und Kampfsport 65 4. Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden 67 5. Antisemitismus im Rechtsextremismus 68 6. Rechtsextremistische Siedlungsbestrebungen 70 7. Homophobie und Queerfeindlichkeit 71 IV. Rechtsextremistische Akteure der Neuen Rechten und Verdachtsfälle 72 1. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 73 2. "COMPACT-Magazin GmbH" 75 3. "KVLTGANG" 76 4. Verdachtsfall "Ein Prozent e.V." 77 5. Verdachtsfall "Institut für Staatspolitik" (IfS) 78 6. Verdachtsfall "Verlag Antaios" 79 7. "PI-NEWS" 79 V. Rechtsextremistisches Parteienspektrum 80 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 81 2. "DIE RECHTE" 82 3. "Der III. Weg" 84 4. "Freie Sachsen" 86 5. Verdachtsfall "Alternative für Deutschland" (AfD) 88 6. Verdachtsfall "Junge Alternative für Deutschland" (JA) 91 VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 94 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 94 1.1 "Junge Nationalisten" (JN) 95 1.2 "Deutsche Stimme Verlags GmbH" (DS Verlag) 96 2. "DIE RECHTE" 97 3. "Der III. Weg" 98 4. "Freie Sachsen" 99 8 INHALTSVERZEICHNIS 5. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 100 6. "COMPACT-Magazin GmbH" 101 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" I. Überblick 104 1. Entwicklungstendenzen 106 2. Erscheinungsformen 107 II. Gefährdungspotenzial 111 III. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 114 1. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 114 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates I. Überblick 116 1. Personen und Gruppierungen 117 2. Wandel der thematischen Agenda 119 3. Verbindungen zu Rechtsextremisten und zu "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" 120 II. Gefährdungspotenzial 121 Linksextremismus I. Überblick 126 1. Entwicklungstendenzen 126 2. Personenpotenzial 128 3. Strafund Gewalttaten 128 II. Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus 130 1. Militanter "Antifaschismus" 130 2. Polizei im Fokus linksextremistischer Gewalt 136 3. Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 138 4. Versuchte Einflussnahme auf die Klimaproteste 142 5. Angriffe auf Wirtschaftsunternehmen 146 6. Bedeutung der Jugendarbeit für dogmatische Linksextremisten 148 7. Gefährdungspotenzial 150 9 INHALTSVERZEICHNIS III. Linksextremistische Strukturen 152 1. Kommunismus oder Anarchismus als ideologische Basis 153 2. Gewaltorientierte Linksextremisten 154 2.1 Autonome 154 2.2 Anarchisten 156 2.3 Gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten 156 3. Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten 158 4. "Rote Hilfe e.V." 159 IV. Linksextremistische Vernetzungsbestrebungen 161 1. Vernetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene 161 2. Beeinflussung demokratischer Diskurse 163 3. Vernetzungen mit Linksextremisten im Ausland 164 4. Vernetzungen zu Extremisten mit Auslandsbezug 165 V. Linksextremistische Internetnutzung 165 1. Linksextremistische Internetplattform "de.indymedia" 165 2. Weitere von Linksextremisten genutzte Internetplattformen 167 VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 168 1. "Interventionistische Linke" (IL) 168 2. "...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis" (uG) 170 3. "Perspektive Kommunismus" (PK) 171 4. "Freie Arbeiter*innen-Union" (FAU) 172 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) 173 6. "junge Welt" (jW) 174 7. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 175 8. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 176 9. "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP), deutsche Sektion des "Internationalen Komitees der Vierten Internationale" (IKVI, Abspaltung der "Vierten Internationale") 178 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 180 1. Entwicklungstendenzen 181 2. Organisationen und Personenpotenzial 186 3. Finanzierung 188 II. Internationale Konflikte und ihre Bedeutung für die Sicherheitslage in Deutschland 188 1. Konfliktregion Syrien/Irak 189 2. Konfliktregion Afghanistan/Pakistan 190 3. Weitere Konfliktregionen 191 10 INHALTSVERZEICHNIS 4. Reisebewegungen der islamistisch-jihadistischen Szene 192 5. Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus 194 III. Salafistische Szene in Deutschland 195 IV. Jihadistische Propaganda im Internet 197 1. Fremdsprachige jihadistische Propaganda 197 1.1 "Islamischer Staat" (IS) 198 1.2 "Al-Qaida" 199 2. Deutschsprachige jihadistische Propaganda 200 V. Organisationsgebundener Islamismus und Terrorismus in Deutschland 201 1. Islamistische Strömungen in Deutschland 201 2. Legalistische Organisationen 204 3. Terroristische Organisationen 205 VI. Antisemitismus im Islamismus 205 VII. Staatliche Maßnahmen 208 VIII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 211 1. "Islamischer Staat" (IS) 211 2. Kern-"al-Qaida" 213 3. "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) 214 4. "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM) 215 5. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) 216 6. "Al-Shabab" 217 7. "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) 218 8. "Hizb Allah" 219 9. HAMAS 221 10. "Türkische Hizbullah" (TH) 223 11. "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 224 12. "Muslimbruderschaft" (MB) 225 12.1 "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) 226 13. "Tablighi Jama'at" (TJ) 227 14. "Islamisches Zentrum Hamburg e.V." (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus 228 15. "Milli Görüs"-Bewegung und ihr zugeordnete Vereinigungen 229 16. "Furkan Gemeinschaft" 232 17. "Kalifatsstaat" 233 Auslandsbezogener Extremismus I. Überblick 236 1. Entwicklungstendenzen 236 2. Personenpotenzial 238 11 INHALTSVERZEICHNIS 3. Straftaten mit auslandsbezogener extremistischer Motivation 238 4. Finanzierung 239 II. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 241 1. Organisationsstruktur 242 2. Versammlungsgeschehen 244 3. Rekrutierungsmaßnahmen 245 4. Medienwesen 246 5. Strafverfahren gegen Funktionäre 248 6. Gefährdungspotenzial 248 III. Türkischer Linksextremismus 250 1. Überblick über Organisationen in Deutschland 250 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 251 IV. Türkischer Rechtsextremismus ("Ülkücü"-Bewegung) 254 1. "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) 256 2. "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) 257 3. "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) 259 4. Unorganisierte "Ülkücü"-Bewegung 260 V. Antisemitismus im auslandsbezogenen Extremismus 261 VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 264 1. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 264 1.1 "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) 266 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 267 3. "Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten" (TKP-ML) 268 4. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) 269 5. "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 270 6. "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) 271 7. "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) 272 8. "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) 273 9. "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) 274 10. Extremistisches/terroristisches Sikh-Spektrum 276 12 INHALTSVERZEICHNIS Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht I. Überblick und Entwicklungstendenzen 278 II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 280 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 281 2. Methodik der Informationsgewinnung 283 3. Einflussnahme und Desinformation 283 4. Cyberangriffe 284 5. Gefährdungspotenzial 287 III. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China 288 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 289 2. Methodik der Informationsgewinnung 289 3. Politische Einflussnahme 292 4. Cyberangriffe 293 5. Gefährdungspotenzial 295 IV. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 296 V. Nachrichtendienste der Republik Türkei 299 VI. Nachrichtendienste sonstiger Staaten 301 VII. Proliferation 303 VIII. Prävention in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung 308 IX. Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Verurteilungen 310 X. Strukturen und Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste 311 1. Russische Föderation 311 2. Volksrepublik China 312 3. Islamische Republik Iran 314 4. Republik Türkei 315 Geheimund Sabotageschutz 317 "Scientology-Organisation" (SO) 325 13 INHALTSVERZEICHNIS Anhang 331 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2022 332 Register 340 Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2021 363 Bildnachweis 374 14 Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 15 Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie Wehrhafte Eine der wesentlichen Aufgaben des demokratischen Staates ist Demokratie es, Sicherheit und Freiheit für seine Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Demokratie kann sich erst im politischen und gesellschaftlichen Diskurs auf Basis der grundsätzlichen Werte einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfalten. Für eine Demokratie ist es deswegen unverzichtbar, dass sie bereit und in der Lage ist, diese Werte zu verteidigen. Diese unentbehrlichen Werte werden in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes (GG) konkretisiert: " der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, " die zentralen Grundprinzipien der staatlichen Ordnung (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit), Art. 20 GG. Im GG werden auch Schutzinstrumente für den demokratischen Rechtsstaat benannt: " Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten. " Parteien können nach Art. 21 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden. Hierbei handelt es sich um die "schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde", wie das Bundesverfassungsgericht in den Leitsätzen zum Urteil im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2017 feststellte. Eine Voraussetzung für die Abwehr von Gefahren, die von Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgehen, ist eine umfassende Information der staatlichen Organe und der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Entwicklungen. Zur Sammlung von Informationen und Erkenntnissen über derartige Bestrebungen und sicherheitsgefährdende Tätigkeiten sind die 16 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) eingerichtet worden; sie bilden einen unverzichtbaren Bestandteil der wehrhaften Demokratie. Freiheit in stabiler Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Im Jahr 2022 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz 4.286 BeStrukturdaten dienstete (2021: 4.234). Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt 2022 gemäß SS 16 Abs. 2 betrug 440.323.972 Euro (2021: 422.511.010 Euro). Bundesverfassungsschutzgesetz Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) hatte 1.503 (2021: 1.398) Bedienstete und erhielt aus dem Bundeshaushalt einen Zuschuss von 164.052.845 Euro (2021: 137.721.520 Euro). Anfang 2023 waren von Bund und Ländern im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 3.921.887 (Anfang 2022: 3.635.825) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 3.446.076 Eintragungen (87,9 %, Anfang 2022: 87,2 %) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheits-, Atom-, Waffen-, Jagdbzw. Sprengstoffgesetzes, der Hafensicherheitsgesetze der Länder sowie der Gewerbeordnung. I. "Frühwarnsystem" Verfassungsschutz Dem Verfassungsschutz kommt in der deutschen SicherheitsarchiAufgaben tektur die Aufgabe zu, Bedrohungen durch politischen Extremismus, Terrorismus sowie Spionageaktivitäten weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu erkennen und einzuschätzen. Darüber hinaus wirkt der Verfassungsschutz im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes mit (z.B. durch Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind). Sein wesentliches Betätigungsfeld - niedergelegt in SS 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG) - besteht in der Sammlung und Auswertung von Informationen über: 17 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE " "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben" (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG), " "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in Deutschland für eine fremde Macht" (SS 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG), " "Bestrebungen im Geltungsbereich [des BVerfSchG], die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden" (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG), oder " "Bestrebungen in Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (...), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (...) gerichtet sind" (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 BVerfSchG). Die Aufgabe des Verfassungsschutzes erschöpft sich nicht in der Sammlung und Auswertung von Informationen als Selbstzweck, sondern ist erst mit der Weitergabe der analytisch aufbereiteten Erkenntnisse erfüllt. Im Sinne eines effektiven "Frühwarnsystems" erstellt der Verfassungsschutz Lagebilder und Analysen, die es der Bundesregierung und den Landesregierungen ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere Sicherheit einzuleiten. Außerdem übermittelt der Verfassungsschutz, dem selbst keinerlei polizeiliche Befugnisse zustehen, Erkenntnisse an Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, um exekutive Maßnahmen zu unterstützen oder einzuleiten. Zusammenarbeit mit Mit dem Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) intensiviert der Wissenschaft das BfV die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und stärkt so die Analysekompetenz des Verfassungsschutzes. Das ZAF arbeitet interdisziplinär und phänomenübergreifend. Zentral ist dabei der Austausch mit Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen. In diesem Rahmen wurde im Jahr 2022 unter anderem ein Forschungsprojekt zum Thema Onlineradikalisierung an die LudwigMaximilians-Universität München vergeben und abgeschlossen. Das Projekt befasste sich mit der Frage, inwieweit und basierend auf welchen Prozessen sich extremistische Narrative von digitalen Randbereichen in die Mitte der Onlinegesellschaft bewegen. 18 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Die Verfassungsschutzbehörden arbeiten mit anderen deutschen Nationale Sicherheitsbehörden in Kompetenzzentren zusammen. Diese Zusammenarbeit gewährleisten die Bündelung von Fachwissen ebenso wie den schnellen Austausch von Informationen und Analysen. Bei den Informationsund Kommunikationsplattformen - so das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ, seit Ende 2004) und das Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des auslandsbezogenen Extremismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte (GETZ, seit Ende 2012) - handelt es sich nicht um eigenständige Behörden, sondern um Plattformen zur Kooperation und Kommunikation der beteiligten Behörden von Bund und Ländern. Einen wesentlichen Erkenntnisgewinn erzielt der VerfassungsInternationale schutz überdies durch die Zusammenarbeit mit ausländischen Zusammenarbeit Nachrichtendiensten und in internationalen Gremien. Diese Kooperation ist vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus und der Gefährdung durch Cyberattacken von überragender Bedeutung, was sich auch im stetigen Ausbau der Zusammenarbeit niederschlägt. Einen erheblichen Teil ihrer Informationen gewinnen die VerInformationsfassungsschutzbehörden aus allgemein zugänglichen Quellen. gewinnung Fremde Nachrichtendienste, Extremisten und Terroristen arbeiten jedoch konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Entsprechend ist der Verfassungsschutz befugt, im Rahmen gesetzlich festgelegter Grenzen und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung einzusetzen, wie zum Beispiel Observationen und Telekommunikationsüberwachungen. II. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des BfV wird vielfältig kontrolliert. Hierzu gehört die Fachund Dienstaufsicht durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Die Bundesregierung unterliegt - auch in Bezug auf die Arbeit Parlamentarisches des Verfassungsschutzes - der Kontrolle durch den Deutschen Kontrollgremium 19 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Bundestag. Zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle ist beim Deutschen Bundestag ein Kontrollgremium eingerichtet, das von der Bundesregierung regelmäßig und umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichtet wird. Auf Verlangen ist das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) auch über sonstige Vorgänge zu unterrichten. Einmal jährlich führt das PKGr auf Grundlage von SS 10 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (PKGrG) eine öffentliche Anhörung der Präsidentinnen beziehungsweise Präsidenten von BAMAD, BfV und Bundesnachrichtendienst (BND) durch. Bei der Anhörung beantworten diese insbesondere Fragen zur Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse und zur Fortentwicklung ihrer Behörden. Ständiger Zur Optimierung der parlamentarischen Kontrolle und zur UnBevollmächtigter terstützung des Kontrollgremiums bei seiner Arbeit einschließlich des PKGr der Koordinierung mit der G 10-Kommission und dem Vertrauensgremium ist die oder der Ständige Bevollmächtigte des Parlamentarischen Kontrollgremiums eingesetzt. G 10-Kommission Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom PKGr bestellte unabhängige G 10-Kommission auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Zudem legt das PKGr regelmäßig einen Bericht über Art und Umfang dieser Beschränkungen vor, der auch öffentlich als Drucksache des Deutschen Bundestages zugänglich ist. Bundesbeauftragter Die oder der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Infür den Datenschutz formationsfreiheit (BfDI) unterzieht das BfV einer kontinuierliund die Informatichen Überprüfung. Grundlage dafür sind die datenschutzrechtlionsfreiheit (BfDI) chen Bestimmungen im BVerfSchG und in den spezialgesetzlichen Regelungen, die den Aufgabenbereich des BfV berühren (z.B. das Ausländerzentralregister). Das BfV ist nach SS 15 Abs. 1 BVerfSchG gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an der Auskunft dargelegt wird. Die Auskunft unterbleibt nur dann, wenn 20 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE einer der in SS 15 Abs. 2 BVerfSchG bezeichneten Verweigerungsgründe vorliegt. Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese Gerichtliche in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen der gerichtlichen Überprüfung Nachprüfung. III. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe, unsere Verfassung durch Aufklärung zu schützen, wird auf Bundesebene gemeinsam durch BMI und BfV wahrgenommen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nur dauerhaft bewahrt werden, wenn sich die Gesellschaft inhaltlich mit den verschiedenen Ausprägungen des Extremismus auseinandersetzt. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bedrohung dar. Die hierüber gewonnenen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sind ausdrücklich nicht exklusiv; erst eine informierte Öffentlichkeit kann eine sicherheitspolitische Debatte sachgerecht führen. Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient dieser Aufklärung Verfassungsund beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines schutzbericht gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Er stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung. Informationen zu ideologischen Hintergründen, Strukturdaten, Aktivitäten und Publikationen der wichtigsten Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes befinden sich in entsprechenden Einzelübersichten im Anschluss an die jeweiligen Berichtsteile. Dieser Verfassungsschutzbericht bezieht sich auf das Berichtsjahr 2022. Sofern Sachverhalte und Ereignisse aus dem Jahr 2023 dargestellt werden, handelt es sich lediglich um unselbstständige Fortläufe aus Entwicklungen des Berichtsjahres. 21 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Personenpotenzial Die Zahlenangaben zum Personenpotenzial der im Bericht genannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Es ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern/Anhängern dieser Personenzusammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen und dass für Zuordnungen zu diesen Personenzusammenschlüssen, die teils auch weniger strukturiert sind, nicht ausschließlich formelle MitGewaltorientierung gliedschaften maßgeblich sind. Im Rahmen dieser Zahlenangaben wird ebenfalls ausgewiesen, bei wie vielen dieser Personen von einer Gewaltorientierung auszugehen ist. Der Oberbegriff "gewaltorientiert" wird dann verwendet, wenn Extremisten als gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend oder gewaltbefürwortend eingeordnet werden können. www.verfassungsDas BfV informiert im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit mit schutz.de einem umfangreichen Internetangebot sowie weiteren Publikationen über aktuelle Entwicklungen in den einzelnen Arbeitsfeldern. Das vielfältige Angebot der Homepage des BfV wird dabei stetig ergänzt und aufbereitet. Karriere im BfV Als Dienstleister der Demokratie ist der Verfassungsschutz einer der interessantesten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Die vielfältigen Karrierechancen im BfV werden unter anderem im Karrierebereich der Homepage sowie bei öffentlichen Informationsveranstaltungen vorgestellt. Mit der zentralen Arbeitgeberbotschaft "Im Auftrag der Demokratie!" präsentiert sich das BfV als sinnstiftender und zukunftsorientierter Arbeitgeber für Berufsund Quereinsteiger/-innen. Kontakt und In allen Fragen zum Verfassungsschutz steht das Erreichbarkeit Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstr. 100 50765 Köln Telefon: 030-18/792-0 oder 0228-99/792-0 Telefax: 030-18/10-792-2915 oder 0228-99/10-792-2915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de Internet: www.verfassungsschutz.de zur Verfügung. 22 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Die Kontaktaufnahme zum Verfassungsschutz ist jederzeit möglich: " Für Hinweise auf extremistische und terroristische Bestrebungen aller Phänomenbereiche hat das BfV ein vertrauliches Hinweistelefon eingerichtet: Telefon: 030-18/792-6000 oder 0228-99/792-6000 E-Mail: hinweise@bfv.bund.de " Ausstiegswilligen sowohl aus dem Rechtsextremismus als auch aus dem Linksextremismus bietet das BfV spezielle Aussteigerprogramme. Expertinnen und Experten bieten Hilfesuchenden darin eine Vielzahl an unterstützenden Maßnahmen und Beratung an: Telefon: 030-18/792-62 oder 0228-99/792-62 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de Von dort wird ein Kontakt zu erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den jeweiligen Fachabteilungen vermittelt. 23 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Als "Politisch motivierte Kriminalität" werden alle Straftaten bezeichnet und erfasst, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Als solche Staatsschutzdelikte gelten die folgenden Straftatbestände: SSSS 80a bis 83, 84 bis 91, 94 bis 100a, 102 bis 104a, 105 bis 108e, 109 bis 109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB). Auch Straftaten, die ebenso in der Allgemeinkriminalität begangen werden können (wie z.B. Tötungsund Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte, Sachbeschädigungen), fallen unter "Politisch motivierte Kriminalität", wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind, weil sie " den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, " sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beziehungsweise eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, " durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, " sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung bzw. Identität oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sog. Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht 24 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Gesamtüberblick PMK Das BKA registrierte für das Jahr 2022 insgesamt 58.916 (2021: 55.048) politisch motivierte Straftaten. Davon sind 16.340 (27,7 %) Propagandadelikte (2021: 13.832, 25,1 %). 4.043 Straftaten (6,9 %) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2021: 3.889, 7,1 %). Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 23.493 (2021: Politisch motivierte 21.964) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten nach rechts", 6.976 (2021: 10.113) dem Bereich "Politisch motivierte KriPhänomenbereichen minalität - links", 481 Straftaten dem Bereich "religiöse Ideologie" (2021: 479) und 3.886 dem Bereich "ausländische Ideologie" (2021: 1.153) zugeordnet. 24.080 (2021: 21.339) der Straftaten wurden in der Kategorie "PMK - nicht zuzuordnen" erfasst. Insgesamt wurden hiervon 35.452 Straftaten (60,2 %) mit extreExtremistisch mistischem Hintergrund ausgewiesen (2021: 33.476, 60,8 %). Von motivierte Straftaten diesen konnten 20.967 (2021: 20.201) der Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 3.847 (2021: 6.142) der Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität - links", 418 (2021: 409) dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" und 1.974 (2021: 776) dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" zugeordnet werden. 8.246 (2021: 5.948) Straftaten mit einem extremistischen Hintergrund wurden ohne Zuordnung zu einem bestimmten Phänomenbereich gemeldet. 25 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen Extremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge der "Politisch motivierten Kriminalität". Es handelt sich um diejenigen Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind1. Die Fallzahlen basieren auf den Angaben des BKA. 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten Zahl Im Jahr 2022 wurden 20.967 (2021: 20.201) Straftaten mit rechtsrechtsextremistischer extremistischem Hintergrund erfasst, darunter waren 1.016 (2021: Strafund 945) Gewalttaten. Dazu zählen insbesondere auch 2 versuchte Gewalttaten Tötungsdelikte. Als weitere Teilmenge der rechtsextremistischen gestiegen Straftaten wurden zudem 13.026 rechtsextremistisch motivierte Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB registriert (2021: 11.866). 1 Siehe hierzu BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13. 26 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund2 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 2 Körperverletzungen 783 879 Brandstiftungen 11 18 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 7 10 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 10 3 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 3 7 Erpressung 7 6 Widerstandsdelikte 119 91 gesamt 945 1.016 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 923 592 Nötigung/Bedrohung 425 417 Propagandadelikte 11.866 13.026 Störung der Totenruhe 8 9 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung und Beleidigung 6.034 5.907 gesamt 19.256 19.951 Straftaten insgesamt 20.201 20.967 2 Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 27 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Im Jahr 2022 nahm die Zahl rechtsextremistischer fremdenfeindlicher Straftaten um 1,3 % zu (7.484 Delikte, 2021: 7.389); die Zahl der Gewalttaten davon stieg um 16 % an (796 Delikte, 2021: 686). Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund sank um 17,1 % auf insgesamt 2.023 Taten (2021: 2.439); die Zahl der Gewaltdelikte mit antisemitischem Hintergrund stieg hingegen (+51,4 %) auf insgesamt 53 Delikte (2021: 35). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Gesamt Fremdenfeindliche Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner Antisemitische Gewalttaten 1.200 1.016 1.000 945 800 796 686 600 400 200 74 70 53 27 35 36 0 01.01.-31.12.2021 01.01.-31.12.2022 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 28 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund Im Jahr 2022 erhöhte sich die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Körperverletzungen mit fremdenfeindlichem Hintergrund um 16,3 %. Die 2 versuchten Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund wurden beide mit einer fremdenfeindlichen Motivation begangen. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten gegen Asylunterkünfte stieg im Jahr 2022 (2022: 71, 2021: 60). Die Zahl der Gewalttaten gegen Asylunterkünfte stieg leicht (2022: 6, 2021: 5); hierzu gehörten im Berichtsjahr 4 Brandanschläge (2021: 1). Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund3 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 2 Körperverletzungen 646 751 Brandstiftungen 6 15 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 1 4 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 3 0 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 2 2 Erpressung 2 0 Widerstandsdelikte 22 22 gesamt 686 796 3 Siehe Fußnote 2. 29 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1.2 Rechtsextremistische Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten ist um 5,4 % zurückgegangen. Körperverletzungen sind hier weiterhin die am häufigsten verübten Gewalttaten. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten4 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 63 61 Brandstiftungen 4 1 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 0 2 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 5 Erpressung 1 0 Widerstandsdelikte 5 1 gesamt 74 70 4 Siehe Fußnote 2. 30 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten wurden in Berlin verübt (136 registrierte Delikte). Danach folgen Nordrhein-Westfalen (117) und SachsenAnhalt (104). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * 01.01.-31.12.2022 01.01.-31.12.2021 136 Berlin 151 117 Nordrhein-Westfalen 120 104 Sachsen-Anhalt 80 Brandenburg 90 107 Thüringen 89 55 Mecklenburg81 Vorpommern 49 58 Sachsen 81 56 Hamburg 30 54 Niedersachsen 59 50 Hessen 42 47 Rheinland-Pfalz 37 46 Schleswig-Holstein 41 Baden-Württemberg 34 28 Bayern 23 53 Saarland 18 11 Bremen 13 1 0 40 80 120 160 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 31 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2. Extremistische Straftaten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" Anstieg bei Strafund "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" wurden im Berichtsjahr Gewalttaten von 1.856 (2021: 1.330) politisch motivierte Straftaten zugerechnet, "Reichsbürgern" und von denen 1.358 (2021: 1.011) als extremistisch eingeordnet wur"Selbstverwaltern" den. Unter diesen extremistischen Straftaten waren insgesamt 286 Gewalttaten (2021: 184). Hierzu zählten neben Erpressungs(203) und Widerstandsdelikten (67) insbesondere 2 versuchte Tötungsdelikte. Bei den weiteren Straftatbeständen dominieren insbesondere Nötigungen und Bedrohungen (555). Von den "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" zugeordneten Straftaten wurden 47 als antisemitisch eingeordnet, bei welchen es sich im Wesentlichen um Volksverhetzungsdelikte (40) handelte. Die - in absoluten Zahlen - meisten extremistischen Straftaten begingen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Bayern (699, darunter 197 Gewalttaten und 385 Fälle von Nötigung bzw. Bedrohung). 32 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - 'Reichsbürger' und 'Selbstverwalter'" * 01.01.-31.12.2022 01.01.-31.12.2021 Bayern 197 122 Baden-Württemberg 18 7 Niedersachsen 17 15 Brandenburg 17 6 Nordrhein-Westfalen 12 8 Mecklenburg- 7 Vorpommern 3 5 Rheinland-Pfalz 4 4 Berlin 8 4 Sachsen 8 3 Schleswig-Holstein 0 1 Hamburg 0 1 Thüringen 0 0 Sachsen-Anhalt 2 0 Saarland 1 0 Bremen 0 0 Hamburg 0 0 50 100 150 200 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 33 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3. Linksextremistisch motivierte Straftaten Deutlicher Rückgang Im Jahr 2022 wurden 3.847 (2021: 6.142) Straftaten mit linksextrelinksextremistischer mistischem Hintergrund erfasst, darunter 602 (2021: 987) GewaltGewalttaten taten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten sank damit um 37,4 %, die Zahl der Gewalttaten um 39,0 %. Linksextremistisch motivierte Straftaten5 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 362 301 Brandstiftungen 159 62 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 7 3 Landfriedensbruch 147 46 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 47 31 Freiheitsberaubung 0 1 Raub 17 6 Erpressung 4 1 Widerstandsdelikte 243 147 gesamt 987 602 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 3.419 1.968 Nötigung/Bedrohung 145 124 Propagandadelikte 91 61 Störung der Totenruhe 2 2 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung und Beleidigung 1.498 1.090 gesamt 5.155 3.245 Straftaten insgesamt 6.142 3.847 5 Siehe Fußnote 2. 34 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 292 Fälle (2021: 572) in das Themenfeld "Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden" eingeordnet, was einem Rückgang um gut die Hälfte entspricht. Die Zahl der Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten hat sich auf insgesamt 229 Delikte vermindert (2021: 264, -13,3 %), auch die Zahl der Gewalttaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole ging um 37,8 % auf nun 293 Taten zurück (2021: 471). Massiv gesunken ist die Zahl der Gewalttaten im Themenfeld "Kampagnen gegen Umstrukturierung" (2022: 18, 2021: 290). Im Berichtsjahr wurden 5 antisemitische Straftaten (2021: 6) als linksextremistisch motiviert eingestuft (darunter 1 Gewalttat). 35 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * Gesamt Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole Gewalttaten im Handlungskontext "Kampagnen gegen Umstrukturierung" 1.400 1.200 1.000 987 800 602 600 572 471 400 264 290 292 293 229 200 18 0 01.01.-31.12.2021 01.01.-31.12.2022 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1.1 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang der Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten um 13,3 % zu verzeichnen. Mehr als 71 % dieser Gewalttaten sind Körperverletzungsdelikte, gefolgt von Widerstandsdelikten. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten6 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 150 164 Brandstiftungen 25 7 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 4 2 Landfriedensbruch 26 11 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 8 7 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 13 3 Erpressung 3 1 Widerstandsdelikte 35 33 gesamt 264 229 6 Siehe Fußnote 2. 37 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1.2 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten gegen die Polizei und Sicherheitsbehörden ist gegenüber dem Vorjahr um 50,2 % zurückgegangen. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden7 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 0 Körperverletzungen 185 96 Brandstiftungen 17 13 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 0 Landfriedensbruch 114 31 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 8 6 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 2 0 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 243 146 gesamt 572 292 7 Siehe Fußnote 2. 38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden mit 173 registrierten Delikten in Sachsen verübt. Danach folgen Berlin (82) und Nordrhein-Westfalen (71). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * 01.01.-31.12.2022 01.01.-31.12.2021 173 Sachsen 114 82 Berlin 351 71 Nordrhein-Westfalen 141 46 Niedersachsen 65 42 Bayern 47 39 Baden-Württemberg 62 32 Sachsen-Anhalt 50 24 Brandenburg 18 Hamburg 23 19 Schleswig-Holstein 21 30 Thüringen 14 27 Mecklenburg14 Vorpommern 12 9 Hessen 42 7 Rheinland-Pfalz 2 5 Bremen 7 0 Saarland 0 0 40 80 120 160 200 240 280 320 360 400 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 39 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 4. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" Im Jahr 2022 wurden der "Politisch motivierten Kriminalität - religiöse Ideologie" 418 extremistische Straftaten zugerechnet (2021: 409). Der überwiegende Teil (361, 2021: 372) davon wies einen islamistischen Hintergrund auf. Zahl extremistischer Von den 418 Straftaten mit religiös-ideologischer extremistischer Gewalttaten mit Motivation sind insgesamt 43 Gewalttaten (2021: 49, -12,2 %), zu religiös-ideologischer denen unter anderem 1 versuchtes Tötungsdelikt und 39 KörperMotivation gesunken verletzungen gerechnet werden. 39 extremistische Straftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" wurden als Vorbereitung oder Unterstützung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (SSSS 89a-c, 91 StGB) eingestuft (2021: 49), 34 Fälle (2021: 43) als Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (SS 129b StGB). Im Berichtsjahr wurden 33 antisemitische Straftaten mit einer extremistischen religiös-ideologischen Motivation festgestellt, zu denen 2 Gewalttaten und 17 Volksverhetzungsdelikte zählten. 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Extremistische Straftaten aus dem Bereich "religiöse Ideologie"8 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 1 Körperverletzungen 39 39 Andere Gewalttaten 8 3 gesamt 49 43 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigung 13 10 Nötigung/Bedrohung 42 52 Volksverhetzung 37 33 Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat 49 39 Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung 43 34 Andere Straftaten 176 207 gesamt 360 375 Straftaten insgesamt 409 418 8 Siehe Fußnote 2. 41 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 4.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten religiös-ideologisch motivierten extremistischen Gewalttaten wurden mit 9 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen verübt. Danach folgen Bayern (6) und Berlin (5). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" * 01.01.-31.12.2022 01.01.-31.12.2021 9 Nordrhein-Westfalen 5 6 Bayern 4 5 Berlin 6 4 Brandenburg 3 4 Schleswig-Holstein 2 3 Baden-Württemberg 3 Mecklenburg- 3 Vorpommern 0 2 Sachsen-Anhalt 3 2 Niedersachsen 2 1 Rheinland-Pfalz 4 Thüringen 1 3 Hamburg 1 2 Hessen 1 2 Bremen 1 1 Sachsen 0 8 Saarland 0 1 0 5 10 15 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 5. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - ausländische Ideologie" Im Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - auslänDeutlicher Anstieg dische Ideologie" wurden 1.974 extremistisch motivierte Straftader extremistischen ten (2021: 776) erfasst, was einem Anstieg um 154,4 % entspricht. Gewalttaten Unter diesen Delikten waren hauptsächlich Sachbeschädigungen (19,4 %), aber auch 226 Gewalttaten (11,4 %). Im Vergleich zu 2021 (116 Gewalttaten) hat sich die Zahl der Gewalttaten beinahe verdoppelt (+94,8 %). Ihr überwiegender Teil sind Körperverletzungen (62,4 %), weitere 22,1 % entfallen auf Widerstandsdelikte. Bei 58 dieser Straftaten mit ausländisch-ideologischer extremistischer Motivation konnte ein antisemitischer Hintergrund festgestellt werden (2021: 122). Zu diesen Straftaten zählen 12 Gewalttaten (2021: 6) und 24 Volksverhetzungsdelikte (2021: 58). Zudem wurden auch 14 Delikte erfasst (2021: 28), bei denen den Tatverdächtigen angelastet wurde, eine ausländische terroristische Vereinigung zu unterstützen oder ihr anzugehören (SS 129b StGB). Die Straftaten mit einem auslandsbezogenen extremistischen Hintergrund haben das zweite Jahr in Folge zugenommen. Im Jahr 2022 fiel der Anstieg um 154,4 % auf nunmehr 1.974 Delikte (2021: 776) besonders deutlich aus. Nahezu eine Verdopplung zeigt sich bei den Gewaltdelikten (226 Delikte; 2021: 116). Den größten Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten und an der Auswirkungen deutlichen Zunahme haben die 1.229 Delikte, die 2022 im Phädes russischen nomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Angriffskriegs Ideologie" in Deutschland im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfasst worden sind. Ohne diesen mit einer völlig neuen Bedeutung versehenen Bezugspunkt für Straftaten im auslandsbezogenen Extremismus liegen die Straftaten in den übrigen Teilbereichen insgesamt in etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Der Anstieg bei den Gewalttaten bleibt auch ohne den durch diese Thematik verursachten Sondereffekt bestehen - wenn auch weniger deutlich. 43 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 58 Straftaten (2021: 122) wiesen einen antisemitischen Bezug auf, davon neun Körperverletzungen (2021: 3) und 24 Volksverhetzungen (2021: 58). Die meisten Straftaten gab es in Nordrhein-Westfalen (780; 2021: 203), Baden-Württemberg (429; 2021: 111) und Berlin (347; 2021: 162). 44 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Extremistische Straftaten aus dem Bereich "ausländische Ideologie"9 Gewalttaten: 2021 2022 Vollendete Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 4 0 Körperverletzungen 57 141 Brandstiftungen 5 9 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 17 16 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 4 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 7 4 Erpressung 0 2 Widerstandsdelikte 25 50 gesamt 116 226 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 114 382 Nötigung/Bedrohung 61 146 Volksverhetzung 83 112 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 29 59 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 164 88 Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung 28 14 Andere Straftaten 181 947 gesamt 660 1.748 Straftaten insgesamt 776 1.974 9 Siehe Fußnote 2. 45 5.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" wurden mit 92 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen verübt. Danach folgen Berlin (62) und Baden-Württemberg (25). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" * 01.01.-31.12.2022 01.01.-31.12.2021 Nordrhein-Westfalen 92 27 Berlin 62 32 Baden-Württemberg 25 21 Mecklenburg11 Vorpommern 5 Sachsen-Anhalt 7 1 7 Schleswig-Holstein 0 6 Rheinland-Pfalz 1 4 Sachsen 6 Hamburg 4 3 3 Bayern 0 2 Niedersachsen 13 2 Brandenburg 0 1 Bremen 2 0 Hessen 5 0 Saarland 0 0 Thüringen 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 46 Rechtsextremismus/ rechtsextremistischer Terrorismus 47 Rechtsextremismus/ rechtsextremistischer Terrorismus I. Überblick Im Rechtsextremismus entscheidet die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" über den Wert eines Menschen. In einer solchen ethnisch-rassistisch definierten "Volksgemeinschaft" werden die zentralen Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung missachtet. Nationalismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus sowie Demokratiefeindlichkeit prägen die rechtsextremistische Agitation. 1. Entwicklungstendenzen Instrumentalisierung Anschluss an bürgerlich-demokratische Kreise zu erreichen bleibt von Krisen das Ziel von Rechtsextremisten. Wurden zu Beginn des Berichtsjahres noch die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen instrumentalisiert, waren im Herbst und Winter die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wie Inflation und eine drohende Energiekrise Themenschwerpunkte rechtsextremistischer Agitation. Während die Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen während der Pandemie nur vereinzelt Unterwanderungsversuchen von Rechtsextremisten ausgesetzt waren, traten in dem als "Heißer Herbst" angekündigten Protestgeschehen, welches in einen "Wutwinter" übergehen sollte, extremistische Akteure und Gruppierungen wahrnehmbarer in Erscheinung (vgl. Kap. III, Nr. 1). Nachdem die Agitation nicht in der breiten Bevölkerung verfing, auch aufgrund des Ausbleibens einer Energiemangellage, wurde das Thema "Migration" wieder verstärkt von Rechtsextremisten aufgegriffen. DemonstrationsMit der Aufhebung des Großteils der staatlichen Schutzmaßnahgeschehen men zur Eindämmung der Coronapandemie verlor das rechtsextremistische Demonstrationsgeschehen im Frühjahr des Berichtsjahres sein zentrales Agitationsthema und ging zunächst deutlich zurück. Nach dem Anstieg der Zahl der Flüchtenden haben Rechtsextremisten zudem wieder verstärkt gegen Migranten und Asylsuchende vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten agitiert. Auch 48 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS wenn im Zuge der Lockerungen der pandemiebedingten staatlichen Restriktionen und der Agitation im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg die Zahl der Demonstrationen im Vergleich zum Vorjahr um 65 % anstieg, erreichte sie quantitativ nicht die Ausmaße der Proteste im ersten Jahr der Pandemie. Sowohl bei den Protestkundgebungen am Anfang des Jahres als auch bei solchen im "Heißen Herbst" trat neben der neurechten "COMPACTMagazin GmbH" auch die rechtsextremistische Regionalpartei "Freie Sachsen" als Anmelderin auf. Rechtsextremistische Demonstrationen 2021 2022 NPD/JN 17 10 "DIE RECHTE" 20 8 "Der III. Weg" 13 12 "Freie Sachsen" - 82 "Neue Stärke Partei" - 4 Neonazis/sonstige Rechtsextremisten 38 29 Insgesamt 88 145 Die traditionellen Veranstaltungen zum jährlichen rechtsextremistischen "Heldengedenken" am und um den Volkstrauertag verbuchen seit mehreren Jahren - auch bereits vor dem Beginn der Coronapandemie - stetig abnehmende Teilnehmerzahlen. Infolgedessen fanden als letzte größere regelmäßige Gedenkveranstaltungen nur zwei Kundgebungen in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) (etwa 150 Teilnehmer) und in Dresden (Sachsen) (rund 700 Teilnehmer) statt. Nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine differenPositionen zum zierten Rechtsextremisten ihre zuvor mehrheitlich prorussische Überfall auf die Haltung. In weiten Teilen zeigte sich die Szene befürwortend und Ukraine verständnisvoll für das russische Vorgehen. Teile des neonazistischen Spektrums positionierten sich jedoch proukrainisch. Diese divergierenden Sichtweisen haben im Berichtsjahr aber nicht zu 49 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Bruchlinien innerhalb der rechtsextremistischen Szene geführt (vgl. Kap. III, Nr. 1). RechtsextremisRechtsextremisten aus verschiedenen Spektren haben sich in tische Siedlungsden letzten Jahren insbesondere in den östlichen und nördlichen bestrebungen Bundesländern vermehrt um den Erwerb von Grundstücken und Immobilien bemüht. Ihr Ziel ist es dabei, einzelne Regionen oder Ortschaften ideologisch zu prägen oder gar zu vereinnahmen (vgl. Kap. III, Nr. 6). Rechtsextremistische Im Bereich der rechtsextremistischen Parteien war im BerichtsParteien jahr eine erhöhte Dynamik zu beobachten. Auch wenn NPD, "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" bei Wahlen weiterhin keine Rolle spielten, leisteten ihre Organisationsstrukturen einen wichtigen Beitrag für die szeneinterne Vernetzung und den inneren Zusammenhalt der rechtsextremistischen Szene. Zudem traten mit der Regionalpartei "Freie Sachsen" und der neonationalsozialistisch geprägten Kleinstpartei "Neue Stärke Partei" (NSP) zwei neue rechtsextremistische Parteien verstärkt in Erscheinung (vgl. Kap. V). Verdachtsfall Mit erstinstanzlichem Urteil vom 8. März 2022 bestätigte das Ver"Alternative für waltungsgericht Köln (Nordrhein-Westfalen) die durch das BfV Deutschland" vorgenommene Einstufung der "Alternative für Deutschland" (AfD) als Verdachtsfall.10 In Verlautbarungen der Partei und einer Reihe von Funktionsträgern kommen ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis sowie fremdenund minderheitenfeindliche und muslimund islamfeindliche Positionen zum Ausdruck. Innerhalb der AfD gingen extremistische Strömungen zudem gestärkt aus den Vorstandsneuwahlen auf dem Bundesparteitag im Juni 2022 hervor. 10 Die AfD hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist derzeit beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig. 50 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 2. Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial1 2020 2021 2022 In Parteien 13.250 11.800 15.500 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 3.500 3.150 3.000 "DIE RECHTE" 550 500 450 "Der III. Weg" 600 650 700 Verdachtsfall "Alternative für Deutschland" (AfD)2 - - 10.200 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien3 8.600 7.500 1.150 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen4 7.800 8.500 8.500 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personen13.700 15.000 16.000 potenzial5 Summe 34.750 35.300 40.000 Nach Abzug von Mehrfachzuordnungen 33.300 33.900 38.800 Davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 13.300 13.500 14.000 1 Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Hierunter werden auch die Mitglieder der der AfD (Verdachtsfall) zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA, Verdachtsfall) gezählt; die geschätzte Zahl der Doppelmitgliedschaften ist dabei berücksichtigt. 3 Unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden unter anderem die Mitglieder der "Freie Sachsen" und der "Neue Stärke Partei" (NSP) gezählt. In den Berichtsjahren 2020 und 2021 wurden zudem die JA (Verdachtsfall) und der damals als Verdachtsfall bearbeitete "Flügel" gezählt. 4 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der Beobachtungsobjekte "COMPACT-Magazin GmbH", "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD), "PI-NEWS", "Institut für Staatspolitik" (IfS, Verdachtsfall), "Antaios-Verlag" (Verdachtsfall) und "Ein Prozent e.V." (Verdachtsfall) sowie der Teil von insgesamt 1.250 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gezählt, der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen zuzurechnen ist. 5 Hierzu zählt im Berichtsjahr der Teil von insgesamt 1.250 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern", der keiner festen Struktur zuzurechnen ist. 51 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS II. Gewalt und rechtsterroristische Ansätze 1. Entwicklung der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten Rechtsextremistische Strafund Gewalttaten entwickelten sich im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr wie folgt: Die Gesamtzahl rechtsextremistischer Strafund Gewalttaten stieg im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 % (2021: 20.201; 2022: 20.967). Propagandadelikte (13.026) bildeten wiederum mit 62,1 % den Hauptanteil der rechtsextremistischen Straftaten. 4,8 % der rechtsextremistischen Straftaten waren Gewaltdelikte. Im Vergleich zum Vorjahr stieg im Berichtsjahr die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten um 7,5 % (2021: 945; 2022: 1.016). Körperverletzungsdelikte (879 Körperverletzungen) bildeten mit 86,5 % an der Gesamtzahl der Gewaltdelikte den größten Anteil und bewegten sich somit in etwa auf dem gleichen prozentualen Niveau des Vorjahres (2021: 82,9 %, 783). Bei den rechtsextremistisch motivierten Körperverletzungsdelikten mit fremdenfeindlichem Hintergrund ist ein Anstieg von 16,3 % zum Vorjahr zu beobachten (2021: 646; 2022: 751). Ebenso stieg die Gesamtzahl der fremdenfeindlichen Gewaltdelikte (2021: 686; 2022: 796, +16,0 %). Die Zahl der rechtsextremistischen Nötigungen beziehungsweise Bedrohungen sank nur geringfügig um 1,9 % (2021: 425; 2022: 417), die der Sachbeschädigungen nahm um 35,9 % ab (2021: 923; 2022: 592). Im Jahr 2022 wurden zwei versuchte Tötungsdelikte (2021: zwei versuchte und ein vollendetes Tötungsdelikt) gezählt. Anders als in den Jahren zuvor war 2022 erstmals wieder ein Rückgang rechtsextremistischer Straftaten mit antisemitischer Motivation zu verzeichnen. Die Gesamtzahl (2022: 2.023) sank um 17,1 % im Vergleich zum Vorjahr (2021: 2.439). Dagegen stieg die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten mit antisemitischer Motivation deutlich von 35 auf 53 im Jahr 2022 (+51,4 %). 52 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 2. Gefahr rechtsterroristischer Ansätze Eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden stellen selbstradikalisierte Täter dar, die ohne erkennbare Anbindung an bereits bekannte rechtsextremistische Szenestrukturen agieren. Auch weitere einschlägige Merkmale wie die ideologische Verortung, die zumindest eine gewisse Konzentration auf ein potenzielles rechtsterroristisches Milieu möglich machte, sind in den letzten Jahren aufgeweicht. So lagen insbesondere bei den Tätern der Anschläge von Halle (Sachsen-Anhalt) im Jahr 2019 und Hanau (Hessen) im Jahr 2020 diverse Bezüge zu Verschwörungstheorien und Onlinesubkulturen vor, die nicht zwangsläufig dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. Es wird daher eine enorme Herausforderung bleiben, solche potenziellen Täter im Vorfeld eines geplanten Anschlags zu identifizieren. Besonderes Augenmerk liegt hierbei vor allem auf Aktivitäten im Internet, insbesondere in einschlägigen Chatgruppen in Messengerdiensten. Diese stellen oft eine Art "Katalysator" dar, der die Radikalisierung ihrer Teilnehmer deutlich verstärkt. So finden sich im Internet zahlreiche rechtsextremistische Chatgruppen mit teilweise mehreren Tausend Mitgliedern, in denen extreme Gewaltfantasien bis hin zu Mordaufrufen an der Tagesordnung sind. Hier rechtzeitig solche Personen zu identifizieren, die auch tatsächlich Anschläge und terroristische Taten planen und dies nicht nur durch eine aggressive Rhetorik vorgeben, ist eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Rechtsterroristisch orientiert sind beispielsweise die Gruppierungen "Atomwaffen Division Deutschland" (AWDD) und "Sonderkommando 1418"11 (SKD 1418). Bei diesen handelt es sich um Chatgruppen, deren Mitglieder einen rechtsextremistischen 11 Der Zahlencode "1418" setzt sich aus den Chiffren "14 Words" des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane ("We must secure the existence of our people and a future for white children") und "18" (erster und achter Buchstabe des Alphabets, Abkürzung für Adolf Hitler) zusammen. 53 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Akzelerationismus12 vertreten. Demnach sollen in den westlichen Staaten durch terroristische Aktionen vorhandene ethnische Konflikte verstärkt und ein Bürgerkrieg ausgelöst werden, der zum Zusammenbruch des verhassten demokratischen Systems führen soll. Sicherheitsbehörden haben im Berichtsjahr gegen mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppierungen Exekutivmaßnahmen durchgeführt und damit drohende Gefahrenmomente abgewehrt (vgl. Kap. II, Nr. 3). 3. Staatliche Maßnahmen Verurteilung des Am 17. November 2022 verurteilte das Landgericht (LG) Frankfurt Urhebers von am Main (Hessen) den Urheber einer Serie von Drohschreiben mit Drohschreiben dem Absender "NSU 2.0" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren mit dem Absender und zehn Monaten.13 Nach Auffassung des LG war der Verur"NSU 2.0" teilte verantwortlich für mehr als 80 Drohschreiben zwischen August 2018 und März 2021, in denen Rechtsanwälte, Politiker, Journalisten und Vertreter des öffentlichen Lebens überwiegend mittels elektronischer Schreiben bedroht und rassistisch beleidigt worden waren. In der Folge wurde der Verurteilte unter anderem wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gemäß SS 111 Strafgesetzbuch (StGB), Volksverhetzung (SS 130 StGB) und der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (SS 126 StGB) schuldig gesprochen. Verurteilung eines Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main (Hessen) verurRechtsextremisteilte am 15. Juli 2022 den (ehemals aktiven) Bundeswehrsoldaten ten wegen der Franco A. wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenVorbereitung den Gewalttat gemäß SS 89a StGB in Tateinheit mit Verstößen geeiner schweren gen das Waffengesetz (WaffG), das Kriegswaffenkontrollgesetz, das staatsgefährdenden Sprengstoffgesetz, Unterschlagung (SS 246 StGB) in Tatmehrheit mit Gewalttat Betrug (SS 263 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren 12 Die Theorie des Akzelerationismus stellt auf eine Überwindung des Kapitalismus durch eine Beschleunigung (Akzeleration) der dem kapitalistischen System angeblich inhärenten Widersprüche ab. Dabei stünden enormer technologischer Fortschritt und steigende Gewinne global operierender Unternehmen im Kontrast zu steigender sozialer Ungleichheit bzw. sozialen Konflikten und unfähigen nationalen Regierungen, die diese Probleme nicht lösen könnten. Die Verschärfung dieser Entwicklungen soll letztlich zum Sturz der bestehenden staatlichen bzw. politischen Ordnung führen. 13 Der Verurteilte legte gegen das erstinstanzliche Urteil Revision ein. 54 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS und sechs Monaten.14 In der Urteilsbegründung legte das Gericht dar, dass der Angeklagte aus einer völkisch-nationalistischen und antisemitischen Gesinnung heraus Angriffe auf aus seiner Sicht flüchtlingsfreundliche Personen geplant hatte. Am 27. Mai 2022 verurteilte der 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf Verurteilung von (Nordrhein-Westfalen) nach 27 Verhandlungstagen drei MitglieMitgliedern der der der rechtsextremistischen und antisemitischen "Goyim Partei "Goyim Partei Deutschland" zu mehrjährigen Haftstrafen. Die drei Verurteilten Deutschland" waren nach Überzeugung des Gerichts an einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB beteiligt und begingen in Tateinheit zahlreiche Fälle von Volksverhetzungen (SS 130 StGB). Einer der Verurteilten hatte ab dem Jahr 2014 eine digitale Kommunikationsstruktur errichtet, über die sich Gleichgesinnte weltweit vernetzen sollten. Ziele waren dabei der gegenseitige Austausch von Informationen über eine angebliche weltweite Unterdrückung der "Nichtjuden" durch Juden und die Gewinnung neuer Mitglieder. Hierzu sollten nach Ansicht des Senats Hassbotschaften und antisemitische Hetze als Mittel der Mobilisierung genutzt werden. Die Rechtsextremisten erhielten zwischen zwei und fünf Jahren Haft, wobei die Haftstrafe in einem Fall zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Staatsschutzkammer des LG München I (Bayern) verurteilVerurteilungen te am 3. August 2022 neun Funktionäre und Mitglieder der in wegen Verstoßes Deutschland verbotenen Gruppierung "Blood & Honour Division gegen ein Deutschland" (B&H) wegen des Verstoßes gegen ein VereinigungsVereinigungsverbot verbot gemäß SS 85 StGB zu Bewährungsbeziehungsweise Geldstrafen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verurteilten ab Oktober 2016 versucht hatten, die im Jahr 2000 verbotene Organisation B&H in Deutschland wiederzubeleben, indem sie eine auf Bundesebene aktive "Division" sowie sogenannte Sektionen in Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen als deren Untergliederungen gründeten. Zudem hätten die Verurteilten in der Tradition der ursprünglichen B&H-Gruppierung gestanden. Der Haupttäter sowie fünf weitere Verurteilte erhielten Bewährungsstrafen zwischen acht Monaten und einem Jahr und zehn Monaten. Das Urteil ist rechtskräftig. 14 Der Verurteilte legte gegen das erstinstanzliche Urteil Revision ein. 55 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Verurteilung wegen Am 25. Oktober 2022 verurteilte das Amtsgericht (AG) München Plakatkampagne (Bayern) den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei "Hängt die Grünen!" "Der III. Weg" wegen Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB und der Androhung von Totschlag gemäß SS 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.000 Euro. Gegenstand des Verfahrens war eine Kampagne der Partei im Bundestagswahlkampf 2021. Damals hatte die Partei in Bayern und Sachsen Wahlkampfplakate mit der Aufschrift "HÄNGT DIE GRÜNEN!" im öffentlichen Raum angebracht. Auch wenn die Partei klein gedruckt unter dieser Aufschrift angab, die eigene Parteifarbe zu meinen und bekannt machen zu wollen, sorgte sie mit dieser gezielten Provokation für erhebliches öffentliches Aufsehen im Bundestagswahlkampf.15 Bestätigung der Das OLG München (Bayern) entschied im Beschlussverfahren am Restfreiheitsstrafe 1. September 2022, dass der am 11. Juli 2018 wegen Beihilfe zum eines NSUMord in neun Fällen zu zehn Jahren Haftstrafe verurteilte UnterUnterstützers stützer des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) Ralf Wohlleben eine Restfreiheitsstrafe von etwa drei Jahren ableisten muss. Eine gegen den Beschluss des OLG München eingelegte Beschwerde wies der Bundesgerichtshof (BGH) am 2. November 2022 zurück, wodurch der Beschluss des OLG Rechtskraft entfaltet. Wegen des "sehr hohen Gewichts der durch einen möglichen Rückfall bedrohten Rechtsgüter" seien "besonders strenge Anforderungen an die Erwartung künftiger Straffreiheit zu stellen". Das Risiko sah das Gericht "nicht in eigenen Gewalttaten, sondern im künftigen möglichst unauffälligen Unterstützen fremder Gewalttaten".16 Konzertierte Am 6. April 2022 fanden konzertierte Exekutivmaßnahmen gegen Exekutivmaßnahmen mutmaßliche Mitglieder mehrerer gewaltorientierter rechtsextregegen gewaltmistischer Gruppierungen statt. Anlass der Exekutivmaßnahmen orientierte rechtswaren drei getrennt zu betrachtende Sachverhaltsund Ermittextremistische lungskomplexe. Gegen mehrere Akteure der Siege17-Szene werden Gruppierungen 15 In einem Berufungsverfahren am Landgericht (LG) München I wurde der Angeklagte am 28. März 2023 wegen Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB und Billigung von Straftaten gemäß SS 140 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 8.400 Euro verurteilt. Das LG München sah wie das AG München eine Mitverantwortung des Angeklagten beim öffentlichen Aufhängen der Plakate als erwiesen an. Der Angeklagte ist gegen das Urteil in Revision gegangen. 16 BGH Pressemitteilung 167/2022, StB 43/22. 17 Siege (engl.): Belagerung. Die Siege-Ideologie propagiert Guerillaanschläge gegen Infrastruktur und politisch Verantwortliche, um angenommene Spannungen zwischen der "weißen" Mehrheitsgesellschaft und ethnischen Minderheiten in westlichen Ländern zu verschärfen und damit einen Umsturz herbeizuführen. 56 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS drei Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) geführt, darunter Mitglieder der "Atomwaffen Division Deutschland" (AWDD) und der Gruppierung "Sonderkommando 1418" (SKD 1418). Gegen Mitglieder der Kampfsportgruppierung "Knockout 51"18 (KO 51) wurde im Januar 2021 wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB ein Ermittlungsverfahren des GBA eingeleitet. Zudem richteten sich die Exekutivmaßnahmen gegen Personen, die im Verdacht stehen, die mit Wirkung vom 23. Januar 2020 vom Bundesinnenminister verbotene Vereinigung "Combat 18 Deutschland" (C18 Deutschland) fortzuführen (SS 85 StGB). Im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg (SachsenExekutivmaßnahmen Anhalt) wurden am 27. April 2022 im Rahmen eines Ermittgegen den Onlinelungsverfahrens gegen den Betreiber des rechtsextremistischen versandhandel Onlineversands "Politaufkleber" und dessen Schwester mehre"Politaufkleber" re Wohnund Geschäftsräume in Sachsen-Anhalt und Sachsen durchsucht. Gegen die beiden Beschuldigten wird unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Belohnung und Billigung von Straftaten ermittelt. Bei der Durchsuchung konnten Geschäftsunterlagen, digitale Speichermedien, Computertechnik und bedruckte T-Shirts sichergestellt werden. Da der Vertrieb des mutmaßlich strafbaren Materials vorwiegend über den Onlineshop erfolgte, ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft auch wegen des Betreibens einer kriminellen Handelsplattform im Internet (SS 127 StGB). Es ist das erste Verfahren seit Einführung der Strafvorschrift gegen einen rechtsextremistischen Vertrieb in SachsenAnhalt. Am 2. Juni 2022 nahmen Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Exekutivmaßnahmen Sachsen in Leipzig im Rahmen von Ermittlungen des GBA gegen gegen den Verlag den rechtsextremistischen Verlag "Der Schelm" einen ehemaligen "Der Schelm" NPD-Funktionär fest. Bereits am Tag zuvor war in diesem Zusammenhang ein weiterer Rechtsextremist in Röderaue (Sachsen) festgenommen worden. Außerdem wurden am 1. Juni 2022 die Räumlichkeiten der beiden sowie von zwei weiteren Beschuldigten in Sachsen und Brandenburg durchsucht. Grundlage der Exekutivmaßnahmen war ein Ermittlungsverfahren des GBA gegen die vier 18 Die Zahlen 5 und 1 in der Namensbezeichnung von KO 51 stehen für den fünften und ersten Buchstaben des Alphabets. Die Abkürzung EA ist das Kfz-Kennzeichen von Eisenach (Thüringen). 57 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Personen wegen der Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB. Der Zweck dieser Vereinigung soll gewesen sein, unter dem Dach des rechtsextremistischen Verlags "Der Schelm" nationalsozialistische und antisemitische Ideologie insbesondere durch den Verkauf entsprechender Bücher zu verbreiten und damit Volksverhetzungsdelikte (SS 130 StGB) zu begehen. 3.1. Verhinderung von Waffenbesitz bei Rechtsextremisten In der rechtsextremistischen Szene besteht grundsätzlich eine hohe Waffenaffinität. Diese umfasst sowohl teilweise erlaubnisfreie Gegenstände wie Hieb-, Stichund Schreckschusswaffen sowie Armbrüste als auch erlaubnispflichtige Schusswaffen. Im Rahmen der waffenrechtlichen Erlaubnisverfahren fragt die örtliche Waffenbehörde bei der zuständigen Verfassungsschutzbehörde an, ob Tatsachen bekannt sind, die gegen das Bestehen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit einer Person sprechen ("Regelanfrage", SS 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 WaffG). Sofern im Verfassungsschutzverbund nach Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis Erkenntnisse zu (rechts-)extremistischem Verhalten einer Person anfallen, werden diese der Waffenbehörde nachgemeldet ("Nachberichtspflicht", SS 5 Abs. 5 Satz 3 WaffG). Durch diese Instrumente soll verhindert werden, dass Extremisten legal in den Besitz von erlaubnispflichtigen Waffen gelangen oder in deren Besitz bleiben. Illegaler Auch illegaler Waffenbesitz ist in der Szene verbreitet. Sofern die Waffenbesitz und Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse über illegalen Waffen3D-Druck von Waffen besitz bei Extremisten gewinnen, werden andere Behörden zur Abwehr von Gefahren oder zur Strafverfolgung im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten einbezogen. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technik, insbesondere von modernen 3D-Druckverfahren, entstehen für Extremisten neue Möglichkeiten, sich zu bewaffnen beziehungsweise selbst hergestellte und improvisierte Waffen(-teile) zu nutzen - wie im Fall des Attentats von Halle (Sachsen-Anhalt) im Jahr 2019. Zwar ist die Zahl der bekanntgewordenen Fälle, in denen tatsächlich Waffen mit einem solchen Verfahren hergestellt wurden, noch gering, jedoch zeigen im Internet abrufbare Videos über deren Handhabung, Zuverlässigkeit und Schussrate deutlich das zerstörerische Potenzial solcher improvisierter Schusswaffen. 58 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 3.2 Aufklärung von Finanzierungsaktivitäten der rechtsextremistischen Szene Das BfV hat die Aufklärung von Finanzierungsaktivitäten von Rechtsextremisten intensiviert, da finanzielle Mittel und deren Generierung von besonderer Bedeutung für rechtsextremistische Organisationen und Akteure sind und Handlungsspielräume für rechtsextremistische Agitation eröffnen. Dabei ist das Feld wirtschaftlicher Aktivitäten von Rechtsextremisten sehr heterogen. Klassische Geschäftsbereiche wie die gewinnorientierte Durchführung von Musikund Kampfsportveranstaltungen, der Verkauf von Merchandise-Produkten wie zum Beispiel Bekleidung, aber auch der Betrieb gastronomischer Einrichtungen sind weiterhin ein fester und bedeutender Bestandteil der Szene. Zuweilen findet eine überregionale wirtschaftliche Zusammenarbeit in mehreren Geschäftsund Tätigkeitsfeldern statt. Gerade Onlinevertriebe ermöglichen einen überregionalen Vertrieb rechtsextremistischer Szeneartikel. Die Produkte greifen häufig in der rechtsextremistischen Szene populäre Themen wie Kampfsport und Musik auf. Darüber hinaus werden auch zielgerichtet tagesaktuelle gesellschaftlich kontroverse Themen bei der Produktgestaltung genutzt. Neben der Vermarktung von Identifikationsobjekten für die Szene ist durch den Vertrieb entsprechender Produkte auch ein Transport rechtsextremistischer Positionen in breitere Bevölkerungsschichten möglich, da sie etwa in Form von Bekleidung im Alltag sichtbar werden. Über wirtschaftliche Aktivitäten von rechtsextremistisch ausgerichteten Gewerbebetrieben hinaus sind Spendenaufrufe über soziale Medien und Messengergruppen ebenso als Finanzierungsstrategie zu beobachten. In der Regel werden in diesen Spendenaufrufen neben konventionellen Bankverbindungen auch Adressen für die Spende von Kryptowährungen veröffentlicht. Diese Spenden dienen zumeist der Unterstützung einzelner Akteure und Organisationen, wie zum Beispiel der Deckung von Rechtsberatungskosten und der Finanzierung von Demonstrationen und Szeneaktivitäten. Auf einzelnen Kryptoadressen können teilweise Zahlungseingänge in (umgerechnet) insgesamt sechsstelliger Höhe (Euro und US-Dollar) beobachtet werden. 59 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS III. Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus 1. Instrumentalisierung von Krisen durch Rechtsextremisten Weite Teile der rechtsextremistischen Szene versuchen, komplexe Krisengeschehen und die damit einhergehende Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung zu ihren Gunsten zu nutzen, um ihre ideologischen Narrative in der bürgerlichen Mitte zu verbreiten, wie etwa im Zusammenhang mit der Coronapandemie. Coronapandemie Ein erkennbarer Schwerpunkt rechtsextremistischer Agitation und Kampagnenarbeit lag zu Beginn des Berichtsjahres auf der möglichen Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht. Eine besonders drastische Form des Protests stellten im Jahr 2021 sogenannte Hausbesuche dar, bei denen Gegner der CoronaSchutzmaßnahmen Amtsund Mandatsträger gezielt in ihrem privaten Umfeld aufsuchten, um diese einzuschüchtern. Auch im Berichtsjahr wurde noch mindestens einmal ein solches Vorgehen unter Beteiligung einer lokalen rechtsextremistischen Gruppierung in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) bekannt. Das Scheitern der Einführung der Impfpflicht bei der Abstimmung des Deutschen Bundestages im April 2022 erzeugte organisationsübergreifende Resonanz. Viele rechtsextremistische Akteure und Gruppierungen versuchten, das von ihnen als positiv erachtete Ergebnis auf ihr eigenes Engagement zurückzuführen. Gleichzeitig riefen sie dazu auf, weiterhin Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Im Lauf des Frühjahrs gingen die Teilnehmerzahlen bei den pandemiebezogenen Protesten jedoch deutlich zurück. Die rechtsextremistische Regionalpartei "Freie Sachsen" heizte zu Beginn des Berichtsjahres in Sachsen das Protestgeschehen an. So nutzte die Partei ihre große Reichweite in den sozialen Medien, um für zahlreiche sogenannte Spaziergänge und sonstige Versammlungen zu mobilisieren. Durch ihre Agitation schürten die "Freien Sachsen" fortwährend Ressentiments gegen politisch Verantwortliche und Polizisten. Letztere wurden zeitweise zum Hauptfeind erklärt und beispielsweise als "ferngesteuerte Prügelroboter" diffamiert.19 19 Internetplattform YouTube (31. Januar 2022). 60 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Auch die wachsenden Spannungen zwischen Russland und der Ukraine zu Beginn des Berichtsjahres wurden in der rechtsextremistischen Szene diskutiert. Mehrheitlich waren Stellungnahmen aus der Szene bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von einer undifferenzierten und einseitigen prorussischen Haltung geprägt. Aus Sicht einer Reihe von rechtsextremistischen Akteuren ist Russland von den NATO-Staaten militärisch und sicherheitspolitisch in die Ecke gedrängt worden; ein Interesse an einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine bestehe vorrangig vonseiten der USA beziehungsweise der NATO-Staaten. Nach dem Beginn des militärischen Angriffs Russlands auf die Reaktionen auf Ukraine am 24. Februar 2022 sahen sich Rechtsextremisten, die den Angriffskrieg die Kriegsabsichten des russischen Präsidenten Wladimir Putin Russlands gegen die zum Teil angezweifelt und sich mehrheitlich prorussisch geäußert Ukraine hatten, gezwungen, ihre Positionen zu differenzieren oder zu revidieren. Einige Einzelpersonen und Gruppierungen, darunter beispielsweise die Regionalpartei "Freie Sachsen", die neurechte "COMPACTMagazin GmbH" oder der rechtsextremistische Blog "PI-NEWS", hielten jedoch an ihrer prorussischen Haltung fest. In diesem russlandfreundlichen Lager wurde der militärische Angriff Putins relativiert und als legitim erachtet. Auf der anderen Seite waren auch proukrainische Positionen zu verzeichnen. Diese waren aber hauptsächlich auf die von Neonazis dominierten Kleinparteien "Der III. Weg" und "Neue Stärke Partei" (NSP) beschränkt, die ausdrücklich ihre Solidarität mit der Ukraine erklärten. Dabei wurde allerdings ebenfalls deutlich gemacht, dass die Unterstützung nicht der ukrainischen Regierung gelte, sondern allein nationalistischen Kräften wie beispielsweise der AsowBewegung. Zu dieser unterhält insbesondere "Der III. Weg" bereits seit vielen Jahren Kontakte. Ausreisen von Rechtsextremisten in die Ukraine konnten nur vereinzelt festgestellt werden. Nur wenige davon erfolgten mit der Absicht, sich aktiv an Kampfhandlungen zu beteiligen. Mehrheitlich betätigten sich ausgereiste Personen als propagandistische Vor-Ort-Berichterstatter oder im Rahmen von Hilfsprojekten, welche mitunter der Selbstinszenierung dienten. 61 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Agitation im Zuge Auch die in der Folge des russischen Angriffskriegs gegen Ukraine des russischen entstandenen wirtschaftlichen Verwerfungen, die in Deutschland Angriffskriegs zu steigenden Energieund Lebenshaltungskosten führen, wurden gegen die Ukraine, von den Akteuren der rechtsextremistischen Szene in politischen der Inflation und Kampagnen und Mobilisierungsaufrufen aufgegriffen. Vor dem der drohenden Hintergrund wachsender Ängste und Unsicherheiten der BunEnergiekrise desbürger propagierten rechtsextremistische Akteure seit Anfang Juli 2022 einen bundesweiten "Heißen Herbst" beziehungsweise einen "Wutwinter". Unter diesen Sammelbegriffen wird in der rechtsextremistischen Szene die im Herbst begonnene und über den Winter des Berichtsjahres hinweg andauernde Mobilisierung zu Protestveranstaltungen gegen die Bundesregierung verstanden. Die Anzahl und Größe der durchgeführten Demonstrationen und "Spaziergänge" auch ohne extremistischen Bezug nahmen seit Anfang September 2022 zu. Auch wenn das Teilnehmerfeld der Demonstrationen heterogen war, konnten wiederholt erfolgreiche Versuche von Rechtsextremisten festgestellt werden, das Protestgeschehen zu vereinnahmen. So organisierten Rechtsextremisten Demonstrationen, an denen auch nicht extremistische Personen teilnahmen, oder waren mit Ständen, Plakaten und Fahnen auf Protesten von nicht extremistischen Initiatoren vertreten. Eine hinreichend klare Abgrenzung durch nicht extremistische Versammlungsteile fand dabei wiederholt nicht statt. Der Schwerpunkt der Proteste lag dabei in den östlichen Bundesländern. Einige rechtsextremistische Akteure propagierten bei den Demonstrationen zeitweilig die Bildung einer "Querfront" zwischen "links" und "rechts", die sich unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner - der Systemfeindlichkeit - zusammenschließen sollte. Im "linken" Lager stießen entsprechende Versuche allerdings auf scharfe Ablehnung und Abgrenzung. Rechtsextremistische Akteure nutzten zudem Befürchtungen über eine sich verschlechternde Wirtschaftslage in Deutschland, um ihre eigene Programmatik zu verbreiten. So stellte "Der III. Weg" auf seiner Website ein "wirtschaftliches Sofortprogramm des Deutschen Sozialismus" vor, das Maßnahmen und ein "SechsMonate-Programm" gegen die als gescheitert angesehene aktuelle Wirtschaftspolitik in Deutschland beinhaltete. In einigen Bundesländern führte die Partei eine Informationskampagne unter dem 62 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Motto "Die wahre Krise ist das System!" durch, bei der Flugblätter mit dem Hinweis auf das Programm verteilt wurden. Rechtsextremisten agitieren gegen die Sanktionen gegen Russland Versuch einer und die Migrationspolitik der Bundesregierung und der EU. So Erweiterung um werden zwar ukrainische Staatsangehörige als legitime Schutzsumigrationspolitische chende gesehen, nicht europäischen Flüchtlingen schlägt hingeAspekte gen weiterhin Hass entgegen. Nach Ansicht vieler Rechtsextremisten werden die im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine erleichterten Einreisemodalitäten in die EU von aus Afrika oder dem Nahen Osten stammenden Flüchtlingen gezielt ausgenutzt. Diese kämen gemeinsam mit den "echten" Flüchtlingen - gemeint sind ukrainische Kriegsflüchtlinge - über die Grenze. Seit dem Spätherbst 2022 stellten rechtsextremistische Akteure wie die "Freien Sachsen" im Rahmen des Protestgeschehens inhaltlich vermehrt wieder die Agitation gegen Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten in den Vordergrund und riefen in sozialen Medien zum Protest gegen lokale Asylunterkünfte in mehreren Städten Sachsens auf. 2. Onlinevernetzung und Radikalisierung gewaltaffiner Minderjähriger Im Rahmen der Bearbeitung des gewaltorientierten Rechtsextremismus stellen die Verfassungsschutzbehörden zunehmend eine Veränderung der Altersstruktur des Personenpotenzials fest. Vermehrt werden minderjährige Akteure bekannt, die zum Teil die Schwelle zur Strafmündigkeit noch nicht überschritten haben, sich aber zumindest verbal extremistisch und gewaltbereit äußern. Eine Anbindung an klassische rechtsextremistische Strukturen ist dabei zumeist kaum oder gar nicht zu erkennen. Die oft nur mit großem Aufwand identifizierbaren Personen nutzen neben Telegram primär alternative Internetplattformen für den Austausch mit Gleichgesinnten. Eine hervorgehobene Bedeutung kommt dabei nicht regulierten Imageboards zu, in denen Gewaltdarstellungen und rechtsterroristische Manifeste kursieren. Auf diesen Plattformen bilden sich digitale "Echokammern", in "Attentäterdenen Radikalisierungsprozesse initiiert und beschleunigt werFanszene" den können. Der Nutzerkreis setzt sich vorwiegend aus anonymen und allein agierenden Personen zusammen, die zum Teil einen 63 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS regelrechten Kult um einzeln agierende rechtsextremistische Terroristen oder Amoktäter betreiben. Beispielsweise werden diese entsprechend der Anzahl ihrer Todesopfer in Ranglisten bewertet oder bildlich als Heilige darstellt. So wird insbesondere der Attentäter von Christchurch (Neuseeland), der 2019 in zwei Moscheen 51 Menschen tötete, verehrt. Aber auch die Täter hinter den Anschlägen auf die Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) 2019, auf einen Supermarkt in einem afroamerikanisch geprägten Viertel in Buffalo (USA) und auf eine LGBTQ20Bar in Bratislava (Slowakei) im Jahr 2022 erhielten die Anerkennung in dieser sogenannten Attentäter-Fanszene. Dabei spielt auch die Gamifizierung21 solcher Anschläge mittels Livestreams eine Rolle, durch die eine Interaktionsund Motivationssteigerung der Rezipienten erwirkt werden soll. Die Anhänger verbinden die Glorifizierung von Attentätern nicht selten mit Ankündigungen, selbst solche Taten in ihrem persönlichen Umfeld durchführen zu wollen. In einer Reihe solcher Fälle haben Polizei und Verfassungsschutzbehörden realweltliche Vorbereitungen auf Attentate mit Schusswaffen und Sprengkörpern erkannt und verhindert. Ein gefestigtes ideologisches Weltbild lässt sich in dieser Szene häufig nicht feststellen. So stehen in erster Linie die eigene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie Fantasien von der Ausübung brutaler Gewalt im Vordergrund. Trotzdem bieten die "AttentäterFanszene" sowie die Siege22-Szene ihren Anhängern Anknüpfungspunkte zum Rechtsextremismus. Bereits einzelne rechtsextremistische Ideologiefragmente reichen zur Identifikation mit der Szene aus, auf die in der Regel eine rasante Radikalisierung innerhalb weniger Monate folgt. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die virtuelle Vernetzung innerhalb dieses Personenkreises, die jedoch nicht der Bildung fester Organisationsstrukturen, sondern vielmehr dem Austausch rechtsextremistischer, gewaltverherrlichender und menschenverachtender Medien und Äußerungen dient. 20 Abk. für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer. 21 Gamifizierung bezeichnet grundsätzlich die Verwendung typischer spielerischer Elemente in einem eigentlich spielfremden Kontext. Im Hinblick auf rechtsterroristische Anschläge zählen hierzu vor allem die Übertragung und Darstellung der Tat aus der sog. Ego-Shooter-Perspektive durch Onlinestreaming sowie die Führung von Opferranglisten und das Absolvieren von Herausforderungen (sog. Achievements). 22 Vgl. Fußnote 18 auf S. 56. 64 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 3. Rechtsextremistische "Erlebniskultur": Musik und Kampfsport Auch im Jahr 2022 hatte rechtsextremistische Musik eine wichtige Musik Bedeutung innerhalb des deutschen Rechtsextremismus. Insbesondere einschlägige Musikveranstaltungen stellen für das subkulturelle rechtsextremistische Spektrum einen nicht zu unterschätzenden Teil der rechtsextremistischen "Erlebniskultur" dar. Mit dem weitgehenden Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen ab dem Frühjahr 2022 war ein Anstieg der Musikveranstaltungen feststellbar. Dieser beruhte wie bereits im Jahr 2021 hauptsächlich auf der vermehrten Durchführung von Liederabenden sowie sonstigen kleineren Veranstaltungen mit Livemusik. Während die Zahl der Konzerte mit Auftritten von in der Regel mehreren rechtsextremistischen Musikgruppen noch weit unter dem Niveau der Zeit vor der Pandemie lag, fehlten im Berichtsjahr erneut besucherstarke Musikgroßveranstaltungen23 völlig, welche bis 2019 noch regelmäßig stattfanden. Insgesamt liegt die Zahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen in Deutschland im Jahr 2022 jedoch durch den starken Anstieg der Liederabende und kleinerer sonstiger Veranstaltungen mit Musik wieder in etwa auf dem Niveau vor Beginn der Coronapandemie. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 2021 2022 Konzerte 18 35 Liederabende 59 92 Sonstige24 67 130 Insgesamt 144 257 23 Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern. 24 Darunter fallen unter anderem Demonstrationen, Parteiveranstaltungen oder Rednerauftritte, die von musikalischen Darbietungen rechtsextremistischer Interpreten flankiert werden. 65 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Trotz der durch die Coronapandemie bedingten Einschränkungen von Musikveranstaltungen blieb die Zahl der rechtsextremistischen Musikgruppen und Solointerpreten auch 2022 nahezu auf dem Niveau der Zeit vor der Pandemie. Zudem erschienen im Berichtsjahr wieder - wie bereits in den beiden Vorjahren - überdurchschnittlich viele neue deutschsprachige rechtsextremistische Tonträger, aber auch Neuauflagen älterer Tonträger. Im Jahr 2022 erfolgten verstärkt Maßnahmen der deutschen Sicherheitsbehörden mit dem Ziel, die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Musikszene nachhaltig zu schwächen. Erkenntnisse des BfV über geplante Auftritte deutscher rechtsextremistischer Musiker im Ausland sowie ausländischer rechtsextremistischer Musiker im Inland nutzten die zuständigen Behörden, um in mehreren Fällen erfolgreich Ausbeziehungsweise Einreisen zu verhindern. Diese erfolgreiche behördliche Zusammenarbeit trägt dazu bei, die Veranstaltungen der rechtsextremistischen Musikszene einzuschränken und ihre europaweite Vernetzung erheblich zu schwächen. Nicht zuletzt entstehen dadurch auch finanzielle Verluste für die Musikgruppen und Konzertveranstalter. Kampfsport Neben der rechtsextremistischen Musik hat sich Kampfsport als Teil der rechtsextremistischen "Erlebniskultur" etabliert. Kampfsport ist ein szenetypisches Instrument, um mit rechtsextremistischen Einstellungsmustern bislang bloß sympathisierende junge Männer für rechtsextremistische Strukturen zu rekrutieren. Diese verfügen mittlerweile über eigene Trainingsmöglichkeiten und im Kampfsport versierte Mitglieder, die das Training leiten. In nahezu allen rechtsextremistischen Strukturen, wie dem rechtsextremistischen Parteienspektrum, regionalen gewaltorientierten Gruppierungen der subkulturell geprägten und der Neonazi-Szene und auch innerhalb der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD), wird Kampfsport trainiert. So fanden ab dem Frühjahr 2022 zahlreiche kleinere szeneinterne Kampfsportveranstaltungen wie Turniere, Vorführungen, "Selbstverteidigungskurse" und gemeinsame Trainings statt. Bei vielen rechtsextremistischen Parteien ist Kampfsport mittlerweile fester Bestandteil von überregionalen Veranstaltungen. 66 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Nach den Verboten und Einschränkungen des größten europäischen rechtsextremistischen Kampfsportformats "Kampf der Nibelungen" (KdN) und seiner Ersatzveranstaltungen in den Jahren 2019, 2020 und 2021 sahen die Organisatoren des KdN im Jahr 2022 erstmals seit Gründung des Formats im Jahr 2013 von einer Veranstaltung ab. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht (VG) Dresden (Sachsen) am 7. September 2022 eine vom Veranstalter eingereichte Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen. In dem Urteil bestätigte das VG die Rechtmäßigkeit des erstmaligen KdN-Verbots 2019 in Ostritz (Sachsen). Die Klage des KdN-Hauptverantwortlichen hatte auch darauf abgezielt, finanzielle Entschädigung für entgangene Einnahmen geltend zu machen. Auch die am 6. April 2022 vollstreckten Exekutivmaßnahmen gegen Mitglieder von KO 51 konnten die regionale neonazistische Szene in Westthüringen und das KdN-Unterstützernetzwerk schwächen (vgl. Kap. II, Nr. 3). Trotz dieser Rückschläge intensivierte der Hauptverantwortliche seine Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Kampfsportlern in Osteuropa und vereinbarte die Durchführung einer "European Fight Night" als KdN-Ersatzveranstaltung für Mai 2023 in Ungarn.25 4. Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden Nachdem im Oktober 2020 zum ersten Mal der Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" veröffentlicht worden war, wurde im Mai 2022 ein fortgeschriebener Lagebericht publiziert. Dieser beinhaltete eine methodische Weiterentwicklung des Erhebungsprozesses und umfasste zusätzlich den Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Damit wurde die Vergleichbarkeit der Zahlen verbessert und der Radius des Lageberichts erweitert.26 Neben der reinen quantitativen Erhebung lag der Fokus der Fortschreibung auf der Analyse von Kennverhältnissen von Bediensteten in die rechtsextremistische Szene: Dazu wurden die Kontakte der auf Bundesund Landesebene insgesamt 327 Verdachtsund erwiesenen Fälle (in beiden Phänomenbereichen) 25 Homepage "Legio Hungaria" (26.10.2022). 26 Der Lagebericht "Rechtsextremisten, ,Reichsbürger' und ,Selbstverwalter' in Sicherheitsbehörden" ist unter www.verfassungsschutz.de abrufbar. 67 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS zu extremistischen Netzwerkakteuren betrachtet. Dabei zeigten 201 Bedienstete Verbindungen zu insgesamt 765 im Verfassungsschutz bereits bekannten Netzwerkakteuren, von denen der Großteil dem Rechtsextremismus zuzuordnen ist und sich über alle Teilbereiche der Szene erstreckt. Zu diesen Netzwerkakteuren zählen 94 Organisationen, 274 Personen sowie 50 Chatgruppen. Außerdem wurden 347 Veranstaltungsteilnahmen dokumentiert. Die Anzahl der überprüften Fälle ist im Vergleich zum ersten Lagebericht gestiegen. Dieser Anstieg ist allerdings differenziert zu betrachten: So ist er unter anderem der Aufnahme der Fälle aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung geschuldet, welcher den größten Personalkörper unter den Sicherheitsbehörden aufweist, sowie der Aufnahme der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die jedoch nur einen äußerst geringen Anteil der ausgewerteten Fälle ausmachen. Ferner dürfte der Anstieg der Fallzahlen auf die weitere Aufhellung des Dunkelfelds extremistischer Sachverhalte im öffentlichen Dienst zurückzuführen sein. 5. Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus stellt seit jeher in seinen diversen Erscheinungsformen ein zentrales und konstantes Charakteristikum des Rechtsextremismus dar. So dienen Juden, als jüdisch charakterisierte Personen und alles "Jüdische" als fest etablierte Feindbilder, welche nicht zuletzt eine szeneübergreifende Verbindung und gemeinsame Identitätsstiftung innerhalb des Rechtsextremismus ermöglichen. Daher ist Antisemitismus in unterschiedlicher Intensität in allen Teilbereichen des Rechtsextremismus feststellbar. Im April 2022 hat das BfV ein aktualisiertes, phänomenübergreifendes Lagebild "Antisemitismus 2020/21" veröffentlicht, das einen Gesamtüberblick über die verfassungsschutzrelevanten Ausprägungen des Antisemitismus in Deutschland gibt.27 VerschwörungsJudenfeindliche Einstellungen und Verschwörungstheorien bietheorien ten Rechtsextremisten vor dem Hintergrund eines gemeinsamen 27 Das Lagebild "Antisemitismus 2020/21" ist unter www.verfassungsschutz.de abrufbar. 68 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Feindbilds ein szeneübergreifendes Gemeinschaftsgefühl, eine gemeinsame Identität und einfache Erklärungsmuster für komplexe Sachverhalte und Entwicklungen. Verschiedene Verschwörungserzählungen lassen sich im Kernnarrativ auf die Vorstellung einer geheimen jüdischen Weltverschwörung destillieren. Verschwörungstheorien bieten darüber hinaus auch Anschlussfähigkeit an bisher nicht extremistische Personenkreise, da antisemitische Narrative überwiegend codiert transportiert und damit ohne Vorwissen nur schwer als antisemitisch identifiziert werden. Diese werden dann teilweise unkritisch aufgegriffen und weiterverbreitet. Am Beispiel des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lässt sich die Dynamik des Antisemitismus und vor allem von antisemitischen Verschwörungstheorien verdeutlichen. So begann umgehend nach dem Angriff eine Umdeutung des tagesaktuellen Geschehens durch rechtsextremistische Akteure hin zu antisemitischen Erzählungen, nach denen beispielsweise der Krieg Teil einer vermeintlichen "jüdischen" Strategie zur Erlangung der Weltherrschaft sei. Verwiesen wird dabei auf eine "jüdische" Kontrolle entweder der Ukraine oder Russlands oder beider Staaten. Darüber hinaus stellt im rechtsextremistischen Antisemitismus Coronapandemie auch die Coronapandemie weiterhin einen wesentlichen Faktor bei der Verbreitung von offenen oder chiffrierten antisemitischen Verschwörungstheorien dar. Dies liegt nicht nur in dem Umstand begründet, dass diese Narrative teils jahrhundertealte antisemitische Stereotype reproduzieren und aufgreifen, sondern auch an ihrer hohen Anschlussfähigkeit an bestehende antisemitische Verschwörungstheorien. So lässt sich beispielhaft die über die rechtsextremistische Szene hinaus verbreitete Verschwörungstheorie des "Great Reset"28 ohne Schwierigkeit mit praktisch jeder Ausprägung einer anderen antisemitischen Weltverschwörungstheorie verknüpfen. Daneben spielt im Rahmen der Coronapandemie weiterhin der sekundäre Antisemitismus29 eine Rolle. 28 Das Narrativ des "Great Reset" behauptet, dass eine "globale Elite" in Politik und Wirtschaft eine globalisierte Diktatur anstrebe. Ursprünglich stammt die Formulierung "Great Reset" von einer Initiative des Weltwirtschaftsforums, die insbesondere auf ökonomische Reformen für mehr Nachhaltigkeit und soziale Partizipation setzt. 29 Sekundärer Antisemitismus beschreibt Vorstellungen, wonach jüdische Personen und Organisationen den Holocaust zum Erlangen finanzieller oder politischer Vorteile ausnutzen. 69 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem NS-Regime gehörten - wie auch bereits 2020 und 2021 - zur gängigen Strategie der Protestszene gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen. Dabei finden sich auch weiterhin teils den Holocaust relativierende Slogans, Symbole und Aussagen wie die Verwendung des "Judensterns" mit dem Slogan "Ungeimpft" oder die Gleichsetzung der Protestbewegung mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Stoßrichtung ist in diesen Fällen in der Regel nicht die Verbreitung von Antisemitismus, sondern die Delegitimierung der getroffenen Corona-Schutzmaßnahmen und des sie beschließenden Staates, der auf diese Weise mit dem nationalsozialistischen Staat gleichgesetzt wird. Durch diese Art der Agitation werden der Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus bewusst verharmlost, die Opfer der Shoah verhöhnt und die bestehende Erinnerungskultur als Teil der Staatsräson infrage gestellt. 6. Rechtsextremistische Siedlungsbestrebungen Rechtsextremisten aus verschiedenen Spektren haben sich in den letzten Jahren vermehrt um den Erwerb von Grundstücken und Immobilien bemüht. Diese Siedlungsbestrebungen existieren vornehmlich im ländlichen Raum, insbesondere in den östlichen und nördlichen Bundesländern. Dabei versuchen Rechtsextremisten, einzelne Ortschaften oder Regionen ideologisch zu prägen oder gar zu vereinnahmen. Die Ausprägungen sind hierbei vielfältig. Ziel ist zumeist der "Erhalt der Deutschen". "Deutschsein" wird hierbei vor allem unter Rückgriff auf den ethnischen Volksbegriff im Sinne der völkischen "Blut-und-Boden"-Ideologie definiert. Ziel rechtsextremistischer Siedlungsbestrebungen ist, sich in den besagten Regionen entweder aktiv in das gesellschaftliche Leben mit einzubringen, um die Anschlussfähigkeit der eigenen ideologischen Vorstellungen zu erreichen, oder sich durch den Kauf von Grundstücken ein autarkes Rückzugsgebiet für ein Leben unter Gleichgesinnten zu schaffen, das hierdurch zugleich dem Einflussbereich staatlicher Stellen entzogen werden soll. Dabei wird mit den Themen Selbstversorgung, ökologisches Denken und Nachhaltigkeit geworben, um sich nach außen als unpolitische Bewegung darzustellen. Tatsächlich existieren jedoch 70 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Vernetzungsbestrebungen mit bestehenden rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien, teils gibt es sogar personelle Überschneidungen von Akteuren der Siedlungsbestrebungen mit jenen. Weitere Verbindungen der rechtsextremistischen Siedlungsbestrebungen bestehen darüber hinaus auch mit den Phänomenbereichen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sowie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". 7. Homophobie und Queerfeindlichkeit Rechtsextremisten agitieren in den letzten Jahren immer offener und aggressiver gegen die Liberalisierung des öffentlichen Diskurses hinsichtlich unterschiedlicher sexueller Orientierungen sowie gleichgeschlechtlicher Partnerschaftsund Familienmodelle. Sie sehen Heterosexualität und die Vorstellung einer damit verbundenen traditionellen Kernfamilie als biologisch "natürlich" und somit alternativlos an. Jegliche Abweichung wird im Rahmen einer völkisch-biologistischen Ideologie als "Zersetzung des Volkskörpers" und als Anzeichen eines fortschreitenden kulturellen Verfalls gewertet. Schließlich könnten nur in dieser Konstellation Kinder geboren und damit letztlich der drohende "Volkstod" abgewendet werden. Ebenso wird teilweise auf verschwörungstheoretische Narrative rekurriert, wenn beispielsweise der Verein "Ein Prozent e.V." (Verdachtsfall) "Regenbogen und 'Pride'" als eine "politisch gewollte Auflösung kollektiver Systeme und die Erschaffung des perfekten, wurzellosen Konsumenten"30 bezeichnet und sich damit auf Elemente der Verschwörungserzählung des "Great Reset" bezieht. In diesem Sinne agitiert die rechtsextremistische Szene gegen eine vermeintliche LGBTQ-Propaganda, die angeblich insbesondere durch die Politik sowie öffentlich-rechtliche Medien Verbreitung finde. Zudem wird das öffentliche Engagement bekannter Unternehmen und Marken für die LGBTQ-Bewegung als Handeln aus rein wirtschaftlichem Interesse abgetan. In diesem Zusammenhang existieren eigens hierfür kreierte, abwertende Neologismen, die sich in der Szene etabliert haben. So spricht die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" zumeist von einer "Homo-Propaganda"31, 30 Homepage "Ein Prozent e.V." (31. Mai 2022). 31 Homepage "Der III. Weg" (18. Mai 2022). 71 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS während Akteure der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) zusätzlich den abfälligen Begriff "Globohomo"32 verwenden. Der weltweit jährlich im Juni gefeierte Pride Month war im Berichtsjahr für rechtsextremistische Akteure ein konkreter Anlass, ihre homophoben und diskriminierenden Einstellungen zur Schau zu stellen. Dabei wurden queere Personen durch Rechtsextremisten fortlaufend diffamiert. Bezeichnend waren die Reaktionen auf Meldungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu verstärkt auftretenden Fällen von Mpox/Affenpocken in Europa. Verschiedene rechtsextremistische Akteure wiesen hierbei auf eine Verbreitung der Erkrankung insbesondere bei Homosexuellen hin. So stellte die Partei "Der III. Weg" in einem Beitrag auf ihrer Website entsprechende Verbindungen her. Die Mpox/Affenpocken würden "ausgerechnet zu dem Zeitpunkt in Deutschland erscheinen, wo die Saison der landesweiten 'Gay-Pride-Paraden`" beginne. Männer "mit gewissen anormalen Neigungen" verbreiteten "neben der klassischen 'Schwulenseuche` HIV" nun auch die "Affenpocken".33 Darüber hinaus diffamierte die Partei die Erlaubnis zum Hissen der Regenbogenfahne an öffentlichen Gebäuden als deren "Schändung" und sprach in einem Beitrag auf der parteieigenen Website von einem "Symbol der Toleranz gegenüber perversen Umtrieben".34 IV. Rechtsextremistische Akteure der Neuen Rechten und Verdachtsfälle Ideologie Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. Hierfür werden parlamentarische und außerparlamentarische Bewegungen, metapolitische Theoriebildung 32 Internetplattform Telegram (24. November 2022). Der Begriff "Globohomo" steht für "Globale Homogenisierung", durch die ein elitärer Personenkreis die ganze Weltbevölkerung zu unterschiedslosen, perfekten Konsumenten erziehen wolle, für die Kultur und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen. 33 Homepage "Der III. Weg" (23. Mai 2022). 34 Homepage "Der III. Weg" (6. Juni 2022). 72 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS und Praxis - also die Einflussnahme auf den vorpolitischen Raum, die den Boden für die erfolgreiche politische Verwirklichung dieser antidemokratischen Positionen bereiten soll - mit Protestund Demonstrationsinitiativen eng verzahnt. Die Akteure füllen innerhalb dieses Netzwerks unterschiedliche und teils komplementäre Funktionen und Rollen aus, die dem gemeinsamen Ziel einer "Kulturrevolution von rechts" dienen sollen und sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen richten. Rechtsextremistische Bezüge ergeben sich aus Verstößen gegen die Menschenwürde, das Rechtsstaatsund/oder das Demokratieprinzip in unterschiedlicher Ausformung. Akteure der Neuen Rechten sind untereinander gut vernetzt. DaVernetzung bei nehmen die einzelnen Gruppierungen und Organisationen unterschiedliche Funktionen innerhalb dieses Netzwerks wahr und verstehen sich als Strategen ("Institut für Staatspolitik" - IfS, Verdachtsfall), Journalisten ("COMPACT-Magazin GmbH"), Netzwerker ("Ein Prozent e.V.", Verdachtsfall), Verleger ("Verlag Antaios", Verdachtsfall) oder Aktivisten ("Identitäre Bewegung Deutschland", IBD). Auch Verbindungen in das Parteienspektrum wie zur AfD (Verdachtsfall) und deren Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA, Verdachtsfall) sowie Kooperationen mit den "Freien Sachsen" sind bekannt. 1. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) sieht sich selbst als "außerparlamentarische" und "patriotische Jugendbewegung"35 und ist mit regionalen Untergruppen bundesweit aktiv. Der IBD sind die Medienagentur "Okzident Media", das Finanzdienstleistungsunternehmen "Schanze Eins" sowie die hinter dem IBDOnlineshop "Phalanx Europa" stehende Unternehmergesellschaft "Kohorte" zuzurechnen. Die IBD nutzt intensiv soziale Medien und ist neben der Internetplattform Telegram unter Profilen, die vordergründig keinen Bezug zu ihr vermuten lassen, auf Twitter und Instagram aktiv. Im Jahr 2022 verfügte die IBD wie im Vorjahr über etwa 500 Mitglieder und Anhänger. 35 Homepage IBD (17. März 2023). 73 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Ideologie Die IBD vertritt das Konzept des Ethnopluralismus, das auf der Vorstellung einer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat basiert. Für die IBD ist allein die ethnische Herkunft maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Minderheiten wird dadurch ein geringerer Wert zugestanden. Die inhaltlichen Positionen der IBD und ihre darauf aufbauende Agitation stellen eine Missachtung der im Grundgesetz garantierten Menschenrechte dar, insbesondere der Menschenwürde sowie des Diskriminierungsverbots. Auch die für die IBD charakteristischen Schlagworte "Remigration" und "Reconquista" sind ausländerund islamfeindlich.36 Aktionen In Ermangelung diskursbestimmender Botschaften konnte die IBD im Berichtsjahr kaum medienrelevante Aktionen durchführen. Bei öffentlichen Aktionen wurde im Zuge einer taktischen Neuausrichtung bisweilen der Bezug zur Organisation verschleiert und durch Vermummung die Anonymität der Aktivisten gewahrt. Zu Beginn des Jahres lag der Aktionsfokus "identitärer" Ortsgruppen vornehmlich auf der Beteiligung an lokalen Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Mit dem Rückgang des Demonstrationsgeschehens zeigte sich die IBD bemüht, neue anknüpfungsfähige Themen für ihre Aktionsformen zu finden. Die breiteste mediale Resonanz erzeugte im Berichtsjahr eine Protestaktion der IBD gegen die Sanktionsund Energiepolitik der Bundesregierung am 29. August 2022 in Lubmin (MecklenburgVorpommern), bei der die Inbetriebnahme der Gaspipeline "Nord Stream 2" gefordert wurde. Die Aktion stellte zugleich den Auftakt der "identitären" Initiative "Aktion Solidarität" dar, die laut ihrer Eigenbeschreibung gegen "Teuerungen, suizidale Sanktionsund Migrationspolitik und die Vernichtung Deutscher Interessen, Deutscher Zukunft und Deutscher Identität" antritt. Daneben fordert die Initiative ein "Ende der Ersetzungsmigration"37. Mit dem Begriff der "Ersetzungsmigration" bedient die IBD das rechtsextremistische Ideologem des "Großen Austauschs"38, dem die von ihr verbreitete Behauptung eines forcierten Aussterbens der eigenen 36 Pressemitteilung VG Köln, 13. Oktober 2022. 37 Internetplattform Telegram (29. August 2022). 38 Anhänger des Ideologems des "Großen Austauschs" sehen die "ethnokulturelle" Identität der europäischen Völker durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht. Durch politische, kulturelle und wirtschaftliche Eliten soll nach dem Verschwörungsnarrativ dieser Zustrom gesteuert werden. Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas weitgehend durch eine steuerbare Masse an Konsumenten zu ersetzen. 74 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Kultur zugrunde liegt. Ab Herbst zeigten Ortsgruppen der IBD Präsenz auf lokalen Protestveranstaltungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftsund Inflationskrise. Ein strategisches Element zur Etablierung einer neurechten "GeHausprojekte genkultur" sieht die IBD in der Erschaffung von "Freiräumen" in Form von Wohnbeziehungsweise Hausprojekten. In SachsenAnhalt festigte sich im Berichtsjahr ein gemeinschaftliches Wohnprojekt von Führungskadern der IBD. Das durch "Schanze Eins" geförderte "Hausprojekt" in Steyregg bei Linz (Österreich) dient seit seiner Gründung im Jahr 2021 als Veranstaltungsort sowie als Ort des politischen Austauschs für Akteure aus der gesamten Neuen Rechten. 2. "COMPACT-Magazin GmbH" Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist ein multimedial ausgerichtetes Unternehmen. Neben dem Hauptprodukt, der seit Dezember 2010 herausgegebenen Monatszeitschrift "COMPACT-Magazin", zählen umfangreiche Online-Angebote wie eine eigene Website, ein Internet-Videokanal sowie Präsenzen in den sozialen Medien zu den Angeboten von "COMPACT". Auch im Berichtsjahr wurde das Online-TV-Format "COMPACT. Der Tag" von Montag bis Freitag produziert und ausgestrahlt. Darüber hinaus beteiligte sich die "COMPACT-Magazin GmbH" an Demonstrationen und führte eigene Aktionen und Kampagnen durch. Thematisch dominierten im Berichtsjahr eine prorussische Berichterstattung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine und die steigenden Energieund Lebenshaltungskosten die Agenda von "COMPACT". Im Zuge dessen wurde im Frühjahr 2022 eine groß angelegte Kampagne mit dem Slogan "Frieden mit Russland" vorangetrieben. Die Kampagne beinhaltete eine eigene Website, eine Sonderpublikation, die Platzierung von Großplakaten sowie verschiedene Veranstaltungsauftritte von Gesellschafter und Chefredakteur Jürgen Elsässer. Zudem wurde in der zweiten Jahreshälfte versucht, das Narrativ eines "Heißen Herbstes" in die Leserschaft zu tragen, um gegen die Bundesregierung zu mobilisieren sowie ein staatsdelegitimierendes Protestgeschehen zu organisieren und zu fördern. Dabei 75 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS wurden führende Politiker Ziel von personifizierter Agitation und Beleidigungen. Ebenfalls wurde die Verschwörungstheorie einer durch US-amerikanische Truppen besetzten Bundesrepublik Deutschland propagiert. In diesem Zusammenhang wurde im Oktober des Berichtsjahres die Kampagne "Ami go home" initiiert, in deren Rahmen ein Abzug der angeblichen amerikanischen Besatzungstruppen gefordert wurde. Ideologie "COMPACT" verbreitet in seinen unterschiedlichen Publikationen weiterhin und regelmäßig antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungsideologische Inhalte. Hauptmerkmal der verbreiteten Beiträge ist die Agitation gegen die parlamentarische Demokratie im Allgemeinen und gegen die Bundesregierung im Besonderen. Verschwörungsideologische Erzählungen werden dabei von "COMPACT" politisch instrumentalisiert, um staatstragende Institutionen und das Konzept einer offenen, pluralistischen Gesellschaft zu diskreditieren. Vernetzung Jürgen Elsässer wirkt durch seine Tätigkeiten und Verbindungen als zentraler Vernetzungsakteur zwischen der Neuen Rechten und dem rechtsextremistischen Parteienspektrum. Exemplarisch ist hier die Ausweitung der Zusammenarbeit mit der rechtsextremistischen Regionalpartei "Freie Sachsen" zu nennen. 3. "KVLTGANG" "KVLTGANG" ist ein im Jahr 2017 von mehreren unter Pseudonymen auftretenden Personen gegründetes rechtsextremistisches Künstlerkollektiv. Die Idee zur Gründung entstand laut Eigenangaben mit der Absicht, "kreative" Köpfe aus entsprechenden Spektren in ganz Europa zu vereinen. Ziel der "KVLTGANG" ist die Professionalisierung der rechtsextremistischen Szene in den Bereichen Stilistik, Marketing und Design. Symbolik "KVLTGANG" nutzt für ihre Grafiken wiederkehrend Symbole und Chiffren, die einen Bezug zum historischen Nationalsozialismus aufweisen. So findet die "Schwarze Sonne", eine Kombination aus drei übereinander angeordneten Hakenkreuzen, deren Enden in Sigrunen auslaufen, vielfach Verwendung. Daneben werden auch 76 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS einschlägige rechtsextremistische Chiffren und Symboliken wie der Zahlencode "88"39 genutzt. "KVLTGANG" ist überwiegend in den Bereichen Grafikdesign, Aktionsfelder Musikproduktion und Programmierung von Videospielen aktiv. Exemplarisch kann dabei die Beteiligung an einem mittlerweile indizierten Computerspiel angeführt werden, das von "Ein Prozent e.V." (Verdachtsfall) herausgebracht wurde. Als bevorzugter Aktionsraum fungieren einschlägige Social-Media-Plattformen, auf denen in unregelmäßigen Abständen neue Grafiken veröffentlicht werden. Neben den persönlichen Accounts der Mitglieder existieren auch Accounts unter dem Label "KVLTGANG". Die Gruppierung ist europaweit mit Akteuren und Organisationen Vernetzung aus dem rechtsextremistischen Spektrum vernetzt. Enge Verbindungen bestehen dabei insbesondere in die Schweiz und nach Österreich. 4. Verdachtsfall "Ein Prozent e.V."40 Die Gruppierung "Ein Prozent" besteht seit Herbst 2015 und ist seit April 2016 ins Vereinsregister eingetragen. Der Verein hat seinen Sitz in Dresden (Sachsen)41 und ist lokal, überregional und bundesweit tätig. Dabei treibt er in intensiver finanzieller und ideeller Form die Unterstützung, Bewerbung und Förderung verschiedener Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen, insbesondere aus dem Spektrum der Neuen Rechten, voran und vernetzt sie miteinander. "Ein Prozent" versucht primär, eine kulturelle Deutungshoheit im vorpolitischen Raum zu erringen und eine "Gegenkultur" zu schaffen. Darunter ist eine szenetypische Kultur zu verstehen, die einer aus Sicht des Vereins "etablierten" Kultur in Deutschland, die sich aus der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt, entgegengesetzt ist. 39 Die Zahl "88" steht für den jeweils achten Buchstaben des Alphabets und wird von Rechtsextremisten als Synonym für "Heil Hitler" verwendet. 40 "Ein Prozent e.V." wird seit März 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung vom BfV bearbeitet. 41 Auf seiner Website gibt der Verein Dresden als Sitz an. Laut Vereinsregister befindet sich der offizielle Sitz des Vereins seit 2021 in Görlitz (Sachsen). 77 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Ideologie "Ein Prozent" vertritt einen ethnisch-abstammungsmäßig definierten Volksbegriff, weist eine migrantenund muslimfeindliche ideologische Ausrichtung auf und propagiert das verschwörungstheoretische Konzept des "Großen Austauschs". In zahlreichen und über die Internetpräsenzen des Vereins veröffentlichten Beiträgen und Grafiken werden außereuropäische Migranten pauschal als Kriminelle dargestellt. Flüchtlingen aus arabischen Ländern wird grundsätzlich abgesprochen, legitime Gründe für ihre Flucht zu besitzen. 5. Verdachtsfall "Institut für Staatspolitik" (IfS)42 Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) wurde im Mai 2000 als eingetragener Verein ("Verein für Staatspolitik e.V.") gegründet. Mitgründer Götz Kubitschek ist der prominenteste Repräsentant des IfS. Sitz des Vereins ist der Ortsteil Schnellroda in der Gemeinde Steigra (Sachsen-Anhalt). Das IfS sieht sich als prägender Ideenund Impulsgeber der Neuen Rechten und publiziert neben der Zeitschrift "Sezession" mehrere Buchund Schriftenreihen. Reichweite innerhalb der Neuen Rechten entfaltet insbesondere der Onlineblog "Sezession im Netz". Darüber hinaus organisiert das IfS regelmäßig Veranstaltungen und mehrtägige Kongresse, die als "Akademien" bezeichnet werden. Ideologie Das IfS hält am Ethnopluralismus fest und orientiert sich an einem ethnisch-abstammungsmäßig definierten Volksbegriff. Diese Ideologie, die ethnischen Minderheiten die Zugehörigkeit zum Staatsvolk entgegen Art. 116 des Grundgesetzes (GG) verwehrt, ist mit der in Art. 1 GG schrankenlos garantierten Menschenwürde unvereinbar. Darüber hinaus finden sich beim IfS auch geschichtsrevisionistische Positionen. Aktivitäten Im Zuge von Rücknahme und Lockerungen pandemiebedingter Schutzmaßnahmen hat das IfS im Jahr 2022 neben der Fortführung eines zu Pandemiezeiten etablierten Podcasts wieder vermehrt Veranstaltungen durchgeführt: Neben zwei "Akademien" (im April und September 2022), die in Kooperation mit dem "Verlag Antaios" (Verdachtsfall) organisiert wurden, fand im Juli 2022 eine 42 Das IfS wird seit April 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung vom BfV bearbeitet. 78 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS als "Sommerfest" deklarierte Veranstaltung mit etwa 400 Teilnehmern statt. Ebenfalls wurde die regelmäßig und in einem kleineren Rahmen stattfindende Veranstaltungsreihe "Staatspolitischer Salon" nach einer längeren Pause wieder aufgenommen. 6. Verdachtsfall "Verlag Antaios" Der "Verlag Antaios" wurde im Jahr 2000 gegründet und zunächst bis zum Jahr 2012 unter dem Namen "Edition Antaios" geführt. Er hat seit 2003 seinen Sitz in Schnellroda (Sachsen-Anhalt), wo auch das IfS (Verdachtsfall) ansässig ist. Die Leitung lag im Berichtsjahr unverändert bei Kubitschek, der nicht nur Verlagseigentümer, sondern gleichzeitig Co-Vorsitzender des IfS (Verdachtsfall) sowie Gründungsmitglied des Vereins "Ein Prozent e.V." (Verdachtsfall) ist. Aufgrund dieser Personalunion ist eine enge Verbindung zwischen Verlag und Institut gegeben, wie auch verschiedene Formate (so z.B. Podcasts) und Veranstaltungen zeigen, bei denen Verlag und Institut als gemeinsame Organisatoren auftreten. Zur Autorenschaft zählen ehemalige und aktive Protagonisten der Autorenschaft "Identitären Bewegung" in Deutschland und Österreich. Darüber hinaus weisen verschiedene Personen eine Doppelautorenschaft beim "Verlag Antaios", in der Zeitschrift "Sezession" des IfS (Verdachtsfall) und im "COMPACT-Magazin" auf. Durch diese Kooperationen und Überschneidungen werden auch Positionen dieser Akteure über den "Verlag Antaios" transportiert. Im Verlagsprogramm fanden sich auch im Jahr 2022 Publikationen, in denen die auf Verschwörungstheorien basierende Idee des "Großen Austauschs" beziehungsweise das Ideologiemerkmal des Ethnopluralismus thematisiert wurden. Darüber hinaus zeugen aktuelle Publikationen des Verlags ebenfalls davon, dass dieser sich nicht von Autoren distanziert, die in ihren Erzeugnissen geschichtsrevisionistische Inhalte vertreten. 7. "PI-NEWS" Der Weblog "PI-NEWS" ist ein reichweitenstarkes deutsches rechtsextremistisches Onlinemedium. Zwar handelt es sich vor allem in ideologischer Hinsicht nicht um einen originären Vertreter 79 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS der Neuen Rechten, doch bietet "PI-NEWS" einer Vielzahl von Akteuren dieses Spektrums eine Plattform und verbreitet deren Inhalte. Das Kürzel "PI" steht eigenen Angaben zufolge bewusst provokativ für "Politically Incorrect". "PI-NEWS" verzichtet zur Verschleierung der Verantwortlichkeit auf die Angabe eines Impressums; etwa die Hälfte der Autoren verwendet ein Pseudonym. Zudem verfügt der Weblog über einen Kommentarbereich, in dem vielfach extremistische Inhalte veröffentlicht werden. Ideologie Den Weblog kennzeichnen neben einem ethnisch-homogenen Volksund Gesellschaftsverständnis vor allem eine starke Islamund Muslimfeindlichkeit sowie Migrationsfeindlichkeit mit einer Herabwürdigung verschiedener Bevölkerungsgruppen. Diese Aspekte äußerten sich im Berichtsjahr in diversen Artikeln mit Titeln wie "Ist die Umvolkung noch zu stoppen?"43 oder "ARD: Neger aus Zimbabwe erfindet Fernseher, der Energie erzeugt"44. Angriffskrieg "PI-NEWS" bezeichnet sich in seinen Leitlinien formal als proamegegen die Ukraine rikanisch, bezieht aber hinsichtlich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine strikt prorussische Position. In diversen Artikeln werden die vermeintliche Zurückhaltung Russlands in der Kriegsführung gelobt und die Ukrainer als eigentliche Aggressoren dargestellt. Zudem wurde auf der Startseite des Weblogs seit diesem Jahr auf das russische Staatsmedium RT DE verlinkt. Vernetzung Zahlreiche Verbindungen unterhält "PI-NEWS" zu rechtsextremistischen Organisationen und Einzelpersonen, vor allem aus dem Kreis der Neuen Rechten, und wirkt wegen seiner beachtlichen Reichweite als Multiplikator. Der Weblog bewirbt unter anderem Videoformate der "COMPACT-Magazin GmbH" und verweist bei Literaturempfehlungen regelmäßig auf den "Verlag Antaios" (Verdachtsfall). V. Rechtsextremistisches Parteienspektrum Auch wenn ein Großteil der rechtsextremistischen Parteien im Berichtsjahr bei Wahlen keine Rolle spielte, leisteten ihre 43 Homepage "PI-NEWS" (29. November 2022). 44 Homepage "PI-NEWS" (17. September 2022). 80 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Organisationsstrukturen weiterhin einen wichtigen Beitrag für die interne Vernetzung und den inneren Zusammenhalt der rechtsextremistischen Szene. Aufgrund der hohen rechtlichen Hürden für Parteiverbote ist das "Neue Stärke Partei" Parteienmodell für rechtsextremistische Akteure einerseits attraktiv. Andererseits sind damit auch Herausforderungen wie die Organisation von Wahlteilnahmen und von Parteistrukturen verbunden. Exemplarisch hierfür steht die neonationalsozialistisch geprägte Kleinstpartei "Neue Stärke Partei" (NSP). Nachdem diese sich im November 2021 aus der rechtsextremistischen Vereinigung "Neue Stärke Erfurt" heraus konstituiert hatte, gelang es ihr vergleichsweise schnell, überregional Strukturen aufzubauen und Mitglieder zu gewinnen. Mit ihrem martialischen Auftreten und einer Demonstrationskampagne unter dem Motto "Kampfkultur" sorgte die NSP unter anderem in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz für öffentliche Aufmerksamkeit. Auf die rasche Ausbreitung folgte jedoch ein ebenso schneller Niedergang: Unter anderem bedingt durch interne Streitigkeiten und mangelndes Interesse an politischer Arbeit zerfielen weite Teile der Partei schnell wieder und neu gegründete "Abteilungen" der NSP lösten sich auf. Im November 2022, nur knapp ein Jahr nach ihrer Gründung, musste die NSP bereits einen komplett neuen Vorstand wählen. 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die NPD fand auch im Berichtsjahr nicht zu einem klaren strategischen Kurs. Exemplarisch für den fortlaufenden Konflikt über die Ausrichtung der Partei steht die Abstimmung über eine Namensänderung auf dem Bundesparteitag im Mai 2022 in Altenstadt (Hessen). Der Bundesvorstand hatte sich für die Umbenennung in "Die Heimat" ausgesprochen, um den avisierten Reformprozess mit diesem symbolträchtigen Akt zu untermauern. Die für die entsprechende Satzungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit wurde jedoch um drei Delegiertenstimmen verfehlt. Auch wenn der Beschluss über die strategische Neuausrichtung deshalb formal nicht zustande kam, sah sich der weitgehend wiedergewählte Bundesvorstand um den Vorsitzenden Frank Franz gleichwohl in seiner Politik bestätigt und verkündete, den Erneuerungsprozess dennoch einzuleiten. 81 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Reformpläne Nach dem fortgesetzt schlechten Abschneiden der Partei bei Wahlen in den letzten Jahren sieht der Plan mehrere Reformschritte vor, darunter eine organisatorische Verschlankung, erhöhte Anschlussfähigkeit und eine verstärkte Arbeit im vorpolitischen Raum. Darunter fällt auch das Bestreben, sich verstärkt mit anderen Akteuren im rechtsextremistischen Spektrum zu vernetzen und auch von diesen zu lernen. Die NPD zeigt damit, dass sie nicht mehr in erster Linie als Wahlpartei, sondern verstärkt als Kooperationspartner in einem breiten rechtsextremistischen Bewegungsbündnis wahrgenommen werden möchte. Dass die NPD dabei auch von ihrem einstigen Selbstverständnis als führende Kraft im organisierten Rechtsextremismus abrückt, zeigt die im Berichtsjahr aufkeimende Kooperation mit und Orientierung an der rechtsextremistischen Regionalpartei "Freie Sachsen". So waren im Berichtszeitraum zwei führende sächsische NPD-Funktionäre gleichzeitig im Vorstand der "Freien Sachsen" tätig. Im Sinne der angestrebten Vernetzung veranstaltete das Parteiorgan "Deutsche Stimme" (DS) im September und Dezember 2022 zudem zwei sogenannte DS-Netzwerktage. Mit den Veranstaltungen versuchte die NPD einmal mehr, die Funktion einer organisationsübergreifenden Sammlungsbewegung zu übernehmen und das regional erfolgreiche Konzept der "Freien Sachsen" hinsichtlich Anschlussund Vernetzungspotenzial auf ganz Deutschland zu übertragen. Die Tagungen, an denen neben hochrangigen NPD-Funktionären, darunter der NPD-Bundesvorsitzenden Frank Franz, auch Vertreter der Partei "DIE RECHTE" und Angehörige der neonationalsozialistischen Szene teilnahmen, wurden seitens der NPD zwar als Erfolg gewertet, riefen jedoch nur geringe Resonanz in der rechtsextremistischen Szene hervor. Die Erneuerungspläne des Vorstands nahmen somit zwar in Ansätzen Konturen an, aber die tiefer liegenden Probleme der NPD, vor allem die geringe Mobilisierung von Anhängern, der interne Flügelkampf zwischen "Bewahrern" und "Reformern" und die beschränkten finanziellen wie infrastrukturellen Möglichkeiten, bleiben ungelöst. 2. "DIE RECHTE" Der bereits im Jahr 2021 wahrnehmbare Niedergang der Partei "DIE RECHTE" setzte sich auch 2022 fort. Die meisten der Landesverbände bestehen nur noch auf dem Papier. Faktisch waren nur 82 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS noch in dem von Neonazis dominierten Landesverband Nordrhein-Westfalen relevante Aktivitäten festzustellen. Gleichwohl hatte auch dieser größte Landesverband mit Problemen wie Nachwuchsmangel, schwindender Mobilisierungsfähigkeit und Resignationserscheinungen wie dem anhaltenden Rückzug von Führungsaktivisten zu kämpfen. Diese Missstände wirkten auch in die Gesamtpartei hinein. So fand die größte Demonstration von "DIE RECHTE" im Berichtszeitraum am 1. Mai 2022 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) gemeinsam mit NPD und "Jungen Nationalisten" (JN) mit lediglich 220 Teilnehmern statt. Das Aktionspotenzial der Partei hat sich im Vergleich zum Vorjahr damit nochmals verringert. Sowohl Frequenz als auch Wahrnehmbarkeit von öffentlichen Veranstaltungen gingen gegenüber vergangenen Jahren deutlich zurück. Dennoch bemühte sich "DIE RECHTE" trotz der innerparteilichen Bemühung um Erhalt Probleme weiterhin um den formalen Erhalt des Parteienstatus. des Parteienstatus Neben der Aufrechterhaltung einer formalen, parteitypischen Organisationsstruktur mit Bundesverband, Landesund Kreisverbänden strebte "DIE RECHTE" auch eine Teilnahme an der Landtagswahl im Mai 2022 in Nordrhein-Westfalen an. Allerdings verpassten es die Verantwortlichen, wichtige Unterlagen fristgerecht beim Landeswahlleiter einzureichen, sodass der Partei die Zulassung zur Landtagswahl verwehrt wurde. In Niedersachsen zeigte "DIE RECHTE" dagegen überhaupt keine Bemühungen, an der Landtagswahl im Oktober 2022 teilzunehmen. Dagegen intensivierte "DIE RECHTE" nach einer zeitweiligen, vor Vernetzung im allem durch die Coronapandemie bedingten Pause ihre besteInund Ausland henden Auslandskontakte wieder. So veranstaltete die Partei am 30. April 2022 in ihrer Parteizentrale in Dortmund einen Kongress des europäischen neonazistischen Bündnisses "Festung Europa", an dessen Gründung 2019 auch Mitglieder von "DIE RECHTE" beteiligt waren. Die geschlossene Veranstaltung fand unter dem Motto "Europa erwache! Für freie Völker und souveräne Nationalstaaten!" unter Beteiligung von Angehörigen rechtsextremistischer Organisationen aus sechs weiteren europäischen Staaten statt. Darüber hinaus treibt "DIE RECHTE" auch ihre Vernetzung innerhalb der deutschen rechtsextremistischen Szene weiter voran. Seit 2021 sind deutliche Kooperationsansätze mit anderen rechtsextremistischen Akteuren zu beobachten, was sich insbesondere in 83 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS regelmäßigen Treffen mit Führungskadern der NPD und gemeinsamen Demonstrationsaktivitäten bemerkbar macht. 3. "Der III. Weg" Unter ihrem 2021 neu gewählten Bundesvorsitzenden Matthias Fischer trieb "Der III. Weg" den Ausbau von Parteistrukturen auch 2022 weiter voran. Mit der Gründung von zwei neuen "Stützpunkten" in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt verfügt die Partei nun über insgesamt 22 dieser organisatorischen Einheiten. Zahlenmäßig relevante Mitgliederzugänge waren hauptsächlich in Berlin und Brandenburg zu verzeichnen. Flankiert wurde die Entwicklung durch die Eröffnung von drei neuen Parteiund Bürgerbüros in Hilchenbach (Nordrhein-Westfalen), Ohrdruf (Thüringen) und Schweinfurt (Bayern) neben dem bereits bestehenden in Plauen (Sachsen). "Der III. Weg" gliedert sich in die drei Landesverbände Bayern, Sachsen und West (bestehend aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz). Allerdings spielen die Landesverbände für das Parteileben kaum eine Rolle, sie dienen lediglich der Erfüllung formaler Voraussetzungen zur Teilnahme an Bundestagsoder Landtagswahlen. Kampagnen und Der anhaltende Strukturausbau steht im Kontrast zu einer gewisDemonstrationen sen Stagnation bei eigenen öffentlichen Aktionen. So setzte "Der III. Weg" die Ende 2021 wieder aufgenommene Kampagne "Das System ist gefährlicher als Corona" 2022 fort. Ganz überwiegend beschränkte sich die Partei dabei aber auf die Verteilung von Flugblättern und die vereinzelte Teilnahme von Parteiangehörigen an Kundgebungen gegen die Pandemiepolitik, ohne diese aber nachhaltig beeinflussen oder Rekrutierungserfolge erzielen zu können. Mit der thematischen Erweiterung auf die Energieund Wirtschaftskrise und der Umwidmung der Kampagne in "Die wahre Krise ist das System!" im zweiten Halbjahr 2022 verband die Partei die Hoffnung, vom wachsenden Unmut in der Bevölkerung über steigende Lebenshaltungskosten und hohe Inflation zu profitieren. In der Wirtschaftskrise sieht "Der III. Weg" so die Chance, eine der Kernforderungen der Partei, den "Deutschen Sozialismus", mit Leben zu füllen. Zudem nehmen Themen wie wirtschaftliche Selbstversorgung, Krisenvorsorge und Selbstverteidigung auch intern einen wichtigen Stellenwert in den Arbeitsgemeinschaften der Partei ein. 84 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Den Auftakt für die Beteiligung am Protestgeschehen im Herbst des Berichtsjahres sollte eine große und lange beworbene Demonstration am 2. Oktober 2022 in Plauen bilden. Mit rund 230 Teilnehmern blieb die Versammlung aber insgesamt weit unter den Erwartungen. Weitere nennenswerte Aktivitäten im Kontext der Kampagne waren im Anschluss nicht mehr festzustellen. Die Bemühungen, durch eine verstärkte Ausrichtung an gesellschaftlich relevanten Themen neue Mitglieder und Akzeptanz in der Mehrheitsbevölkerung zu gewinnen, zeigen insofern weiterhin keine nachhaltigen Erfolge. Bemerkenswert ist dabei, dass auch in Bezug auf die jährlichen zentralen Demonstrationen der Partei die Mobilisierungskraft gegenüber den Vorjahren nachließ. So beteiligten sich an der intern als Pflichtveranstaltung deklarierten Demonstration zum 1. Mai, die 2022 in Zwickau (Sachsen) unter dem Motto "Ein Volk will Zukunft! - Heimat bewahren! Überfremdung stoppen!" stattfand, lediglich etwa 250 Anhänger. Auch am jährlichen "Heldengedenken" der Partei in zeitlicher Nähe zum Volkstrauertag beteiligten sich am 12. November 2022 in Wunsiedel (Bayern) mit nur 120 Aktivisten weit weniger Anhänger als erhofft. Mehr Engagement zeigten die Parteianhänger bei Hilfeleistungen für befreundete Nationalisten in der Ukraine im Zuge des russischen Angriffskriegs seit Februar 2022. Unter dem Motto "Nationalisten helfen Nationalisten" erfolgten Spendensammlungen und Materiallieferungen (keine Waffen). Mit der eindeutig proukrainischen Haltung nimmt "Der III. Weg" durchaus eine Sonderstellung im deutschen Rechtsextremismus ein, der sich mehrheitlich prorussisch positioniert. Ein weiterer Schwerpunkt der Parteiarbeit war die Schaffung neuer Arbeitsbeziehungsweise der Ausbau bestehender parteiinterner Arbeitsgemeinschaften gemeinschaften, die dem innerparteilichen Zusammenhalt sowie der Werbung und Integration von Neumitgliedern dienen. Auch der parteieigene Ordnerdienst hat sich 2022 weiter etabliert und im Hinblick auf Auftreten und Ausstattung professionalisiert. Die zur Absicherung von Parteiveranstaltungen vorgesehene Gruppe umfasst etwa 20 Parteiaktivisten und tritt nach außen hin wie ein Sicherheitsdienst auf. 85 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Freie Sachsen" Die rechtsextremistische Regionalpartei "Freie Sachsen" wurde am 26. Februar 2021 als Sammlungsbewegung in Schwarzenberg (Sachsen) gegründet. Parteivorsitzender ist der Chemnitzer Rechtsanwalt und Ratsherr Martin Kohlmann, der bereits 2018 als Organisator von bundesweit beachteten Anti-Asyl-Demonstrationen in Chemnitz (Sachsen) in Erscheinung getreten war. Im Parteivorstand sind noch weitere in Sachsen aktive Rechtsextremisten vertreten, darunter auch mehrere Funktionäre der NPD. Nachdem 2021 praktisch kaum neue Strukturen geschaffen worden waren, baute die Partei im Berichtsjahr vier Kreisverbände (Erzgebirgskreis, Chemnitz, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Mittelsachsen) auf. Ideologie und Programmatisch tritt die Partei indifferent auf und verzichtet Programmatik auf jeden Dogmatismus, der zu Spaltung und Differenzen führen könnte. Die ideologische Ausrichtung der "Freien Sachsen" ergibt sich folglich weniger aus der Programmatik als vielmehr aus dem einschlägigen extremistischen Hintergrund ihrer Führungsfunktionäre und aus dem Auftreten der Partei. Die "Freien Sachsen" nutzen gesellschaftliche Konfliktthemen wie die Coronapolitik, die Migrationsfrage, die Energieund Wirtschaftskrise oder den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und spinnen diese um ein zentrales Widerstandsmotiv, das einen vermeintlich übergriffigen Staat als Grundübel identifiziert. In diesem Zusammenhang delegitimiert die Partei demokratische Vorgänge, Institutionen und Entscheidungsträger und setzt diese mit Diktaturen gleich (z.B. "Öko-Diktatur", "Coronadiktatur"). Aus der Ablehnung einer vermeintlichen Bevormundung aus "Berlin" fordern die "Freien Sachsen" deshalb eine erhöhte Autonomie für Sachsen bis hin zum Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland ("Säxit"). Über ihre verschiedenen Social-Media-Kanäle und seit Mai 2022 insbesondere über das parteieigene Magazin "Aufgewacht" verbreitet die Partei eine Mixtur aus unterschiedlichen Verschwörungstheorien über die Coronapandemie, den Angriffskrieg gegen die Ukraine oder den "Great Reset". Strategie Wichtiger als die ideologische Verortung ist das strategische Kalkül der "Freien Sachsen". So versteht sich die Partei als Vernetzungsplattform der sächsischen Protestbewegungen und lehnt daher jegliche Distanzierung zu anderen rechtsextremistischen 86 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Akteuren ab. Unter dieser Prämisse treten Parteifunktionäre regelmäßig gemeinsam mit Protagonisten anderer rechtsextremistischer Bestrebungen wie der "COMPACT-Magazin GmbH" oder der NPD auf. Gleichwohl organisiert die Partei nur in seltenen Fällen größere Demonstrationen und Kundgebungen, eher versucht sie durch zahlreiche kleine und dezentrale Versammlungen Anschluss an die lokale Bevölkerung zu finden. Über ihre Telegram-Kanäle berichten die "Freien Sachsen" vielmehr über die wöchentlichen Montagsspaziergänge in Sachsen und rufen Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme auf. Zudem verbreitet die Partei dort Fotound Videoaufnahmen von Demonstrationen, in denen immer wieder Symbole der "Freien Sachsen" gezeigt werden. Die frei verkäuflichen und damit schnell verbreitungsfähigen Parteiutensilien wie Fahnen, Banner und Plakate vermitteln so einen manipulativen und übertriebenen Eindruck der eigenen Anhängerzahl. Die gleiche Wirkung entfalten die zahlreichen und mehrfach täglich aktualisierten Social-Media-Präsenzen der "Freien Sachsen", vor allem die zahlreichen Telegram-Kanäle, von denen der Hauptkanal mehr als 151.000 Abonnenten45 erreicht. Obwohl sich die öffentlichen Auftritte beinahe ausschließlich auf Sachsen beschränken, entfaltet die Partei dank ihrer Onlinereichweite so auch Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen in anderen Bundesländern. Mittels gezielter Provokationen verstärkt sich dieser Effekt noch. Abseits des Demonstrationsgeschehens teilt die Partei über ihre Wahlen Social-Media-Präsenzen auch Inhalte anderer rechtsextremistischer Akteure, wie zum Beispiel des NPD-Parteiorgans "Deutsche Stimme". Im Juni und Juli 2022 nahm die Partei überdies mit mehreren Kandidaten an den sächsischen Landratsund Bürgermeisterwahlen teil. Sie konnte zwar kein Amt erringen, aber dennoch gewisse Achtungserfolge erzielen. Im Erzgebirgskreis und dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge erhielten die Kandidaten der "Freien Sachsen" zum Beispiel jeweils rund 10 % der Stimmen, im Landkreis Nordsachsen sogar 20 %. Auch wenn Wahlerfolge nicht das Primärziel der "Freien Sachsen" sind, sieht die Partei die Teilnahme an Wahlen als "eine[n] (!) von vielen Bausteinen des Bürgerwiderstandes"46. 45 Stand 30. Dezember 2022. 46 Internetplattform Telegram (3. Juli 2022). 87 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 5. Verdachtsfall "Alternative für Deutschland" (AfD) Einstufung zum Nach entsprechender Vorprüfung stufte das BfV die "Alternative Verdachtsfall für Deutschland" (AfD) auf der Grundlage einer umfangreichen und gerichtliche Analyse aus Februar 2021 als Verdachtsfall ein. Hiergegen klagte Überprüfung die AfD vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln (Nordrhein-Westfalen). In einem zur Einstufung der AfD ebenfalls angestrengten Eilverfahren wurde dem BfV mit Zwischenverfügung vom 5. März 2021 untersagt, die AfD bis zum Ergehen der Entscheidung im Eilverfahren ",als Verdachtsfall' einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen" sowie dies "öffentlich oder nicht öffentlich bekannt zu geben."47 Mit Urteil vom 8. März 2022 und Beschluss vom 10. März 2022 bestätigte das VG Köln schließlich die durch das BfV vorgenommene Einstufung der Partei als Verdachtsfall aufgrund des Vorliegens ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen.48 Die AfD hat gegen das Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt. Struktur und Die AfD wurde im Jahr 2013 gegründet und gliedert sich in den Allgemeines Bundesverband und 16 Landesverbände. Nach eigener Aussage hatte die Partei im Juli 2022 circa 28.500 Mitglieder. Angesichts der weiterhin bestehenden inhaltlichen Heterogenität innerhalb der Partei können allerdings nicht alle Parteimitglieder als Anhänger der extremistischen Strömungen betrachtet werden. Nach den Wahlund den Abstimmungsergebnissen beim Bundesparteitag vom 17. bis 19. Juni 2022 in Riesa (Sachsen) sowie aufgrund von Äußerungen von Parteifunktionären kann aber davon ausgegangen werden, dass gegenwärtig schätzungsweise ein extremistisches Personenpotenzial von etwa 10.000 Personen49 innerhalb der AfD anzunehmen ist. Ein Indikator hierfür ist beispielsweise die Äußerung eines Funktionärs des ehemaligen "Flügels", der im Juni 2022 davon sprach, dass die Stärke des Netzwerks um Björn Höcke, Führungsfigur des ehemaligen "Flügels", auf 30 bis 40 % aller AfDMitglieder zu beziffern sei.50 47 VG Köln, Beschluss vom 05.03.2021 - 13 L 105/21. 48 VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 - 13 K 326/21 und Beschluss vom 10.03.2022 - 13 L 105/21. 49 Vgl. Fußnote 2 auf S. 51. 50 Videoportal YouTube (21. Juni 2022). 88 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Vor dem Hintergrund stark steigender Migrationsund FlüchtEntwicklung lingszahlen im Jahr 2015 fokussierte sich die AfD zunehmend auf die Themen Migration und Asyl. Angesichts der damit einhergehenden Radikalisierung verließen in der Folgezeit bürgerlich-konservative Kräfte sukzessive die Partei und im Gegenzug gewannen völkisch-nationalistische Deutungsmuster und Begrifflichkeiten innerhalb der AfD an Einfluss. Die Vorstandsneuwahlen auf dem Bundesparteitag vom 17. bis 19. Juni 2022 in Riesa (Sachsen) führten abermals zu einer Stärkung der extremistischen Strömungen innerhalb der Partei. Im Rahmen der Wahlen und der Diskussion über die Sachanträge traten die weiterhin bestehenden Differenzen zwischen den unterschiedlichen parteiinternen Strömungen deutlich zutage. In Verlautbarungen der AfD und ihrer Repräsentanten kommt Ideologie vielfach ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, welches im Widerspruch zur Offenheit des Volksbegriffs des Grundgesetzes steht. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass wiederholt zwischen Staatsbürgern deutscher und nicht deutscher Abstammung unterschieden wird. Ein Mitglied des AfD-Bundesvorstands spricht in Bezug auf die deutsche FußballNationalmannschaft beispielsweise von einer "Passdeutschen Fußballnationalmannschaft"51. Bereits im Grundsatzprogramm der AfD finden sich Anhaltspunkte, die für ein ethnisch-biologisches Volksverständnis sprechen: "Dass die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als unter deutschstämmigen Frauen, verstärkt den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur." (Homepage "Alternative für Deutschland", 1. Dezember 2022) Zudem werden rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Narrative bedient, indem zum Beispiel vor einem "Bevölkerungsaustausch"52 gewarnt wird. Darüber hinaus finden sich zahlreiche ausländerund muslimfeindliche Positionen in den Verlautbarungen der AfD. Insbesondere Asylsuchenden und Migranten aus islamisch geprägten 51 Soziales Netzwerk Facebook (5. Juni 2022). 52 Soziales Netzwerk Facebook (28. September 2022). 89 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Herkunftsländern werden oftmals pauschal eine kulturelle Inkompatibilität und ein ausgeprägter Hang zur Kriminalität unterstellt. Eine AfD-Funktionärin schrieb im Februar 2022: "Jeder Einzelne bringt seine eigene Kultur und Lebensweise, die ihn von Kindesbeinen an geprägt hat, mit hierher und wird sie bei uns weiter ausleben. Das bedeutet weitere Moscheen und Minarette, Kinderund Vielehen, Unterdrückung der Frauen, Genitalverstümmelungen, kriminelle Familienclans und Friedensrichter, um nur einige Beispiele zu nennen." (Facebook-Eintrag vom 10. Februar 2022) In anderen Verlautbarungen werden dem Islam durch die kontinuierliche Propagierung einer drohenden "Islamisierung unserer Heimat"53 Eroberungstendenzen unterstellt. Ein AfD-Kreisverband warnte sogar auf Facebook vor einem geheimen Plan, "Europa mit Migrationswellen zu islamisieren", und schrieb: "Was man früher durch Krieg erreichte, erreicht man so sukzessive über drei bis vier Generationen durch Einwanderung und Geburtenüberschuss." (Facebook-Eintrag, 23. Juni 2022) Einigen Veröffentlichungen lassen sich zudem Anhaltspunkte für antisemitische Positionen entnehmen. Insbesondere wird das antisemitische Narrativ von einer global agierenden Finanzelite verbreitet, welche die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenke: "Die vom Weltfinanzkapital gesteuerten Machthaber sehnen sich einen Krieg gegen Russland herbei." (Facebook-Eintrag, 20. Februar 2022) Zudem gibt es Aussagen, die die Judenverfolgung im Nationalsozialismus durch Vergleiche mit der Pandemiepolitik im Berichtszeitraum verharmlosen. Festzustellen sind zudem Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner sowie des Staates und seiner Repräsentanten, die nicht eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern eine 53 Soziales Netzwerk Facebook (18. August 2022). 90 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS generelle Herabwürdigung und Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel haben. So sind beispielsweise Schmähungen etablierter Politikerinnen und Politiker mit Versatzstücken aus extremistischen Verschwörungstheorien als "Statthalter des US-Establishments im Vasallenstaat BRD"54 - wie es ein AfD-Funktionär auf Landesebene formulierte - festzustellen. Auch Vergleiche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diktatorischen beziehungsweise totalitären Regimen werden regelmäßig verwendet. Innerhalb der AfD sind auf allen Ebenen gefestigte VerbindunVernetzung mit der gen zu Akteuren und Organisationen des extremistischen Teils Neuen Rechten der Neuen Rechten feststellbar. Dabei handelt es sich nicht um zufällige, sondern um strukturelle Verbindungen innerhalb eines strategisch agierenden Netzwerks, die in wesentlichen Teilen von gemeinsamen oder jedenfalls ähnlichen politischen Überzeugungen getragen werden. Charakteristisch für dieses Netzwerk sind gegenseitige Veranstaltungseinladungen, Interviews oder Gastbeiträge für Onlineformate. Insbesondere zu nennen sind in diesem Zusammenhang die rechtsextremistischen Verdachtsfälle "Institut für Staatspolitik" (IfS) und "Ein Prozent e.V.", aber auch das rechtsextremistische "COMPACT-Magazin". 6. Verdachtsfall "Junge Alternative für Deutschland" (JA) Die 2013 gegründete "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist die offizielle Jugendorganisation der AfD. Sie bestand im Berichtsjahr aus 16 Landesverbänden und hatte laut eigenen Angaben rund 2.000 Mitglieder.55 Die JA wurde seit Januar 2019 vom BfV als Verdachtsfall eingestuft. Einstufung zum Das VG Köln (Nordrhein-Westfalen) bestätigte diese Einstufung Verdachtsfall mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 8. März 2022.56 Nach und gerichtliche Ansicht des Gerichts bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, Überprüfung dass eine zentrale politische Zielvorstellung der JA der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand sei und ethnisch "Fremde" nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollten. Ein dergestalt völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff verstoße 54 Soziales Netzwerk Facebook (27. April 2022). 55 Soziales Netzwerk Facebook (16. Oktober 2022). 56 VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 - 13 K 208/20. 91 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS gegen die Menschenwürde. Führende Funktionäre der JA vertreten weiterhin entsprechende Positionen und wiederholen diese auch nach der Entscheidung des VG. Ideologie Die politische Agenda der JA ist durch einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff geprägt, der gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes57 verstößt und im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Beispielhaft dafür stehen Bezugnahmen auf das Narrativ des "Großen Austauschs"58. Der Erhalt des "autochthonen Staatsvolkes" und der Widerstand gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung werden damit zum obersten politischen Ziel erklärt. So äußerte sich ein JA-Bundesvorstandsmitglied in einem Facebook-Eintrag im April 2022 wie folgt: "Der große Austausch schreitet voran. Bereits über 27% Nichtdeutsche in Deutschland und die Zahl wächst unaufhörlich. Nie zuvor gab es mehr Ausländer und prozentual weniger Deutsche in Deutschland. (...) In vielen Städten und Regionen Westdeutschlands sind es bereits an die 50 Prozent oder sogar mehr. Defakto ist dies eine entdeutschung Deutschlands. (...) Die Substanz erodiert jeden Tag mehr." (Facebook-Eintrag, 12. April 2022) Daneben werden in den sozialen Medien menschenwürdewidrige Pauschalisierungen offen kommuniziert. Beispielhaft dafür ist der Tweet eines stellvertretenden JA-Bundesvorsitzenden, der auf den Tod eines 16-jährigen Flüchtlings bei einem Polizeieinsatz in Dortmund wie folgt Bezug nimmt: "Deutschland, das Land, in dem senegalesische Messermänner höheres Ansehen genießen als deutsche Polizisten." (Twitter-Eintrag, 15. August 2022) ThemenThematisch konzentrierte sich die JA zu Beginn des Jahres 2022 schwerpunkte auf die Ablehnung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie. Insbesondere die zwischenzeitlich erwogene allgemeine Impfpflicht und die beschlossene Impfpflicht für 57 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.06.2020 - 1 S 55.20; VG Berlin, Beschluss vom 28.05.2020 - 1 L 95.20. 58 Vgl. Fußnote 39 auf S. 74. 92 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Gesundheitsund Pflegepersonal wurden von der JA agitatorisch aufgegriffen. Darüber hinaus beteiligte sich die JA an der Kampagne der Mutterpartei AfD (Verdachtsfall) "Gesund ohne Zwang" und dem damit einhergehenden Aktionstag am 5. März 2022 bei vielen Veranstaltungen. Im Berichtszeitraum wurde außerdem die personelle und strukturelle Vernetzung mit Organisationen und Protagonisten der extremistischen Neuen Rechten weiter vorangetrieben. Die Vernetzung zeigte sich besonders deutlich auf dem Bundeskongress der JA am 15. Oktober 2022 in Apolda (Thüringen). Dort waren unter anderem der Verein "Ein Prozent" (Verdachtsfall), das "COMPACT-Magazin", das "Institut für Staatspolitik" (Verdachtsfall) sowie "Phalanx Europa", der Onlineshop der "Identitären Bewegung Deutschland", mit jeweils einem Stand vertreten.59 Neben den fortbestehenden Verbindungen zu neurechten OrgaVernetzung nisationen und der fortgesetzten Propagierung ihrer politischen Standpunkte zeugen auch die Ergebnisse der Vorstandswahlen im Rahmen des JA-Bundeskongresses im Oktober 2022 in Apolda (Thüringen) von einer zunehmenden Verfestigung extremistischer Positionen innerhalb der JA. So ist die Zusammensetzung des neuen Bundesvorstands Ausdruck einer Dominanz des sogenannten solidarisch-patriotischen Lagers60 innerhalb der JA. Keines der neugewählten Vorstandsmitglieder ist mehr dem eher "gemäßigten" Lager der JA zuzurechnen. 59 Soziales Netzwerk Instagram (24. Oktober 2022) und Internetplattform YouTube (18. Oktober 2022). 60 Mit "solidarischem Patriotismus" ist die Verknüpfung von sozialpolitischen mit nationalistischen Positionen gemeint. Das entsprechende Lager innerhalb der JA steht für eine völkisch-nationalistische Ausrichtung und eine Vielzahl rechtsextremistischer Bezüge. 93 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Frank Franz Mitglieder/Anhänger 3.000 (2021: 3.150) in Deutschland: Publikationen/Medien "Deutsche Stimme" (Magazin, (Auswahl): monatlich, Auflage: nicht bekannt) "DS-TV" (YouTube-Kanal), "Nationaldemokraten" (YouTube-Kanal) Bundesweit aktive 16 Landesverbände zzgl. Kreisund Gruppierungen Regionalverbände (Auswahl): "Junge Nationalisten" (JN; Jugendorganisation) "Deutsche Stimme Verlags GmbH" (DS Verlag) Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) vertritt als ideologisches Kernelement die Vorstellung einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft". Daraus folgt die Ablehnung von Menschen, die die Partei als fremd wahrnimmt. Diese werden pauschal mit Negativeigenschaften belegt und als Bedrohung diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der Ideologie der NPD tief verwurzelt und gehen nicht selten mit der positiven Bezugnahme auf den Nationalsozialismus sowie mit geschichtsrevisionistischen Standpunkten einher. Die NPD agitiert außerdem gegen die bestehende politische Ordnung und strebt offen einen fundamentalen "Systemwechsel" in Deutschland an. 94 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 1.1 "Junge Nationalisten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Riesa (Sachsen) Leitung/Vorsitz: Paul Rzehaczek (bis 9. April 2022) Sebastian Weigler (seit 9. April 2022) Mitglieder/Anhänger 230 (2021: 280) in Deutschland: Die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) organisiert sich über regionale "Stützpunkte" sowie über Landesund Gebietsverbände. Schwerpunkte liegen dabei in Berlin, Brandenburg und Sachsen. Die JN verstehen sich als nationalistische, völkische und europaweit vernetzte Jugendbewegung. Sie sind bemüht, Jugendliche und junge Erwachsene durch gemeinschaftsstiftende Aktivitäten und öffentliche Kampagnen anzusprechen und diese zu weltanschaulichen Vorkämpfern zu entwickeln. Dazu organisieren die JN regelmäßig Schulungen und Workshops. Ihren Wirkbereich sehen die JN dabei vor allem im vorpolitischen Raum, in dem sie eine rechtsextremistische "Gegenkultur" entwickeln wollen. Sie fungieren dadurch auch als Bindeglied zur nicht parteigebundenen rechtsextremistischen Szene. 95 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 1.2 "Deutsche Stimme Verlags GmbH" (DS Verlag) Gründung: 1976 Sitz: Riesa (Sachsen) Leitung/Vorsitz: Peter Schreiber Publikationen/Medien u.a. "Deutsche Stimme" (Magazin, (Auswahl): monatlich, Auflage: nicht bekannt) Der DS Verlag bietet der NPD über einen eigenen Onlineshop die Möglichkeit, eigene Publikationen zu vertreiben. Als bedeutendstes Medium gilt das monatlich erscheinende Magazin "Deutsche Stimme". Dessen Autorenstamm setzt sich größtenteils aus Funktionären und Sympathisanten der NPD zusammen. Die veröffentlichten Artikel beschäftigen sich mit Aktionen der NPD. Zudem erscheinen dort regelmäßig Interviews mit Parteivertretern oder der NPD nahestehenden Personen. Seit April 2020 ist die ehemalige offizielle Parteizeitung frei im Handel erhältlich. Ziel der Reform ist es, einen breiteren Leserkreis zu erschließen und die politischen Standpunkte der NPD gesellschaftsfähig zu machen. 96 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 2. "DIE RECHTE" Gründung: 2012 Sitz: Dortmund (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Christian Worch Mitglieder/Anhänger 450 (2021: 500) in Deutschland: Teil-/Neben- 9 Landesverbände (Baden-Würtorganisationen: temberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und "Südwest", der die Bundesländer RheinlandPfalz und Saarland umfasst). Die Partei "DIE RECHTE" propagiert ein rechtsextremistisches Weltbild, agitiert rassistisch gegen Zugewanderte und verbreitet geschichtsrevisionistische und antisemitische Positionen. Ein fundamentaler "Systemwechsel" in Deutschland ist ihr politisches Ziel, Parlamentarismus und Demokratie werden grundlegend abgelehnt. Seit ihrer Gründung ist "DIE RECHTE" ein Auffangbecken für Neonazis, unter anderem aus zuvor verbotenen rechtsextremistischen Gruppierungen. Die Grenzen zwischen Parteianhängern und lokalen Neonazi-Strukturen verwischen regelmäßig. Der Parteistatus wird in erster Linie als Schutz gegen sicherheitsbehördliche und vereinsrechtliche Maßnahmen missbraucht. 97 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 3. "Der III. Weg" Gründung: 2013 Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Leitung/Vorsitz: Matthias Fischer Mitglieder/Anhänger 700 (2021: 650) in Deutschland: Teil-/Neben- 3 Landes(bzw. Gebiets-) und organisationen: 22 Regionalverbände ("Stützpunkte") Die ideologischen Aussagen der Partei "Der III. Weg" sind nationalsozialistisch, antisemitisch und rassistisch geprägt. In ihrem "10-Punkte-Programm" propagiert die Partei unter anderem die Schaffung eines "Deutschen Sozialismus" sowie die Entwicklung und Erhaltung der "biologischen Substanz des Volkes". Die fundamental ablehnende Haltung der Partei gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat kommt in ihrer politischen Agitation deutlich zum Ausdruck, insbesondere bei den mit aggressiver Rhetorik vorgetragenen Themen Asyl und Zuwanderung. "Der III. Weg" inszeniert sich als weltanschauliche Avantgarde und ist bemüht, das Ideal einer "Volksgemeinschaft" durch soziale Initiativen zu fundieren. 98 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Freie Sachsen" Gründung: 2021 Sitz: Chemnitz (Sachsen) Leitung/Vorsitz: Martin Kohlmann Mitglieder/Anhänger 1.000 in Deutschland: Publikationen/Medien "Aufgewacht" (Magazin, zweimonat(Auswahl): lich, Auflage: nicht bekannt) "Freie Sachsen" (Telegram-Kanal), "FREIE SACHSEN" (YouTube-Kanal) Teil-/Neben- 4 Kreisverbände (Erzgebirgskreis, organisationen: Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Mittelsachsen, Chemnitz) Die Partei "Freie Sachsen" versucht, durch eine hohe Anschlussfähigkeit und eine gezielte Vernetzung mit rechtsextremistischen Akteuren eigene ideologische Standpunkte für die gesellschaftliche Mitte zugänglicher zu machen. Dafür nutzt sie insbesondere aktuelle Themen aus, wie zum Beispiel die Coronapandemie oder die Energieund Wirtschaftskrise. Die Partei identifiziert einen vermeintlich übergriffigen Staat als Grundproblem und sieht sich selbst im "Widerstand". In diesem Zusammenhang delegitimiert die Partei systematisch demokratische Prozesse und Institutionen und fordert einen Autonomiestatus für Sachsen, bis hin zum Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland. Über ihre Social-Media-Kanäle verbreitet die Partei darüber hinaus eine Mixtur aus verschiedenen Verschwörungstheorien sowie Inhalte anderer rechtsextremistischer Akteure, wie zum Beispiel der "Deutschen Stimme". Die Führungsebene der Partei besteht nahezu ausschließlich aus bekannten Aktivisten der rechtsextremistischen Szene Sachsens, darunter mehrere aktive Funktionäre der NPD Sachsen und der rechtsextremistischen Vereinigung "Pro Chemnitz". 99 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 5. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Gründung: 2012 Sitz: Paderborn (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Philip Thaler (Bundesleiter und Vorstand des e.V.) Mitglieder/Anhänger 500 (2021: 500) in Deutschland: Bundesweit aktive Bundesweite Strukturen mit RegionalGruppierungen und Ortsgruppen (Auswahl): "Okzident Media UG" "Schanze Eins UG & Co. KG" "Kohorte UG" (Onlineshop "Phalanx Europa") Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) versteht sich selbst als eine "europaweite patriotische Jugendbewegung, die mittels friedlichem Aktionismus, politischer Bildungsarbeit sowie gemeinschaftlicher und kultureller Aktivitäten für die Werte Heimat, Freiheit und Tradition einsteht". Die IBD zielt letztlich darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen können aus Sicht der IBD niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein. Für die IBD existiert Kultur nur in einer dauerhaften Verknüpfung mit einer Ethnie (Ethnopluralismus). Dies zeigt sich unter anderem in Aktionen und Kampagnen gegen einen angeblichen "Großen Austausch". 100 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 6. "COMPACT-Magazin GmbH" Gründung: 2010 Leitung/Vorsitz: Jürgen Elsässer Publikationen/Medien "COMPACT-Magazin" (Zeitschrift, (Auswahl): monatlich, verkaufte Auflage laut Eigenangabe: ca. 40.000) Sonderformate wie "COMPACT Spezial" (viermal pro Jahr) oder "COMPACT Geschichte" (dreimal pro Jahr) https://www. compact-online.de https://tv. compact-online.de "COMPACTTV" (YouTube-Kanal, ca. 167.000 Abonnenten, Stand Dezember 2022) Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist ein multimedial ausgerichtetes Medienunternehmen mit Sitz in Falkensee (Brandenburg), das neben der Zeitschrift "COMPACT-Magazin" auch durch Veranstaltungen und insbesondere über seine umfangreichen Onlineangebote agitiert. "COMPACT" verortet sich selbst im sogenannten Widerstandsmilieu und wird auch von anderen Akteuren der Neuen Rechten als Teil dieses Spektrums wahrgenommen. Hauptmerkmal vieler der verbreiteten Beiträge ist die Agitation gegen die Bundesregierung und allgemein gegen das politische System. Verschwörungsideologische Erzählungen werden dabei von "COMPACT" politisch instrumentalisiert, um gegen staatstragende Institutionen und eine offene, pluralistische Gesellschaft zu agitieren. Geschichtsrevisionistische Inhalte und antisemitische Narrative ergänzen die Agenda von "COMPACT". Darüber hinaus bestehen Verbindungen mit rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) und der Regionalpartei "Freie Sachsen". 101 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 102 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 103 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" I. Überblick Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist sehr heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne strukturelle Einbindung, Kleinstund Kleingruppierungen, überregional agierenden Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Definition "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Durch dieses bewusste teilweise oder sogar vollständige Negieren der deutschen Rechtsordnung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" vorsätzlich gegen diese verstoßen, indem zum Beispiel vorsätzlicher Widerstand gegen staatliche Maßnahmen geleistet wird. Zudem entwickeln sich aus der ideologisch begründeten Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland in einigen Fällen Systemüberwindungsfantasien, die sich bisweilen in konkreten Umsturzplänen manifestieren. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" ist mitunter schwer zu treffen. "Reichsbürger" lehnen die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf ein wie auch immer geartetes "Deutsches Reich" ab. "Selbstverwalter" dagegen fühlen sich dem Staat gänzlich nicht zugehörig. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus dem Staat austreten und seien daher nicht an dessen Gesetze gebunden. Unter Berufung auf eine UN-Resolution61, die es angeblich ermögliche, 61 UN-Resolution A/RES/56/83. "Selbstverwalter" gehen irrig davon aus, dass diese die Möglichkeit eröffne, eigene "Territorien" zu errichten. Bei der Resolution handelt es sich jedoch nicht um bindendes Völkervertragsrecht, daher kann ein Recht auf "Selbstverwaltung" daraus nicht abgeleitet werden. 104 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" aus der Bundesrepublik Deutschland ausund in eine "Selbstverwaltung" einzutreten, markieren manche ihr Wohnanwesen zum Beispiel durch Grenzziehungen, Schilder und Wappen, um ihren angeblich souveränen Verwaltungsraum zu kennzeichnen. Mitunter wird dieser unter Berufung auf ein Widerstandsrecht gewaltsam verteidigt. Weiterhin spielen Verschwörungsnarrative in der "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Szene eine wichtige Rolle. Beispielsweise beziehen sich einige Szeneangehörige auf die S.H.A.E.F.62-Gesetzgebung und erklären diese für weiterhin gültig. Ein geringer Teil der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist eindeutig auch dem Rechtsextremismus zuzurechnen. Ideologische Überschneidungen finden sich im Bereich des Gebietsund Geschichtsrevisionismus, bei völkischem und teilweise nationalsozialistischem Gedankengut sowie bei antisemitischen Denkmustern. Bei der überwiegenden Mehrheit der Szeneangehörigen sind rechtsextremistische Ideologieelemente jedoch nur in geringem Maße oder gar nicht auszumachen. Allerdings sind gerade in dem rechtsextremistischen Teil der Szene und im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien antisemitische Ideologieelemente verbreitet. Diese reichen von klassischen antisemitischen Narrativen wie etwa einer "globalen jüdischen Finanzelite" über offen antisemitische Verschwörungstheorien, wonach beispielsweise der Erste Weltkrieg von "den Juden" geplant worden sei, bis hin zur Leugnung des Holocaust. Häufig werden diese einzelnen Versatzstücke miteinander verbunden, wodurch sich die Anschlussfähigkeit der Szene für Extremisten anderer Phänomenbereiche und radikalisierte Einzelpersonen aus dem Verschwörungsmilieu oder der Protestszene um die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen erhöht. Deutschlandweit waren der "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"Personenpotenzial Szene im Jahr 2022 etwa 23.000 Personen (2021: 21.000) zuzurechnen. Der Anteil derer, die zugleich als Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums einzuordnen sind, beläuft sich dabei auf 1.250 Personen (2021: 1.150). 62 Die Anhängerschaft der Verschwörungstheorie bezieht sich auf Gesetze des Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force (S.H.A.E.F.), welches während des Zweiten Weltkriegs das Oberkommando über die alliierten westlichen Streitkräfte in Europa ausübte und nach Kriegsende aufgelöst wurde, und behauptet, S.H.A.E.F. sei die legitime Verwaltungsadministration Deutschlands. 105 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Das gewaltorientierte Personenpotenzial der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" liegt bei 2.300 Personen (2021: 2.100). Dazu zählen gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die beispielsweise durch Drohungen oder gewaltbefürwortende Äußerungen und entsprechende ideologische Bezüge auffallen. 1. Entwicklungstendenzen Das Personenpotenzial ist im Vergleich zum Vorjahr erneut angestiegen. Dieser Anstieg ist weiterhin ganz wesentlich auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen, an denen sich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" beteiligten, ohne sie jedoch zu prägen. Zudem trug auch das Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen politischen sowie wirtschaftlichen Folgewirkungen zu diesem Anstieg bei. Soweit "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine thematisieren, kommen überwiegend Narrative der russischen Staatspropaganda zum Tragen. Teile des Spektrums - sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen - verfügen über eine ausgeprägte Affinität zur Russischen Föderation und nehmen daher eine dezidiert prorussische Position ein. Oftmals geht hiermit ein gleichzeitiger Anti-Amerikanismus einher. Mischszene Zudem waren vermehrt Vernetzungsund Vermischungstendenzen mit anderen Phänomenbereichen (Rechtsextremismus, "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates") feststellbar, die zu einer weiteren Zunahme des Personenpotenzials bei den "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" führten. Verbindende Elemente der Szenen sind das verschwörungsgläubige Gedankengut und eine mehr oder minder ausgeprägte staatsbeziehungsweise demokratiefeindliche Einstellung; Vernetzungen ergeben sich etwa im Bereich des Protestgeschehens oder über gemeinsame Telegram-Gruppen. 106 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" 2. Erscheinungsformen Angehörige der "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Szene gehen zur Erreichung ihrer Ziele sehr unterschiedlich vor. So stören sie regelmäßig und bewusst behördliche und rechtsstaatliche Abläufe, um staatliche Maßnahmen zu erschweren. Die unmittelbare Konfrontation mit Beschäftigten in Behörden reicht dabei bis zum aktiven physischen Widerstand gegen die Durchsetzung staatlicher Maßnahmen. Häufigste Vorgehensweise bleibt die "Vielschreiberei". Dabei verAusgewählte fassen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" oft ausufernde SchreiAktivitäten ben an Behörden, die nur schwer nachvollziehbare Argumente und Behauptungen sowie abwegige Rechtsauffassungen beinhalten. Die Ausführungen reichen dabei von der einfachen Ablehnung behördlichen Handelns bis hin zu Erpressungen, Beleidigungen oder Nötigungen, teilweise mit Gewaltandrohungen. Von besonderer Bedeutung sind auch Aktivitäten, mit denen Einnahmen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" von anderen Szeneangehörigen teils erhebliche Einnahmen erzielen. So verkaufen mehrere Gruppierungen und Einzelakteure ihren Anhängern Fantasiedokumente wie "Führerscheine" und "Kfz-Kennzeichen" oder erzielen unter anderem Gewinne mit dem Verkauf von Büchern. Häufig werden kostspielige Seminare, "Rechtsberatungen" und kostenpflichtige Vortragsveranstaltungen angeboten. Einige Akteure führen Vortragsreisen durch, mit denen sie in besonderem Maße zur Verbreitung der Ideologie und zur Vernetzung beitragen. Den Kunden und Anhängern bieten sie angebliche Argumentationsgrundlagen dafür, warum die Bundesrepublik Deutschland keine gültige Verfassung besitze und daher Gesetze, Gerichte und insbesondere auch Steuern unrechtmäßig seien. So wirbt die "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Gruppierung Immobilienerwerb "Königreich Deutschland" (KRD) damit, ihre Anhänger müssten durch "Königreich "im KRD" keine Steuern zahlen. Gleichzeitig erlangt das KRD auf Deutschland" vielfältige Weise von seinen Anhängern ganz erhebliche Vermögenswerte. Anfang Februar 2022 schloss das KRD einen Kaufvertrag zum Erwerb eines Grundstücks in Eibenstock (Sachsen) ab. Es handelt sich um ein über 50.000 Quadratmeter großes Grundstück, auf dem sich mehrere Gebäude - darunter ein Hotel - sowie 107 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Landwirtschafts-, Waldund Wasserflächen befinden. Hier soll ein sogenanntes Seminarund Gesundheitszentrum entstehen. Der Kaufpreis betrug insgesamt 2,3 Millionen Euro. Darüber hinaus erwarb das KRD ein Schloss in Bärwalde (Sachsen). Ziel ist der Aufbau eines der seit Längerem geplanten "Gemeinwohldörfer". Die Kaufsumme betrug rund 1,3 Millionen Euro. Das KRD wirbt weiterhin massiv um Einzahler für diese "Dorfprojekte". Interessenten werden aufgefordert, Kapitalüberlassungsverträge zu unterzeichnen oder das Geld unmittelbar an den jeweiligen Veräußerer der Grundstücke zu zahlen. Die vom KRD gegründeten "Gemeinwohlkassen" (GK) suggerieren ihren Anhängern, für ein "neues, dauerhaft stabiles, unabhängiges und zinsfreies Geldund Finanzwesen zum Wohle der Menschen"63 zu stehen. Mithilfe einer "Rendite bringenden Beteiligung" würden Anlegerinnen und Anleger Projekte des KRD im Sinne des "Gemeinwohls" fördern. Den einzahlenden "Bankkundinnen und -kunden" werde - so das KRD - aber kein Rückzahlungsanspruch eingeräumt. 2021 ordnete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) bestandskräftig die Beendigung und Abwicklung der unter wechselnden Bezeichnungen ("Kooperationskasse", "Königliche Reichsbank" oder "GK Gemeinwohlkasse") unerlaubt geführten Geschäfte an. Aktivitäten Im Berichtsjahr waren bei der Gruppierung "Geeinte deutsche der GdVuSt Völker und Stämme" (GdVuSt), die im März 2020 durch den Bundesinnenminister nach dem Vereinsgesetz verboten worden war, vermehrt Nachfolgebestrebungen festzustellen. Ende Dezember 2021 bewarb die Gruppierung etwa eine Veranstaltungsreihe, bei der im Januar 2022 Vorträge im gesamten Bundesgebiet stattfanden.64 Nach einem Hinweis des BfV und weitergehenden Ermittlungen des Landeskriminalamts Sachsen konnte am 18. März 2022 in Dresden (Sachsen) eine Vortragsveranstaltung der GdVuSt von Polizeikräften aufgelöst werden. Zudem konnte die 63 Homepage "Gemeinwohlkasse" (20. Dezember 2022). 64 Internetplattform Telegram (13. Januar 2022). 108 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Durchführung einer für den 19. März 2022 geplanten Veranstaltung in der Gemeinde Schönwalde-Glien (Brandenburg) verhindert werden. Am 4. Mai 2022 wurden mehrere Objekte der GdVuSt in Niedersachsen und Sachsen durchsucht. Gegen die zentrale Führungsperson der Gruppierung wurde hierbei ein Haftbefehl vollstreckt. Im November 2022 verurteilte die Staatsschutzkammer des Landgerichts Lüneburg (Niedersachsen) diese zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot (SS 85 StGB) in Tateinheit mit der Verwendung und der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (SSSS 86a, 86 StGB), Volksverhetzung (SS 130 StGB) sowie Missbrauchs von Berufsbezeichnungen (SS 132a StGB). Die Ideologie der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist mit den "Reichsbürger" und arbeitsund beamtenrechtlichen Pflichten öffentlich Bediens"Selbstverwalter" im teter unvereinbar, da alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes öffentlichen Dienst verpflichtet sind, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten. Auch im Berichtsjahr wurden verschiedene dienstund arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen Angehörige des öffentlichen Dienstes ergriffen, die im Zusammenhang mit einer möglichen Zuordnung zur "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Szene stehen. In einem Berufungsverfahren des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom April 2022 entschied das Gericht, dass ein Angestellter im Polizeidienst der Stadt verpflichtet sei, sich in seinem ganzen Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen. Eine vor Gericht angefochtene Kündigung wegen einer Nähe zur "Reichsbürger"-Ideologie und einschlägiger Äußerungen wurde damit rechtskräftig bestätigt, nachdem erstinstanzlich diese zunächst als nicht sozial gerechtfertigt und damit rechtsunwirksam beurteilt worden war.65 Dass die Verfassungstreuepflicht auch für Beamte im Ruhestand gilt, verdeutlicht ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom März 2022. Eine Ruhestandsbeamtin äußerte in 65 Vgl. Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 22.04.2022 - 7 Sa 49/21. 109 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" mehreren von ihr veröffentlichten Büchern und Schreiben, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland nicht um einen souveränen Staat, sondern um einen Scheinstaat/ein Unternehmen mit Firmenstrukturen handle. Einen ehemaligen Bundespräsidenten bezeichnete sie als "Geschäftsführer" und das demokratische Wahlsystem als "Partei-Wahldiktatur". Der ehemaligen Lehrerin wurde deshalb wegen Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung das Ruhegehalt aberkannt.66 Das Urteil ist rechtskräftig. Im Oktober 2022 wurde sie außerdem als mutTerrorismusvorwürfe maßliche Rädelsführerin einer terroristischen Vereinigung (strafgegen "Reichsbürger" bar gemäß SS 129a StGB) festgenommen. Ihr wird darüber hinaus vorgeworfen, an der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund (SS 83 Abs. 1 StGB) beteiligt gewesen zu sein. Die Gruppierung verfolgte das Ziel, bürgerkriegsähnliche Zustände in der Bundesrepublik Deutschland durch Anschläge auf Kritische Infrastruktur und einen daraus resultierenden Blackout herbeizuführen. Parallel dazu sollte der Bundesminister für Gesundheit Prof. Dr. Karl Lauterbach unter Inkaufnahme der Tötung seiner Personenschützer entführt werden (vgl. Berichtsteil "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates", Kap. II). Umsturzpläne einer Welche Gefährdung von "Reichsbürgern" ausgeht, die im öffent"Reichsbürger"lichen Dienst tätig sind oder waren, wurde zudem an einer minGruppierung destens seit November 2021 existierenden Gruppierung um Heinrich XIII. P. R. deutlich, die die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene Herrschaftsstruktur ersetzen wollte. Unter den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof gegen diese Gruppierung befinden sich unter anderem aktive und ehemalige Bundeswehrangehörige und Reservisten - darunter ein aktiver sowie mehrere ehemalige Angehörige des Kommando Spezialkräfte - sowie drei aktive/inaktive Polizeibeamte (vgl. Berichtsteil Rechtsextremismus/rechtsextremistischer Terrorismus, Kap. III, Nr. 4). Die Gruppierung plante, an einem durch ein externes, nicht genau definiertes Ereignis ausgelösten "Tag X" durch einen eigens dafür gebildeten militärischen Arm die staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen. Anschließend sollte ein "Rat" die politische Kontrolle übernehmen. Daneben sollten eigene administrative wie auch militärische Strukturen etabliert werden. Den Angehörigen der Vereinigung war bewusst, dass dieses 66 Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.03.2022 - 3 A 10615/21.OVG. 110 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten hätte verwirklicht werden können. Hierzu zählte auch die Begehung von Tötungsdelikten. Die Gruppierung war ideologisch und personell äußerst heterogen und bediente sich "Reichsbürger"-typischer Verschwörungsnarrative wie der S.H.A.E.F.-Gesetzgebung67 und der QAnon-Theorie68, rechtsextremistischer Ideologeme sowie esoterischer Versatzstücke. Am 7. Dezember 2022 erfolgten schließlich im Rahmen eines durch die Bundesanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB umfassende Exekutivmaßnahmen gegen die Gruppierung. Diesem Verfahren gingen umfangreiche operative Maßnahmen und Ermittlungen durch den Verfassungsschutzverbund, das Bundeskriminalamt und mehrere Landeskriminalämter voraus. An den Durchsuchungen in elf Bundesländern waren mehrere Tausend Polizeibeamte beteiligt. Das Verfahren richtet sich gegen mindestens 55 Beschuldigte; gegen 25 Beschuldigte wurden Haftbefehle vollstreckt. Insgesamt wurden mehr als 160 Objekte durchsucht. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen wurden unter anderem Schusswaffen, Munition und sonstige gefährliche Gegenstände aufgefunden. Ebenfalls wurden militärische Ausrüstungsgegenstände wie speziell angefertigte Uniformen und ballistische Westen sowie Nachtsichtund Funkgeräte sichergestellt. II. Gefährdungspotenzial Das hohe Gewaltpotenzial in der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zeigt sich auch häufig durch massive Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen, auch unter Einsatz von Waffen. So wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 2022 während einer Verkehrskontrolle in Efringen-Kirchen (Baden-Württemberg) ein Polizist durch einen Angehörigen der "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Szene mit dem Auto überfahren und schwer 67 Vgl. Definition in Kap. I. 68 Die Grundthese dieser Verschwörungstheorie ist, dass eine geheime, oft als satanisch und pädophil beschriebene Elite, der sogenannte Deep State, eine globale Diktatur oder eine "Neue Weltordnung" (NWO) anstrebt. 111 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" verletzt. Am 14. November 2022 wurde gegen den "Reichsbürger" ein Verfahren am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Baden-Württemberg) wegen versuchten Mordes eröffnet.69 Der Angeklagte war unter anderem bereits durch szenetypischen Schriftverkehr mit verschiedenen Behörden aufgefallen, in dem er sich auf die Haager Landkriegsordnung und die S.H.A.E.F.-Gesetze berufen hatte. Anlässlich der Bundestagswahl 2021 hatte er Propagandamaterial der "Reichsbürger"-Organisation "Ewiger Bund" in Briefkästen anderer Haushalte verteilt. Am 20. April 2022 kam es während einer Durchsuchung zur Sicherstellung von Waffen bei einem als "Reichsbürger" bekannten 54-jährigen Mann in Boxberg (Baden-Württemberg) zu einem Schusswaffeneinsatz. Der Mann schoss auf die eingesetzten Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit einem KalaschnikowNachbau, als diese sich dem Gebäude näherten. Dabei wurden zwei SEK-Beamte verletzt.70 Der Tatverdächtige setzte zudem eine angrenzende Scheune in Brand. Das Feuer griff binnen kurzer Zeit auf das Wohnhaus über. Im Rahmen der Durchsuchung konnten in der Wohnung etliche Messer, Armbrüste sowie mehrere Kurzund Langwaffen mit dazugehöriger Munition sichergestellt werden, die zum Teil unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Am Abend des 4. August 2022 eskalierte eine Durchsuchungsmaßnahme in Lauta (Sachsen), die ursprünglich wegen des Verdachts des Anbaus von Cannabis erfolgen sollte. Der 61-jährige Verdächtige verweigerte den Polizisten den Zutritt und attackierte diese mit einer Axt. Mithilfe von Spezialeinsatzkräften wurde der Mann überwältigt. Neben Cannabispflanzen wurden drei selbst laborierte Sprengköpfe mit Zünder, aber ohne Sprengstoff, und eine Luftdruckpistole aufgefunden. Der Tatverdächtige war bekannt geworden, weil er S.H.A.E.F.-Materialien an Schulen versandt, im örtlichen Rathaus hinterlegt und an Haushalte verteilt hatte. Dabei soll er behauptet haben, man befinde sich in einem Dritten Weltkrieg und ein Angriff stehe unmittelbar bevor. 69 Am 24. März 2023 wurde der Angeklagte vom OLG Stuttgart zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zudem muss er dem Polizisten 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen und sämtliche Behandlungskosten ersetzen. Weiterhin muss er nach seiner Haftentlassung seinen Führerschein für fünf Jahre abgeben. 70 Am 5. April 2023 wurde am OLG Stuttgart ein Verfahren gegen den "Reichsbürger" wegen mehrfachen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstands gegen und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Waffenrecht eröffnet. 112 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Ein besonderes Gefährdungspotenzial erwächst aus der Anschlussfähigkeit der "Reichsbürger"-Szene an Extremisten weiterer Phänomenbereiche. Die Gruppierung um den "Reichsbürger" Heinrich XIII. P. R. (vgl. Kap. I, Nr. 2) ist das im Berichtsjahr herausragendste Beispiel für die Bildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene. So flossen "Reichsbürger"-Ideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" sowie rechtsextremistische Narrative zusammen. Die Absicht der Gruppierung, das politische System in Deutschland mittels Waffengewalt zu beseitigen, belegt die hohe Gewaltbereitschaft in Teilen der "Reichsbürger"-Szene und deren Attraktivität auch für Anhänger anderer extremistischer Phänomenbereiche. Auch das Gefährdungspotenzial durch die Waffenaffinität vieler Waffenaffinität Szeneangehöriger besteht fort. Bis Ende 2022 kam es zu Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei mindestens 1.100 "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern". Ende 2022 verfügten noch etwa 400 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. Die Verfassungsschutzbehörden stellen den zuständigen Waffenbehörden alle erforderlichen Informationen zur Verfügung, um den Entzug vorhandener waffenrechtlicher Erlaubnisse bei Szeneangehörigen zu ermöglichen. 113 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" III. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Mitglieder/Anhänger 23.000 (2021: 21.000) in Deutschland: Publikationen/Medien Vielzahl von Internetpräsenzen mit (Auswahl): entsprechenden Veröffentlichungen, vor allem in den sozialen Medien Bundesweit aktive Rund 30 länderübergreifend aktive Gruppierungen Gruppierungen, unter anderem: (Auswahl): - Gruppierung um Heinrich XIII. P. R. - "Bismarcks Erben" bzw. "Vaterländischer Hilfsdienst" - "Königreich Deutschland" - "Verfassunggebende Versammlung" - "Staatenbund Deutsches Reich" "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Personen und Gruppierungen, die aus unterschiedlicher Motivation und mit verschiedenen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneinen und die gesamte Rechtsordnung ablehnen. Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auch ein selbst definiertes Naturrecht bilden häufig das ideologische Fundament dafür. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten ihre Berechtigung ab oder definieren sich gar als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Szeneangehörige zeichnen sich zudem durch eine Affinität zu Waffen aus, was in Verbindung mit der verfassungsfeindlichen Ideologie ein erhebliches Gefährdungspotenzial birgt. Die Entwaffnung der Szeneangehörigen bleibt ein vordringliches Ziel der Sicherheitsbehörden. 114 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 115 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates I. Überblick Mit Beginn der staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Coronapandemie im Jahr 2020 kam es in Deutschland zu breiten gesellschaftlichen Diskussionen und Demonstrationen gegen damit einhergehende Freiheitseinschränkungen. Die von Einzelpersonen und Personenzusammenschlüssen öffentlich geäußerten Meinungen und Aktionen gingen in einigen Fällen jedoch über einen legitimen Protest hinaus und wiesen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen auf. Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Einzelpersonen und Personenzusammenschlüsse konnten allerdings in vielen Fällen weder strukturell noch ideologisch einem der Phänomenbereiche des Verfassungsschutzes zugeordnet werden. Um dieser neuen Herausforderung gerecht zu werden, hat das BfV im April 2021 den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen zu beeinträchtigen. Sie machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich oder rufen dazu auf, behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen zu ignorieren. Diese Form der Delegitimierung erfolgt oft nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates. Dieses Vorgehen geht weit über eine rechtlich zulässige Kritik an Regierung, Politik und Staat hinaus. Es untergräbt vielmehr die demokratische Ordnung, indem es das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und so dessen Funktionsfähigkeit gefährdet. Erst eine solch systematische, einer restriktiven Erheblichkeitsschwelle unterliegende Delegitimierung begründet eine Verfassungsschutzrelevanz. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen, insbesondere dem Demokratieoder dem Rechtsstaatsprinzip. 116 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Das so beschriebene Phänomen der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" weist naturgemäß diverse Bezüge zu und ideologische Schnittmengen mit anderen Phänomenbereichen auf. Nicht zuletzt die - allerdings nur begrenzt erfolgreichen - Versuche aus dem rechtsextremistischen Milieu und der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", den Protest gegen staatliche Corona-Schutzmaßnahmen zu vereinnahmen, beförderten solche Überschneidungen. Aber auch unabhängig von diesen Einflussbemühungen war im Rahmen des Protestgeschehens mit fortdauernder Pandemielage eine Radikalisierung der Akteure zu konstatieren. Sie fand etwa Ausdruck im breiten Rekurs auf teils antisemitische Verschwörungsmythen, in der Verunglimpfung staatlicher Schutzmaßnahmen als diktatorisch, im Propagieren eines vermeintlichen Widerstandsrechts und letztlich in Aufrufen zu Gewalt, in Einzelfällen bis hin zu Mord. Gängige, durch Angehörige des Delegitimierungsspektrums rezipierte Verschwörungserzählungen sind unter anderem Narrative wie beispielsweise der "Great Reset" oder Erzählungen über eine vermeintlich von den Eliten geplante "Neue Weltordnung" (NWO). Den beiden Verschwörungserzählungen ist dabei gemein, dass vermeintlich mächtigen Einzelpersonen oder den "Eliten" allgemein unterstellt wird, sie würden die Umsetzung einer neuen Ordnung anstreben und aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise die Coronapandemie, als Mittel zur Erreichung dieser Ziele einsetzen. Gleichwohl ist in diesem Kontext zu beachten, dass die bloße Rezeption von Verschwörungserzählungen für sich genommen keine Zugehörigkeit zu dem vorgenannten Spektrum begründet und ganz grundsätzlich nicht zwangsläufig eine extremistische Ausrichtung indiziert. 1. Personen und Gruppierungen Im Berichtszeitraum waren dem Delegitimierungsspektrum bundesweit etwa 1.400 Personen zuzurechnen, davon sind etwa 280 Personen als gewaltorientiert einzustufen. Im Unterschied zu anderen Phänomenbereichen finden sich diese seltener in festen, dauerhaften Strukturen zusammen, sondern agieren oftmals nur in losen Personenzusammenschlüssen oder als Einzelpersonen. 117 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Zu beachten ist dabei, dass eine Zuordnung von Personen oder Gruppen zu diesem Phänomenbereich nur dann erfolgt, wenn eine eindeutige Zuordnung zu einem anderen Phänomenbereich (z.B. Rechtsextremismus oder "Reichsbürger" und "Selbstverwalter") nicht möglich ist. Von wesentlicher Bedeutung hierfür ist der Aktionsschwerpunkt. Sofern Ideologieelemente oder prägende Akteure einem bereits bestehenden Extremismusbereich zuzuordnen sind, erfolgt eine Einordnung in eben diesen Phänomenbereich. Entwicklungen sind somit immer im Kontext der zahlenmäßigen Entwicklungen in anderen Phänomenbereichen (insbesondere in den Bereichen Rechtsextremismus und "Reichsbürger" und "Selbstverwalter") zu betrachten. Die personelle Zusammensetzung des Delegitimierungsspektrums ist heterogen und wird teilweise durch regionale Besonderheiten geprägt. Verbindendes Element der unterschiedlichen Gruppen und Personen ist die kategorische Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung, die als untauglich und undemokratisch angesehen wird. Diese Ablehnung wird begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und seiner Repräsentanten, sodass der Eindruck entstehen muss, diese allenthalben bestehenden "Missstände" hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst, am Maßstab praktischer Bewährung gemessen sei sie also untauglich. Dadurch wird ein Klima geschaffen, in dem - letztlich womöglich sogar auf Gewaltanwendung zielende - Neigungen gedeihen, diese Grundordnung als in ihren Auswirkungen "unerträglich" zu beseitigen. Ein systempolitischer Gegenentwurf, wie etwa das Modell des autokratischen Führungsprinzips im Rechtsextremismus, hinter dem sich die Szene vereinen könnte, besteht hingegen nicht. Vielmehr erschöpft sich der Konsens bereits in der fundamentalen Ablehnung des bestehenden Systems. Die ehemals prägende Querdenken-Bewegung mit ihrer Vielzahl an lokalen Initiativen hat - nicht zuletzt durch die zwischenzeitliche Inhaftierung der wichtigsten Führungsfigur im Juni 2022 wegen des Verdachts des Betruges und der Geldwäsche - erheblich an Bedeutung eingebüßt und entfaltet nur noch lokal nennenswerte Aktivitäten. Im Berichtszeitraum existierte in der Szene keine bundesweit relevante Organisation. Ungeachtet der derzeitigen organisatorischen Schwäche des Delegitimierungsspektrums und der im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangenen Proteste halten Akteure dieses Phänomenbereichs im Kern an ihren 118 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES verfassungsfeindlichen Positionen fest und versuchen, diese weiter zu verbreiten. Zur Vernetzung werden insbesondere soziale Medien, Internetplattformen und Messengerdienste wie Telegram genutzt. 2. Wandel der thematischen Agenda Durch die weitgehende Rücknahme der staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und das parlamentarische Scheitern der allgemeinen Impfpflicht im April 2022, deren mögliche Einführung bis dahin ein überragendes Agitationsthema dargestellt hatte, verlor die Corona-Thematik deutlich an Mobilisierungskraft. Dies äußerte sich in einem drastischen Rückgang der Teilnehmerzahlen bei den Protestdemonstrationen ab Frühjahr 2022. Als Reaktion auf diese Entwicklung setzte daraufhin innerhalb des Delegitimierungsspektrums ein Diskurs über mögliche neue, mobilisierungsfähige Themen ein. In diesem Kontext wurden unter anderem die Agitation gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen oder die Debatte über die wirtschaftlichen und politischen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als mögliche neue Schwerpunktthemen diskutiert. Bei den Protesten gegen Inflation und Energiekrise infolge des Krieges erreichten Akteure des Phänomenbereichs im weiteren Verlauf des Jahres aber zu keinem Zeitpunkt eine vergleichbare Resonanz wie bei dem Demonstrationsgeschehen im Kontext der Coronapandemie. Sie kamen dabei über eine Mitläuferrolle nicht hinaus. Dies dürfte auf die organisatorische Schwäche der Delegitimierungsszene, aber auch auf das Fehlen eines zugkräftigen Mobilisierungsthemas wie etwa die staatlichen Maßnahmen gegen die Coronapandemie zurückzuführen sein. Konkurrierende Einflussversuche von Rechtsextremisten auf die Proteste gegen die ökonomischen Folgen des russischen Angriffskriegs waren deutlich wirkungsvoller (vgl. Berichtsteil Rechtsextremismus/rechtsextremistischer Terrorismus, Kap. III, Nr. 1). Dessen ungeachtet bemühte sich die Delegitimierungsszene wieStrategische derholt um die Durchführung eigener Großdemonstrationen und Neuausrichtung Veranstaltungen. Dies stellte einen strategischen Wechsel weg von den dezentralen lokalen "Spaziergängen" dar, die nur noch auf einem sehr niedrigen Niveau stattfanden. Stattdessen sollte das 119 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Mobilisierungspotenzial der Szene auf wenige, aber dafür größere und somit öffentlichkeitswirksamere Demonstrationen fokussiert werden. Beispielhaft für diese strategische Neuausrichtung war die sogenannte Woche der Demokratie. Diese einwöchige Versammlungsreihe Anfang August 2022 in Berlin, die an die starke Protestmobilisierung der beiden Vorjahre mit in der Spitze fünfstelligen Teilnehmerzahlen anzuknüpfen versuchte, konnte allerdings nur einen relativ geringen Zuspruch erzielen. Lediglich einzelne Teilveranstaltungen der Reihe erreichten eine vierstellige Teilnehmerzahl. Zu allen anderen Aktionen konnten nur mehrere Dutzend bis maximal wenige Hundert Menschen mobilisiert werden. Rückgang der Insgesamt blieb der Großteil der Protestkundgebungen in der Mobilisierungszweiten Jahreshälfte bezüglich der Mobilisierung hinter den Erfähigkeit wartungen der Anmelder zurück. Dies kann als Beleg für die schwindende Mobilisierungsfähigkeit der Szene gelten, der es seit Sommer 2022 kaum noch gelungen ist, nennenswerte Teilnehmerzahlen zu generieren. 3. Verbindungen zu Rechtsextremisten und zu "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" Die Akteure des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zeichnen sich durch eine nachhaltige Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates aus. Dadurch besteht eine wechselseitige Anschlussfähigkeit insbesondere an die Phänomenbereiche Rechtsextremismus sowie "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Bei diversen Protestveranstaltungen konnten entsprechende Verbindungen festgestellt werden. Teilweise beschränkten sich diese auf gemeinsame Demonstrationsteilnahmen oder lose persönliche Kennverhältnisse. Bisweilen waren aber auch punktuelle Kooperationen erkennbar - etwa in Form gemeinsamer Redeauftritte von Rechtsextremisten und Angehörigen der Delegitimierungsszene. Immer wieder zeigt sich, dass einzelne Protagonisten aus dem Bereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" über Kontakte in andere extremistische Spektren hinein verfügen. Bisweilen kann bei einzelnen Personen auch eine schrittweise ideologische Annäherung an andere Phänomenbereiche 120 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES (z.B. gefördert durch Verschwörungsmythen) beobachtet werden. Die Übergänge zu anderen Phänomenbereichen, insbesondere zu Rechtsextremisten und "Reichsbürgern", sind teilweise fließend. II. Gefährdungspotenzial Die Angehörigen des Phänomenbereichs versuchen, das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, in staatliche Institutionen zu untergraben. Damit versuchen sie, Einfluss auf Teile der Bevölkerung zu nehmen, um so weitere Unterstützer und Sympathisanten zu mobilisieren. Im Zuge der Demonstrationen im Kontext der Coronapandemie sowie des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat sich die Annahme bestätigt, dass sie auch weiterhin versuchen, Krisensituationen und Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um staatliche Stellen und politische Verantwortungsträger zu diskreditieren. Die bereits erfolgte thematische Umorientierung belegt, dass die Szene grundsätzlich inhaltlich flexibel ist und sich an gesellschaftspolitische Entwicklungen anpasst. Langfristig ist auch eine verstärkte verfassungsschutzrelevante Agitation zum Beispiel gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen und damit einhergehende Restriktionen denkbar, um auch solche Proteste im Sinne ihrer verfassungsfeindlichen Agenda zu instrumentalisieren. Rund 20 % der Angehörigen des Phänomenbereichs sind als gewaltorientiert einzustufen. Dies bedeutet, dass diese Personen entweder die Anwendung von Gewalt durch Dritte im Rahmen ihrer Agitation befürworten oder unterstützen, gewaltbereit sind und/ oder selbst Gewalt anwenden. Sie beschreiben die Bundesrepublik als "repressive Diktatur" und leiten daraus ein vermeintlich legitimes Widerstandsrecht ab. Damit halten sie die Anwendung von Gewalt unter bestimmten Voraussetzungen, wie beispielsweise zur Abwehr von vermeintlich unrechtmäßigen Eingriffen des angeblich autoritären Staates, für gerechtfertigt. Exemplarisch hierfür steht der Sachverhalt um die TelegramExekutivmaßnahmen Chatgruppen der "Vereinten Patrioten", denen sowohl Personen gegen Mitglieder aus dem Delegitimierungsspektrum als auch Rechtsextremisten der Chatgruppen und "Reichsbürger" angehörten. In diesem Zusammenhang waren "Vereinte Patrioten" 121 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES den Verfassungsschutzbehörden Mitte 2021 mehrere Chatgruppen der "Vereinten Patrioten" bekannt geworden, in denen fortlaufend und zunehmend konkreter das Ziel eines Systemumsturzes im Rahmen eines "Tag X"-Szenarios erörtert wurde, um sich den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie zu widersetzen. Hierzu sollten unter anderem namhafte Personen des öffentlichen Lebens, wie der Bundesgesundheitsminister, entführt und medienwirksam vorgeführt werden. Zudem plante die Gruppierung, bürgerkriegsähnliche Zustände durch Anschläge auf Kritische Infrastruktur bis hin zu einem Blackout herbeizuführen. Am 13. April 2022 fanden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz (Rheinland-Pfalz) bundesweit polizeiliche Maßnahmen gegen mehrere Mitglieder der Gruppierung statt. Den Beschuldigten werden die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (SS 89a StGB) und Verstöße gegen das Waffenund Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen in 20 Objekten in neun Bundesländern wurden unter anderem diverse Schusswaffen, Munition in mittlerer dreistelliger Anzahl, gefälschte Impfpässe sowie gefälschte Coronatest-Zertifikate sichergestellt. Vier Beschuldigte befinden sich seit dem 14. April 2022 in Untersuchungshaft. Am 13. Oktober 2022 wurde eine weitere, der "Reichsbürger"-Szene zuzurechnende mutmaßliche Führungsaktivistin der "Vereinten Patrioten" festgenommen, die den "administrativen" Arm der Gruppierung geleitet haben soll71 (vgl. Berichtsteil "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", Kap. I, Nr. 2). Radikalisierung von Die im Delegitimierungsspektrum verbreiteten VerschwörungserEinzelpersonen zählungen bergen nicht zuletzt die Gefahr einer Radikalisierung von Einzelpersonen. Im September 2021 gipfelte eine solche Radikalisierung in dem Mord an einem Tankstellenmitarbeiter in IdarOberstein (Rheinland-Pfalz). Nachdem der Angestellte einen Kunden auf die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hingewiesen hatte, verließ dieser zunächst die Tankstelle, kehrte aber wenig später mit einer Schusswaffe zurück und erschoss den Angestellten. Der Täter ist aufgrund seiner politisch-ideologischen Einstellung und seiner Tatmotivation dem Phänomenbereich zuzuordnen, gehört diesbezüglich aber keiner Gruppe oder Organisation an. Er wurde am 13. September 2022 vom Landgericht Bad 71 Das Oberlandesgericht Koblenz (Rheinland-Pfalz) hat die Anklageerhebung des Generalbundesanwalts gegen die fünf Beschuldigten am 12. April 2022 zugelassen. 122 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Kreuznach (Rheinland-Pfalz) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Derartigen Radikalisierungstendenzen leistet vor allem die KomRadikalisierungsmunikation in sozialen Medien Vorschub. Hier haben sich auf untendenzen in sozialen terschiedlichen Plattformen "Echokammern" etabliert, in denen Medien Ideologeme ungefiltert verbreitet werden und für Aktivitäten in der Realwelt mobilisiert wird. Auch stark menschenverachtende oder gewaltorientierte Äußerungen einzelner Mitglieder bleiben hier häufig unwidersprochen oder werden sogar aktiv unterstützt. Immer wieder kann auch beobachtet werden, dass sich Nutzer zustimmend zu Gewaltund sogar Mordszenarien gegen Amtsund Mandatsträger äußern oder bereits entsprechende Planungsabsichten formulieren. Regelmäßig begleitet und verstärkt werden solche Äußerungen durch den Rekurs auf Verschwörungserzählungen beziehungsweise durch die Verbreitung antisemitischer Narrative. Die hohe Zahl dieser Bedrohungen, die sich nicht nur gegen Repräsentantinnen und Repräsentanten staatlicher Institutionen, sondern auch gegen Personen aus Wirtschaft und Wissenschaft richten, stellt in der Gesamtschau ein Indiz für eine zunehmende Verrohung der Debatte dar und veranschaulicht das diffuse Feindbild, das während des Protestgeschehens entstand und bis heute aufrechterhalten wird. 123 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES 124 Linksextremismus 125 Linksextremismus I. Überblick Linksextremisten wollen die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung und somit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. An deren Stelle soll ein kommunistisches System beziehungsweise eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft treten - je nach ideologischer Ausrichtung mit dem Sozialismus als Übergangsphase. Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression" oder "Antigentrifizierung" sind dabei anlassbezogen relevante, letztlich aber austauschbare Aktionsfelder, die immer nur der Umsetzung der eigenen ideologischen Vorstellungen dienen. Um diese zu erreichen, sind Linksextremisten grundsätzlich auch bereit, Gewalt einzusetzen. 1. Entwicklungstendenzen Straftaten und Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2022 um Personenpotenzial 1.800 auf nunmehr 36.500 Personen angewachsen, darunter 10.800 (2021: 10.300) gewaltorientierte Linksextremisten. Verantwortlich hierfür ist neben einem Anstieg im autonomen Spektrum ein erneuter Mitgliederzuwachs bei der "Roten Hilfe e.V.". Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten ging 2022 um rund 37,4 % zurück. Dennoch zeigen einzelne besonders erhebliche Angriffe, immer noch zahlreiche Körperverletzungen sowie die regelmäßig verursachten hohen Schadenssummen durch Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen das nach wie vor hohe Gefahrenpotenzial im gewaltorientierten Linksextremismus. Entgegen dem allgemeinen Rückgang hat die direkte körperliche Gewalt gegen tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten leicht zugenommen. Auswirkungen des Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird in der linksexAngriffskriegs gegen tremistischen Szene überwiegend scharf verurteilt. Teilweise wird die Ukraine jedoch nicht ausschließlich Russland als Aggressor dafür verantwortlich gemacht, sondern vielmehr der "Imperialismus". In diesem Zusammenhang werden auch die NATO, die USA und generell "der Westen" als vermeintliche Verursacher des Krieges propagiert. Gewaltorientierte Linksextremisten nutzen den Angriffskrieg als 126 LINKSEXTREMISMUS Anlass für Kampagnen, aber auch Straftaten gegen Rüstungsunternehmen, die Bundeswehr sowie politisch verantwortliche Parteien. Dabei verbinden sie ihre Agitation mit weiteren Themen wie zum Beispiel ihrem vermeintlichen Engagement für den Klimaschutz. Vom 26. bis 28. Juni 2022 fand auf Schloss Elmau (Bayern) das GipVerhaltene feltreffen der Gruppe der Sieben (G7) statt. In der Vergangenheit Mobilisierung gegen mobilisierten Linksextremisten in erheblichem Maße gegen verden G7-Gipfel 2022 gleichbare Zusammenkünfte. So kam es beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg bereits im Vorfeld zu zahlreichen von Linksextremisten verübten Straftaten und zu massiven Ausschreitungen an den Gipfeltagen. Verglichen damit war die Beteiligung von Linksextremisten an der Mobilisierung gegen den G7-Gipfel 2022 sowie an den Protesten an den Gipfeltagen selbst zurückhaltend. Trotz der Bildung "Antikapitalistischer Blöcke" beziehungsweise "Schwarzer Blöcke" durch gewaltorientierte Linksextremisten bei Demonstrationen in München (Bayern) und Garmisch-Partenkirchen (Bayern) verliefen die Proteste, an denen sich mehrheitlich nicht extremistische Personen beteiligten, insgesamt überwiegend friedlich. Bereits im Vorfeld des Treffens zeichnete sich eine geringe Mobilisierung des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums ab. Die Gründe dafür dürften die - aus Szenesicht - misslungene Protestchoreografie bereits beim G7-Gipfel 2015 an demselben Veranstaltungsort, die erneut hohe Polizeipräsenz sowie die vor Ort fehlenden Szenestrukturen gewesen sein. In der Folge kam es so auch kaum zu szenetypischen Aktionen von Linksextremisten. Militante Aktionen oder Straftaten autonomer Kleingruppen blieben mit Ausnahme eines Brandanschlags auf Fahrzeuge der Bundespolizei in München (vgl. Kap. II, Nr. 2) nahezu vollständig aus. Aufgrund des vielfach jugendlichen Alters der Protestierenden Versuchte und der hohen öffentlichen Wahrnehmung stellen Klimaproteste Einflussnahme auf für Linksextremisten aus verschiedenen Spektren ein attraktives die Klimaproteste und anschlussfähiges Themenfeld dar. Die aus Sicht von Klimaaktivistinnen und -aktivisten unzureichenden politischen Erfolge auf diesem Feld sowie die als dringlich wahrgenommene Situation weisen insoweit ein nicht zu unterschätzendes Eskalationspotenzial auf. Auch im Jahr 2022 versuchten Linksextremisten, Einfluss auf die nicht extremistischen Gruppierungen der Klimaprotestbewegung zu nehmen. Gewaltorientierte Linksextremisten sind zudem bestrebt, nach der Blockade nun auch die Sabotage 127 LINKSEXTREMISMUS Kritischer Infrastrukturen als vermeintlich legitime Aktionsform zu etablieren. 2. Personenpotenzial Linksextremismuspotenzial1 2020 2021 2022 Gewaltorientierte 9.600 10.300 10.800 Linksextremisten davon Autonome 7.500 8.000 8.300 Nicht gewaltorientierte 25.800 25.500 27.600 dogmatische Linksextremisten und sonstige Linksextremisten Summe 35.400 35.800 38.400 Nach Abzug von 34.300 34.700 36.500 Mehrfachzuordnungen 1 Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 3. Strafund Gewalttaten Im Vergleich zum Vorjahr ging im Jahr 2022 die Zahl der erfassten linksextremistisch motivierten Straftaten in Deutschland um 37,4 % zurück. Unter den 3.847 Delikten (2021: 6.142) befinden sich 602 Gewalttaten (2021: 987), was einen Rückgang um 39,0 % bedeutet. 128 LINKSEXTREMISMUS Entwicklung linksextremistischer Strafund Gewalttaten 2002-2022 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Straftaten Gewalttaten Die trotz dieses zuletzt zahlenmäßigen Rückgangs noch immer hohe Gewaltbereitschaft im Linksextremismus wird unter anderem deutlich durch ein versuchtes Tötungsdelikt (2021: eins) und 301 Körperverletzungsdelikte (2021: 362, -16,9 %). Hinzu kommen 147 Widerstandsdelikte (2021: 243, -39,5 %) und 62 Brandstiftungen (2021: 159, -61,0 %). Mit 1.968 Delikten (2021: 3.419, -42,4 %) ist die Sachbeschädigung weiterhin die häufigste von Linksextremisten begangene Straftat. Die hierbei hervorgerufenen Sachschäden summieren sich jedes Jahr in Millionenhöhe. Die meisten linksextremistisch motivierten Straftaten wurden 2022 in Nordrhein-Westfalen (812; 2021: 1.178) und Sachsen (742; 2021: 1.003) verübt. Es folgen Niedersachsen (380; 2021: 708), Berlin (369; 2021: 927), Bayern (364; 2021: 471) und Baden-Württemberg (352; 2021: 659). 129 LINKSEXTREMISMUS II. Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus 1. Militanter "Antifaschismus" Linksextremistisches Der "antifaschistische Kampf" von Linksextremisten richtet sich Verständnis von nicht nur gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremis"Faschismus" ten, sondern gegen Personen oder Institutionen, die der eigenen ideologischen Weltsicht nach als "faschistisch" angesehen werden. "Faschismus" wird verstanden als reaktionärste, chauvinistischste und imperialistischste Form des "Kapitalismus". Mit "Kapitalismus" wiederum meinen Linksextremisten die untrennbare Einheit von demokratischem Rechtsstaat und marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung, welche aus linksextremistischer Sicht ausschließlich der Manifestierung von Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnissen dient. Dabei werden in der Szene nicht nur politische Gegner, sondern auch Vertreter des demokratischen Rechtsstaats als "faschistisch" diffamiert. Regelmäßig werden somit tatsächliche oder von der Szene als solche ausgemachte Rechtsextremisten, immer aber auch der Staat, seine freiheitliche demokratische Grundordnung und die ihn repräsentierenden Personen als "faschistisch" bezeichnet. Gewalt als Im Jahr 2022 richteten sich rund 41 % (1.576 Delikte) aller linksBestandteil des extremistischen Straftaten gegen tatsächliche oder als solche aus"antifaschistischen gemachte Rechtsextremisten, darunter ein versuchtes TötungsKampfes" delikt und 164 Körperverletzungen (2021: kein Tötungsdelikt; 150 Körperverletzungen, +9,3 %). Gewaltorientierte Linksextremisten verstehen Straftaten und Gewalt als Kernbestandteil ihres "antifaschistischen Kampfes". Die Bandbreite reicht von "Outings" über Bedrohungen, Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum, Brandstiftungen an Fahrzeugen oder Trefforten bis hin zu brutalen körperlichen Angriffen auf als "faschistisch" ausgemachte Personen, häufig auch in deren privatem Umfeld. Neben dem Anbringen von Schmierereien an der Fassade oder dem Einwerfen von Fensterscheiben gehört zum Vorgehen der Täter bei solchen "Hausbesuchen" zum Teil auch, in die Räumlichkeiten einzudringen und diese zu verwüsten. Treffen sie ihre Opfer an, fügen sie ihnen erhebliche, teilweise gar lebensgefährliche Verletzungen zu. Einzelne gewaltbereite Gruppen führen 130 LINKSEXTREMISMUS solche Angriffe sehr gezielt, äußerst planvoll und professionell durch. So griffen am 23. April 2022 mutmaßliche Linksextremisten nahezu gleichzeitig vier Ladenlokale in Erfurt (Thüringen), Halle (Saale), Magdeburg (beide Sachsen-Anhalt) und Schwerin (MecklenburgVorpommern) an, in denen vorrangig Kleidung von bei Rechtsextremisten beliebten Marken verkauft wird. In Erfurt betraten vermummte Täter überfallartig das Geschäft und verletzten eine Mitarbeiterin durch massive Schläge gegen Kopf und Beine. In Magdeburg und Schwerin verunreinigten mehrere Täter die Verkaufsräumlichkeiten und Ware mit übel riechender Flüssigkeit und schwarzer Farbe. In Halle (Saale) besprühten vermummte Täter die Schaufenster des Ladenlokals mit brauner Flüssigkeit. Am 30. Juli 2022 wurden auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" Verlinkungen zu einem auf verschiedenen Plattformen hochgeladenen Video über die Angriffe veröffentlicht und zu "selbstständiger Verbreitung" in den sozialen Medien aufgefordert. In dem Video ist unter anderem aus der Perspektive der Täter zu sehen, wie sie die Mitarbeiterin in Erfurt zusammenschlagen und die zum Verkauf angebotene Kleidung gezielt verschmutzen und damit für den Verkauf unbrauchbar machen. Für Linksextremisten ist auch schwerste Gewalt gegen Menschen Gezielte Verbreitung im "antifaschistischen Kampf" ein legitimes und erforderliches von Angst in der Mittel. Sie rechtfertigen ihr gewaltsames Vorgehen mit einer anrechtsextremisgeblichen Untätigkeit staatlicher Organe bei der Bekämpfung von tischen Szene "Rassisten" und "Faschisten". Dabei wollen sie mit ihren Angriffen nicht nur dem konkreten Opfer schaden, sondern durch regelmäßige Gewaltanwendung oder -androhung in der "rechten" und rechtsextremistischen Szene ein stetes Gefühl der Angst erzeugen. Linksextremisten wollen ihre Gegner um jeden Preis aus der Öffentlichkeit drängen und von der Bekundung unliebsamer Meinungen oder politischer Positionen abhalten. Zum Repertoire von Linksextremisten gehört auch das "Outing" "Outings" und von als solche ausgemachten Rechtsextremisten. Diese sollen Gewalt als Mittel zur durch Internetbeiträge, Plakate oder Briefkasteneinwürfe in ihrem Einschüchterung des Umfeld als "Nazis" bekannt gemacht und sozial geächtet werden. politischen Gegners Daneben wird anderen Linksextremisten die Möglichkeit eröffnet, selbst gegen diese Person vorzugehen. So sind "Outings" häufig mit mehr oder minder verklausulierten Aufrufen zu Strafund 131 LINKSEXTREMISMUS Gewalttaten gegen die Betroffenen verbunden. Auf diese Weise wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut und die "geoutete" Person eingeschüchtert, da sie jederzeit mit einem Angriff auf sich oder ihr Eigentum rechnen muss. Immer wieder kommt es im Nachgang von "Outings" zu Brandstiftungen an Fahrzeugen, Sachbeschädigungen oder gewaltsamen Überfällen auf die "geoutete" Person. In einigen Fällen verwüsteten Linksextremisten in der Vergangenheit auch die Wohnungen ihrer Opfer. Auch andere aus linksextremistischer Sicht "unliebsame Personen" wie Politikerinnen und Politiker, Polizeikräfte oder Mitarbeitende von Wirtschaftsunternehmen werden Opfer solcher "Outings" - wenn auch weniger häufig. Strafund Regelmäßig verüben gewaltorientierte Linksextremisten StrafGewalttaten gegen und Gewalttaten auf Einrichtungen, Mitglieder und insbesondedie AfD re Funktionsträger der "Alternative für Deutschland" (AfD). Neben der Störung von Veranstaltungen oder Sachbeschädigungen kommt es dabei auch zu Brandstiftungen sowie in Einzelfällen sogar zu körperlichen Angriffen. So beschädigten beispielsweise mutmaßliche Linksextremisten in Kassel (Hessen) in der Nacht auf den 17. Oktober 2022 das Wohnhaus und das Fahrzeug eines Landtagsabgeordneten der AfD mit Farbe und zerstachen die Reifen des Fahrzeugs. In derselben Nacht wurde ebenfalls in Kassel das Fahrzeug eines weiteren AfD-Politikers beschädigt. Unbekannte Täter besprühten es mit Farbe, schlugen die Scheiben ein und zerstachen die Reifen. Zu den Taten bekannten sich anonyme Autoren am 31. Oktober 2022 auf "de.indymedia". "Antifa"Als Anknüpfungspunkt für militante Aktionen und VeröffentliRecherchegruppen chungen dienen häufig die Erkenntnisse von linksextremistischen und -Netzwerke "Antifa-Recherchegruppen", deren Aktivitäten auf eine möglichst flächendeckende Aufklärung der Strukturen des politischen Gegners ausgerichtet sind. Offene Recherchetätigkeiten finden in der Regel bei Demonstrationen oder rechtsextremistischen Veranstaltungen statt. Angehörige des linksextremistischen Spektrums fertigen dabei Fotos von Teilnehmenden, Ordnerinnen und Ordnern sowie Rednerinnen und Rednern an und veröffentlichen sie im Nachgang - häufig auf Plattformen im Internet. Einzelne Gruppen professionalisieren diese Informationsbeschaffung und führen verdeckte Recherchen durch. Sie fertigen 132 LINKSEXTREMISMUS Bildmaterial von rechtsextremistischen Veranstaltungen sowie deren Besucherinnern und Besuchern an. Im Anschluss gleichen sie die Bilder mit früheren Aufnahmen ab und klären so Personen und Verbindungen auf. Zu diesem Zweck sind derartige Recherchegruppen überregional miteinander vernetzt. Neben dem Ziel der Veröffentlichung können solche Rechercheberichte auch Anknüpfungspunkt für die Zielauswahl militanter Aktionen gewaltbereiter Kleingruppen darstellen. Personen, die auf diese Weise als relevante Akteure in den Strukturen des politischen Gegners identifiziert wurden, werden immer wieder zum Ziel von Strafund Gewalttaten. Zu diesem Zweck wird die Recherche im Vorfeld einer Straftat häufig noch einmal intensiviert. Beispielsweise werden Wohnhäuser beobachtet, Fluchtwege erkundet und Gewohnheiten des Opfers dokumentiert, um den günstigsten Zeitpunkt für einen Angriff bestimmen zu können. Die vorab gemachten Ausführungen gelten jedoch nicht für zivilgesellschaftliche Vereinigungen, die allgemein zugängliche Informationen über Netzwerke und Entwicklungen des gewaltorientierten Rechtsextremismus dokumentieren und der Öffentlichkeit zu Aufklärungszwecken zur Verfügung stellen. Allein die Eigenbezeichnung als "antifaschistisch" oder "Antifa" bei der Recherche, Dokumentation oder Veröffentlichung von Informationen über rechtsextremistische Strukturen und Gewalttaten ist nicht ausreichend für die Annahme einer linksextremistischen Bestrebung. Hierfür bedarf es weiterer Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Motivation. Von besonderer Bedeutung für die linksextremistische Szene war Strafprozess gegen auch im Jahr 2022 der Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Lina E. und weitere (OLG) Dresden (Sachsen) gegen Lina E. und drei weitere AngeAngeklagte klagte. Als mutmaßliche Mitglieder einer gewaltbereiten linksextremistischen Gruppierung sollen sie zwischen August 2018 und Sommer 2020 mindestens sechs Überfälle auf tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten verübt und weitere Straftaten begangen haben. Bei den Überfällen wurden den Opfern durch Tritte und Schläge - unter anderem mit Hämmern - schwere, teilweise lebensbedrohliche Verletzungen zugefügt.72 72 Am 31. Mai 2023 verurteilte das OLG Dresden Lina E. und die drei Mitangeklagten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Das Gericht sah die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bzw. der Unterstützung als erwiesen an, ebenso die gewaltsamen Angriffe auf politische Gegner. 133 LINKSEXTREMISMUS Seit Verhandlungsbeginn am 8. September 2021 kommt es regelmäßig zu Solidarisierungsaktionen und Straftaten, die mit dem Prozess gegen Lina E. und die weiteren Angeklagten begründet werden. Innerhalb der linksextremistischen Szene wird der Name der Hauptangeklagten zu einem Symbol aufgebaut, das für den als legitim betrachteten, militanten "antifaschistischen Kampf" sowie die vermeintliche Repression des Staates gegen "Antifaschisten" steht. In den sozialen Medien werden Beiträge unter dem Hashtag "#freelina" verbreitet und in szenerelevanten Onlineshops T-Shirts mit Aufdrucken wie "FREE LINA" oder "Solidarität ist der Hammer" angeboten. Letztgenannter Slogan ist eine kritiklose und implizit gewaltverherrlichende Anspielung auf das häufig genutzte Tatwerkzeug der Gruppierung, mit dem sie Menschen erhebliche Verletzungen zufügt. Auch in Internetbeiträgen von Linksextremisten wird immer wieder auf das Verfahren Bezug genommen. Wiederholt werden die Taten als Handlungsvorbild verherrlicht, so zum Beispiel in einem am 13. November 2022 auf "de.indymedia" veröffentlichten Aufruf zur Teilnahme an einer Gegenveranstaltung zu einer Demonstration von Rechtsextremisten in Leipzig (Sachsen): "Lasst uns dafür sorgen, dass auch dieser Tag für sie mit Beine in den Bauch stehen oder Krankenhausaufenthalten endet. Wir haben nicht vor sie an diesem Tag nur mit einem blauen Auge davon kommen zu lassen! Also packt die Hämmer ein und auf nach Leipzig." (Internetplattform "de.indymedia", 13. November 2022) Eine starke Resonanz in der linksextremistischen Szene löste auch der Umstand aus, dass ein ehemaliges Mitglied der gewaltbereiten linksextremistischen Gruppierung seit Juni 2022 als Zeuge in dem Verfahren aussagt. Der Zeuge wird in einer Vielzahl von Beiträgen als "Verräter" bezeichnet und bedroht, vereinzelt sogar mit dem Tode. Für den "Tag X" - gemeint ist hier der Samstag nach der Urteilsverkündung - mobilisiert die gewaltorientierte linksextremistische Szene bundesweit zu Protesten. Neben unfriedlichen Kundgebungen muss dabei mit Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und gezielten Angriffen auf die Polizei gerechnet werden, die auch noch Monate später mit dem Urteil begründet werden könnten. "Antifaschistische Nach Gewalttaten oder Ausschreitungen von LinksextremisAktion" ("Antifa") ten, aber auch bei Aufrufen oder Kundgebungen, die sich gegen 134 LINKSEXTREMISMUS "Faschisten" richten, wird häufig von "der Antifa" gesprochen oder es tauchen Gruppierungen auf, die das Wort "Antifa" in ihrem Namen tragen. Auch ist das "Antifa"-Symbol regelmäßig bei Demonstrationen, Veranstaltungen, auf Plakaten oder im Internet zu sehen. Es steht dabei jedoch nicht für eine einzelne Organisation. Vielmehr beinhaltet es die Botschaft, dass es nicht um zivildemokratisches Engagement gegen Rechtsextremismus, sondern um die Abgrenzung von solch einem "bürgerlichen" Engagement mit rechtsstaatlichen Mitteln geht. Dies wird durch die gegen rechts geneigten Doppelfahnen versinnbildlicht. Während die rote Fahne den Sozialismus symbolisiert, steht die schwarze Fahne für den autonomen Anarchismus. Entsprechend dieser Bedeutung findet das "Antifa"-Symbol im Linksextremismus breite Verwendung, insbesondere im gewaltorientierten Teil der Szene. Für diesen ist das Symbol Zeichen für "militante Aktionsformen" und die Abgrenzung vom zivildemokratischen Engagement gegen Rechtsextremismus. Die "Antifa" im Sinne einer einheitlichen, bundesweit agierenden, klar umgrenzten und strukturell auf Dauer verfestigten Organisation dieses Namens existiert derzeit nicht. Bei den lokalen Gruppierungen und Initiativen, die sich unter den Begriffen "Antifa" oder "Antifaschistische Aktion" anlassbezogen zusammenfinden oder diese als Namensbestandteil tragen, handelt es sich zumeist um lockere, zeitlich begrenzte Verbindungen mit wechselnden Personen, die sich teilweise, aber häufig nicht ausschließlich im linksextremistischen Aktionsfeld "Antifaschismus" betätigen. Eine neue Entwicklung zeigt sich hier mit der 2022 gegründeten "Antifaschistischen Aktion Süd" ("Antifa Süd"), die sich aus insgesamt acht regionalen Gruppierungen aus Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz zusammensetzt. Das zentrale Ziel der "Antifa Süd" besteht darin, "antifaschistische" Kräfte stärker zu bündeln, um gegen "Faschisten" auch "überregional schlagkräftig zu intervenieren". Durch die "direkte Konfrontation des Gegners" will die "Antifa Süd" "Rechte und Faschist:innen handlungsunfähig machen". Der "Kampf gegen Rechts" müsse sich "an unmittelbaren Notwendigkeiten orientieren - nicht an pazifistischen Idealen oder bürgerlichen Gesetzbüchern". Als Fernziel strebt die "Antifa Süd" eine bundesweite "Antifaschistische Aktion" an. 135 LINKSEXTREMISMUS 2. Polizei im Fokus linksextremistischer Gewalt Im Kampf gegen den bei Linksextremisten verhassten Staat ist die Polizei das zentrale Feindbild gewaltorientierter Linksextremisten. Gegen ihre Einsatzkräfte, Fahrzeuge und Einrichtungen richten sich die meisten linksextremistischen Gewalttaten. Zu den im Jahr 2022 von Linksextremisten gegen die Polizei verübten 288 Gewaltdelikten zählen unter anderem 95 Körperverletzungen, 146 Widerstandsdelikte und zwölf Brandstiftungen. Kompromisslose Für die meisten Linksextremisten stellt die Ablehnung des Staates Staatsfeindlichkeit und seines Gewaltmonopols das zentrale Element ihres Denkens und Handelns dar. Linksextremisten sehen im Staat ein Schutzorgan der kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die aus ihrer Sicht ursächlich ist für die Entstehung "faschistischer" Strukturen. Die im Alltag sichtbarste Verkörperung des staatlichen Gewaltmonopols ist die Polizei. Vor allem gewaltorientierte Linksextremisten verunglimpfen Polizeibedienstete als "Mörder in Uniform" und "Bullenschweine", die es allein schon aufgrund ihrer Berufswahl verdient hätten, physische Gewalt zu erfahren. Die damit verbundene Entmenschlichung der Beamtinnen und Beamten verletzt nicht zuletzt auch deren Menschenwürde. Dieses gemeinsame Feindbild bietet der Szene Orientierung und stärkt sowohl ihren Zusammenhalt als auch ihre Gewaltbereitschaft. Bei Demonstrationen, Abschiebungen, Räumungen von Szeneobjekten, polizeilichen Durchsuchungen oder Festnahmen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen und gezielten Angriffen auf Einsatzkräfte. Regelmäßig werden diese durch den Bewurf mit Pyrotechnik, Flaschen und Pflastersteinen verletzt. Hinzu kommen Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Einrichtungen oder Fahrzeugen der Polizei. " Im Vorfeld des G7-Gipfels, der vom 26. bis 28. Juni 2022 auf Schloss Elmau stattfand, wurde in der Nacht auf den 22. Juni 2022 in München ein Brandanschlag auf acht Mannschaftsbusse der Bundespolizei verübt, die zum Teil vollständig ausbrannten. Der entstandene Schaden lag hierbei im sechsstelligen Bereich. 136 LINKSEXTREMISMUS " Im Zusammenhang mit einer gegen das traditionelle "Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene gerichteten Veranstaltung mit etwa 100 Personen in Remagen (Rheinland-Pfalz) am 12. November 2022, an der auch gewaltorientierte Linksextremisten teilnahmen, kam es zu einem tätlichen Angriff auf zwei Polizisten. Der mutmaßlich linksextremistische Täter fügte einem der beiden Beamten mit mehreren Schlägen ins Gesicht eine Platzwunde am Kopf sowie einen Jochbeinbruch zu. Neben Angriffen in Verbindung mit Protestgeschehen oder anderen Angriffe auf Veranstaltungen kommt es auch zu Straftaten, die sich gegen einPolizisten und zelne Bedienstete von Polizei und Justiz in ihrem privaten Umfeld Justizbedienstete richten. So wurden im Jahr 2022 Brandstiftungen an den privaten Fahrzeugen zweier Polizeibeamtinnen nahe Berlin und in Hamburg verübt. Die Taten ereigneten sich jeweils in der Nähe der Wohnungen der Betroffenen. In Tatbekenntnissen, die auf von Linksextremisten genutzten Internetplattformen veröffentlicht wurden, werden die Beamtinnen öffentlich mit Namen und Adresse genannt. In einem Tatbekenntnis, das am 24. Mai 2022 auf "de.indymedia" veröffentlicht wurde, werden solche Taten im Kontext "Antirepression" gerechtfertigt: "Wenn sie unsere Haustüren eintreten", müssten die Polizeibediensteten "damit rechnen, dass wir auch zu ihnen kommen." Beide Beamtinnen hatten zuvor dienstlich Berührungspunkte zur linksextremistischen Szene. Gewaltorientierte Linksextremisten verstehen derartige Angriffe als "natürliche Reaktion" auf polizeiliche "Repressionsmaßnahmen". Die teilweise umfangreich geplanten und zielgerichteten Angriffe zeigen die hohe kriminelle Energie der Täter. Aus Sicht von Linksextremisten steht dabei jede geschädigte Polizeikraft für eine Schwächung des "Repressionsstaates" und gleichzeitig für eine Demonstration der eigenen Stärke. In einem auf "de.indymedia" veröffentlichten Beitrag wird die grundsätzlich bestehende Absicht der Verfasser deutlich, Polizeikräfte nicht nur einzuschüchtern, sondern auch als konkrete Angriffsziele zu betrachten: "Lasst uns die Sicherheit, in der sich Bullen wiegen durchbrechen. Lasst sie die Angst spüren, die sie verbreiten. All Cops Are Targets!" (Internetplattform "de.indymedia", 26. Oktober 2022) 137 LINKSEXTREMISMUS Neben Polizeibeamtinnen und -beamten stehen auch Justizangehörige als Vertretung des "Repressionsstaates" zunehmend im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten: " Im August 2022 wurde in Niedersachsen das Wohnhaus eines ehemaligen Hamburger Amtsrichters mit Buttersäure angegriffen. Dieser hatte mehreren Strafprozessen mit Bezug zu den Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg vorgesessen. In einem Tatbekenntnis auf "de.indymedia" wurde auch die private Wohnadresse genannt und staatliche "Repression" als Begründung angeführt. " Im Zuge des Strafprozesses gegen Lina E. und andere wurden Justizbedienstete des OLG Dresden auf dem Weg zum Gericht beziehungsweise auf dem Heimweg von mehreren Personen in Autos verfolgt und zum Teil aus den Fahrzeugen heraus fotografiert. In diesen sollen auch die drei nicht in Untersuchungshaft befindlichen Mitangeklagten gesessen haben. Ein solches für Linksextremisten typisches Vorgehen dient regelmäßig der Einschüchterung sowie teils auch der Vorbereitung von Straftaten. Einschüchterung als Zu Angriffen auf Polizei und Justiz kam es in den vergangenen Instrument gegen Jahren immer wieder. Zudem ist das sogenannte Outing, also die den verhassten Preisgabe persönlicher Daten auf einschlägigen linksextremistiRechtsstaat schen Plattformen, geeignet und darauf ausgerichtet, Betroffene einzuschüchtern. Das Eindringen in den schützenswerten Bereich des privaten Umfelds zeugt von einer besonders perfiden Methode, ein Gefühl der Schutzlosigkeit bei Polizeiund Justizbediensteten hervorzurufen, die die Betroffenen einschüchtern und die eigene Stärke demonstrieren soll. Sie dient Linksextremisten somit als Versuch, die Sicherheitsarchitektur des aus ihrer Sicht "repressiven", "kapitalistischen" und "faschistischen" Staates zu destabilisieren. 3. Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird von der linksextremistischen Szene überwiegend scharf verurteilt. Jedoch verorten insbesondere antiimperialistische Gruppierungen die Schuld für den Angriffskrieg nicht ausschließlich bei Russland. So seien sowohl die "imperialistischen" Bestrebungen Russlands als 138 LINKSEXTREMISMUS auch die der NATO, der USA sowie "des Westens" insgesamt ursächlich für den Angriff auf die Ukraine. Entsprechend ihrer ideologisch geprägten Weltsicht dominiert in der linksextremistischen Szene auch im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine ablehnende Haltung gegenüber sämtlichen aus ihrer Sicht rein "kapitalistisch" orientierten Aktivitäten von Wirtschaftsunternehmen und staatlichen Stellen. Durch den russischen Angriffskrieg und dessen Auswirkungen haben Themen wie "Antiimperialismus" oder "Antimilitarismus" für Linksextremisten wieder stärker an Bedeutung gewonnen oder wurden um neue Komponenten ergänzt. Insbesondere das Aktionsfeld "Antimilitarismus" ist für Teile der Bedeutungsgewinn linksextremistischen Szene seit Beginn des russischen Angriffsdes Aktionsfeldes kriegs stark in den Fokus gerückt, dabei besonders Rüstungsun"Antimilitarismus" ternehmen und auch die Bundeswehr. In diesem Zusammenhang wurde auch das von der Bundesregierung beschlossene Sondervermögen für die Ausrüstung der Bundeswehr als kriegstreiberische "Aufrüstung Deutschlands" kritisiert. Seit Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges haben Linksextremisten in diesem Kontext Straftaten wie Farbanschläge und Sachbeschädigungen sowie teils auch Brandstiftungen zum Nachteil von Unternehmen der Rüstungsindustrie, der Bundeswehr, aber auch politischen Parteien verübt. " So wurde in der Nacht auf den 5. April 2022 der Eingangsbereich eines Verwaltungsgebäudes des Unternehmens Rheinmetall in Bremen mit Buttersäure beworfen. Verursacht durch die stark riechende Flüssigkeit litten fünf Mitarbeitende unter Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen. In einem auf "de.indymedia" veröffentlichten Tatbekenntnis geben die Autoren einen "praktischen Antimilitarismus" als Tatmotivation an und verurteilen die geplante "Aufrüstung" der Bundeswehr. Dabei verweisen sie auch auf einen weiteren Angriff in Bremen: "Eine Woche davor am 28.3.22 haben wir mit Steinen das Hauptzollamt eingeknallt und Buttersäure in die Büroräume geschüttet. Der Angriff galt dem Beratungszentrum der Bundeswehr in dem Gebäude." (Internetplattform "de.indymedia", 7. April 2022) 139 LINKSEXTREMISMUS " Die Bundeswehr war auch in der Nacht auf den 12. August 2022 Ziel eines linksextremistisch motivierten Angriffs. Auf "de.indymedia" veröffentlichten unbekannte Verfasser am 17. August 2022 einen Beitrag, in dem sie sich dazu bekennen, zwei Fahrzeuge aus dem Fuhrpark der Bundeswehr in Kassel in Brand gesetzt zu haben. Es gelte, "die Militarisierung, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung in Deutschland mit aller Entschlossenheit zu bekämpfen". Daher habe man sich entschlossen, "den Bundeswehrfuhrpark (...) zumindest ein bisschen zu verkleinern". Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 50.000 Euro. " In der Nacht auf den 29. April 2022 beschmierten in Stuttgart unbekannte Täter die Fassade der Landesgeschäftsstelle der SPD Baden-Württemberg großflächig mit roter Farbe. In einer Taterklärung auf "de.indymedia" vom 30. April 2022 mit dem Titel "SPD als Kriegstreiber markiert" wurde hierzu ausgeführt, man habe der Partei "das Blut der Arbeiter:innen der Welt, das durch ihre Waffen zweifelsohne fließen wird, symbolisch an die Fassade geschmiert." Der Beitrag endet mit dem Aufruf, "antimilitaristisch aktiv [zu] werden". Man solle "die Kriegsindustrie stören, Waffenexporte blockieren und revolutionär für ein Anderes System kämpfen." Beteiligung von Vom 30. August bis zum 4. September 2022 wurden in Kassel "anLinksextremisten an timilitaristische Aktionstage" durchgeführt. Bei den verschiede"antimilitaristischen nen Veranstaltungen, an denen auch Linksextremisten beteiligt Aktionstagen" waren, herrschte eine aggressive Grundstimmung vor. Aufgrund in Kassel mehrerer dort ansässiger Rüstungsunternehmen, gegen die sich die Aggressionen vor allem richteten, und der zeitgleich stattfindenden Kunstausstellung documenta fifteen war Kassel gezielt als Aktionsort ausgewählt worden. Davon erhofften sich die Organisatoren hohe Aufmerksamkeit für ihre Aktionen. Neben der postautonomen "Interventionistischen Linken" (IL) war auch das linksextremistisch beeinflusste Bündnis "Ende Gelände" (EG) an der Organisation der "Aktionstage" beteiligt. Es ist den Organisatoren jedoch nicht gelungen, die Betriebsabläufe der örtlichen Rüstungsunternehmen nachhaltig zu stören. Neben kurzzeitigen Blockaden und Sachbeschädigungen kam es bei dem Versuch, auf ein Firmengelände zu gelangen, auch zu aggressivem Widerstand gegen Polizeikräfte. Acht Polizeikräfte und einige Teilnehmende wurden leicht verletzt. Weitere Straftaten sowie mögliche Sabotageaktionen konnten frühzeitig von der Polizei verhindert werden. 140 LINKSEXTREMISMUS Ein Zweck der "antimilitaristischen Aktionstage" dürfte auch der Versuch gewesen sein, eine breite gesellschaftliche Debatte über die deutsche Rüstungspolitik anzustoßen, um diese anschließend ideologisch zu beeinflussen. Letztlich entfaltete die Aktion aber keine Resonanz. Betroffen von linksextremistischer, "antimilitaristischer" Agitation sind dabei aber nicht nur die Rüstungsunternehmen selbst. Seit dem Frühjahr 2022 ist auch eine Karte mit Standorten von Zulieferbetrieben eines Rüstungsunternehmens im Internet abrufbar. Dort werden die entsprechenden Adressen aufgelistet und auf einer Landkarte mit einem Flammensymbol markiert, versehen mit der Frage: "Krieg beginnt auch hier, bei den Lieferanten (...). Welcher ist bei dir in der Nähe?" Diese "Roadmap" ist für die gewaltorientierte linksextremistische Szene eine gut verständliche Aufforderung zur Begehung von Straftaten. Die über 200 aufgeführten Zulieferbetriebe sind teilweise aufgrund der Lieferung universell einsetzbarer Einzelteile, beispielsweise Drahtfedern, Verpackungsmaterialien oder Antirutschprodukte, in das Blickfeld der Ersteller geraten. Aus linksextremistischer Sicht rechtfertigt somit bereits ein geschäftlich orientierter Kontakt ohne direkten Bezug in die Rüstungsindustrie potenziell ein Vorgehen gegen Wirtschaftsunternehmen. Durch die Verbindung der Themen "Antimilitarismus" und KlimaVerbindung mit schutz erhoffen sich Linksextremisten, eine höhere Anschlussfäweiteren Themen higkeit erzielen zu können. So wurde die mit Beginn des russischen Angriffskriegs in den Fokus rückende Frage der Energiesicherheit und damit verbunden die wieder stärkere Nutzung fossiler Energien von der Szene für eine verstärkte Agitation genutzt. Dabei richtete sich der Protest vor allem gegen den Abbau von Braunkohle und den Ausbau der Nutzung anderer fossiler Energieträger wie zum Beispiel Flüssiggas. Auch die mittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs, wie beispielsweise die Inflation und vor allem die steigenden Preise im Energiesektor, waren Gegenstand linksextremistischer Agitation. So forderten Linksextremisten verstärkt dazu auf, regelmäßig Protestaktionen in diesem Zusammenhang durchzuführen und sich nicht extremistischen Protestbündnissen anzuschließen. In diesem Zuge beteiligten sich 141 LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten an Demonstrationen gegen gestiegene Energiepreise. " Während einer Demonstration unter dem Motto "Umverteilen! Für solidarische Wege aus der Krise gegen rechte Argumente und Verschwörungsideologie" am 12. November 2022 in Berlin, an der auch Linksextremisten teilnahmen, wurden Einsatzkräfte der Polizei sowie die SPD-Parteizentrale aus dem Demonstrationszug heraus mit Farbbeuteln und Pyrotechnik beworfen. Es wurden Nebeltöpfe gezündet und polizeifeindliche Sprechchöre skandiert. Zu der Demonstration hatten auch linksextremistische Organisationen wie die Berliner Ortsgruppe der IL mobilisiert. Verschiedene Dogmatische Linksextremisten erklären und bewerten die KriegsPositionen im geschehnisse analog ihrer Weltanschauung. Die Mehrzahl verdogmatischen urteilt den Krieg als "Geschwisterkrieg", da Arbeiterinnen und Linksextremismus Arbeiter die Waffe aufeinanderrichteten, anstatt den eigentlichen Hauptfeind, die "eigene herrschende Klasse", zu bekämpfen und die Eskalation imperialistischer Interessen zwischen Russland, der Ukraine und der NATO zu beenden. Wenige dogmatische Linksextremisten, wie zum Beispiel einige Autoren der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt", stellen sich auf die Seite Russlands und verteidigen dessen vermeintliche "Sicherheitsinteressen" gegenüber der NATO. Gleichzeitig verurteilen sie die Ukraine für eine ihrer Meinung nach rücksichtslose Kriegstreiberei auf Kosten der Bevölkerung. 4. Versuchte Einflussnahme auf die Klimaproteste Mit ihrem vorgeblichen Engagement für den Klimaschutz versuchen Linksextremisten, demokratische Diskurse zu verschieben, diese um ihre eigenen ideologischen Positionen zu ergänzen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren sowie den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren. Gewaltorientierte Linksextremisten wollen mithilfe von Aktionsbündnissen Einfluss auf die Proteste nehmen. Eine maßgebliche Rolle kommt dabei dem von der IL beeinflussten Bündnis EG zu. Im Mittelpunkt der von EG initiierten "Massenaktion zivilen Ungehorsams" vom 9. bis 15. August 2022 in Hamburg standen der 142 LINKSEXTREMISMUS Protest gegen den Ausbau fossiler Energieträger, die "globale Ungerechtigkeit" und die geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein), Wilhelmshaven und Stade (beide Niedersachsen). Der "Aktionskonsens" von EG wurde für diese "Massenaktion" geöffnet und beinhaltet nun auch ausdrücklich Sabotagehandlungen: "Zu den möglichen Aktionsformen kann dieses Jahr zählen, dass wir klimaschädliche Infrastruktur gezielt auch über unsere Präsenz hinaus außer Betrieb nehmen. (...) Wir laden (Klein-)Gruppen ein, unsere Aktionstage mit ihren Aktionsformen zu bereichern." (Homepage "Ende Gelände", 15. Dezember 2022) Zentraler Ausgangspunkt für die Aktionen und Demonstrationen war ein zeitgleich stattfindendes, von EG mit organisiertes und beworbenes "Movement-Building-Camp" im Volkspark in HamburgAltona, in dem sich zeitweise bis zu 2.300 Personen aufhielten, darunter auch Linksextremisten und Anhänger linksextremistisch beeinflusster Organisationen. Im Verlauf des Aktionszeitraums kam es zu zahlreichen Protestaktionen. Den Auftakt bildete eine Demonstration am 10. August 2022, an der sich etwa 1.500 Personen beteiligten, darunter auch Linksextremisten der postautonomen IL und des kommunistischen Bündnisses "...ums Ganze!" (uG). Etwa 80 bis 100 Personen bildeten einen "Schwarzen Block". Angehörige von uG riefen dazu auf, Lieferwege zu blockieren. An den für den Bau von LNG-Terminals vorgesehenen Standorten wurden Blockadeaktionen durchgeführt. In Brunsbüttel wurde die Hauptzufahrt eines Unternehmens versperrt, in Wilhelmshaven blockierten etwa 300 Personen die Baustelle des geplanten LNGTerminals und störten Arbeitsabläufe, indem sie dort gelagerte Baumaterialien sowie Baumaschinen besetzten. Der Schwerpunkt der Aktionstage war der 13. August 2022 mit mehreren, teilweise von Linksextremisten organisierten Versammlungen im Hamburger Stadtgebiet. Einige Veranstaltungen verliefen unfriedlich, Teilnehmende blockierten dabei Brücken oder Gleise. Eine Brücke im Hamburger Hafen konnte von der Polizei nur unter dem Einsatz körperlichen Zwangs sowie mit 143 LINKSEXTREMISMUS Unterstützung zweier Wasserwerfer geräumt werden. Dabei setzte eine Person Reizgas gegen die Polizeikräfte ein. Allein bei diesem Einsatz wurden 29 Polizeibedienstete verletzt. "Ende Gelände" Mit dem im März 2022 erschienenen Buch "We shut shit down" soveröffentlicht wie der Schrift "Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit - Kritik der Standpunktepapiere Polizei" im August 2022 veröffentlichte EG erstmals zwei Texte, die grundsätzliche Diskussionsprozesse und Standpunkte abbilden. Ausgehend von einer antikapitalistischen Grundhaltung werden darin klare Aussagen zum Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Ordnung aus Sicht der Autoren getätigt: "(...) In einer kapitalistischen Gesellschaft (kann es) keine Klimagerechtigkeit geben. Daher ist neben dem Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft der Kampf für einen Systemwandel erforderlich." ("Ende Gelände", "We shut shit down", Hamburg 2022, S. 139 f.) In "Kritik der Polizei" fordert EG nicht nur eine vollständige Abschaffung der Polizei, sondern bezieht auch weitere Exekutivorgane ("Behörden") und die Judikative ("Gerichte") mit ein: "Polizei muss abgeschafft werden. (...) Für Gerechtigkeit braucht es keine Polizei und keinen Staat. (...) Recht und Gerechtigkeit ohne Polizei neu zudenken erfordert ein neu denken der Systeme und Strukturen in denen wir leben (...)." ("Ende Gelände", "Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit - Kritik der Polizei", S. 14) "Ziviler Ungehorsam", Zu den auch von Linksextremisten im Rahmen der Klimaproteste "ziviler Ungehorsam genutzten Aktionsformen zählen unter anderem Blockaden und plus" und "friedliche Besetzungen zum Nachteil von Einrichtungen und Unternehmen Sabotage" der Energieinfrastruktur, die als "ziviler Ungehorsam" bezeichnet werden. Durch die Verwendung dieses Begriffs wird der vorsätzlich ausgeübte und teils auch gewaltsame Widerstand gegen das staatliche Gewaltmonopol eines demokratischen Rechtsstaats in eine Reihe mit Menschenund Bürgerrechtsbewegungen gestellt, die gewaltlos gegen Unrechtssysteme protestieren. Vor dem Hintergrund vermeintlich ausbleibender klimapolitischer Erfolge wurden insbesondere im Zusammenhang mit der "Massenaktion zivilen Ungehorsams" auch weitergehende 144 LINKSEXTREMISMUS Begrifflichkeiten wie "ziviler Ungehorsam plus" und "friedliche Sabotage" diskutiert. Damit soll unter anderem die Sabotage Kritischer Infrastrukturen legitimiert und als Aktionsform etabliert werden. So heißt es beispielsweise in einem Aufruf zur Verhinderung eines geplanten LNG-Terminals: "Baustellen lassen sich besetzen, Bagger und Baufahrzeuge auf viele verschiedene Arten blockieren, sabotieren oder zerstören, Pipelinerohre können unbrauchbar gemacht werden." (Internetplattform "de.indymedia", 10. September 2022) Einen aktuellen Bezugspunkt für die Klimaproteste bildet der Widerstand gegen Kampf gegen die Räumung und den Abriss von Lützerath (Norddie Räumung von rhein-Westfalen). Bereits mit Beginn der Räumungsarbeiten im Lützerath Jahr 2020 hatte sich in Anlehnung an den Protest im Hambacher Forst ("Hambi bleibt!") Widerstand gegen den Abriss unter dem Motto "Lützi bleibt!" formiert. Dieser wurde überwiegend von Gruppen des demokratischen Spektrums getragen. Der bevorstehende Abriss wurde jedoch auch in der linksextremistischen Szene stark thematisiert. Das linksextremistisch beeinflusste Bündnis EG mobilisierte unter dem Motto "Ende Gelände goes Lützerath" bereits ab Sommer 2022 zur Teilnahme an Protesten am "Tag X" (gemeint ist hier die Räumung und der Abriss der Ortschaft). In den sozialen Medien riefen Linksextremisten zum "Widerstand" auf und organisierten darüber hinaus "Skillsharing-Camps", "Unräumbar-Festivals", "Sonntagsspaziergänge" und Mahnwachen. Vereinzelt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei oder dem Sicherheitsdienst des Tagebaubetreibers. Außerdem wurden die Förderinfrastruktur im Rheinischen Braunkohlerevier sowie bundesweit die Büros verschiedener politisch verantwortlicher Parteien angegriffen, weil Letztere "Lützerath zum Abbaggern freigegeben" hätten. " In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 2022 setzten unbekannte Täter im Braunkohletagebau Garzweiler (NordrheinWestfalen) eine Trafostation in Brand. " In der Nacht auf den 8. November 2022 besprühten unbekannte Täter ein Parteibüro von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Bremen großflächig mit dem Schriftzug "LÜTZERATH VERTEIDIGEN" und erklärten in einem Tatbekenntnis auf "de.indymedia" dazu: 145 LINKSEXTREMISMUS "Wir werden es RWE und dem Staat nicht leicht machen, wenn sie Lützi plattmachen wollen. (...) Der politische Preis für jeden Versuch zu räumen wird hoch sein und vor allem die Grünen werden ihn bezahlen." (Internetplattform "de.indymedia", 8. November 2022) Dogmatischer Auch Parteien und Organisationen des dogmatischen LinksextreLinksextremismus mismus wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die und Klimaproteste "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) versuchen, die Klimaproteste als Tribüne zur Verbreitung ihrer ideologischen Positionen zu nutzen. Sie sehen in einem ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichteten "Kapitalismus" die Ursache für den Klimawandel. Vorrangiges Ziel ist es, ihre Forderung nach einer "Systemüberwindung" in die demokratischen Klimaproteste einzubringen, junge Menschen anzusprechen und langfristig in die eigenen Strukturen einzubinden. Hierfür bedienen sie sich vorrangig ihrer Jugendorganisationen "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) beziehungsweise "REBELL". 5. Angriffe auf Wirtschaftsunternehmen Linksextremistisch motivierte Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen an Fahrzeugen, Maschinen oder der Infrastruktur von Wirtschaftsunternehmen verursachen in Deutschland jedes Jahr Sachschäden in Millionenhöhe. Dabei setzen Linksextremisten diese Angriffe in viele verschiedene Themenzusammenhänge wie "Antimilitarismus" (bei Rüstungsunternehmen, deren Zulieferbetrieben oder Unternehmen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten), "Antirepression" (bei Unternehmen für Gefängnislogistik oder Überwachungstechnik sowie den Ausbau technischer Infrastruktur), "Antigentrifizierung" (bei Unternehmen der Bauund Immobilienbranche) sowie das vermeintliche Engagement für den Klimaschutz (bei Unternehmen aus dem Rohstoffund Energiesektor oder der Autoindustrie), um so ihrem Handeln eine ideologische Rechtfertigung zuzuschreiben. " In der Silvesternacht 2021/2022 verübten mutmaßliche Linksextremisten in Bremen einen schweren Brandanschlag auf ein Unternehmen, das im Bereich der Luftund Raumfahrt tätig ist und mit der Bundeswehr zusammenarbeitet. Durch das Feuer wurden mehrere Büroräume beschädigt; es entstand ein 146 LINKSEXTREMISMUS Sachschaden in Millionenhöhe. In einem Selbstbezichtigungsschreiben begründen die Autoren die Tat im antimilitaristischen Kontext und fordern zu weiteren Straftaten auf. " Innerhalb weniger Tage zwischen dem 31. Oktober und dem 8. November 2022 haben mutmaßliche Linksextremisten mehrere Firmenfahrzeuge verschiedener Unternehmen in Berlin und Leipzig in Brand gesetzt. In Selbstbezichtigungsschreiben stellten die Verfasser vor allem auf ihren "Kampf" gegen "staatliche Repression" ab. Zwei erhebliche Taten in Leipzig ragten aus dem mehrtägigen Geschehen heraus: So wurde eine Brandstiftung an zwei auf einer Baustelle abgestellten Baggern eines Bauunternehmens verübt. Hierbei entstand ein Sachschaden in Höhe von 375.000 Euro. Das Bauunternehmen war in der Vergangenheit mehrfach Ziel von Brandanschlägen gewesen und wurde in Tatbekenntnissen unter anderem wegen seiner Beteiligung am Bau eines Gefängnisses angegriffen. Ein weiterer Brandanschlag erfolgte in der Nacht auf den 8. November 2022. Unbekannte Täter setzten insgesamt elf Fahrzeuge eines Immobilienunternehmens in Brand. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa einer halben Million Euro. Das betroffene Unternehmen wird von Linksextremisten regelmäßig als "ausschließlich profitorientiert und ausbeuterisch" verunglimpft und ist häufig Ziel linksextremistisch motivierter Brandstiftungen. Auch die Deutsche Bahn AG ist in der Vergangenheit wiederholt Ziel von Brandanschlägen gewaltorientierter Linksextremisten geworden. Sie wird von der Szene als größtes Logistikunternehmen der "kapitalistischen Profitwirtschaft" angeprangert. So verübten mutmaßliche Linksextremisten am 21. März 2022 einen Brandanschlag auf einen Kabelkanal an der Bahnstrecke zwischen Frankfurt (Oder) (Brandenburg) und Berlin. Infolgedessen kam es auf mehreren S-Bahn-Linien zu starken Einschränkungen. In einem am selben Tag auf "de.indymedia" veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben stellten die Verfasser unter anderem einen Zusammenhang mit der Eröffnung der Tesla-Gigafactory in Grünheide (Brandenburg) am 22. März her. Ziel der Sabotage seien demnach pendelnde Tesla-Beschäftigte gewesen. In ihrem Text kritisieren die mutmaßlichen Täter vor allem den produktionsbedingt hohen Wasserverbrauch und die Profitorientierung des Unternehmens. Im Rahmen des Klimaschutzes brauche es einen "militanten 147 LINKSEXTREMISMUS Widerstand". Zudem wird ausführlich erklärt, dass der Brandanschlag explizit gegen die Deutsche Bahn AG gerichtet war. Bekämpfung des Linksextremisten halten es für notwendig, gegen vermeintliche "kapitalistischen "Missstände" selbst vorzugehen, da der Staat aus seiner "kapitaSystems" listischen" Interessenlage heraus untätig bleibe. Generell werfen sie Wirtschaftsunternehmen skrupellose Profitorientiertheit vor. Insbesondere Unternehmen, die beispielsweise am Bau oder der technischen Ausstattung von Justizvollzugsanstalten beteiligt sind oder mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, bekämpfen sie als verlängerten Arm des "repressiven", "imperialistischen" und "kapitalistischen" Staates mit der gleichen Intensität wie staatliche Ziele. Zudem beabsichtigen sie, das Ansehen der Unternehmen durch die häufig nachgelagerte, ausführliche Tatbegründung in Verbindung mit der durch die Schwere der Tat hervorgerufenen öffentlichen Aufmerksamkeit dauerhaft zu schädigen. Mit den Ausführungen in den Tatbekenntnissen wollen sie außerdem Szeneangehörige ansprechen und zu weiteren Taten anstiften. Letztlich ist ihr Ziel, das "kapitalistische System" zu schwächen und revolutionär zu überwinden. 6. Bedeutung der Jugendarbeit für dogmatische Linksextremisten Die Grundüberzeugung von der herausragenden Bedeutung der Jugend als zentrales revolutionäres Potenzial teilen viele dogmatische Linksextremisten. Die Jugend soll mit Kraft und Engagement das Fundament für die angestrebte "revolutionäre Massenbasis" stellen. "Als Sozialisten und Kommunisten dürfen wir in solchen [Schüler-]Bewegungen nicht bloß mitmachen, sondern müssen unsere Inhalte und Positionen hineintragen und den Hauptschlag gegen die hier Herrschenden richten." (Homepage "unsere-zeit", 23. März 2022) Um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für sich zu gewinnen, betreiben linksextremistische Jugendorganisationen zunehmend intensivierte und aufdringliche ideologische Anwerbung vor Schulen, Betrieben und Universitäten. Dabei tragen die Verbände regelmäßig nicht den Namen der übergeordneten Organisation, 148 LINKSEXTREMISMUS um nicht sofort als Teilstruktur linksextremistischer dogmatischer Parteien und Organisationen erkannt zu werden. Gleichzeitig versuchen sie, demokratische Bewegungen wie derzeit vor allem Veranstaltungen der Klimaprotestbewegung zu instrumentalisieren, um dort mit Werbung und Ansprache der Teilnehmenden Einfluss zu nehmen. So verbreitet "Revolution" (REVO), die Jugendorganisation der trotzkistischen "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM), über soziale Medien Aufrufe wie "Wie werde ich politisch aktiv in der Schule" bis hin zu einem "Wahlprogramm für revolutionäre Schülersprecher_Innen". Damit folgt REVO dem erklärten Ziel, Schulen "als Ausgangspunkt [zu] nehmen, um für eine sozialistische Gesellschaft zu kämpfen". Aktuell wird die Ablehnung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine regelmäßig für den Versuch missbraucht, das bei Jugendlichen vorhandene humanitäre Engagement zu einem trotzkistisch interpretierten Widerstand gegen vermeintlichen "Militarismus" und "Imperialismus" sowie gegen "das Kapital" umzuleiten. Trotzkisten knüpfen mit dieser Umwerbung Jugendlicher ausdrücklich an die von ihnen auch zitierte Strategie Karl Liebknechts "Wer die Jugend hat, hat die Armee" an. Auch die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die Jugendorganisation der DKP, folgt dieser Strategie. Sie engagiert sich stark in der Werbung an Schulen, um den Jugendlichen "ein Angebot zu machen, sich zu organisieren". Ebenso bewertet die MLPD die Jugendarbeit als zentral. Die Jugend sei die "praktische Avantgarde des sozialistischen Aufbaus". Entsprechend investiert die MLPD erheblich in die Jugendarbeit: Sie unterhält Kinderund Jugendverbände, veranstaltet jährliche Jugendfestivals und schickt gut ausgebildete Mitglieder zu Demonstrationen, um mit Überzeugungsarbeit und intensivem Werben die eigene Ideologie anzupreisen. Dabei werden auch gezielt Kontaktdaten abgefragt. Auch werben die ihre Mitglieder umfänglich für sich vereinnahmende MLPD und ihr Jugendverband "REBELL" häufig vor Schulen und Berufsschulen, verteilen dort Flyer und versuchen, die Schülerinnen und Schüler in den Schulpausen in politische Diskussionen zu verwickeln. In diesem Jahr nutzten Werber der MLPD auch den russischen Angriffskrieg gegen die 149 LINKSEXTREMISMUS Ukraine, um ins Gespräch zu kommen und dabei Jugendliche zur Mitarbeit in einer von der MLPD geleiteten "neuen Friedensbewegung" zu überreden. 7. Gefährdungspotenzial Das vom Linksextremismus ausgehende Gefährdungspotenzial ist nach wie vor hoch. Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Autonomen ist im Berichtszeitraum weiter angewachsen. Die in den letzten Jahren zunehmende Radikalisierung in Teilen der gewaltbereiten Szene hat sich auf einem hohen Niveau verstetigt. Der gewaltbereite Linksextremismus äußert sich weiterhin durch regelmäßige Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit von Menschen und durch die Verursachung hoher Schadenssummen. Durch Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen wie Kabelschächte, Telekommunikationseinrichtungen oder Bahnanlagen können auch weite Teile der Bevölkerung von linksextremistischen Strafund Gewalttaten betroffen sein. Bereits mehrfach waren in den letzten Jahren ganze Stadtteile teils stundenlang ohne Strom, Internet oder Telefon. Auch kam es als Folge von Anschlägen auf die Bahninfrastruktur zu spürbaren Ausfällen und Verspätungen im Bahnverkehr. Besonders relevant bleibt die Situation in Szeneschwerpunkten wie insbesondere Berlin, Hamburg und Leipzig. Aber auch in anderen Städten und Bundesländern radikalisieren sich einzelne Kleingruppen, schotten sich vom Rest der Szene ab und begehen konspirativ, arbeitsteilig und planvoll Strafund Gewalttaten. Bei ungehindertem Fortgang könnte dieser Umstand in eine Radikalisierungsspirale führen, die im schlimmsten Fall auch eine Entwicklung hin zu terroristischen Strukturen als möglich erscheinen lässt. Vor allem im "antifaschistischen Kampf" gewaltbereiter Linksextremisten sind Brutalität und Gewaltbereitschaft stark ausgeprägt. Es gibt erhebliche Angriffe auf als solche ausgemachte "Faschisten", die von professionell organisierten Kleingruppen ausgehen. Gewalt gegen den politischen Gegner ist für Linksextremisten ein strategisches Instrument. Die meisten Opfer werden als Repräsentantinnen beziehungsweise Repräsentanten einer bestimmten Gruppe oder Institution angegriffen, auf die durch die Tat Einfluss 150 LINKSEXTREMISMUS genommen werden soll. Linksextremisten entscheiden willkürlich, wer als "Faschist" anzusehen und welche Meinung akzeptabel oder zu unterbinden ist. Zentrale Elemente des demokratischen Rechtsstaats wie das Akzeptieren demokratischer Mehrheitsentscheidungen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die freie Meinungsäußerung für Andersdenkende akzeptieren sie nicht. Das staatliche Gewaltmonopol wird abgelehnt. Neben der AfD, deren Mitglieder und Einrichtungen immer wieder das Ziel linksextremistischer Straftaten sind, werden auch Politikerinnen und Politiker anderer im Bundestag vertretener Parteien - wenn auch weniger häufig - bis hinunter auf die kommunale Ebene von Linksextremisten attackiert. Anders als im Fall der AfD richten sich diese Angriffe aber nicht pauschal gegen eine Partei als solche. Diese Taten knüpfen vielmehr an einzelne Personen, Themen oder Positionen an, wobei häufig lokale Sachverhalte oder Ereignisse zur Tat motivieren. Dies können ein entschiedenes öffentliches Auftreten einzelner Politikerinnen und Politiker gegen den (gewaltorientierten) Linksextremismus sein, aber auch einzelne missliebige wirtschafts-, klimaoder migrationspolitische Entscheidungen. Als Reaktion kommt es zu Sachbeschädigungen an Parteibüros, zur Störung von Parteiveranstaltungen und teilweise auch zu verbalen Anfeindungen gegen einzelne Personen auf einschlägigen Plattformen wie "de.indymedia". Direkte körperliche Angriffe auf Politikerinnen und Politiker anderer Parteien als der AfD sind bislang absolute Ausnahmefälle. Wahrscheinlicher sind Angriffe auf das Eigentum der angefeindeten Personen in ihrem privaten Umfeld. Neben der weiteren Entwicklung im Kampf für linksextremistische "Freiräume" und einer möglichen Zuspitzung gesellschaftlicher Proteste im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bergen auch die Klimaproteste vor dem Hintergrund der aus Sicht der Klimaaktivistinnen und -aktivisten unverändert dringlichen Situation ein nutzbares Eskalationspotenzial. Aufgrund des vielfach jugendlichen Alters der Protestierenden und der hohen öffentlichen Wahrnehmung ihrer Proteste ist die Klimaprotestbewegung insgesamt ein attraktives Ziel für Linksextremisten aus verschiedenen Spektren. Ein steuernder Einfluss von Linksextremisten auf die Klimabewegung ist allerdings aktuell nicht erkennbar. 151 LINKSEXTREMISMUS Darüber hinaus festigen zahlreiche Kennverhältnisse und häufige Reisetätigkeiten die internationale Vernetzung gewaltorientierter Linksextremisten, sorgen für ideologischen Austausch und gegenseitige Unterstützung. Vor diesem Hintergrund folgen auf staatliche Maßnahmen gegen Linksextremisten regelmäßig Akte der internationalen Solidarität. Durch die grenzüberschreitende Vernetzung entsteht aber auch ein gemeinsamer Aktionsraum, in dem die Planung und Durchführung schwerer Straftaten sowie die Rekrutierung für Gewalthandlungen im Inund Ausland stattfinden können - unabhängig von ideologischen Debatten oder mobilisierungsfähigen Großereignissen. Einen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet auch der nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremismus, sei es durch die Schaffung ideologischer Begründungszusammenhänge oder durch konkrete Unterstützungshandlungen im Umfeld. Die Strukturen innerhalb dieses Spektrums sind durchaus in der Lage, alte und neue Anhänger mit linksextremistischen Themen und Ideologiefragmenten zu indoktrinieren und als geistige Wegbereiter daran mitzuwirken, den Linksextremismus in all seinen Ausprägungen in die Gesellschaft zu tragen. Dabei stehen insbesondere junge Menschen im Fokus dogmatischer Linksextremisten, die sie - zum Beispiel durch persönliche Ansprache am Rande von Klimaprotesten (vgl. Nr. 6) oder vor Schulen - für sich zu gewinnen versuchen. III. Linksextremistische Strukturen Charakteristisch für die linksextremistische Szene ist ihre ausgeprägte Heterogenität. Diese zeigt sich im Hinblick auf die verschiedenen ideologischen Ausprägungen, den Organisationsgrad, die bevorzugten Aktionsformen sowie das Verhältnis zur Gewalt. Anhand der Einstellung zur Frage, ob Gewalt bereits in der Gegenwart ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sei oder erst in einer noch fernen "revolutionären Situation", lässt sich die Szene in gewaltorientierte und nicht gewaltorientierte Linksextremisten unterteilen. 152 LINKSEXTREMISMUS 1. Kommunismus oder Anarchismus als ideologische Basis Im Linksextremismus gibt es mit dem Kommunismus und dem Anarchismus zwei miteinander unvereinbare Ideologiefamilien. Kommunisten gründen ihre ideologische Weltsicht auf den von Kommunismus Karl Marx im 19. Jahrhundert propagierten "Historischen Materialismus". Demnach sei der Ablauf der Geschichte eine durch ökonomische Prozesse gesetzmäßig vorherbestimmte Entwicklung - von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus, den "Kapitalismus" und den Sozialismus bis hin zum Kommunismus als idealer Gesellschaftsform. Im derzeit aus linksextremistischer Sicht vorherrschenden "KapiRevolutionäre talismus" existiere ein "Klassenkampf" zwischen der lohnabhängiÜberwindung des gen Klasse ("Proletariat") und der im Besitz der Produktionsmittel "Kapitalismus" befindlichen, herrschenden Klasse ("Bourgeoisie"). Dabei wird der heutige "Kapitalismus" immer als untrennbare Einheit von marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung und demokratischem Rechtsstaat verstanden, welche allein der Erhaltung von Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnissen diene. So zielen Linksextremisten immer auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wenn sie mit diesem Verständnis den "Kapitalismus" adressieren. Die als notwendig erachtete Überwindung des "Kapitalismus" könne nicht durch politische Reformen, sondern nur durch einen Umsturz der bisherigen Staatsund Gesellschaftsordnung erfolgen. Der Gipfel dieses "Klassenkampfs" sei dann die Revolution des "Proletariats", die alle Klassenunterschiede aufheben werde. Marxisten streben vor dem Kommunismus den Sozialismus ("DikSozialismus als tatur des Proletariats") als Übergangsphase an. Darin soll der Staat Übergangsphase in Teilen bestehen bleiben und die Gesellschaft auf den Kommunismus vorbereitet werden. Hierzu soll beispielsweise das Privateigentum an Produktionsmitteln zugunsten einer Vergesellschaftung abgeschafft werden. Im Gegensatz dazu setzen sich Anarchisten die Abschaffung jeder Abschaffung jeglicher Form menschlicher Herrschaft über andere Menschen zum Ziel. Herrschaft im Den Sozialismus lehnen sie dabei genauso ab wie den "HistoriAnarchismus schen Materialismus". Anarchisten sind konsequent staatsfeindlich und wollen den Parlamentarismus unmittelbar durch eine "basisdemokratisch" organisierte Gesellschaft ersetzen. 153 LINKSEXTREMISMUS 2. Gewaltorientierte Linksextremisten Etwa 10.800 Linksextremisten in Deutschland sind als gewaltorientiert einzustufen (2021: 10.300). Zu dieser Gruppe zählen vor allem Autonome, Anarchisten sowie ein kleiner Teil des dogmatischen Spektrums. Funktion der Gewalt Für gewaltorientierte Linksextremisten ist "Militanz" die zentrale Handlungsform. Der demokratische Parlamentarismus stellt für sie keine effektiv funktionale Art der politischen Betätigung dar. Wahlen dienten lediglich dazu, den "Kapitalismus" durch den Schein eines Mitbestimmungsrechts zu erhalten und die angebliche strukturelle Gewalt des Staates zu legitimieren. Tatsächliche Veränderungen seien hingegen durch Wahlen nicht zu erreichen. Vor allem autonome Linksextremisten sehen sich dazu berechtigt, tatsächliche oder vermeintliche Missstände unmittelbar und selbst zu beseitigen. Durch kontinuierliche Angriffe auf den verhassten Staat soll dieser herausgefordert und auf lange Sicht hin geschwächt werden. Die häufig in Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlichten Ansichten sollen ausgeübten Taten Nachdruck verleihen und zur Nachahmung animieren. 2.1 Autonome Die etwa 8.300 Autonomen bilden die mit Abstand größte Gruppe im gewaltorientierten Linksextremismus. Trotz ihrer ideologischen, strategischen und organisatorischen Verschiedenheit teilen sie eine inhaltliche Grundannahme: Das Individuum und seine Selbstverwirklichung stehen im Mittelpunkt des politischen Handelns. Jede Form der Fremdbestimmung lehnen sie ab. Alle Staatsund Herrschaftsformen werden als autoritär erachtet und sollen zugunsten einer herrschaftsfreien Ordnung überwunden werden. Autonome als Autonome Szenen bilden sich primär in Großund/oder Univerurbanes Phänomen sitätsstädten. Meist verfügen sie dort über einen zentralen Anlaufpunkt, um den sich Kleingruppen, Einzelpersonen und lokale Ableger überregionaler oder bundesweiter Organisationen und Strukturen formieren. Die größten Szenen befinden sich in Berlin, Hamburg und Leipzig. Dort besitzen sie ein überdurchschnittlich hohes Aktionsniveau sowie Mobilisierungspotenzial und begehen 154 LINKSEXTREMISMUS eine Vielzahl von Strafund Gewalttaten. Hinzu kommt an diesen Orten ein breites sympathisierendes und anlassbezogen mobilisierbares Szeneumfeld. In selbst geschaffenen "Freiräumen" versuchen Autonome, alterSchaffung von native Lebensentwürfe zu verwirklichen. Damit gehen aus ihrer "Freiräumen" Sicht zwingend die Ablehnung und das Fernhalten staatlicher Ordnungsmacht einher. Durch die ständige "Eroberung" und Verteidigung von "Freiräumen" sollen Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens der "kapitalistischen Verwertungslogik" und staatlichen Einflüssen entzogen werden. Dafür besetzen Autonome leer stehende Häuser, gründen Wohngemeinschaften und genossenschaftliche Kleinbetriebe oder eröffnen autonome Zentren, Läden und Einrichtungen. Dem "kapitalistischen Gesellschaftssystem" sollen so Strukturen entgegengestellt werden, in denen die Einwirkungsmöglichkeiten staatlicher Institutionen aus Sicht von Linksextremisten punktuell außer Kraft gesetzt sind. Postautonome rücken die Vernetzung mit nicht gewaltorientierPostautonome ten Linksextremisten sowie nicht extremistischen Akteuren ins Zusammenschlüsse Zentrum ihres politischen Handelns. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und die Vermittlung theoretischer Grundlagen soll die Akzeptanz autonomer Ziele und Aktionen in der Gesellschaft verbessert werden. Vertreter dieser postautonomen Ausrichtung sind die IL und das kommunistische Bündnis uG. Deutlich stärker als in der Vergangenheit berufen sich einzelne Rückbesinnung auf autonome Gruppierungen auf ihre anarchistischen Wurzeln, ohne die anarchistischen dass grundlegende autonome Handlungsprämissen aufgegeben Wurzeln werden. Die Grenzen zwischen autonomen und anarchistischen Strömungen werden so zunehmend fließend. Die breitere ideologische Basis soll auch als Grundlage für langfristige Vernetzungen untereinander sowie mit anderen autonomen Gruppierungen im Inund Ausland dienen. Auf diese Weise werden die eigenen Einflussmöglichkeiten verbessert, das Mobilisierungspotenzial bei der Begehung von Straftaten vergrößert und die eigene Gefährlichkeit noch einmal gesteigert. Die Folge ist eine Vielzahl von Strafund Gewalttaten ("direkte Aktionen") vor allem gegen Personen und Einrichtungen, die den Staat repräsentieren. Ziel ist es, das von Linksextremisten bekämpfte System nicht erst in einer fernen, revolutionären Situation zu stürzen, sondern bereits jetzt 155 LINKSEXTREMISMUS unmittelbar "praktisch" anzugreifen und dadurch auch andere zu ähnlichen Taten zu mobilisieren ("Propaganda der Tat"). 2.2 Anarchisten Anarchisten lehnen die Herrschaft von Menschen über andere Menschen ab. Das beinhaltet die Freiheit vor jeder Form von staatlicher Hoheitsgewalt, auch derjenigen innerhalb freiheitlicher Demokratien. Im Anarchismus gibt es verschiedene Strömungen, die sich ideologisch oder durch ihren Organisationsgrad unterscheiden. Eher organisationsfeindliche, stark gewaltorientierte Anarchisten wollen den demokratischen Rechtsstaat bereits jetzt unmittelbar angreifen und gewaltsam zerschlagen. Die Übergänge zum autonomen Spektrum sind hier fließend. 2.3 Gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten Dogmatische Linksextremisten streben eine sozialistische Gesellschaftsordnung an, aus der langfristig eine "klassenlose" kommunistische Gesellschaft entstehen soll. Dabei befürwortet ein Teil der dogmatischen Linksextremisten bereits heute den Einsatz von Gewalt oder schließt ihn zumindest nicht explizit aus. So soll nach dem Aktionsprogramm der trotzkistischen GAM mithilfe einer "kampffähigen Partei" das bestehende Gesellschaftssystem "zerbrochen" und durch Arbeiterräte ersetzt werden. Zur Steigerung ihrer Einflussmöglichkeiten engagieren sich die GAM und die ihr nahestehende Jugendorganisation REVO in gesellschaftlichen Bewegungen wie der Klimaprotestbewegung oder im Kontext "Antigentrifizierung". Wie die GAM schließt auch REVO in ihrem Grundsatzprogramm Gewalt als mögliches strategisches Mittel nicht aus. Neben GAM und REVO ist auch die SDAJ als gewaltorientiert einzustufen. Die formal eigenständige Nachwuchsorganisation der DKP distanziert sich nicht von der Anwendung von Gewalt und arbeitet im Rahmen ihrer Bündnispolitik mit anderen gewaltorientierten Gruppierungen zusammen. 156 LINKSEXTREMISMUS Eine stark organisationsgebundene Ausprägung des Anarchismus Organisationsist der Anarchosyndikalismus. Dessen Anhänger organisieren sich gebundene als Föderation von Branchenund Einzelgewerkschaften, die Anarchisten sich sowohl für Arbeitskämpfe engagieren als auch eine Begleitung ihrer Mitglieder in unterschiedlichen Lebensbereichen, wie "Kulturund Bildungsarbeit" und "gegenseitige Hilfe im Alltag", anbieten. Damit werben sie Mitglieder mit dem Angebot der konkreten Verbesserung von Lebensund Arbeitsbedingungen an. Langfristig zielen syndikalistische Anarchisten auf die unmittelbare Abschaffung jeglicher Form von Herrschaft und damit auch des demokratischen Rechtsstaats und seiner Einrichtungen durch eine Revolution. Diese soll durch die Ausbreitung und Vernetzung ihrer lokalen Netzwerke angestoßen werden. Auch die Ideologie des Anarchosyndikalismus schließt Gewalt mit Blick auf die angestrebte "soziale Revolution" nicht aus, obgleich sie derzeit eine eher theoretische Rolle spielt. Erst mit Eintritt der "revolutionären Situation" seien Zeitpunkt und Voraussetzungen dafür gegeben. Der Strömung des Anarchosyndikalismus folgt mit der "Freien Arbeiter*innen-Union" (FAU) auch die mit etwa 1.400 Mitgliedern größte anarchistische Organisation in Deutschland. Nach Auffassung von Antiimperialisten wollen die "kapitalistiAntiimperialisten schen" Staaten durch "imperialistische" Politik neue Märkte auch gewaltsam erschließen, um Profite zu maximieren. Um dem zu begegnen, stelle Gewalt eine notwendige Komponente für den Kampf gegen den "Kapitalismus" beziehungsweise den "Imperialismus" dar. Anders als bei Gruppierungen, die sich streng an ideologischen Vordenkern orientieren, basiert die Ausrichtung von Antiimperialisten auf einer selbst definierten Auswahl verschiedener kommunistischer Theorien. Einer der zentralen antiimperialistischen Zusammenschlüsse ist "Perspektive die "Perspektive Kommunismus" (PK). In ihrem Grundlagentext Kommunismus" erklärt sie, eine Organisation sein zu wollen, "die auf ideologischer, kultureller und politischer Ebene eine reale Gegenmacht zur Macht von Staat und Kapital aufbaut". Die Anwendung von Gewalt verteidigt und rechtfertigt die PK als grundsätzlich legitim und notwendig. Ihre ideologische Orientierung basiert auf einem marxistisch-leninistischen Weltbild. Das "kapitalistische System" als Ursache für Unterdrückung und Ausbeutung müsse zerschlagen werden. Im Berichtsjahr mobilisierte die PK bundesweit für die 157 LINKSEXTREMISMUS Teilnahme an den Protesten gegen den G7-Gipfel 2022 auf Schloss Elmau. 3. Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten Die überwiegende Mehrheit der dogmatischen Linksextremisten ist als nicht gewaltorientiert einzustufen. Wie die meisten linksextremistischen Strukturen streben sie danach, durch ihr Handeln eine revolutionäre Situation herbeizuführen. Marxisten-Leninisten Im dogmatischen Linksextremismus zeichnen sich mehrere grundlegende Strömungen ab. Eine davon bilden traditionelle Marxisten-Leninisten, die auf der ideologischen Grundlage der Thesen von Karl Marx und Friedrich Engels eine auf Liniendisziplin ausgerichtete kommunistische Partei aufbauen wollen. Vertreter dieser Strömung sind die DKP und die MLPD sowie die von der Partei DIE LINKE als Bundesarbeitsgemeinschaft anerkannte "Kommunistische Plattform" (KPF). Marxisten-Leninisten folgen dem Dogma der Ideologie von Marx, Engels, Wladimir Iljitsch Lenin oder auch Josef Stalin und Mao Tsetung, das als unabdingbare Voraussetzung für den gesellschaftspolitischen Umsturz eine "revolutionäre Massenbasis" verlangt. Um diese "Massenbasis" zu etablieren, konzentrieren sie sich vor allem auf ideologische Überzeugungsarbeit, Vernetzung mit anderen "linken" und linksextremistischen Gruppierungen sowie auf unterschiedliche Strategien, den politischen Diskurs in die von ihnen angestrebte Bahn zu lenken und "revolutionär" zuzuspitzen. Dazu betreiben sie eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, mit der sie ihre Positionen und Analysen verbreiten, und bringen sich in ihnen relevant erscheinende Bündnisse und Kampagnen ein, zum Beispiel im Kontext der Klimaoder Wohnungspolitik. Dabei spitzen sie den politischen Diskurs zu, indem sie alle aktuellen Probleme auf den "Kapitalismus" als "Ursache allen Übels" zurückführen und als visionäre Lösung eine revolutionär zu etablierende sozialistische beziehungsweise kommunistische Gesellschaftsordnung anpreisen. Ihre Argumentationslinien, welche die demokratische Ordnung und ihre Institutionen diskreditieren, sollen marxistischleninistische Analyseraster gesellschaftsfähig machen und mithin den politischen Diskurs in Richtung der eigenen extremistischen 158 LINKSEXTREMISMUS Positionen verschieben. Hierdurch sollen revolutionäres Bewusstsein, eine "Massenbasis" und schließlich eine revolutionäre Situation geschaffen werden. Trotzkisten als weitere Strömung beziehen sich ebenfalls auf Marx, Trotzkisten Engels und Lenin, leiten ihre Revolutionstheorie allerdings aus der Lehre Leo Trotzkis ab. Sie verstehen den angestrebten revolutionären Prozess als permanente, internationale Revolution unter Führung von Arbeiterräten. Trotzkisten fehlt die traditionelle Liniendisziplin kommunistischer Parteien, daher sind sie besonders häufig von internen Spaltungen betroffen. Die organisatorische Schwäche gleichen Trotzkisten durch den Griff nach anderen Strukturen aus. Teils offen, teils verdeckt versuchen sie, Aktionsbündnisse, Kampagnen und Organisationen mit ihren trotzkistischen Kadern zu infiltrieren. Diese Strukturen sollen unter ihre Kontrolle gebracht oder zumindest ein Kern an trotzkistischen Kadern darin verankert werden. Ziel jener als Entrismus bezeichneten Unterwanderungsstrategie ist es, die schon organisierten Bündnisse und Bewegungen für den angestrebten Aufbau der revolutionären Massenbewegung zu instrumentalisieren. So agieren trotzkistische Strukturen wie das Netzwerk "marx21" im Bereich der Partei DIE LINKE und ringen darum, Einfluss auf den politischen Diskurs zu nehmen. Daneben arbeiten Mitglieder weiterer trotzkistischer Organisationen wie GAM, REVO, "Sozialistische Alternative" (SAV), "Sozialistische Organisation Solidarität" (Sol) sowie der "Internationalen Sozialistischen Organisation" (ISO) offen oder verdeckt in politischen Strukturen und zielen so darauf ab, ihre Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse auszuweiten sowie auf Gruppierungen und Themen von gesellschaftlicher Relevanz "revolutionsfördernd" einzuwirken. 4. "Rote Hilfe e.V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) ist mit rund 13.100 Mitgliedern und bundesweit etwa 50 Ortsgruppen die größte und eine der wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus. Die Mitgliederzahl der RH nimmt, wie bereits in den letzten Jahren, weiterhin zu (2021: 12.100, 2020: 11.000). Ihr primäres Betätigungsfeld ist die Unterstützung linksextremistischer Straftäter sowohl im 159 LINKSEXTREMISMUS Strafverfahren als auch während der Haftzeit. Sie bietet ihnen politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische sowie finanzielle Unterstützung. Ihre Agitation zielt darauf ab, das strafrechtliche Abschreckungspotenzial zu mindern. Die RH sorgt für eine bundesweite Vernetzung, sichert innerhalb der Szene den übergreifenden Zusammenhalt der unterschiedlichen Strömungen und bietet einen Legitimationsrahmen für die Begehung von Strafund Gewalttaten. Bei der Auswahl und Begründung der Unterstützungsfälle lässt sie erkennen, dass sie die Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht nur befürwortet, sondern auch unterstützt. So führte die RH ihre Unterstützung für zwei Linksextremisten fort, die am 13. Oktober 2021 in erster Instanz vom OLG Stuttgart aufgrund eines gewalttätigen Übergriffs am Rande einer "Querdenker"-Demonstration wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen in Höhe von viereinhalb und fünfeinhalb Jahren verurteilt worden waren. Das Urteil wurde am 13. Juli 2022 vom Bundesgerichtshof bestätigt und ist somit rechtskräftig. Daneben versuchte die RH, durch intensive Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und den Rechtsstaat zu delegitimieren, indem sie ihm einen "repressiven Charakter" unterstellt und Gerichtsentscheidungen als politisch motivierte Klassenjustiz abqualifiziert. Insbesondere Sicherheitsbehörden werden von der RH diskreditiert und der Eindruck eines "Polizeiund Willkürstaates" erweckt. So wird beispielsweise die Polizei stets als "gewalttätig" und "rassistisch" diffamiert. "Hans-LittenZur Struktur der RH gehört das "Hans-Litten-Archiv e.V." (HLA), Archiv e.V." das am 18. Februar 2005 in Göttingen (Niedersachsen) gegründet worden ist und sich in seiner Satzung selbst als "Rote-Hilfe-Archiv" bezeichnet. Beim HLA handelt es sich um eine extremistische Struktur, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Denn das HLA handelt für die RH, indem es sie nachdrücklich in ihren verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Die Bundesgeschäftsstelle der RH und der Sitz des Archivs befinden sich in demselben Haus in Göttingen. Das HLA erhält finanzielle Unterstützung von der RH. Regelmäßig erscheinen Artikel von Vorstandsmitgliedern des HLA in der RH-Zeitung "DIE ROTE HILFE" und die RH wirbt in in ihrer Zeitung dafür, Fördermitglied im HLA zu werden. 160 LINKSEXTREMISMUS IV. Linksextremistische Vernetzungsbestrebungen Ein Wesensmerkmal linksextremistischer Agitation ist das ständige Bemühen um die Ausweitung der eigenen Einflussmöglichkeiten. Auf zahlreichen Ebenen versuchen Linksextremisten, durch Vernetzung ihre Wirkkraft zu erhöhen und ihre Positionen zu verbreiten. Die Voraussetzung hierfür bietet häufig ihr ideologisches Grundgerüst, welches trotz Unterschieden hinsichtlich der konkreten Ziele oder der teilweise gewaltsamen Aktionsformen spektrenübergreifend und auch über Ländergrenzen hinweg verbindet. 1. Vernetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene Neben linksextremistischen Parteien haben sich auch in organisationskritischen Bereichen wie dem autonomen Linksextremismus langlebige Vernetzungsstrukturen etabliert. Wesentliche Akteure sind die IL und das kommunistische Bündnis uG. Diese strategischen Bündnisstrukturen spielen für die Überwindung der Organisationsdefizite, aber auch für die Kampagnenfähigkeit des Linksextremismus eine entscheidende Rolle. Die postautonome IL ist mit etwa 1.000 Mitgliedern in zahlreichen "Interventionistische Arbeitsgruppen und regionalen Gliederungen erster AnsprechLinke" (IL) partner bei der überregionalen Organisierung. Sie bekennt sich zu einer antikapitalistischen, aber nicht eindeutig traditionellen kommunistischen Lehre und verfolgt eine kampagnenorientierte Strategie, die eine längerfristige Zusammenarbeit über ideologische Grenzen hinweg ermöglicht. Mit ihrem offenen Ansatz fungiert die IL als Bindeglied zwischen Autonomen, dogmatischen und sonstigen Linksextremisten bis hin zu demokratischen Protestinitiativen. Gleiches gilt für die Aktionsformen: Um eine Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Lagern wahrnehmen zu können, verzichtet die IL aus strategischen Gründen einerseits auf die Propagierung von Gewalt, ohne sich andererseits von gewaltsamen Aktionsformen zu distanzieren. Die IL hat sich 2022 auch angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als inhaltlichen Schwerpunkt das linksextremistische Aktionsfeld "Antimilitarismus" gesetzt und zum Aufbau einer neuen "Antikriegsbewegung" aufgerufen, um eine solche in ihrem Sinne ideologisch zu formen. Um eine höhere 161 LINKSEXTREMISMUS Anschlussfähigkeit zu generieren, versuchte sie auch, Einfluss auf die Klimaprotestbewegung zu nehmen und die Themenfelder "Antimilitarismus" und Klimaschutz miteinander zu verbinden. So organisierte die IL gemeinsam mit dem spektrenübergreifenden Bündnis Rheinmetall Entwaffnen Anfang September 2022 in Kassel ein mehrtägiges "antimilitaristisches Protestcamp" und Aktionstage mit Demonstrationen und Blockaden gegen dort ansässige Rüstungsunternehmen. Die Organisatoren wollten offensichtlich die zur gleichen Zeit stattfindende Kunstausstellung documenta fifteen als Bühne für ihre Zwecke nutzen. Es ist ihnen jedoch weder gelungen, Akteure aus der Klimabewegung für ihre Proteste zu mobilisieren, noch eine ideologisch in ihrem Sinne beeinflusste "Antikriegsbewegung" aufzubauen. Zugleich sah sich die IL zunehmend deutlich - teilweise auch von ehemaligen Mitgliedern - der Grundsatzkritik ausgesetzt, sie laufe "Gefahr, Geschichte geworden zu sein". Die IL äußerte sich zu diesen Vorwürfen nicht, sondern scheint vielmehr in ihrer inhaltlichen und organisatorischen Entwicklung auf der Stelle zu treten. Ein Indiz dafür ist, dass das bislang einzige Grundsatzpapier der IL, das "Zwischenstandspapier" aus dem Jahr 2014, bisher nicht weiterentwickelt worden ist. "...ums Ganze!" (uG) Auch uG hat die bundesweite Vernetzung als Ziel. Das kommunistische Bündnis ist ein Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene und vereint "linksradikale und kommunistische Gruppen", um die Wahrnehmbarkeit der etwa 260 Mitglieder und ihrer Themen zu erhöhen. Dabei folgt uG weniger dem kampagnenorientierten Ansatz, sondern versucht, autonome Ideologiedefizite zu überwinden. Neben der Theoriearbeit agiert uG in der Praxis vor allem im Zusammenhang mit bundesweiten Großereignissen. Seit 2016 betreibt das Bündnis zudem die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA), die sich insbesondere gegen die AfD richtet. "Anarchistische Weitere Vernetzungsmöglichkeiten bieten "Anarchistische BibBibliotheken" liotheken", die in autonomen und anarchistischen Strömungen verwurzelten Linksextremisten sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland als Trefforte dienen. Es handelt sich dabei nicht allein um Bibliotheken, sondern um Orte, an denen Kennverhältnisse und die internationale Vernetzung der Szene gefördert, autonome und anarchistische Literatur verbreitet und 162 LINKSEXTREMISMUS ideologische Vortragsveranstaltungen organisiert werden. So fand vom 26. bis 29. Mai 2022 die "VI. Anarchistische Buchmesse" in Mannheim (Baden-Württemberg) statt. Angeboten wurden neben Vorträgen, Diskussionen und Lesungen auch Workshops sowie Buchvorstellungen unter anderem zum Thema "Erfahrung Rojava - Berichte aus der Solidaritätsarbeit in Nord-Ostsyrien". Im Rahmen der Buchmesse wurde das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der anarchistischen Zeitung "Graswurzelrevolution" gefeiert. Auch für die "Anarchist Bookfair" vom 4. bis 5. Juni 2022 in Stockholm (Schweden) hatten Anarchisten aus Deutschland ihre Teilnahme angekündigt und für ihren dortigen Stand geworben. Die anarchistische Bibliothek "Frevel" in München wurde im April 2022 neben mehreren anderen Objekten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft wegen des Tatverdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 Strafgesetzbuch durchsucht. Den drei Beschuldigten des Verfahrens wird vorgeworfen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine linksextremistische Publikation herausgegeben und in dieser unter anderem zu Angriffen auf Polizisten oder zu Brandanschlägen auf Infrastruktureinrichtungen aufgerufen zu haben. Zudem habe die Publikation ein linksextremistisches Weltbild propagiert und linksextremistisch motivierte Straftaten verherrlicht. Bei den Durchsuchungen wurden insgesamt mehrere Hundert Beweismittel sichergestellt. 2. Beeinflussung demokratischer Diskurse Linksextremisten sind bemüht, tagespolitisch bedeutsame Themen gezielt aufzugreifen, um Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse zu nehmen. Dabei wird versucht, linksextremistische Positionen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext einzubetten und zivildemokratischen Protest um eine militante Komponente zu ergänzen. Im Kern geht es Linksextremisten dabei vor allem um die Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen, zum Beispiel indem der Staat fortwährend als "faschistisch" und "rassistisch" oder rechtmäßiges staatliches Handeln als "repressiv" oder "Polizeigewalt" diffamiert wird. Damit soll das Vertrauen in den Staat und seine Legitimation gezielt untergraben werden. 163 LINKSEXTREMISMUS Im Jahr 2022 rückten dabei die Rüstungsindustrie im Kontext "Antimilitarismus" sowie Energieunternehmen im Kontext Klimaschutz in den Fokus von Linksextremisten. Hieran wird deutlich, wie sehr sich linksextremistische Agitation an aktuellen Themen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, orientiert. Eine angekündigte Kampagne der IL unter dem Schlagwort "Heißer Herbst", die lokale Aktivitäten zusammenführen und den Protest auf der Straße anheizen sollte, war nicht erfolgreich. 3. Vernetzungen mit Linksextremisten im Ausland Die Vernetzung mit ideologisch Gleichgesinnten im Inund Ausland hat eine lange Tradition und ist ein immanentes Merkmal des Linksextremismus. Auch im Jahr 2022 hielt das Bemühen deutscher Linksextremisten um den Aufbau möglichst vielfältiger Kontakte an, aus denen sich auf verschiedenen Ebenen auch strategische Ansätze der Zusammenarbeit entwickeln können. Auf diese Weise bilden sich vielschichtige Netzwerke von Einzelpersonen und Kleingruppen, die geprägt sind von jahrelangen persönlichen Bekanntschaften und Szenezugehörigkeiten sowie einem umfangreichen Kontaktspektrum verbunden mit wechselseitigen Reisebewegungen und Teilnahmen an Veranstaltungen. Dies gilt sowohl für den anarchistischen als auch den autonomen Linksextremismus. Diese grenzüberschreitende Vernetzung führt dazu, dass insbesondere auf staatliche Maßnahmen gegen Linksextremisten auch von gewaltorientierten linksextremistischen Akteuren in anderen Staaten regelmäßig mit Solidaritätsbekundungen und -aktionen reagiert wird. Auch im Jahr 2022 fanden zahlreiche solcher Solidaritätsaktionen und -straftaten statt, vor allem mit Bezugnahme auf in Griechenland und Italien inhaftierte Anarchisten. Diese sind meist wegen schwerer Straftaten bis hin zu mehrfachem Mord bereits verurteilt oder deswegen angeklagt. Vor allem in Berlin kam es in diesem Zusammenhang zu mehreren Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Fahrzeugen der Polizei sowie eines griechischen Diplomaten; betroffen waren aber auch eine Autovermietung in Hamburg und Gebäudedienstleister in Bremen. Sie werden dabei 164 LINKSEXTREMISMUS wahlweise als "Knastprofiteur*innen" oder Verantwortliche für staatliche Repression angegriffen. Am 11. Juli 2022 drangen sieben mutmaßliche Linksextremisten in das Botschaftsgebäude der Hellenischen Republik Griechenland in Berlin ein und forderten im Wartebereich der Konsularabteilung die Freilassung eines sich in griechischer Haft im Hungerstreik befindlichen Anarchisten. 4. Vernetzungen zu Extremisten mit Auslandsbezug Deutsche Linksextremisten arbeiten immer wieder auch mit linksextremistischen Organisationen aus dem Bereich des nicht islamistischen auslandsbezogenen Extremismus zusammen. Im Rahmen der "Kurdistansolidarität" solidarisieren sie sich mit den kurdischen Autonomiebestrebungen und insbesondere mit der in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Der Beitrag deutscher Linksextremisten reicht dabei von prokurdischer Propaganda bis hin zu vereinzelten Reisen in die kurdischen Siedlungsgebiete im Osten der Türkei, in Nordsyrien und im Nordirak. Dogmatische Linksextremisten kooperieren zudem regelmäßig anlassbezogen mit türkischen Linksextremisten oder extremistischen Palästinensern. V. Linksextremistische Internetnutzung Linksextremisten benötigen die öffentliche Aufmerksamkeit zur Verbreitung ihrer Ideologie. Gewaltorientierte Linksextremisten brauchen zudem eine Plattform, um Strafund Gewalttaten öffentlich vermitteln und ihren Forderungen Nachdruck verleihen zu können. 1. Linksextremistische Internetplattform "de.indymedia" Die linksextremistische Internetplattform "de.indymedia" ist das derzeit wichtigste Informationsund Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum. Ziel ist die Schaffung einer "Gegenöffentlichkeit" frei von staatlicher Kontrolle. Die Plattform funktioniert nach dem Prinzip des "Open-Posting": Alle Nutzenden haben die Möglichkeit, über ein 165 LINKSEXTREMISMUS Eingabeformular Beiträge anonym und ohne den Zwang zur Registrierung, in Echtzeit und ohne vorherige Kontrolle der Inhalte zu veröffentlichen. Verwaltet werden die Beiträge nach der Veröffentlichung von sogenannten Moderationskollektiven. Beiträge oder Auf "de.indymedia" erscheint eine Vielzahl von Beiträgen, die eiAufrufe zu Strafund nen Bezug zu linksextremistischer Gewalt und Straftaten haben Gewalttaten oder selbst strafrechtlich relevant sind. So werden regelmäßig Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, wie sie in Auszügen hier bereits dargestellt wurden. Gleichzeitig wird dazu aufgerufen, weitere Taten zu begehen. Auch finden über "de.indymedia" immer wieder "Outings" statt. Insbesondere nach linksextremistisch motivierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen werden regelmäßig Beiträge auf "de.indymedia" veröffentlicht, in denen die Tat begründet und die Vorgehensweise beschrieben wird. Ein Beispiel für Beiträge dieser Art ist ein am 2. Mai 2022 veröffentlichtes Selbstbezichtigungsschreiben, mit dem sich unbekannte Verfasser zu einem Brandanschlag in der Nacht auf den 29. April 2021 auf einen Funkmast der Deutschen Bahn AG in Markkleeberg (Sachsen) bekennen: "Wir haben die deutsche Bahn als Teil der Kriegslogistik in Europa angegriffen. Wir haben nicht vergessen, dass dieser Konzern(auch wenn er sich zurzeit mit 'humanitären' Lieferungen in die Ukraine, das Image reinwaschen will) seit Jahren an Waffenlieferungen beteiligt ist. (...)" (Internetplattform "de.indymedia", 2. Mai 2022) Wie die meisten Beiträge dieser Art wurde auch dieses Tatbekenntnis zu einer erheblichen linksextremistischen Straftat nicht von der Plattform entfernt. Gelöscht werden von den "Moderationskollektiven" dagegen Spam-Beiträge oder Inhalte, die mutmaßlich "unter falscher Flagge" veröffentlicht werden - beispielsweise von Rechtsextremisten. Lediglich in Einzelfällen werden hingegen Beiträge mit linksextremistischem Hintergrund gelöscht, wenn diese eine - aus Sicht der "Moderationskollektive" - erhebliche Gefährdung für Leib oder Leben von Menschen entfalten könnten. Umso mehr müssen sich die Betreiber von "de.indymedia" die Beiträge mit linksextremistischen oder strafbaren Inhalten zurechnen 166 LINKSEXTREMISMUS lassen, die nicht zeitnah gelöscht werden. So wird Linksextremisten wissentlich eine Plattform geboten, die diese in hohem Maße für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke nutzen. Die Plattform "de.indymedia" wurde auch im Tor-Netzwerk ("Darknet")73 angelegt. Über gemeinsame Schnittstellen werden Beiträge im Clearund Darknet gespiegelt und die Plattformen untereinander synchronisiert. Durch diesen dezentralen Ansatz wird versucht, die Plattform und ihre Inhalte gegen Angriffe von außen oder technische Probleme zu sichern. 2. Weitere von Linksextremisten genutzte Internetplattformen Neben "de.indymedia" existieren verschiedene Plattformen, die sich auf bestimmte Städte oder Regionen im deutschsprachigen Raum beziehen und die auch von Linksextremisten genutzt werden. Zu diesen Plattformen gehören "kontrapolis.info" (Berlin), "tumulte.org" (Bremen) oder "knack.news" (Leipzig). Neben Beiträgen, die sich ebenso auf "de.indymedia" finden, gibt es hier auch exklusive Inhalte mit vor allem regional bedeutsamem Bezug. Im Jahr 2022 haben diese regional ausgerichteten Plattformen an Relevanz hinzugewonnen. Beiträge dieser und weiterer von Linksextremisten genutzten Plattformen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind auch auf "radikal.news - Nachrichten von Unten" abrufbar. Die Website versteht sich als "ein Netzwerk selbstorganisierter Infoseiten" für den deutschsprachigen Raum. Hiermit solle auch die Lücke gefüllt werden, die nach dem Verbot und der Abschaltung der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia" im Jahr 2017 entstanden sei. Zudem sollen die beteiligten Plattformen durch eine breitere Aufstellung vor potenziellen staatlichen Maßnahmen geschützt werden. 73 Das "Darknet" ist ein auf Nutzer-zu-Nutzer-Verbindungen basierendes Netzwerk, dessen weitverzweigte Struktur die Verschleierung des Datenaustauschs ermöglicht. 167 LINKSEXTREMISMUS VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: Ende 2005 Mitglieder/Anhänger 1.000 (2021: 1.000) in Deutschland: in 28 Ortsgruppen Publikationen/Medien: "Arranca!" (Zeitschrift, halbjährlich, Auflage: 1.500) Ortsgruppen, die in "I Furiosi" ihrem Namen nicht (Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen) sofort die Zugehörigkeit "see red!" zur IL erkennen lassen: (Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen) "Basisdemokratische Linke" (Göttingen, Niedersachsen) "Sozialistische Perspektive" (Göttingen, Niedersachsen) "Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg" (AKUT [+C]) (Heidelberg, Baden-Württemberg) "Antifaschistische Initiative" (Heidelberg, Baden-Württemberg) "Organisierte Linke Heilbronn" (Heilbronn, Baden-Württemberg) "PRISMA - IL Leipzig" (Leipzig, Sachsen) "Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t." (Marburg, Hessen) 168 LINKSEXTREMISMUS Die "Interventionistische Linke" (IL) wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivistinnen und Aktivisten gegründet. Umgeformt zu einer bundesweiten Organisation verfügt die IL heute über 28 Ortsgruppen in ganz Deutschland. Diese haben sich überwiegend als IL-Ortsgruppen benannt, sodass auch lokales Handeln eindeutig als Handeln der IL wahrgenommen werden kann. Ortsgruppen, die aufgrund ihres Namens nicht sofort als zur IL gehörig zu erkennen sind, agieren anlassbezogen unter dem gemeinsamen IL-Label. Einzelne Ortsgruppen der IL sind international gut vernetzt, vor allem mit Linksextremisten aus den jeweils benachbarten Staaten. Mit der "IL Graz" gibt es auch eine Ortsgruppe in Österreich. Ziel der IL ist die Überwindung des "Kapitalismus" - verstanden als untrennbare Einheit von demokratischem Rechtsstaat und marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung. Dies soll mittels eines revolutionären Umsturzes erreicht werden. Die IL bemüht sich in Bündnissen und Initiativen um eine aktionsorientierte Zusammenführung linksextremistischer Akteurinnen und Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung zugunsten einer erhöhten Handlungsfähigkeit sowohl in Deutschland als auch in internationalen Kampagnen und Netzwerken. Die IL fungiert dabei als Scharnier zwischen militanten Strukturen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nicht extremistischen Gruppen und Initiativen. So beteiligt sich die IL beispielsweise maßgeblich mit dem von ihr beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" (EG) an den Protesten gegen die Nutzung fossiler Energieträger. Im Sinne ihres bündnispolitischen Ansatzes ist die Einstellung der IL zur Gewalt taktisch geprägt: Gewaltanwendung wird nicht grundsätzlich abgelehnt; gleichzeitig ist der Verzicht auf die öffentliche Propagierung von Militanz strategisch notwendig, um die Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Spektren ausfüllen zu können. 169 LINKSEXTREMISMUS 2. "...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis" (uG) Gründung: 2006 Mitglieder/Anhänger 260 (2021: 280) in Deutschland: in zehn Ortsgruppen Publikationen/Medien: "mole" (Englisch für: "Maulwurf"; Zeitung erscheint unregelmäßig) Mitgliedsgruppen: "antifa nt - Autonome Antifa München" (München, Bayern) "Theorie.Organisation.Praxis" (Berlin) "Basisgruppe Antifaschismus (BA)" (Bremen) "Kritik&Praxis" (Frankfurt am Main, Hessen) "Communist Action & Theory (Marburg, Hessen) "Redical [M]" (Göttingen, Niedersachsen) "In/Progress" (Braunschweig, Niedersachsen "Antifa AK Köln" (Köln, Nordrhein-Westfalen) "Eklat Münster" (Münster, Nordrhein-Westfalen) "Critique'n'act" (Dresden, Sachsen) Das kommunistische Bündnis "...ums Ganze!" (uG) ist ein Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene. Als uG-Bündnis bündeln die ansonsten autonomen Gruppen anlassbezogen ihre Kräfte, um überregional wahrnehmbar und handlungsfähig zu sein - zum Beispiel in Aktionsbündnissen und bei Großveranstaltungen. Neben zehn Ortsgruppen in Deutschland gibt es mit der "autonomen antifa [w]" auch eine Mitgliedsgruppe in Österreich. Im Rahmen seines "antifaschistischen Kampfes" betreibt uG seit 2016 die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA). 170 LINKSEXTREMISMUS 3. "Perspektive Kommunismus" (PK) Gründung: April 2014 Mitglieder/Anhänger 100 (2021: 120) in Deutschland: in fünf eigenständigen Organisationen Publikationen/Medien: "1. Mai Zeitung" (jährlich zum 1. Mai) Mitgliedsgruppen: "Antikapitalistische Linke München" (Bayern) "Linke Aktion Villingen-Schwenningen" (Baden-Württemberg) "Revolutionäre Aktion Stuttgart" (Baden-Württemberg) "Revolutionäre Aktion Karlsruhe" (Baden-Württemberg) "Roter Aufbau Hamburg" (Hamburg) Die "Perspektive Kommunismus" (PK) ist ein antiimperialistischer Zusammenschluss von revolutionär-kommunistisch ausgerichteten Gruppen mit einem marxistisch-leninistischen Weltbild. Ihr Ziel ist die revolutionäre Überwindung des "kapitalistischen Systems". Hierfür bemüht sich die PK um eine "bundesweite revolutionäre Organisation" als "reale Gegenmacht zur Macht von Staat und Kapital". 171 LINKSEXTREMISMUS 4. "Freie Arbeiter*innen-Union" (FAU) Gründung: 1977 Sitz: Krefeld (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Geschäftskommission Mitglieder/Anhänger 1.400 (2021: 1.200) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Direkte Aktion" (Onlinezeitung, unregelmäßig) Die anarchistische "Freie Arbeiter*innen-Union" (FAU) bezeichnet sich selbst als eine "klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation". Sie setzt sich aus verschiedenen lokalen "Syndikaten" zusammen. Laut eigener Darstellung war die FAU im Jahr 2022 bundesweit in 40 Orten vertreten. Die FAU strebt die Überwindung des "Kapitalismus" mittels einer "sozialen Revolution" an. Dies will sie zunächst durch Betriebskämpfe erreichen. Im Gegensatz zu demokratisch orientierten Arbeitnehmervertretungen vertritt die FAU die linksextremistische Ideologie, dass bessere Arbeitsbedingungen langfristig nur in einer anarchistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung gegeben sein können, welche sie nach der erfolgreichen "sozialen Revolution" errichten will. 172 LINKSEXTREMISMUS 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen (Niedersachsen) Bundesgeschäftsstelle Leitung/Vorsitz: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger 13.100 (2021: 12.100) in Deutschland: in rund 50 Ortsgruppen Publikationen/Medien: "DIE ROTE HILFE" (Zeitschrift, vierteljährlich und als Onlinemagazin) Die "Rote Hilfe e.V." (RH) definiert sich laut Satzung als eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie leistet straffälligen und gewalttätigen Personen aus dem linksextremistischen Spektrum politische und finanzielle Unterstützung, beispielsweise bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten sowie bei Geldstrafen und Geldbußen. Ferner versucht die RH, durch meinungsbildende Öffentlichkeitsarbeit (Publikationen, Vorträge, Demonstrationen) die Sicherheitsund Justizbehörden sowie die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren. Dazu organisiert sie unter anderem Informationsund Diskussionsveranstaltungen zu Themenfeldern wie "staatliche Repression" und fordert dazu auf, grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten zu verweigern. Darüber hinaus betreut die RH rechtskräftig verurteilte Straftäterinnen und Straftäter während ihrer Haft, um diese weiter beziehungsweise stärker an die "Bewegung" zu binden. Beispielsweise hält sie persönlichen Kontakt zu Inhaftierten, um sie zum "Weiterkämpfen" zu motivieren. Zur Struktur der RH gehört das im Jahr 2005 in Göttingen gegründete "Hans-Litten-Archiv e.V." (HLA), welches sich in seiner Satzung selbst als "Rote-Hilfe-Archiv" bezeichnet. Durch die nachdrückliche Unterstützung der linksextremistischen RH liegen beim HLA eigene extremistische Bestrebungen vor.74 74 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2020 - OVG 1 S 99.19. 173 LINKSEXTREMISMUS 6. "junge Welt" (jW) Gründung: 1947 Sitz: Berlin Verlag: "Verlag 8. Mai GmbH"; gehört zur "Linke Presse Verlags-, Förderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G." (LPG) Chefredakteur: Stefan Huth Erscheinungsweise: täglich Die Tageszeitung "junge Welt" (jW) strebt die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischen Verständnis an. Sie ist das bedeutendste und auflagenstärkste Medium im Linksextremismus mit einer Druckauflage von 20.400 Exemplaren (samstags 23.500 Exemplare). Die jW ist mehr als ein Informationsmedium. Sie wirkt als politischer Faktor und schafft Reichweite durch Aktivitäten wie zum Beispiel die Durchführung der alljährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stammund Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Die jW erklärt sich nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit. Vielmehr bietet sie immer wieder eine öffentliche Plattform für Personen und Organisationen, die politisch motivierte Straftaten befürworten. 174 LINKSEXTREMISMUS 7. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Patrik Köbele Mitglieder/Anhänger 2.850 (2021: 2.850) in Deutschland: Publikationen/Medien: "unsere zeit" (Zeitung, wöchentlich) "Marxistische Blätter" (Theoriemagazin, zweimonatlich) "POSITION" (Magazin der SDAJ, zweimonatlich) Jugendorganisation: "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) mit 670 Mitgliedern (2021: 670) Die marxistisch-leninistische "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) hat als Ziel in ihrem Parteiprogramm den "revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen" formuliert. Die von ihr angestrebte Staatsund Gesellschaftsordnung ist "der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation". Die linksextremistische Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Sie betont zudem, "stets eng verbunden" mit der ehemaligen "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) gewesen zu sein. Die DKP betätigt sich hauptsächlich in den Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus" und "Antikapitalismus". Bei der regelmäßigen Teilnahme an Wahlen verzeichnete die Partei bislang keine nennenswerten Erfolge. Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist laut ihrer Satzung "eine eigenständige Jugendorganisation", betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der DKP. Gemeinsames Ziel ist die Abschaffung des "Kapitalismus" und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Bei der Wahl ihrer Bündnispartner für den revolutionären Kampf schließt die SDAJ gewaltbereite Linksextremisten nicht aus. 175 LINKSEXTREMISMUS 8. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Gabi Fechtner Mitglieder/Anhänger 2.800 (2021: 2.800) in Deutschland: in acht Landesverbänden Publikationen/Medien: "Rote Fahne" (Magazin, zweiwöchentlich) Jugendorganisation: "REBELL" mit 600 Mitgliedern (2021: 150) 176 LINKSEXTREMISMUS Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) hält an ihrer streng maoistisch-stalinistischen Ausrichtung fest und zielt auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung als Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Dafür sei "der Kampf für eine sozialistische Perspektive, die revolutionäre Überwindung von Kapitalismus und Imperialismus" notwendig. Die MLPD nimmt regelmäßig an Wahlen teil, häufig auch unter der Bezeichnung "Internationalistische Liste/MLPD". Auch ruft sie über ihre parteiinternen Kommunikationswege zur Beteiligung an politischen Veranstaltungen und Demonstrationen auf. Die Partei nutzt die Teilnahme an Wahlen, Veranstaltungen, Protesten sowie auch Streiks, um ihre sozialistische/kommunistische Ideologie zu verbreiten und neue Mitglieder anzuwerben. Daneben zeigen die MLPD und ihre 1992 gegründete Jugendorganisation "REBELL" großes Engagement rund um die Klimaprotestbewegung, vor allem bei Demonstrationen. Auch hier wird die besondere Bedeutung der Jugendarbeit für die Partei deutlich. Die MLPD betrachtet die Jugend als "Avantgarde". Ihre Jugendorganisation teilt nicht nur Ideologie und Ziele mit der MLPD. "REBELL" unterstützt essenziell die Indoktrinierung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und zielt darauf, Nachwuchs für die linksextremistische Partei zu gewinnen. Neben Ansprachen am Rande von Klimaprotesten veranstaltet "REBELL" unter anderem alljährlich das "internationale Pfingstjugendtreffen", welches nach eigener Darstellung der Förderung des Erfahrungsaustauschs und der "organisierten Rebellion" diene. 177 LINKSEXTREMISMUS 9. "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP), deutsche Sektion des "Internationalen Komitees der Vierten Internationale" (IKVI, Abspaltung der "Vierten Internationale") Gründung: 2017 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Christoph Vandreier Mitglieder/Anhänger 281 (2021: 281) in Deutschland: Publikationen/Medien: "World Socialist Website" (Onlinepublikation) Die "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP) geht von einem mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden marxistischen Klassendenken sowie der Propagierung des Klassenkampfes aus. Sie fordert den Sturz des "Kapitalismus", verstanden als untrennbare Einheit von demokratischem Rechtsstaat und marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung. Im Ergebnis zielt die Forderung auch auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Durch die Kandidatur bei Wahlen sowie durch Vortragsveranstaltungen versucht die Partei, für ihre politischen Vorstellungen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Die SGP erkennt die Autorität des trotzkistischen Dachverbands "Internationales Komitee der Vierten Internationale" (IKVI) an und folgt der trotzkistischen Theorie einer sozialistischen Revolution als Prozess unter Führung von Arbeiterräten ("Permanente Revolution"). 178 Islamismus/ islamistischer Terrorismus 179 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf den Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab. Der Islamismus basiert auf der Überzeugung, dass der Islam nicht nur eine persönliche, private "Angelegenheit" ist, sondern auch das gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung bestimmen oder zumindest teilweise regeln sollte. Der Islamismus postuliert die Existenz einer gottgewollten und daher "wahren" und absoluten Ordnung, die über den von Menschen gemachten Ordnungen steht. Mit ihrer Auslegung des Islam stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. Ein wesentliches ideologisches Element des Islamismus ist außerdem der Antisemitismus. Der "Islamismus" umfasst verschiedene Strömungen, die sich hinsichtlich ihrer ideologischen Auslegungen, ihrer geografischen Orientierung sowie ihrer Strategien und Mittel unterscheiden. Legalistische Strömungen wie die "Milli Görüs"-Bewegung versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahmen eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen. Die Anhänger islamistisch-terroristischer Gruppierungen wie HAMAS und "Hizb Allah", zu deren Zielen die Vernichtung Israels zählt, sind auf ihre Herkunftsregionen fokussiert und wenden schwerpunktmäßig dort terroristische Gewalt an. Jihadistische Gruppierungen wie der "Islamische Staat" (IS) und "al-Qaida" sehen in ihrem Kampf für einen "Gottesstaat" in terroristischer Gewalt ein unverzichtbares Mittel gegen "Ungläubige" und sogenannte korrupte Regime. Ihre terroristische Agenda ist global und bedroht auf internationaler Ebene viele Staaten. Eine besonders radikale Strömung im Islamismus ist der Salafismus. Salafisten geben vor, sich in ihrem Denken und Handeln ausschließlich an einem wortgetreuen Verständnis von Koran und Sunna (zur Nachahmung empfohlene Handlungsweisen und Aussagen des islamischen Propheten Muhammad) sowie am Vorbild 180 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der Gefährten des Propheten zu orientieren. Damit lehnen sie nicht nur die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze ab, sondern negieren auch weitestgehend die Geschichte des Islam und der Muslime. Salafisten vertreten einen Exklusivitätsanspruch; sie sehen sich als die einzigen "wahren" Muslime. 1. Entwicklungstendenzen Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in DeutschGefährdungslage land sowie für deutsche Interessen und Einrichtungen weltweit besteht fort. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass die islamistische Bedrohung in den vergangenen Jahren durch andere Herausforderungen überlagert wurde und teilweise aus der öffentlichen und medialen Wahrnehmung gerückt ist. Die Bedrohung geht dabei weiterhin vor allem von jihadistisch motivierten Einzeltätern mit einfach zu beschaffenden Tatmitteln aus. Die Angriffe richten sich vornehmlich gegen "weiche" Ziele. Häufig bleibt unklar, ob die Täter aus einer islamistischen Motivation heraus oder aufgrund einer psychischen Erkrankung handeln. Aufgrund ihres kurzfristigen Charakters mit kurzer Planungsphase und geringem Organisationsaufwand sowie oftmals kaum vorhandenen relevanten Netzwerkund Kommunikationsstrukturen stellt die Verhinderung solcher Taten eine besondere Herausforderung dar. Im Jahr 2022 kam es in Deutschland zu keinem gesichert islaKeine Anschläge in mistisch motivierten Anschlag. Diese Entwicklung spiegelt sich Deutschland im gesamten europäischen Raum wider, in dem im Berichtszeitraum eine niedrige einstellige Anzahl gesichert islamistisch-terroristischer Anschläge zu verzeichnen war. So kam es am 25. Juni zu einem Schusswaffenangriff auf einen vornehmlich von der LGBTQ75-Szene besuchten Nachtclub in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Auch im Jahr 2022 konnten Anschlagspläne durch deutsche und Jihadistische europäische Sicherheitsbehörden vereitelt werden. Sie belegen, Terrororganisationen dass die jihadistische Ideologie nach wie vor präsent ist. Deutschweiter aktiv land und Europa sind weiterhin im Fokus terroristischer Organisationen wie "al-Qaida" und "Islamischer Staat" (IS), die diese Ideologie prägen, verbreiten und ihre Umsetzung propagieren. Mit 75 Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer. 181 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der Verbreitung von Terror, auch durch groß angelegte koordinierte Terroranschläge wie in der Vergangenheit, zielen diese global agierenden terroristischen Netzwerke auf die Schwächung ihrer Gegner und die Durchsetzung ihres jihadistisch motivierten Herrschaftsanspruchs ab. Beide Organisationen haben im Jahr 2022 mehrere Führungspersonen verloren, darunter der IS gleich zwei "Kalifen" und "al-Qaida" mit Aiman al-Zawahiri den langjährigen Anführer und Weggefährten Usama Bin Ladins. Damit stehen die Organisationen des globalen Jihad nicht nur unter zunehmendem Profilierungsdruck, sondern auch vor der strategischen Herausforderung, welche Rolle die ehemaligen "Kern"-Strukturen zukünftig im Gefüge der regional orientierten Teilorganisationen einnehmen können. Weltweit sind auch im Jahr 2022 viele Menschen durch islamistische Anschläge ums Leben gekommen. Lokale, regionale und global agierende jihadistische Gruppierungen sind in vielen Teilen der Welt aktiv. Häufig agieren sie als Konfliktpartei in instabilen Staaten und Bürgerkriegsregionen. Die Mehrheit der islamistischen Anschläge konzentrierte sich auf afrikanische Konfliktregionen mit schwachen staatlichen Strukturen, wie Burkina Faso, Mali, Nigeria oder Somalia. Die meisten Attentate wurden im Namen von "al-Qaida" oder des IS verübt. Auch in Afghanistan und im angrenzenden Pakistan kam es immer wieder zu Anschlägen, für die sich zumeist der IS-Ableger "Islamischer Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) verantwortlich zeigte. Jihadisten in Die jihadistische Propaganda macht nach dem Wegfall von AusreiDeutschland agieren sen nach Syrien und in den Irak einen wesentlichen Teil der jihazurückhaltend distischen Aktivitäten in Deutschland aus. Sie ist - auch aufgrund von regelmäßigen Löschungen im Internet76 und staatlichem Verfolgungsdruck - weniger öffentlich wahrnehmbar, sondern äußert sich in codierter Sprache, subtilen Andeutungen oder verpackt in jugendlichem Lifestyle. Insgesamt agieren Jihadisten inzwischen deutlich zurückhaltender als noch vor wenigen Jahren. Die jihadistische Ideologie ist nicht verschwunden. Explizit gewaltorientierte Inhalte in der Propaganda sind weniger sichtbar geworden und konzentrieren sich auf bestimmte Messengerdienste, wie zum Beispiel Telegram. 76 In den letzten Jahren fanden regelmäßig Löschungen von jihadistischen Inhalten durch Plattformbetreiber (z.B. Instagram, Telegram oder YouTube) statt, die auf behördlichen Löschaktionen, u.a. durch Europol, basierten. 182 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Von den mehr als 1.150 Personen, die seit dem Jahr 2011 aus islaHaft in Syrien mistischer Motivation heraus aus Deutschland in Richtung Syrien und im Irak und Irak gereist waren, sind circa 40 % wieder in Deutschland. Bestätigten Erkenntnissen zufolge befindet sich noch eine Reihe der ehemals Ausgereisten (Anzahl im oberen zweistelligen Bereich) in Syrien oder im Irak in Haft beziehungsweise in Gewahrsam. Die Situation in den kurdisch kontrollierten Camps al-Hawl und Roj in Nordsyrien ist nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten problematisch: In den Lagern, in denen Tausende Menschen oftmals seit Jahren unter prekären Verhältnissen leben, befinden sich auch immer noch Jihadisten und vor allem Jihadistinnen aus Deutschland, teilweise mit Kindern. Jihadistische Strukturen sind in den Lagern weiterhin vorhanden. Einschüchterung, Gewalt und (Re-)Radikalisierung sind häufig die Folge. Die jihadistische Szene nutzt die Camps für Propagandaund Mobilisierungszwecke. Auch im Jahr 2022 fanden koordinierte Rückholaktionen statt. In diesem Jahr kehrten insgesamt 15 Frauen mit ihren Kindern nach Deutschland zurück. Die meisten der Frauen mussten oder müssen sich hier strafrechtlichen Verfahren stellen. Wie in den Vorjahren ist es auch im zurückliegenden Jahr zu eiUmgang mit ner Reihe von Verurteilungen, insbesondere von zurückgekehrten Haftentlassenen Personen, gekommen (vgl. Kap. VII). Im Umgang mit inhaftierten Islamistinnen und Islamisten besteht die Herausforderung für die Sicherheitsund Justizbehörden darin, Radikalisierungsprozesse und bereits radikalisierte Inhaftierte während der Haft zu erkennen und in enger Abstimmung mit den beteiligten staatlichen und nicht staatlichen Akteuren, beispielsweise aus der Deradikalisierungsund Reintegrationsarbeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten und diese auch nach der Haftentlassung zu koordinieren. Die salafistische Szene stellt weiterhin den ideologischen UnterSalafistische Szene bau für den Jihadismus dar. Während das salafistische Personenponach Pandemie tenzial in den letzten Jahren auf hohem Niveau leicht zurückging, wieder aktiver nahmen öffentlich sichtbare Aktivitäten der Szene im Jahr 2022 nach einer Phase des Rückzugs erstmals wieder zu. Bewährte Aktionsformen wie Infostände in Fußgängerzonen, Vorträge und Seminare wurden nach Ende der Pandemieeinschränkungen wieder aufgegriffen. In den sozialen Medien passen sich viele salafistische Protagonisten den Nutzungsgewohnheiten einer jüngeren 183 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Generation an. Die Inhalte werden kürzer, schneller und visueller. Der Charakter der salafistischen Äußerungen wandelt sich kontinuierlich: Während eindeutig extremistische Inhalte zumindest öffentlich häufig unausgesprochen bleiben, erscheint die Szene zunehmend offener für emotionalisierende gesellschaftliche Themen, die in den eigenen ideologischen Rahmen eingepasst werden. Dieser "weichgespülte" Salafismus lässt sich in den sozialen Medien teilweise kaum von anderen islamistischen Strömungen unterscheiden. Insbesondere die Auftritte von Gruppierungen mit ideologischer Nähe zur "Hizb ut-Tahrir" (HuT), wie beispielsweise "Realität Islam", "Generation Islam" oder "Muslim Interaktiv", zielen mit Bildern und Aktionen in vergleichbarer Weise auf solche abgrenzenden Emotionen ab, indem sie zum Beispiel eine staatlich gesteuerte Islamfeindlichkeit behaupten und die deutsche Integrationspolitik als eine Art "Assimilationsterror" diffamieren. Propagierung der In diesem islamistischen Graubereich in den sozialen Medien stiliOpferrolle sieren sich die Akteure als unterdrückte Minderheit, indem sie die Gesamtheit der Muslime zu Opfern angeblicher systematischer Diskriminierung durch Staat und Gesellschaft erklären. Sie adressieren damit Alltagserfahrungen vieler muslimischer Menschen und agieren somit potenziell anschlussfähig auch jenseits des extremistischen Milieus. Ihr Ziel ist dabei auch, die "Grenzen des Sagbaren" zu verschieben, etwa indem sie islamistisches Agieren mit "kolonialer" Unterdrückung der islamischen Welt rechtfertigen. Zugleich artikulieren sie das islamistische Feindbild der liberalen westlich-demokratischen Gesellschaften neu, indem sie gegen deren Freiheiten und alles, was diese repräsentiert, hetzen. Feindbild LGBTQ Die Ablehnung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt moderner demokratischer Gesellschaften, insbesondere der Homosexualität und Transidentität, ist fester Bestandteil aller islamistischen Ideologien, die auf verbreitete Vorbehalte in vielen nahöstlichen und afrikanischen Gesellschaften aufsattelt. Auch in den Rechtsschulen der klassisch-islamischen Theologie besteht ein Verbot des Auslebens von Homosexualität, im Gegensatz zur bis ins 19. Jahrhundert gelebten Praxis in islamisch geprägten Kulturen. Doch es waren islamistische Vordenker, vor allem der salafistischen Strömungen, die sich ausdrücklich gegen die als "Unzuchtsverbrechen" gebrandmarkte ausgelebte Homosexualität positioniert 184 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS haben. In Herrschaftsordnungen, in denen islamistische Gesetze zur Anwendung kommen, wird diese repressiv verfolgt und bis hin zur Anwendung der Todesstrafe sanktioniert. Die Forderung nach Toleranz gegenüber Homosexualität und geschlechtlicher Vielfalt westlicher Gesellschaften wird als quasi-kolonialistischer Export aus dem Westen interpretiert, der das Ziel der Zerstörung der islamischen Gemeinschaft verfolge. Islamisten reagieren mit Hass und Ablehnung auf den gesellschaftspolitischen und medialen Bedeutungszuwachs des Themas in den letzten Jahren. So warfen Angehörige der salafistischen Szene beispielsweise den westlichen Staaten in den sozialen Medien Doppelmoral und Scheinheiligkeit vor, als im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar über die Einhaltung der Menschenrechte und die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen in dem arabischen Golfstaat diskutiert wurde. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Angriffen auf Symbole und Orte der LGBTQ-Szene. Dafür steht im Berichtsjahr auch der bereits erwähnte Anschlag auf einen Nachtclub in Oslo (Norwegen). Das Thema LGBTQ legt beispielhaft dar, wie Islamisten gesellNutzung anschlussschaftlich relevante Themen nutzen, um Debatten zu führen und fähiger Themen ihre Perspektive auch jenseits der eigenen Klientel zu platzieren. Insbesondere in den sozialen Medien tritt in diesen Grenzbereichen zwischen der islamistischen "Filterblase" und gesamtgesellschaftlichen Debatten die Bedeutung von Netzwerken und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe hinter verbindenden Inhalten in den Hintergrund. Das geht einher mit dem Trend zur themengetriebenen Darbietung Einfluss der Filterung von Inhalten durch große Social-Media-Plattformen. Durch dieses in sozialen Medien relativ neue Format ermöglichen Anbieter wie TikTok, inzwischen aber auch andere Plattformen wie Instagram oder YouTube, den Konsum von gleichartigen Inhalten unabhängig vom eigenen sozialen Netzwerk der Userin oder des Users. Der Algorithmus begünstigt damit nicht nur die Entstehung von Filterblasen, sondern auch die Vernetzung von verschiedenen Strömungen rund um gemeinsame Inhalte. Auch das trägt dazu bei, dass die Grenzen zwischen islamistischen Strömungen durchlässiger werden. Antisemitisches Gedankengut bildet einen wesentlichen gemeinAntisemitismus samen Nenner in der Ideologie des islamistischen Spektrums. Für im Islamismus die Mehrheit der islamistischen Organisationen ist der Staat Israel 185 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS das zentrale Feindbild. So stellt der Kampf gegen Israel sowohl für die palästinensische HAMAS als auch die libanesische "Hizb Allah" das wesentliche Element dar. Auch für jihadistische Organisationen zählen das Judentum und Israel zu den Hauptfeindbildern. Israel wurde im Jahr 2022 Ziel mehrerer Anschläge durch Anhänger des IS. Im Unterschied zu Anschlägen in den Vorjahren nutzte der IS die Ereignisse, um seine eigene Rolle im Kampf für die "Befreiung" Jerusalems propagandistisch herauszustellen. 2. Organisationen und Personenpotenzial Insgesamt ergibt sich für das Jahr 2022 aus den Zahlenangaben ein im Vergleich zum Vorjahr um rund 2,9 % verringertes Islamismuspotenzial von 27.480 Personen (2021: 28.290). 186 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Personenpotenzial Islamismus/islamistischer Terrorismus1 Organisationen 2020 2021 2022 Salafistische Bestrebungen 12.150 11.900 11.000 "Islamischer Staat" (IS) Kern-"al-Qaida" "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM) keine keine keine "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) gesicherten gesicherten gesicherten "Al-Shabab" Zahlen Zahlen Zahlen "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) 160 160 160 "Hizb Allah" 1.250 1.250 1.250 "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) 450 450 450 "Türkische Hizbullah" (TH) 400 400 400 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 600 700 750 "Muslimbruderschaft" (MB)/"Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) 1.450 1.450 1.450 "Tablighi Jama'at" (TJ) 650 550 550 "Islamisches Zentrum Hamburg e.V." (IZH) keine keine keine und sonstiger schiitischer Extremismus gesicherten gesicherten gesicherten Zahlen Zahlen Zahlen "Milli Görüs"-Bewegung und zugeordnete Vereinigungen 10.000 10.000 10.000 "Furkan Gemeinschaft" 400 400 400 "Kalifatsstaat"2 - 700 700 Sonstige3 1.205 330 370 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Die Anhängerzahlen wurden im Jahr 2020 unter Sonstige erfasst. 3 Weitere Organisationen, deren Mitgliederund Anhängerzahlen im Islamismuspotenzial zu berücksichtigen sind. 187 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. Finanzierung Die Aufklärung von Finanzierungsaktivitäten ist wesentlicher Bestandteil der Gesamtstrategie der Sicherheitsbehörden zur Terrorismusund Extremismusbekämpfung. Durch die Aufklärung und Verfolgung von Finanzaktivitäten extremistischer und terroristischer Personen/Organisationen sowie die Identifizierung zugehöriger (Finanz-)Netzwerke wird nicht nur die Finanzierung terroristischer Einzeltaten verhindert, sondern vielmehr bereits weit im Vorfeld von Anschlägen der Aktionsradius von extremistischen und terroristischen Organisationsstrukturen empfindlich eingeschränkt. Auch werden damit die im Zusammenhang stehenden Propagandaund Rekrutierungsbemühungen empfindlich gestört. Bei der Aufklärung von Terrorismusfinanzierungsaktivitäten stehen dabei sowohl etablierte alternative Finanztransfermethoden, wie das Hawala-Banking, als auch der Bereich neuer Technologien in einem besonderen Fokus. So ist für den Phänomenbereich der Einsatz von Kryptowährungen auch weiterhin für die Verschleierung von Finanztransfers, aber auch für die Generierung von Finanzmitteln von Relevanz. Im Phänomenbereich sind verschiedene Sachverhalte bekannt, in denen die Nutzung von Kryptowährungen eine Rolle spielt. Die zuständigen (Sicherheits-)Behörden verfügen bei der Terrorismusfinanzierungsbekämpfung über einen breiten Maßnahmenkatalog, der sich unter anderem von der offenen Nennung verfassungsschutzrechtlich relevanter Organisationen im Verfassungsschutzbericht, der Übermittlung von sicherheitsrelevanten Erkenntnissen an die zuständigen Finanzbehörden mit entsprechenden steuerrechtlichen Auswirkungen bis hin zur Möglichkeit der Verfügung von Vereinsoder Betätigungsverboten erstreckt. II. Internationale Konflikte und ihre Bedeutung für die Sicherheitslage in Deutschland Auf die Sicherheitslage in Deutschland haben internationale Entwicklungen und insbesondere Entwicklungen im transnationalen islamistischen Terrorismus erhebliche Auswirkungen. 188 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1. Konfliktregion Syrien/Irak Der "Islamische Staat" (IS) agiert in Syrien und im Irak mittlerweile "Islamischer Staat" primär regional und im Untergrund. Zahlreiche ehemalige IS-Kämpfer befinden sich in Syrien oder im Irak in Haft beziehungsweise in Gewahrsam. Der IS möchte sich dieses Unterstützerpotenzial zunutze machen. Am 20. Januar 2022 stürmte der IS ein Gefängnis im Nordosten Syriens. Nach Angaben des IS, die nicht unabhängig überprüfbar sind, sollen bei der Großoffensive mehr als 200 kurdische Sicherheitskräfte getötet und mehr als 800 Gefangene befreit worden sein. Die Terrororganisation hatte im Berichtszeitraum deutliche Verluste in der Führung zu verzeichnen. Der IS-Anführer Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi starb zusammen mit dem Sprecher des IS am 3. Februar 2022 bei einem US-Militäreinsatz. Im März 2022 gab der IS den neuen "Kalifen" bekannt. Der Nachfolger Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi kam im Oktober 2022 ebenfalls ums Leben. Er soll durch eine syrische Rebellengruppe getötet worden sein. Der IS ernannte daraufhin Abu al-Husain al-Husaini al-Qurashi zum neuen "Kalifen". Trotz des Ablebens von zwei "Kalifen" des IS innerhalb kurzer Zeit ist weiterhin davon auszugehen, dass der IS seine Schlagkraft durch aufsehenerregende Anschläge, auch in Europa, unter Beweis stellen möchte. Dabei geht neben IS-gesteuerten Netzwerken eine nicht zu unterschätzende Gefahr von durch IS-Propaganda inspirierten Einzeltätern und Kleinstgruppen sowohl in islamischen Ländern als auch im Westen aus. So haben unter anderem blutige Angriffe von IS-Anhängern in Israel am 22. und 27. März 2022 sowie am 26. Oktober 2022 in Iran stattgefunden. Aufgrund des hohen Verfolgungsdrucks vor Ort ist es möglich, dass sich IS-Anhänger mit der Migrationsbewegung nach Europa begeben. Eine potenzielle Gefährdung geht von der gezielten Entsendung jihadistischer Terroristen - getarnt als Schutzsuchende - nach Europa aus. Um Entsendungen unter dem Deckmantel der Migrationsbewegungen zu verwirklichen, haben sich Organisationen wie der IS in der Vergangenheit krimineller Schleuserstrukturen über ost-, zentralund westmediterrane Routen nach Europa bedient. 189 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Al-Qaida"-Lager Im an die Türkei grenzenden Nordwesten Syriens kontrollierte die "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) auch im Jahr 2022 Teile der Region um Idlib und Aleppo. Die unter dem Namen "Jabhat al-Nusra" (JaN) ursprünglich dem "al-Qaida"-Lager zugeordnete Gruppierung verfolgt seit 2017 eine primär regionale Agenda. Die Anfang 2018 gegründete "Tanzim Hurras al-Din" (THD) repräsentiert das loyal zu "al-Qaida" stehende Lager in Syrien. 2. Konfliktregion Afghanistan/Pakistan "Taleban" Die "Taleban" haben im Anschluss an die Verkündung ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15. August 2021 öffentlich verlautbart, dass sie von afghanischem Gebiet ausgehende Anschlagsplanungen internationaler Terrororganisationen wie "al-Qaida" oder des regionalen IS-Ablegers "Islamischer Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) nicht dulden werden. "Islamischer Staat" Obwohl die "Taleban" einen hohen Verfolgungsdruck ausüben, war der ISPK regelmäßig in der Lage, Anschläge in Afghanistan, insbesondere gegen die schiitische Minderheit, durchzuführen. Eine hohe Zahl an Todesopfern auch unter Zivilisten war die Folge. Perspektivisch erscheinen jedoch auch aus Afghanistan heraus geplante oder angeleitete Anschläge des ISPK im (westlichen) Ausland möglich. Dies würde aus Sicht des ISPK dessen Ansehen unter seinen Anhängern erhöhen und zugleich die Ordnungsmacht der "Taleban" in Afghanistan infrage stellen und diese vermehrt unter internationalen Druck setzen. Kern-"al-Qaida" Kern-"al-Qaida" dürfte in ihren Möglichkeiten weiterhin eingeschränkt bleiben, aus ihrem Rückzugsraum in Afghanistan/Pakistan heraus größere Anschläge zu planen oder durchzuführen. Zugleich ist zu vermuten, dass "al-Qaida" auch nach dem Tod ihres Anführers Aiman al-Zawahiri am 31. Juli 2022 ihren Anspruch auf die Führungsrolle innerhalb des internationalen Jihad nicht aufgeben wird. Seit der Machtübernahme der "Taleban" in Afghanistan hat sich die humanitäre, ökonomische und medizinische Versorgungslage für die Bevölkerung deutlich verschlechtert. Minderheiten, Frauen sowie ehemalige Ortskräfte und Sicherheitskräfte sind zahlreichen Repressalien ausgesetzt. Viele Menschen verlassen ihre Heimat. 190 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In Deutschland haben im Jahr 2022 36.358 Schutzsuchende aus Afghanistan Erstanträge auf Asyl gestellt, 56,2 % mehr als im Vorjahr.77 Mit der Zunahme an Schutzsuchenden steigt das Risiko verdeckter terroristisch motivierter Reisen in die Zielländer. 3. Weitere Konfliktregionen Obwohl das IS-"Kalifat" zerschlagen wurde und Kern-"al-Qaida" weiterhin als geschwächt gilt, ist der islamistische Terror in vielen Staaten und Regionen fortdauernd virulent. Beide Terrororganisationen sind mit ihren sogenannten Regionalorganisationen in vielen Teilen der Welt vertreten; Regionalableger formierten sich unter anderem im Mittleren Osten, in Südund Südostasien sowie in Afrika. Faktoren wie ein kaum ausgeprägtes Staatswesen, eine schlechte Entstehung von Versorgungslage der Bevölkerung, anhaltende kriegerische Ausneuen Krisenherden einandersetzungen oder ethnische und religiöse Spannungen im Land können den Einfluss islamistischer Organisationen und Netzwerke vor Ort stärken. Mit einem Machtzuwachs islamistischer Kräfte erhöht sich auch die Gefährdung westlicher Einrichtungen sowie westlicher Staatsangehöriger vor Ort. Die weltweiten Konflikte sind mitursächlich für Fluchtund Migrationsbewegungen. Insbesondere der IS beziehungsweise seine Ableger konnten in Afrika im Fokus den west-, zentralund ostafrikanischen Regionen zuletzt kondes IS tinuierlich militärische Erfolge erzielen und ihre Einflussgebiete erweitern. Der IS verstärkt seit Längerem seine auf den afrikanischen Kontinent bezogene Propaganda. Dabei konzentrierte er sich insbesondere auf die Staaten Demokratische Republik Kongo, Mali, Mosambik, Niger und Nigeria. Der IS ging im Jahr 2022 einen Schritt weiter und erklärte in seinem Onlinemagazin "al-Naba" vom 16. Juni 2022 Afrika zu einem "Gebiet der Auswanderung und des Jihad".78 77 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Aktuelle Zahlen (12/2022); abrufbar unter: www.bamf.de. 78 So bezeichnete der IS bereits sein ehemaliges "Kalifat" in Syrien und im Irak. Der Begriff knüpft allgemein an die Übersiedelung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina im Jahr 622 an. 191 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nahost Nach der militärischen Eskalation zwischen Israel und der HAMAS im Mai 2021 blieb die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten auch im Jahr 2022 angespannt. Dies wurde deutlich an der Anschlagswelle in Israel im Frühjahr 2022 sowie militärischen Operationen der israelischen Armee gegen die Führungsriege des terroristischen "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PIJ) im Sommer 2022. Darüber hinaus wurden die Spannungen zwischen israelischer und arabischer Bevölkerung durch den gewaltsamen Tod einer bekannten palästinensischen und US-amerikanischen Journalistin in Jenin (Westjordanland) am 11. Mai 2022 im Zuge einer israelischen Militäroperation verschärft. Insgesamt blieb das Konfliktgeschehen im Nahen Osten lokal begrenzt und fand wenig Resonanz in der islamistischen Szene in Deutschland. 4. Reisebewegungen der islamistisch-jihadistischen Szene Ehemaliger "Hotspot" Nachdem die Ausreise nach Syrien und in den Irak über einen Syrien/Irak langen Zeitraum eine zentrale Aktivität der islamistisch-jihadistischen Szene in Deutschland dargestellt hatte, ebbte die Zahl der Ausreisen seit dem Jahr 2015 merklich ab. So wurden im Jahr 2022 Ausreiseversuche im unteren zweistelligen Bereich und keine erfolgreiche Ausreise registriert. Insgesamt liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu mehr als 1.150 Personen vor, die seit dem Jahr 2011 aus islamistischer Motivation heraus aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak gereist sind und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aktuell dort aufhalten beziehungsweise aufgehalten haben. Zu etwa einem Viertel der aus Deutschland ausgereisten Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Es liegen bestätigte Erkenntnisse zu Personen im oberen zweistelligen Bereich vor, die sich in Syrien oder im Irak in Haft beziehungsweise in Gewahrsam befinden, davon etwa ein Drittel in den syrischen Camps al-Hawl und Roj. 192 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Etwa 40 % aller bekannten in Richtung Syrien und Irak gereisten Rückkehr nach Personen befinden sich wieder in Deutschland. Deutschland Es liegen Erkenntnisse zu über 150 zurückgekehrten Personen vor, welche sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder dafür eine Ausbildung absolviert haben. Dieser Personenkreis steht besonders im Fokus polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Ein Teil von ihnen musste sich bereits für die in Syrien und im Irak verübten Straftaten nach seiner Rückkehr vor deutschen Gerichten verantworten. Beispielsweise wurde am 24. März 2022 eine deutsche Staatsangehörige zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Den Umstand, dass die ehemals nach Syrien ausgereiste Frau ihren minderjährigen Sohn der Terrororganisation IS zur Ausbildung als Kämpfer überließ und dieser dort ums Leben kam, beurteilte das Gericht als besonders schwerwiegend. In einem anderen Fall wurde eine deutsche Staatsangehörige am 1. Juni 2022 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Sie reiste mit ihrer minderjährigen Tochter nach Syrien aus. Vor Ort hatte die Verurteilte die Arbeitskraft einer versklavten Jesidin ausgenutzt (vgl. Kap. VII). Daneben sind auch Personen im Fokus der Behörden, die im Jahr 2022 unter Federführung des Auswärtigen Amtes aus Gewahrsam oder Haft in Syrien nach Deutschland zurückgeführt wurden. Dabei handelt es sich um 15 Frauen mit ihren Kindern sowie einen Mann, die in drei Rückholaktionen nach Deutschland zurückgebracht wurden. Gegen alle Erwachsenen lagen Haftbefehle vor. Bezüglich der von Rückkehrerinnen und Rückkehrern ausgehenSicherheitsrisiken den Gefährdung ergibt sich ein heterogenes Bild. Die Spanne bei der Einschätzung dieser Personen reicht von "Desillusionierten", deren szenetypische Aktivitäten nach der Rückkehr deutlich abnehmen oder nicht mehr feststellbar sind, bis hin zu gewaltbereiten Personen mit Kampferfahrung. Ein besonderes Sicherheitsrisiko stellen Personen dar, die während des Aufenthalts in Syrien und/oder im Irak ideologisch indoktriniert, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. 193 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Neben der strafrechtlichen Verfolgung von zurückgekehrten Personen sind Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration - im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes in der Terrorismusbekämpfung - stets zu berücksichtigen. Hierbei muss gerade der Umgang mit zurückkehrenden Kindern und Jugendlichen als eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit betrachtet werden. 5. Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus Gefährdung Trotz der Erfolge in den letzten Jahren, wie Verbote islamistischer besteht fort Vereinigungen, Vereitelung von islamistisch motivierten Terroranschlägen in Deutschland sowie Verhinderung zahlreicher Ausreisen in Jihadgebiete, besteht die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland sowie für deutsche Interessen und Einrichtungen weltweit fort. Die terroristischen Organisationen haben ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt, die zum Beispiel durch den Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden, aber auch durch den technischen Wandel erforderlich wurde. Als eine Folge dessen kommunizieren ISund "al-Qaida"-Anhänger konspirativer, was wiederum die Aufklärung der Szene erschwert. Die andauernde Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus besteht auch in einer Phase fort, in der das auf einen bestimmten Jihadschauplatz gerichtete Interesse augenscheinlich nachgelassen hat. Die anhaltenden Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika liefern weiterhin den Nährboden für islamistische Mobilisierung. Der IS und "al-Qaida" haben im Jahr 2022 Führungspersonen verloren und stehen unter einem hohen Profilierungsdruck. Das zeigt sich auch in ihrer Propaganda. Fernziel bleibt die Vergrößerung ihres Einflusses weltweit und das Zurschaustellen ihrer Schlagkraft durch aufsehenerregende Anschläge, auch in Europa. Dabei geht neben gesteuerten Netzwerken eine nicht zu unterschätzende Gefahr von Einzeltätern und Kleinstgruppen sowohl in islamischen Ländern als auch im Westen aus. Zwar kam es im Jahr 2022 in Deutschland zu keinem gesichert islamistisch motivierten Anschlag, und diese Entwicklung spiegelt 194 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sich im gesamten europäischen Raum wider: Im Berichtszeitraum war eine niedrige einstellige Anzahl gesichert islamistisch-terroristischer Anschläge zu verzeichnen. Dies darf aber nicht dazu führen, die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zu unterschätzen, wie Beispiele von Anschlägen von Einzeltätern in anderen europäischen Ländern zeigen. So kam es am 25. Juni 2022 zu einem Schusswaffenangriff auf einen vornehmlich von der LGBTQ-Szene besuchten Nachtclub in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Den deutschen Sicherheitsbehörden ist es auch im Jahr 2022 gelungen, Gefährdungen bereits im Vorfeld zu erkennen und zu unterbinden. So wurde eine Person im Jahr 2022 in Untersuchungshaft genommen, die den Anschein erweckt hatte, einen Bombenanschlag in Deutschland begehen zu wollen. Bei der Person wurden psychische Auffälligkeiten festgestellt. Eine Zuordnung kann in diesem Fall nur unter Vorbehalt beziehungsweise Würdigung psychologischer Gutachten erfolgen. III. Salafistische Szene in Deutschland Der Salafismus bleibt mit 11.000 Personen weiterhin die zahlenmäSinkende ßig bedeutendste islamistische Strömung in Deutschland. Zwar ist Anhängerzahlen das salafistische Personenpotenzial das zweite Jahr in Folge rückläufig, die Anhängerzahl verbleibt jedoch auf einem hohen Niveau. Salastisches Personenpotenzial 2011-2022 14.000 12.150 12.15011.900 12.000 11.300 11.000 10.800 9.700 10.000 8.350 8.000 6.680 5.740 6.000 4.500 3.800 4.000 2.000 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 195 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Annähernd zehn Jahre lang war die salafistische Szene in Deutschland stark gewachsen. Insbesondere während der Hochphase des IS-"Kalifats" 2013 bis 2017 stieg die Zahl der Anhänger. Auch die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der salafistischen Szene in Deutschland - beispielsweise die öffentliche Koranverteilaktion "LIES!" der Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) - fielen in diese Zeit.79 Seit 2017 verlangsamte sich das Wachstum des salafistischen Personenpotenzials deutlich. Der erhöhte Verfolgungsdruck durch die Sicherheitsbehörden, der Bedeutungsverlust Syriens als Schauplatz des Jihad und die Coronapandemie haben schließlich zu einem leichten Rückgang des Personenpotenzials beigetragen. Im ersten Halbjahr 2022 konnten wieder Missionierungsaktivitäten, wie "Street-Da'wa"80, Islamseminare, salafistische Vortragsreihen und Veranstaltungen, beobachtet werden. Im zweiten Halbjahr 2022 beschleunigte sich diese Entwicklung: An vielen Orten finden nun wieder regelmäßig öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten statt. Dabei wurden überwiegend Aktionsformen wiederbelebt, die auch früher schon genutzt wurden. Diese Aktivitäten haben weiterhin zumeist einen regionalen Charakter. Seit Kurzem entfalten einzelne Protagonisten aber auch wieder bundesweite Relevanz. Diese halten sich jedoch im öffentlichen Raum oft mit eindeutig extremistischen und insbesondere gewaltbefürwortenden Äußerungen zurück. Salafistische Im Internet sind Salafisten schon seit vielen Jahren aktiv, etwa auf Influencer YouTube oder Facebook. Infolge der Coronapandemie verlagerten sich zudem viele Aktivitäten in Form von Podcasts, Videostreams oder Onlineseminaren in den virtuellen Raum. Bekannte salafistische Prediger und islamistische Gruppierungen nutzen nunmehr auch Social-Media-Apps, wie TikTok oder Instagram, die bei jungen Menschen besonders populär sind. Dabei richten sie ihre Inhalte an den Nutzungsgewohnheiten einer jungen, identitätssuchenden, leicht beeinflussbaren Zielgruppe aus. Die Videos sind kurz, ihre visuelle Aufbereitung entspricht dem Mehrheitsgeschmack der auf Social-Media-Plattformen verbreiteten Clips. Die hohe Anzahl an neu eingestellten Clips generiert eine höhere Sichtbarkeit in der Zielgruppe. Häufig übernehmen die Protagonisten eher die Rolle des Vorbilds, eines "coolen Freundes", anstatt einer distanzierten, 79 DWR wurde im Jahr 2016 durch den Bundesminister des Innern verboten. 80 Straßenmissionierung, bspw. mit Ständen in Fußgängerzonen. 196 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS belehrenden Rolle. Diese Herangehensweise, gepaart mit der professionellen und aufwendigen Machart der Videos, hat entscheidenden Anteil an ihrem Erfolg. Das zuletzt leicht gesunkene Personenpotenzial darf nicht mit eiAusblick nem abnehmenden Gefährdungspotenzial gleichgesetzt werden. Die zwischen salafistischen Akteuren und jihadistischen Netzwerken bestehenden engen Verbindungen dauern an. Die Szene ist in der Lage, jederzeit auf aktuelle Entwicklungen und äußere Einflüsse reagieren zu können. Das haben die Coronapandemie und die verstärkte Nutzung von Social Media erneut belegt. Insbesondere islamkritische Ereignisse können in kürzester Zeit zu einem großen Mobilisierungspotenzial führen. Der Grundsatz, dass der Salafismus mehrheitlich den ideologischen Unterbau für den gewaltbereiten Jihadismus bildet, behält seine Gültigkeit. Es ist weiterhin möglich, dass sich einzelne Personen in konspirativen privaten Zirkeln und vor allem im Internet jihadistisch radikalisieren, ohne dass es von außen wahrnehmbar wäre. Die salafistische Szene agiert taktisch zurückhaltend, reagiert flexibel auf Veränderungen und tritt an Interessierte mit einem nach außen manchmal kaum noch als salafistisch zu erkennenden Profil heran. IV. Jihadistische Propaganda im Internet 1. Fremdsprachige jihadistische Propaganda Die fremdsprachige jihadistische Propaganda wurde auch im Jahr 2022 hauptsächlich vom "Islamischen Staat" (IS) und in geringerem Maße von "al-Qaida" dominiert. Beide Organisationen - der IS mehr als "al-Qaida" - sowie deren Unterstützerszenen stellen sich auf die stetigen Veränderungen der Medienlandschaft ein und nutzen derzeit neben Rocket.Chat, Telegram und Instagram auch Plattformen wie TikTok, Discord oder Chirpwire. 197 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.1 "Islamischer Staat" (IS) Die arabischsprachige IS-Propaganda ist nach wie vor mit einer täglichen Berichterstattung zu den IS-Aktivitäten vor allem in Afrika, dem Nahen Osten und Afghanistan sowie durch das wöchentlich erscheinende Onlinemagazin "al-Naba" präsent. Es sind hier allerdings Tendenzen zum Abzug der Propaganda in getarnte beziehungsweise nicht öffentlich zugängliche Bereiche des Internets festzustellen. Wesentliche Plattformen zur Verbreitung arabischsprachiger offizieller IS-Propaganda sowie der Unterstützerszene sind der Messenger Rocket.Chat, das IS-Internetforum "Shumukh al-Islam" sowie einige im Darknet zugängliche Websites wie "I'LAM FOUNDATION". Arabischsprachige Unterstützer des IS veröffentlichen vordringlich Bildcollagen und Videos. Dabei werden zumeist Themen der offiziellen IS-Propaganda reflektiert. Über die IS-nahe Medienstelle "AL AZAIM FOUNDATION" wird das englischsprachige Onlinemagazin "VOICE OF KHURASAN" fortlaufend publiziert, welches sich in der Berichterstattung auf die IS-Aktivitäten vor allem in Afghanistan, aber auch im angrenzenden Zentralasien bezieht. Wesentliche Themen Im Berichtszeitraum haben nachfolgende Ereignisse die Propader IS-Propaganda ganda des IS dominiert: " Angriff des IS auf ein von kurdischen Sicherheitskräften kontrolliertes Gefängnis im Nordosten von Syrien am 20. Januar 2022; " Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine; " Anschläge von IS-Anhängern in Israel am 22. und 27. März 2022 sowie am 26. Oktober 2022 in Iran; " IS-Proklamierung von Afrika als "Gebiet der Auswanderung und des Jihad"; " wachsende Kontroverse zwischen der IS-Regionalorganisation ISPK und den "Taleban" seit deren Machtergreifung in Afghanistan im Jahr 2021; " Tod von zwei IS-"Kalifen" im Jahr 2022. Drohungen gegen Auch im Jahr 2022 richtete der IS in Propagandaveröffentlichunden Westen gen Drohungen an den Westen. 198 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Hervorzuheben ist der Aufruf des IS-Sprechers Abu Umar al-Muhajir zum weltweiten Jihad. In seiner Audiobotschaft am 17. April 2022 verkündete er eine Rachekampagne für den Anfang Februar 2022 im Rahmen eines Einsatzes von US-Spezialkräften ums Leben gekommenen IS-Anführer sowie den ebenfalls getöteten vorherigen IS-Sprecher. Konkret rief er Jihadisten in Europa dazu auf, die aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine hervorgerufene "instabile" Lage auszunutzen, um Terroranschläge durchzuführen. Am 19. Mai 2022 veröffentlichte die IS-nahe Medienstelle "Amaq Media Agency" ein neues englischsprachiges Onlinemagazin unter dem Titel "INCITE THE BELIEVERS". Den Hauptteil des bildreichen Magazins machen Beiträge zu Anschlagszielen und -verfahren aus. Unter dem Titel "Die besten Männer wählen die besten Ziele" werden als bevorzugte Zielobjekte Botschaften und Konsulate genannt, da sich dort viele "von den Götzen hochgeschätzte Ungläubige" aufhielten. 1.2 "Al-Qaida" Zu Beginn des Jahres 2022 meldete sich der damalige "al-Qaida"Anführer Aiman al-Zawahiri im Rahmen einer Videoreihe zu Wort, in der er unter anderem die "antijihadistische ideologische Kampagne der arabischen Staaten" kritisierte. Er rief alle islamistischen Gruppierungen, den IS eingeschlossen, dazu auf, sich unter dem Banner des Jihad und der Scharia zu vereinen. Al-Zawahiris Tod infolge eines Drohnenangriffs der USA in Kabul Tod von al-Zawahiri am 31. Juli 2022 wurde bis dato nicht offiziell von der Organisation bestätigt. Ein Nachfolger wurde bis Ende des Berichtsjahrs nicht benannt. Während Kern-"al-Qaida" nach dem Tod ihres Anführers keine Stellungnahme veröffentlichte, äußerten sich einzelne affiliierte Gruppierungen wie die "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM) und "al-Shabab" zu dessen Tod. 199 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Drohungen gegen In den "al-Qaida"-nahen Onlinemagazinen "O Mujahideen in the den Westen West"81 und "Wolves of Manhattan"82 wird explizit zu Einzeltäteranschlägen aufgerufen. "Wolves of Manhattan" bezieht sich in der dritten Ausgabe aus April 2022 auf die Ukraine, die als Aktionsfeld für potenzielle Mujahidin empfohlen wird. Diese könnten sich dort als Freiwillige mit Waffen ausrüsten lassen und dann gegen "Kreuzzügler" vorgehen. Beide Magazine, die bislang nur sehr sporadisch erschienen sind und detaillierte Anleitungen zu Anschlägen enthielten, weisen Parallelen zu der ehemaligen "al-Qaida"Publikation "INSPIRE"83 auf. 2. Deutschsprachige jihadistische Propaganda In der deutschsprachigen jihadistischen Propaganda bestehen jeweils ISsowie "al-Qaida"-nahe Strömungen fort, wobei die Grenzen teilweise fließend sind. Die Unterstützerszene nutzt neben Instagram und Telegram zunehmend TikTok. Die im Jahr 2022 fortgesetzten Restriktionen der Plattformbetreiber führten in der Unterstützerszene zum Teil zu einem vorsichtigeren Vorgehen bei Veröffentlichungen. Einige Nutzer fügten ihren Beiträgen "Haftungsausschlüsse" hinzu. Der in variierenden Formulierungen verwendete Text sollte eine Distanzierung von den Terrororganisationen und den geteilten Inhalten suggerieren bei gleichzeitiger Betonung der Notwendigkeit ihrer Veröffentlichung zur angeblichen Information. In der Gesamtschau hielten sich die Propagandaaktivitäten der Szene, auch im Vergleich zu den Vorjahren, auf gleichbleibend hohem Niveau. Zu Beginn des Berichtsjahrs war ein beherrschendes Thema unter den deutschsprachigen Nutzern die Erstürmung eines Gefängnisses im Nordosten Syriens. Bei dem Großangriff am 20. Januar 2022, zu dem sich der IS am darauffolgenden Tag offiziell bekannte, 81 Erstmalige Veröffentlichung des englischsprachigen Onlinemagazins im Februar 2022. 82 Das Onlinemagazin "Wolves of Manhattan" wird seit November 2020 in arabischer, englischer und französischer Sprache verbreitet. 83 Die letzte reguläre Ausgabe des englischsprachigen Magazins, herausgegeben von "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH), erschien im August 2017. 200 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sollen nach Angaben des IS mehr als 200 kurdische Sicherheitskräfte getötet und mehr als 800 Gefangene befreit worden sein. Ganz dem Tenor der IS-Propaganda entsprechend, spiegelte sich das Narrativ über das Versprechen zur Befreiung von Gefangenen auch in den Reaktionen der deutschsprachigen Szene wider. Dabei wurde das Ereignis insbesondere von IS-Anhängern als Freudenbotschaft aufgenommen und als ein möglicher Wendepunkt und Wiedererstarken des IS gedeutet. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine rief zahlreiche Reaktionen hervor. Dabei wurde die Genugtuung geäußert, dass sich die von den Jihadisten als "Kreuzzügler" bezeichneten westlichen Länder nun gegenseitig bekämpften. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang stellte die angebliche Ungleichbehandlung jeweils von geflüchteten Ukrainern und Muslimen dar. Nachdem der Nahostkonflikt mehr als zwei Jahre vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit in der IS-Propaganda gefunden hatte, nutzte der IS die Anschlagswelle in Israel im Frühjahr 2022 intensiv für seine propagandistischen Zwecke, was sich wiederum in den Reaktionen der deutschsprachigen Szene widerspiegelte. Ein weiterer Themenschwerpunkt der deutschen Unterstützerszene waren wiederholt die schwierigen humanitären Bedingungen in den Camps in Syrien und im Irak, in denen sich auch ehemalige IS-Angehörige aus Deutschland, oftmals mit ihren Kindern, befinden. Abermals wurde zu Spenden aufgerufen. Thematisiert wurden ebenso die Rückholaktionen der Bundesregierung von Frauen und ihren Kindern im Jahr 2022. V. Organisationsgebundener Islamismus und Terrorismus in Deutschland 1. Islamistische Strömungen in Deutschland In Deutschland gibt es, neben jihadistischen und salafistischen Gruppierungen, weitere islamistische Bewegungen, die einen höheren Organisationsgrad und feste Strukturen aufweisen. Diese sind mitunter vereinsrechtlich durch regionale Anlaufstellen oder 201 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS auch deutschlandweit zuständige Zentralen oder internationale Dachverbände organisiert. Ihre jeweiligen Ziele versuchen sie auf unterschiedlichen Wegen und mit verschiedenen Mitteln zu erreichen. Wesentliche Unterschiede sind die Art und die Intensität der beabsichtigten Außenwirkung sowie das Verhältnis zur Gewalt. Darunter sind Gruppierungen, die sich in erster Linie dem Erhalt und der Pflege der bestehenden Strukturen sowie der internen Weitergabe ihrer extremistischen Ideologie widmen. Andere Organisationen setzen auf gesellschaftliche sowie politische Einflussnahme auf allen Ebenen in Deutschland. Einige Gruppierungen wenden sich ausschließlich an die muslimische Bevölkerung mit dem Ziel der Polarisierung zur Gewinnung von Anhängern. Deutlich zu unterscheiden von den zuvor beschriebenen Organisationen und Gruppierungen sind die Anhänger und Unterstützer von terroristischen Vereinigungen, deren Aktivitäten klar auf ihre Herkunftsländer ausgerichtet sind. Diese reichen von Sympathiebekundungen über die Verbreitung von Propaganda bis hin zu unmittelbarer Unterstützung, beispielsweise durch das Sammeln von Spenden. Publikationen stärken Über die Bereitstellung rein religiöser Dienste beziehungsweise Identifikation einer religiösen Infrastruktur hinaus sind alle islamistischen Organisationen in Deutschland bestrebt, ihren Anhängern und Sympathisanten ein vielfältiges Spektrum an Angeboten zu unterbreiten. So wird oftmals die Identifikation mit der Organisation und der entsprechenden Ideologie auch durch den Vertrieb organisationseigener Printund Onlinepublikationen sowie Angebote in den sozialen Medien gefördert beziehungsweise gewährleistet. Auch wird häufig ein breit gefächertes internes Bildungsangebot bereitgestellt. Dieses umfasst in der Regel sowohl Angebote für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene und dient somit der Gewinnung neuer Anhänger und der ideologischen Festigung. Polarisierung und Darüber hinaus betreiben einige islamistische Gruppierungen geUmdeutung zielt Propaganda durch eine Umdeutung aktueller gesellschaftlicher Diskurse mittels islamistischer Narrative zur Polarisierung der muslimischen Bevölkerung. Damit sollen Muslime in eine "Opferrolle" gegenüber einer angeblichen deutschen "Wertediktatur" gebracht werden. Sie füllen bezüglich des Radikalisierungspotenzials eine Lücke, die salafistische Strömungen aufgrund ihres 202 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS zeitweisen Rückzugs ins Private hinterlassen haben. Die ideologischen Übergänge zum Salafismus sind dabei fließend. So sind beispielsweise die Gruppierungen "Realität Islam", "GeOnlineund neration Islam" sowie "Muslim Interaktiv", die eine ideologische realweltliche Nähe zu der in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten Aktivitäten "Hizb ut-Tahrir" (HuT) aufweisen, propagandistisch außerordentlich aktiv. In Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken behaupten sie eine staatlich gesteuerte Islamfeindlichkeit und sehen in der deutschen Integrationspolitik eine Art "Assimilationsterror". Seit einiger Zeit nutzen die Gruppierungen ihren Bekanntheitsgrad auch für Mobilisierungszwecke. Darüber hinaus machte die Gruppierung "Muslim Interaktiv" mit einer sorgsam einstudierten, flashmobartigen Kundgebung am 12. Februar 2022 in Hamburg gegen die Unterdrückung der Uiguren in China auf sich aufmerksam. Dabei diente die Veranstaltung nicht der Mobilisierung möglichst vieler Demonstrationsteilnehmer, sondern dem Sammeln eindrucksvoller Bilder und Videos für die eigenen Social-MediaKanäle. Im Video wird "die systematische Assimilationspolitik" in Deutschland angeprangert, die zu einer ähnlichen Unterdrückung der Muslime wie in China führe. Seit mehreren Jahren finden anlässlich des "al-Quds-Tages"84 am auf den letzten Freitag des Ramadan folgenden Samstag in Berlin und Frankfurt am Main (Hessen) Demonstrationen statt. Die zentrale Veranstaltung in Berlin war wie bereits in den beiden Vorjahren auch 2022 abgesagt worden. Am 23. April und am 30. April 2022 gab es mehrere Aufzüge und Demonstrationen in Bochum (Nordrhein-Westfalen), Frankfurt am Main (Hessen) und Hannover (Niedersachsen). Vereinzelt wurden antisemitische Äußerungen festgestellt. Wie in den beiden Jahren zuvor wurde der "al-Quds-Tag" auch online veranstaltet. Die diesjährige Onlineveranstaltung am 23. April 2022 offenbarte eine klare antiisraelische Grundhaltung und ließ insbesondere deutliche Bezüge zur iranischen Staatsdoktrin erkennen. 84 Der "al-Quds-Tag" soll an die von dem iranischen Ayatollah Ruhollah Khomeini im Jahre 1979 geforderte "Befreiung" Jerusalems erinnern. 203 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. Legalistische Organisationen Legalistische Organisationen erheben den Anspruch, der zentrale Ansprechpartner für alle muslimischen Belange in Deutschland zu sein. Sie verfolgen langfristig das Ziel, das gesellschaftliche und politische System Deutschlands zugunsten einer islamistischen Grundund Werteordnung mitzugestalten und ihre Agenda in Politik und Gesellschaft zu etablieren. "Deutsche Die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) ist dem Muslimische globalen Netzwerk der "Muslimbruderschaft" (MB) zuzurechnen. Gemeinschaft e.V." Wesentliche Aktivitäten der DMG und ihr nahestehender Organisationen sind die Missionierungs-, Jugendund Bildungsarbeit, die sich an der Ideologie der MB orientieren. So werden zum Beispiel sogenannte Korancamps ausgerichtet. Darüber hinaus versucht sich die DMG durch ihre Öffentlichkeitsarbeit als zentraler Ansprechpartner für muslimische Belange in Deutschland gegenüber Politik und Gesellschaft zu etablieren. "Islamisches Zentrum Das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH), Trägerverein der Hamburg e.V." "Imam-Ali-Moschee" in Hamburg, ist neben der iranischen Botschaft die wichtigste Vertretung Irans in Deutschland und ein bedeutendes Propagandazentrum Irans in Europa. Mithilfe des IZH versucht Iran Schiiten verschiedener Nationalitäten an sich zu binden und die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte des iranischen Staates in Europa zu verbreiten. Als wichtiges Element für die Steuerung der Interessen des IZH dient der schiitische Dachverband "Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V." (IGS). "Milli Görüs"Die "Milli Görüs"-Bewegung besteht aus mehreren Vereinigungen, Bewegung die von einer gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der ideellen Bindung an deren Gründer zusammengehalten werden. Hierzu zählen beispielsweise der "SAADET Europa e.V." mit der Zentrale in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) oder die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) mit Sitz in Köln (Nordrhein-Westfalen). Obgleich alle Vereinigungen selbstständig und unabhängig voneinander agieren, ist die "Milli Görüs"Ideologie - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - das verbindende Element. 204 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. Terroristische Organisationen Terroristische Organisationen wie etwa "Hizb Allah" und HAMAS, die beide, wenn auch mit unterschiedlichem Kontext, unter anderem den gewaltsamen Kampf gegen Israel propagieren, verfügen in Deutschland über eine Anhängerschaft. Ihre Aktivitäten in Deutschland reichen von Sympathiebekundungen und Propagandaaktivitäten bis hin zu Finanzierungsoder Spendensammelaktivitäten. Damit sollen die Kernorganisationen im Ausland gestärkt werden. In Deutschland ist die "Hizb Allah" in keinem bundesweiten Dachverband oder einer ähnlichen überregionalen Struktur organisiert. Teile der Anhängerschaft pflegen den organisatorischen Zusammenhalt in örtlichen Vereinen und in der Durchführung von religiösen Feierlichkeiten sowie in der Kinderund Jugendarbeit. Es wurden konkrete Unterstützungshandlungen zugunsten der "Hizb Allah" im Libanon durch Anhänger in Deutschland, insbesondere durch organisierte Spendensammlungen, nachgewiesen. Die Mitglieder und Anhänger der HAMAS in Deutschland haben vorrangig zwei Ziele: Zum einen versuchen sie über Spendensammlungen die HAMAS zu unterstützen. Zum anderen sind sie daran interessiert, den politischen und gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland propalästinensisch im Sinne der HAMAS zu beeinflussen. VI. Antisemitismus im Islamismus Antisemitisches Gedankengut bildet einen wesentlichen gemeinErscheinungsform samen Nenner in der Ideologie des islamistischen Spektrums. "Die Juden" werden dabei als eine Einheit wahrgenommen, die weltweit Kontrolle über Politik und Wirtschaft ausübt. Für die Mehrheit der islamistischen Organisationen stellt der Staat Israel das zentrale Feindbild dar. Hierbei wird kaum zwischen dem Staat Israel und Personen jüdischen Glaubens unterschieden. Antisemitismus im islamistischen Spektrum ist in unterschiedlichen Formen feststellbar, etwa durch Äußerungen in Predigten und in den sozialen Medien, auf Demonstrationen bis hin zu Gewalttaten gegen jüdische Personen und Einrichtungen. Beispielhaft hierfür steht 205 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der verhinderte Anschlag auf die Synagoge in Hagen (NordrheinWestfalen) durch einen islamistisch motivierten Einzeltäter, der im September 2021 verhaftet worden war. Der Täter wurde im Frühjahr 2022 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilt (vgl. Kap. VII). Antisemitismus in "Die Juden" als Feindbild zu sehen, stellt in der Propaganda nader islamistischen hezu aller islamistischen Organisationen einen zentralen Pfeiler Propaganda dar. Antisemitische Äußerungen werden dabei von einigen islamistischen Organisationen mit Aufrufen zu Gewalt und deren Legitimierung verknüpft. Für die palästinensische HAMAS und die libanesische "Hizb Allah" beispielsweise stellt der Kampf gegen Israel das wesentliche Element beider Gruppierungen dar. Auch für jihadistische Organisationen zählen das Judentum und Israel zu den Hauptfeindbildern. Israel wurde im Jahr 2022 Ziel mehrerer Anschläge durch Anhänger des "Islamischen Staates" (IS). Der IS nutzte die Ereignisse, um die eigene Rolle im Kampf für die "Befreiung" Jerusalems propagandistisch herauszustellen. Die "Rückeroberung" Jerusalems und die "Befreiung" der al-Aqsa-Moschee ist ebenfalls ein zentrales Motiv in der Propaganda von "al-Qaida". Auch für andere islamistische Gruppen gilt der Staat Israel als ein zentrales Feindbild. Der Nahostkonflikt wird von ihnen als Teil einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen "den Muslimen" und "dem Rest der Welt" gedeutet. Im April 2022 hat das BfV ein aktualisiertes, phänomenübergreifendes Lagebild "Antisemitismus 2020/21" veröffentlicht, das einen Gesamtüberblick über die verfassungsschutzrelevanten Ausprägungen des Antisemitismus in Deutschland gibt.85 Antisemitische Antisemitische Äußerungen, insbesondere durch nicht jihadisVorfälle tische Akteure, erfolgen häufig indirekt. Beispielsweise durch die Verwendung von Narrativen und Metaphern, die nicht auf den ersten Blick als gegen Personen jüdischen Glaubens gerichtet erkennbar sind. So bat im Frühjahr 2022 ein salafistischer Prediger in einer Predigt unter anderem, dass Gott "die zionistischen Israelis" verdammen solle. Nur scheinbar wird hier eine Unterscheidung zwischen "Zionisten" auf der einen und Jüdinnen und Juden auf 85 Das Lagebild "Antisemitismus 2020/21" ist unter www.verfassungsschutz.de abrufbar. 206 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der anderen Seite gemacht, um dem Antisemitismusvorwurf zu entgehen. Im Jahr 2022 wurden erneut viele antisemitische Vorfälle - sowohl mit direktem Organisationsbezug als auch von Einzelpersonen - durch den Verfassungsschutzverbund registriert. Die meisten Vorfälle lassen sich Organisationen aus dem islamistischen Spektrum zuordnen. Im Jahr 2022 sank die Zahl der Delikte im Vergleich zum Vorjahr. Für den Anstieg antisemitischer Äußerungen und Handlungen im Vorjahr war vermutlich die Zuspitzung des Nahostkonflikts im Mai 2021 ursächlich. Auch im Berichtszeitraum hatte der Nahostkonflikt Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Antisemitismus in Deutschland. Ein deutschsprachiger Sympathisant des IS zeigte sich im Frühjahr 2022 erfreut über die Anschläge gegen das "Krebsgeschwür inmitten der arabischen Welt" und äußerte den Wunsch nach einer Ausweitung des "Kampfes gegen die Juden". Zudem führten die Ausschreitungen auf dem Tempelberg in Jerusalem während des muslimischen Fastenmonats Ramadan auch in Deutschland zu Demonstrationen, wie beispielsweise in Berlin im April 2022. Auf den propalästinensischen Demonstrationen wurden auch antisemitische Parolen der islamistischen Gruppierung HAMAS geäußert. Auch im Zusammenhang des jährlich abgehaltenen "al-Quds-Tages" sind antisemitische Äußerungen - insbesondere in den sozialen Medien - feststellbar. Die antisemitischen Ereignisse im Jahr 2022 verdeutlichen, dass die Ausblick ideologische Radikalisierung von Menschen und die Aufstachelung zu Hass und Gewalt durch antisemitisches Gedankengut zu verbalen und in manchen Fällen zu gewalttätigen Ausschreitungen führen können. Insbesondere aktuelle Entwicklungen im Nahen Osten bieten auch in Zukunft islamistischen Einzelpersonen und Organisationen ein hohes Mobilisierungspotenzial in Deutschland und können zu einem Anstieg antisemitischer Vorfälle führen. 207 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS VII. Staatliche Maßnahmen Im Berichtsjahr 2022 gab es eine Vielzahl verschiedener Verfahren, die den Phänomenbereich Islamismus/islamistischer Terrorismus betrafen, von denen hier einige exemplarisch aufgeführt werden. " Am 28. Juni 2022 fanden in sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) koordinierte Durchsuchungsmaßnahmen gegen mutmaßliche Anhänger der verbotenen, islamistischen Organisation "Kalifatsstaat" statt. Hierbei wurden rund 50 Objekte durchsucht und Propagandamaterial, islamistische Schriften und Hunderttausende Euro Bargeld sichergestellt. Die Beschuldigten stehen im Verdacht, als Rädelsführer und Mitglieder der verbotenen Vereinigung die Organisationsstrukturen des "Kalifatsstaats" fortgeführt zu haben. Es wurden mehrere Haftbefehle vollstreckt. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz (Rheinland-Pfalz) hat gemäß Mitteilung vom 3. November 2022 gegen drei mutmaßliche Rädelsführer der verbotenen islamistischen Vereinigung Anklage erhoben. " Am 24. März 2022 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) Hamburg eine deutsche Staatsangehörige wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Kriegsverbrechen gegenüber Personen, Verletzung der Fürsorgeund Erziehungspflicht sowie fahrlässiger Tötung zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft. Im Jahr 2016 reiste sie mit ihrem minderjährigen Sohn nach Syrien aus und überließ ihn der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), welche ihn zum Kämpfer ausbildete. Als dieser 2018 bei einem Bombenangriff ums Leben kam, verherrlichte sie seinen Tod als "Märtyrertod". Zuvor versuchte sie auch ihren älteren Sohn zur Ausreise nach Syrien zu bewegen. Dass die Ausgereiste ihren minderjährigen Sohn der Terrororganisation zur Ausbildung als Kämpfer überließ und dieser dort ums Leben kam, beurteilte das Gericht als besonders schwerwiegend. Das Urteil ist rechtskräftig. " Am 18. Mai 2022 verurteilte das OLG Naumburg (Sachsen-Anhalt) eine deutsche Staatsangehörige zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zu einer Bewährungszeit von drei Jahren ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Gerichts reiste die zum Tatzeitpunkt noch minderjährige Verurteilte im März 2015 208 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS nach Syrien aus und schloss sich dort dem IS an. In dieser Zeit besaß sie zeitweise eine halbautomatische Waffe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie sich wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollund Waffengesetz schuldig gemacht hat. Das Urteil ist rechtskräftig. " Am 1. Juni 2022 verurteilte das OLG Celle (Niedersachsen) eine deutsche Staatsangehörige unter anderem wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Im Jahr 2014 reiste sie gemeinsam mit ihrer damals vierjährigen Tochter nach Syrien aus, welche sie vor Ort im Sinne der Ideologie des IS erzog. Aufgrund dessen wurde sie in einem Fall in Tateinheit mit schwerer Entziehung Minderjähriger und Verletzung der Fürsorgeund Erziehungspflicht schuldig gesprochen. In einem weiteren Fall erfolgte die Verurteilung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, da sie die Arbeitskraft einer versklavten Jesidin ausgenutzt hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. " Am 1. Juni 2022 verurteilte das Kammergericht Berlin einen syrischen Staatsangehörigen wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Terrorismusfinanzierung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. In das Urteil wurde eine frühere Verurteilung durch das Landgericht (LG) Berlin aus Mai 2020 wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Auflösung der dort verhängten Gesamtstrafe mit einbezogen. Den Verurteilungen lag zugrunde, dass sich der Angeklagte gegenüber einer Kontaktperson des IS bereit erklärt hatte, an einer Operation des IS in Deutschland teilzunehmen, und in diesem Zusammenhang umfangreiche Vorbereitungshandlungen getroffen hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. " Am 27. Juli 2022 verurteilte das OLG Hamburg eine deutsche und afghanische Staatsangehörige wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Beihilfe zum Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Die Schwester eines in Syrien verstorbenen IS-Kämpfers reiste 2014 nach Syrien aus. In der Zeit von April 209 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2014 bis Ende 2017 war sie mit verschiedenen IS-Kämpfern nach islamischem Ritus verheiratet und lebte mit diesen in verschiedenen, vom IS überlassenen Häusern und Wohnungen. Weiterhin sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Verurteilte mit ihrem letzten Ehemann eine Jesidin als Sklavin gehalten und diese körperlich misshandelt hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. " Am 18. Oktober 2022 verurteilte das LG Saarbrücken (Saarland) einen deutschen Staatsangehörigen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Nach Feststellung des Gerichts reiste der Angeklagte im Oktober 2021 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin nach Mali aus. Ziel der beiden war es demnach, sich vor Ort einer dem IS nahestehenden Kampfgruppe anzuschließen. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Mali kehrte er im Februar 2022 nach Deutschland zurück und wurde in Untersuchungshaft genommen. " Am 23. Dezember 2022 verurteilte der 6. Strafsenat des OLG München (Bayern) einen Angeklagten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der nunmehr Verurteilte im November 2021 in einem ICE unvermittelt mit einem Messer auf Kopf und Oberkörper von drei Passagieren eingestochen hatte. Alle drei Opfer wurden schwer verletzt. Ein weiterer, zu Hilfe eilender Passagier wurde ebenfalls verletzt. Der Strafsenat kam zu der Überzeugung, dass der Verurteilte aus einem jihadistisch-islamistischen Motiv heraus handelte. Eine Schuldunfähigkeit des Täters, der Angaben zu einer vorgeblichen psychischen Erkrankung gemacht hatte, schloss das Gericht aus. 210 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS VIII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Islamischer Staat" (IS) Gründung: Ende 2003 als "al-Qaida im Irak", seit Mitte 2014 "Islamischer Staat" Leitung: bis Februar 2022: Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi von März bis Oktober 2022: Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi ab November 2022: Abu al-Husain al-Husaini al-Qurashi Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Naba" (arabischsprachiges Onlinemagazin, erscheint wöchentlich) "Amaq" (Nachrichtenagentur) "al-Furqan" (Hauptmedienstelle für Veröffentlichungen der IS-Führungsebene) Betätigungsverbot: Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2014 211 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der "Islamische Staat" (IS) nahm im Lauf des Jahres 2013 eine zentrale Rolle im syrischen Bürgerkrieg ein und eroberte Anfang 2014 auch Gebiete im Nordirak. Am 29. Juni 2014 rief der damalige IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi das "Kalifat" aus und der IS entwickelte sich zum quasistaatlichen Akteur. Nach der endgültigen militärischen Zerschlagung des "Kalifats" im Lauf des Jahres 2019 konnte sich der IS in Syrien und im Irak im Untergrund konsolidieren. Der Terrororganisation ist es auch nach dem Untergang des "Kalifats" gelungen, ihren Einfluss weltweit auszudehnen. Regionalorganisationen des IS sind in vielen Teilen der Welt vertreten, wie beispielsweise der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK), der regelmäßig in der Lage ist, Anschläge in Afghanistan durchzuführen. Die terroristische Gefahr durch vom IS inspirierte Einzeltäter und Kleinstgruppen ist sowohl in islamischen Ländern als auch im Westen virulent. Dies belegen die zahlreichen Attentate, die im Namen des IS begangen wurden. Strukturen der Gruppierung sind in Deutschland - abseits von lose vernetzten Anhängerinnen und Anhängern - nicht bekannt. 212 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. Kern-"al-Qaida" Gründung: Mitte der 1980er-Jahre Leitung: bis Juli 2022: Aiman al-Zawahiri, seitdem unbekannt Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "as-Sahab" (Medienstelle) "Ummah Wahida" (Onlinemagazin) "Ibnat al-Islam" (Onlinemagazin) Die von Usama Bin Ladin gegründete "al-Qaida" versteht sich als Avantgarde einer internationalen jihadistischen Bewegung. Sie strebt ein islamistisches Regime zumindest in den mehrheitlich von Muslimen bewohnten Ländern und darauf aufbauend eine globale Ausdehnung an. Ihr Kampf gilt sowohl dem "äußeren Feind" (dem westlichen Einfluss, insbesondere den USA und Israel) als auch dem "inneren Feind" (den sogenannten unislamischen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika). Erklärtes Ziel von "al-Qaida" sind nach wie vor komplexe, medienwirksame Anschläge. Daneben sind Einzeltäter oder Kleinstgruppen dazu aufgerufen, Anschläge ohne Absprache und formale Anbindung an die Organisation durchzuführen. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind - abseits von lose vernetzten Anhängerinnen und Anhängern - nicht bekannt. 213 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Gründung: September 2006: Beitritt der algerischen "Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) zu "al-Qaida", anschließende Umbenennung im Januar 2007 in "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Leitung: Yazid Mebrak alias Youssef Abu Ubaydah al-Annabi Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Andalus" (Medienstelle) "al-Zallaqa" (Medienstelle) Die "al-Qaida"-Regionalorganisation, die sich bis 2007 "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC) nannte, ist heute als "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) bekannt. Die Organisation ist in Algerien, Libyen, Mali, Marokko, Mauretanien, Niger und Tunesien aktiv und verfolgt zum Teil global-jihadistische Ansprüche. In Mali agiert sie gemeinsam mit weiteren kleinen, regionalethnisch geprägten jihadistischen Gruppierungen und mit sympathisierenden Tuareg-Stämmen der Region, seit März 2017 unter der einheitlichen Bezeichnung "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM; vgl. Nr. 4). Französische Streitkräfte haben Anfang des Jahres 2022 in Mali nach eigenen Angaben einen hochrangigen Anführer der AQM getötet. Zwei Jahre zuvor kam der Gründer und langjährige Anführer Abdelmalik Droukdal ebenfalls bei einem Einsatz französischer Militärs in Mali ums Leben. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 214 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM)86 Gründung: März 2017 als Zusammenschluss von AQM-Strukturen mit Tuareg-Stämmen der Sahara und Sahelzone Anmerkung: Shahada-Flagge, wird Leitung: Iyad Ag Ghaly oft von Gruppierungen verwendet, die "al-Qaida" Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen zugehörig sind. Die Shahada in Deutschland: ist das islamische Glaubensbekenntnis. Die aus verschiedenen kleineren Gruppierungen formierte Vereinigung "Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin" (JNIM) unter Führung des Tuareg-Anführers Iyad Ag Ghaly unterstellte sich noch im Gründungsjahr formal der "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) und leistete gegenüber Kern-"al-Qaida" den Treueeid. Angriffe der JNIM richten sich gegen die gemeinsamen Truppen der G5-Sahelstaaten87 sowie gegen Angehörige der Friedensmission der Vereinten Nationen88. Die Bundeswehr beteiligt sich an dieser Mission89, die die European Union Training Mission Mali (EUTM Mali) ergänzt. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 86 Arabisch für "Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime". 87 G5-Sahelstaaten: Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad. 88 Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali; auf Französisch: Mission multidimensionnelle integree des Nations Unies pour la stabilisation au Mali (MINUSMA). 89 Voraussichtlich bis Mai 2024. 215 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 5. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Gründung: Januar 2009 Leitung/Vorsitz: Khalid al-Batarfi Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Malahem Media" (Medienstelle) Anmerkung: Verschiedene jihadistische Organisationen Ziel der "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) ist die Erbenutzen häufig dasselbe Logo; vgl. Logo IS. richtung eines islamistischen Staates auf der Arabischen Halbinsel. AQAH hat ihre operative Handlungsfähigkeit durch Anschläge und Anschlagsversuche unter Beweis gestellt. Ziele waren unter anderem der internationale Luftverkehr und staatliche Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel. Der weiter andauernde Krieg im Jemen, an dem auch ausländische Militärkräfte beteiligt sind, verschafft der AQAH geeignete Voraussetzungen für ihre terroristischen Aktivitäten. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 216 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 6. "Al-Shabab"90 Gründung: 2006 in Somalia Leitung: Ahmad Umar alias Abu Ubaidah Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Kataib" (Medienstelle) "Al-Shabab" bekämpfte zunächst die bis 2009 in Somalia stationierten äthiopischen Truppen sowie die damalige somalische Übergangsregierung. Im Anschluss richtete sie ihre terroristischen Aktivitäten auch gegen die im Jahr 2012 eingesetzte offizielle Regierung in Somalia. "Al-Shabab" wurde im Jahr 2012 von Kern-"al-Qaida" als regionaler Ableger in Ostafrika anerkannt. Die Organisation verübt immer wieder Anschläge in dem Krisenstaat Somalia. Ihr erklärtes Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Staates. Die Jihadisten kontrollieren gegenwärtig weite Teile Südsomalias und weiten ihre Aktivitäten auch in anderen Staaten Ostund Zentralafrikas aus. Strukturen des "Islamischen Staates" (IS) in Somalia werden durch "al-Shabab" systematisch bekämpft. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 90 Vollständige Bezeichnung: "Harakat al-Shabab al-Mujahidin". Arabisch für "Bewegung der Mujahidin-Jugend". 217 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 7. "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA)91 Gründung: Mitte der 1970er-Jahre im pakistanischen Exil Leitung: Gulbuddin Hekmatyar Mitglieder/Anhänger 160 (2021: 160) in Deutschland: Die sunnitische "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) ist eine der ältesten islamistischen Gruppierungen Afghanistans. Auch aufgrund von ideologischen Gemeinsamkeiten kam es in den vergangenen Jahren zu einer Annäherung zwischen der HIA und den "Taleban", die in Verhandlungen über die Zusammenarbeit in einer möglichen neuen afghanischen Regierung mündeten. Nach der Machtübernahme durch die "Taleban" besteht die HIA in Afghanistan formell weiter, ist aber nicht an der aktuellen Regierung beteiligt. In Deutschland gibt es mehrere, überwiegend von HIA-Anhängerinnen und -Anhängern frequentierte Moscheegemeinden, insbesondere in Frankfurt am Main (Hessen) und Hamburg. Die Gemeinden und Führungspersonen der HIA in Deutschland haben enge Kontakte zur Führung der HIA in Afghanistan. 91 Dari für "Islamische Partei Afghanistans". 218 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 8. "Hizb Allah"92 Gründung: 1982 im Libanon Sitz: Beirut (Libanon) Leitung: Generalsekretär Hassan Nasrallah, Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger 1.250 (2021: 1.250) in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Ahed al-Akhbari" (Onlinemagazin) "al-Manar TV" (TV-Sender) Betätigungsverbot Verbotsverfügung des Bundesministers gegen "al-Manar TV": des Innern vom 29. Oktober 2008 Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "Waisenkinderprojekt des Innern vom 2. April 2014 Libanon e.V." (WKP)93: Betätigungsverbot Verbotsverfügung des Bundesministers gegen die "Hizb Allah" des Innern, für Bau und Heimat vom in Deutschland: 26. März 2020 Vereinsverbote gegen Verbotsverfügung des Bundesministers Ersatzorganisationen des Innern, für Bau und Heimat vom des WKP: "Deutsche 15. April 202194 Libanesische Familie e.V." (DLF), "Menschen für Menschen e.V." und "Gib Frieden e.V.": 92 Arabisch für "Partei Gottes". 93 In der Mitgliederversammlung des WKP am 22. Februar 2014 wurde die Namensänderung in "Farben für Waisenkinder e.V." (FfW) beschlossen und am 6. Oktober 2014 an das zuständige Amtsgericht überstellt. Die Eintragung erfolgte am 16. Oktober 2014. 94 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat das Verbot am 14. Dezember 2022 in seinem Urteil gegen den DLF bestätigt. Die Klage des Vereins gegen das Verbot wurde als unbegründet abgewiesen. Damit ist das Vereinsverbot rechtskräftig. 219 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" bestreitet das Existenzrecht Israels. Sie propagiert den bewaffneten, auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", der als "legitimer Widerstand" bezeichnet wird. Es muss damit gerechnet werden, dass die "Hizb Allah" auch außerhalb des Nahen Ostens weiterhin terroristische Aktionen gegen Israel oder israelische Interessen plant. Die "Hizb Allah" verfolgt daneben ihre politische Agenda als Regierungspartei im Libanon. In Deutschland pflegen die Anhängerinnen und Anhänger der "Hizb Allah" den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt unter anderem in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spenden finanzieren. Das BVerwG hat mit Urteil vom 16. November 2015 seine ständige Rechtsprechung zur HAMAS (vgl. Nr. 9) auf die "Hizb Allah" übertragen. Danach richtet sich diese insgesamt gegen den Gedanken der Völkerverständigung, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. Die "Hizb Allah" stellt das Existenzrecht des Staates Israel offen infrage und ruft zu dessen gewaltsamer Beseitigung auf. Diese Einschätzung wurde in der Verbotsverfügung vom 26. März 2020 bestätigt. Zuletzt wurden am 15. April 2021 die Ersatzorganisationen des 2014 verbotenen Vereins "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP) verboten. WKP hatte seinerzeit Spenden in Deutschland gesammelt und diese der "Shahid-Stiftung" im Libanon zukommen lassen, die der "Hizb Allah" zugehörig ist. 220 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 9. HAMAS95 Gründung: Ende 1987 aus dem palästinensischen Zweig der "Muslimbruderschaft" (MB) Sitz: Palästinensische Autonomiegebiete, Gazastreifen Leitung: Isma'il Haniya Mitglieder/Anhänger 450 (2021: 450) in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Aqsa TV" (TV-Sender) Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "al-Aqsa e.V.": des Innern vom 31. Juli 2002 Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "YATIM-Kinderhilfe e.V.": des Innern vom 30. August 2005 Erweiterung der SSSS 86, Die Verwendung von Kennzeichen 86a Strafgesetzbuch der HAMAS ist nach der im Jahr 2021 (StGB): erfolgten Erweiterung der SSSS 86, 86a StGB strafbar. 95 Abkürzung für "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - "Islamische Widerstandsbewegung". Das arabische Wort Hamas bedeutet übersetzt "Begeisterung, Eifer". 221 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ziel der HAMAS ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" - auch durch bewaffneten Kampf. So heißt es in einem im Jahr 2017 verfassten Strategiepapier: "Der Widerstand gegen die Besatzung mit allen Mitteln und Wegen ist ein legitimes Recht, das durch göttliche Gesetze und internationale Normen und Gesetze garantiert wird. Im Kern davon liegt der bewaffnete Widerstand (...)." Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, was damit auch das Territorium des Staates Israel einschließt. Westliche Staaten wie Deutschland werden von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten. Seit dem Jahr 2001 werden die "Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden" als militärischer Flügel der HAMAS als Terrororganisation auf der sogenannten EU-Terrorliste geführt, seit dem Jahr 2003 die HAMAS insgesamt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung96 festgestellt, dass die HAMAS sich insgesamt gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. Im Juni 2021 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Erweiterung der SSSS 86 und 86a Strafgesetzbuch ("Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen" und "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen"), die ein Verbot von Propagandamitteln von auf der "EU-Terrorliste" stehenden Organisationen zum Inhalt hat. 96 Vgl. Urteile zum Verbot des "al-Aqsa e.V." vom 3. Dezember 2004 und zum Verbot der "Internationalen Humanitären Hilfsorganisation e.V." vom 18. April 2012. 222 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 10. "Türkische Hizbullah" (TH) Gründung: 1979 in Batman (Türkei) Leitung: Edip Gümüs (Führer), Funktionärsgruppe (Schura) Mitglieder/Anhänger 400 (2021: 400) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Hurseda" (Onlinemagazin) "Huseynisevda" (Onlinemagazin) "INZAR" (Zeitung/Zeitschrift) "Dogru Haber" (Zeitung/Zeitschrift) Die "Türkische Hizbullah" (TH) entstand 1979 durch den Zusammenschluss kurdischer Gruppierungen im Raum Diyarbakir. Seit dem Jahr 2000 gilt die TH in der Türkei als terroristische Vereinigung. Hauptziel der sunnitischen, kurdisch dominierten TH ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Gebiet der Türkei und dessen kontinuierliche, letztlich globale Ausweitung. Zur Durchsetzung ihrer Ziele hält die TH die Anwendung von Gewalt für gerechtfertigt. Zu den weiteren Kernpunkten der TH-Ideologie gehören ein ausgeprägter Antisemitismus und Antizionismus. In Deutschland konzentriert sich die TH auf Spendensammlungen und die Durchführung religiöser Veranstaltungen. Die Anhängerinnen und Anhänger der TH in Deutschland organisieren sich in lokalen Vereinen und Moscheen. Ein direkter Bezug zur Organisation wird sowohl von den hiesigen Anhängerinnen und Anhängern als auch von TH-nahen Moscheen und Vereinen vermieden. Eine ideologische Nähe lässt sich allerdings durch entsprechende Veranstaltungen feststellen. So wird des Gründers der TH Hüseyin Velioglu (1952-2000) jährlich anlässlich seines Todestags mit Veranstaltungen gedacht. 223 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 11. "Hizb ut-Tahrir"97 (HuT) Gründung: 1953 in Jerusalem (Israel) Leitung: Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin Mitglieder/Anhänger 750 (2021: 700) in Deutschland: Publikationen/Medien: Zeitungen/Zeitschriften (monatlich): "Köklü Degisim" "al-Waie" Websites: "kalifat.com" "khilafah.com" "hizb.org.uk" "hizb-ut-tahrir.info" "al-Waqiyah TV" (Onlinefernsehsender) Betätigungsverbot: Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 10. Januar 2003 Ziel der panislamisch ausgerichteten "Hizb ut-Tahrir" (HuT) ist die "Befreiung" aller Muslime von "Unterdrückung" und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat. Aus Sicht der HuT haben "unterdrückte" Muslime das Recht auf "Selbstverteidigung" mit allen Mitteln. Als Konsequenz werden Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen oftmals gebilligt. Ein weiteres Charakteristikum der HuT ist ein ausgeprägter Antisemitismus. In Deutschland agitiert die HuT wegen des Betätigungsverbots im Untergrund und rekrutiert dort neue Mitglieder. Insbesondere in den sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Gruppierungen mit ideologischer Nähe zur HuT, beispielsweise "Realität Islam", "Generation Islam" und "Muslim Interaktiv". Mit Videos und Textbeiträgen erreichen sie Zehntausende Interessierte und nutzen ihren Bekanntheitsgrad auch für Mobilisierungszwecke in der realen Welt. Die von ihnen besetzten Themen spielen im Rekrutierungsprozess islamistischer Organisationen eine wichtige Rolle und bereiten den Nährboden für eine Radikalisierung junger Muslime. 97 Arabisch für "Partei der Befreiung". 224 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 12. "Muslimbruderschaft"98 (MB) Gründung: 1928 in Ägypten Leitung/Vorsitz: Muhammad Badi Mitglieder/Anhänger 1.45099 (2021: 1.450) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Risalat al-Ikhwan" (Zeitschrift) Die "Muslimbruderschaft" (MB) gilt als älteste und einflussreichste sunnitische, islamistische Bewegung. Sie ist eigenen Angaben zufolge in mehr als 70 Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten. Ziel der MB, die noch heute von der Ideologie ihres Gründers Hasan al-Banna geprägt wird, ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage von Koran und Sunna. Zahlreiche islamistische, zum Teil auch terroristische Organisationen wie die palästinensische HAMAS oder die ägyptische "al-Gama'a al-Islamiya" sind aus der MB hervorgegangen. Die MB selbst postuliert seit den 1970er-Jahren zwar den Verzicht von Gewalt, davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings stellte die MB von 2012 bis 2013 in ihrem Gründungsland Ägypten die stärkste Fraktion im Parlament und mit Mohammed Mursi den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die MB demokratische Wahlen lediglich als Sprungbrett nutzen wollte, um ihre Vorstellung eines islamistisch geprägten politischen Systems durchzusetzen. Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter dem jetzigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft. 98 Deutsch für "al-Ikhwan al-Muslimun". 99 Einschließlich 350 Mitglieder der "Deutschen Muslimischen Gemeinschaft e.V." (DMG; vgl. Nr. 12.1). 225 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 12.1 "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) Gründung: 1958 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Khallad Swaid Mitglieder in 350 (2021: 400) Deutschland: Die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG), bis zu ihrer Umbenennung im September 2018 "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD), ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängerinnen und Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland. Ziel der DMG ist es unter anderem, gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als Ansprechpartnerin eines vorgeblich gemäßigten, weltoffenen Islam in Erscheinung zu treten. Sie verfolgt eine an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Bei öffentlichen Auftritten werden Bekenntnisse zur MB und verfassungsfeindliche Äußerungen vermieden. Zahlreiche Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen dennoch die Zugehörigkeit der Organisation zum weltweiten MB-Netzwerk. Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit mehr als 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland. 226 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 13. "Tablighi Jama'at"100 (TJ) Gründung: 1926 in Britisch-Indien Leitung: keine gesicherten Informationen (Umbruchphase) Mitglieder/Anhänger 550 (2021: 550) in Deutschland: Die "Tablighi Jama'at" (TJ) orientiert sich eng an dem Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Langfristiges Ziel ist es, der Scharia zu universeller Geltung zu verhelfen. Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallelgesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungsprozesse zumindest begünstigen. Die Aktivitäten der TJ in Deutschland werden über informelle Kontakte in einem hierarchisch aufgebauten Netzwerk herausragender Akteure koordiniert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Werbung neuer Anhängerinnen und Anhänger und der Durchführung von "Missionierungsreisen" im Inund Ausland. Im Jahr 2017 entbrannte in der Führungsriege auf dem indischen Subkontinent ein offener Streit um die Einführung von Reformen. Die in der Folge einsetzenden Spaltungstendenzen zwischen Gegnern und Befürwortern der Neuerungen haben sich weiter verfestigt und zum Teil zu schweren Konflikten innerhalb der internationalen TJ-Zentren geführt. 100 Urdu für "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission". 227 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 14. "Islamisches Zentrum Hamburg e.V." (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus Gründung: 1962 Sitz: Hamburg Leitung/Vorsitz: Mohammad Hadi Mofatteh Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Fadschr" (Zeitschrift, vierteljährlich) "SALAM! Zeitschrift für junge Muslime" (Zeitschrift, vierteljährlich) Das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) ist neben der Botschaft die wichtigste Vertretung der Islamischen Republik Iran in Deutschland. Die Aktivitäten des IZH, welches Träger der "ImamAli-Moschee" mit Sitz in Hamburg ist, sind darauf ausgerichtet, die islamische Lehre schiitisch-iranischer Prägung in Deutschland und Europa zu verbreiten. Hierfür organisiert das IZH unter anderem regelmäßige Gebetsund Vortragsveranstaltungen, religiöse Feiern sowie Sprachunterricht und andere Lehrveranstaltungen. Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz innerhalb der zahlreichen schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine aufgebaut und übt auf diese großen Einfluss bis hin zur vollständigen Kontrolle aus. Als wichtiges Element für die Steuerung der Interessen des IZH dient der schiitische Dachverband "Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V." (IGS). Innerhalb schiitisch-extremistischer Kreise ist häufig eine deutliche antisemitische und antiisraelische Grundeinstellung feststellbar, die auch in verschiedenen Medienkanälen propagiert wird. 228 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 15. "Milli Görüs"-Bewegung und ihr zugeordnete Vereinigungen Die "Milli Görüs"-Bewegung besteht aus mehreren Vereinigungen, die von einer gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der ideellen Bindung an den türkischen Politiker Necmettin Erbakan zusammengehalten werden. Obgleich alle Vereinigungen selbstständig und unabhängig voneinander agieren, ist die "Milli Görüs"-Ideologie - wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung - das verbindende Element. Die von Erbakan geprägten Schlüsselbegriffe seines politischen Denkens sind "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). "Gerecht" sind im Sinne Erbakans die Ordnungen, die auf "göttlicher Offenbarung" gegründet, "nichtig" jene, die von Menschen entworfen wurden. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses "nichtige" System müsse durch eine "Gerechte Ordnung" ersetzt werden, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte. Alle Muslime sollen an der Verwirklichung der "Gerechten Ordnung" mitwirken. Hierzu müssen sie eine bestimmte Haltung einnehmen und einen bestimmten Blick ("Görüs") auf die Welt gewinnen, nämlich einen nationalen/ religiösen ("Milli") Blick, einen "Milli Görüs". 229 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Ismail Aga Cemaati" (IAC) Die "Ismail Aga Cemaati" (IAC) ist der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen. Die IAC gilt allgemein als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. Seit dem Tod des langjährigen spirituellen Oberhaupts Mahmud Ustaosmanoglu im Juni 2022 wird die Gemeinschaft in der Türkei von Hasan Kilic angeführt. Bis zu seiner Abschiebung in die Türkei am 23. Oktober 2015 prägte der Prediger Nusret Cayir die IAC in Deutschland. Er ist nach wie vor deren Leitfigur. Seiner Auffassung zufolge gebe es niemanden außer der "Milli Görüs", der die Türkei "retten" könne. Seit Cayirs Ausreise in die Türkei werden seine Predigten via Internet live nach Deutschland übertragen. "SAADET Europa e.V." Die "Saadet Partisi" (SP), seit dem Jahr 2001 die politische Vertretung der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei, hat im Jahr 2013 damit begonnen, auch außerhalb der Türkei Strukturen aufzubauen. Seit 2017 existiert unter der Bezeichnung "SAADET Europa e.V." ein in Köln (Nordrhein-Westfalen) angemeldeter Verein, der die Zentrale der in Deutschland und Europa bestehenden Regionalvertretungen der SP darstellt. Die Zentrale befindet sich aktuell in Duisburg (Nordrhein-Westfalen). Erklärtes Ziel sind die Verbreitung der "Milli Görüs"-Ideologie und die Unterstützung der Mutterpartei, zum Beispiel bei Wahlen in der Türkei. 230 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" Die "Erbakan-Stiftung" wurde 2013 in der Türkei gegründet. Der Vorsitzende ist der Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Er erklärte, dass die Stiftung das Ziel habe, die Ideen seines Vaters wiederzubeleben. Ende 2013 wurde in Solingen (Nordrhein-Westfalen) unter Teilnahme von Fatih Erbakan die "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" gegründet. Diese ist seitdem bemüht, lokale und regionale Strukturen auszubauen und junge Anhängerinnen und Anhänger im Sinne der "Milli Görüs"-Ideologie zu prägen. "Milli Gazete" Als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung bildet die formal unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. In Deutschland ist die Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" erhältlich. "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) wurde im Jahr 1985 als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." gegründet. Extremismusbezüge der IGMG sind in den vergangenen Jahren schwächer geworden. Einer der Schwerpunkte der IGMGAktivitäten liegt im Bildungsbereich. Zwar versteht sich die IGMG vorrangig als religiöse Organisation und Dienstleisterin für religiöse Belange, betont aber gleichermaßen, einen "politischen Anspruch" zu haben und sich für das Wohl der gesamten Menschheit zu engagieren. In diesem Sinne nimmt sie unter anderem auch regelmäßig Stellung zu unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Themen. Die IGMG veröffentlicht neben einer Vielzahl von Broschüren unter anderem die Zeitschriften "Perspektif" (monatlich oder zweimonatlich) und "Camia" (zweiwöchentlich). 231 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 16. "Furkan Gemeinschaft" Gründung: 1994 in der Türkei Leitung: Alparslan Kuytul Mitglieder/Anhänger 400 (2021: 400) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Furkan Haber" (Nachrichtenportal) "TV Furkan" (Onlinefernsehsender) "Furkan Nesli Dergisi - Öncü Neslin Sesi" (Zeitschrift) Die "Furkan Stiftung für Bildung und Dienst"101 hat ihr Zentrum in der südtürkischen Stadt Adana. In Deutschland ist sie unter dem Namen "Furkan Gemeinschaft" bekannt und verfügt über Strukturen in Bayern, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Die Organisation verfolgt das Ziel, eine "islamische Zivilisation" zu begründen, die durch das islamische Recht geprägt sein und sich ausschließlich an Koran und Sunna orientieren soll. Demokratie wird grundsätzlich abgelehnt. Dies findet seinen Ausdruck auch im Verbot der Teilnahme an Wahlen. Der Westen wird zum Feindbild erklärt und Israel das Existenzrecht abgesprochen. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der Organisation liegt in der Missionierungsarbeit unter Muslimen jedweder Herkunft. Zur Verbreitung ihrer Ideen nutzt die "Furkan Stiftung" verschiedene Websites, Profile und Kanäle in sozialen Netzwerken sowie eine eigene Onlinezeitschrift. Auch die Ableger der deutschen "Furkan Gemeinschaft" sind in sozialen Netzwerken vertreten. Neben der Gewinnung neuer Anhänger nutzt die "Furkan Gemeinschaft" das Internet, um Stellung zu politisch-gesellschaftlichen Themen zu beziehen. Dabei bedient sie sich häufig eines Opfernarrativs, demzufolge Staat und Sicherheitsbehörden die Religionsfreiheit beschneiden würden. 101 Deutsch für "Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi". Dienst ist hier als "Dienst an der Religion" zu verstehen. 232 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 17. "Kalifatsstaat" Gründung: 1984 Leitung: zuletzt Metin Kaplan Mitglieder/Anhänger 700 (2021: 700) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Seriat.net" (Website) "Hakkhaber.com" (Website) "Hedschra-Kalender" ("Hicri Takvim Avrupa", jährlich publizierter Kalender in mehreren Sprachen) Vereinsverbote: Verbotsverfügungen des Bundesministers des Innern gegen den "Kalifatsstaat" und diverse Teilorganisationen in 2001 und 2002 Verbotsverfügung des Bayerischen Innenministeriums gegen einen Verein als Ersatzorganisation in 2013 233 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ideologisch versteht sich der "Kalifatsstaat" als Wiederbelebung des 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Übergeordnetes Ziel ist die Herrschaft des Islam unter der Führung eines Kalifen, unter dem Staat und Religion eine untrennbare Einheit bilden. Beginnend auf dem Gebiet der Türkei, soll dies später weltumspannend verwirklicht werden. Deutschland dient zunächst als "Ersatzland" für die "kemalistisch besetzte" Türkei. Die Abschiebung Kaplans im Jahr 2004 in die Türkei und das Verbot der Organisation in Deutschland 2001/2002 schwächten sie nachhaltig. Der Streit über die Nachfolge führte zu einer Spaltung in Fraktionen. Der zwischenzeitlich in der Türkei inhaftierte Kaplan wurde Ende 2016 vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt nun in Istanbul (Türkei). Seit der Haftentlassung ruft er seine Anhängerinnen und Anhänger im Internet regelmäßig dazu auf, den Streit der Fraktionen beizulegen, um sich gestärkt dem Ziel eines schariakonformen "Kalifatsstaats" zu widmen. Am 28. Juni 2022 fanden Exekutivmaßnahmen in sechs Bundesländern gegen mögliche Strukturen des "Kalifatsstaats" statt. Gegen mehrere Beschuldigte wurden Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot gemäß SS 85 Strafgesetzbuch eingeleitet. Die verbliebenen Anhängerinnen und Anhänger in Deutschland sympathisieren unter anderem in sozialen Netzwerken mit der Ideologie des "Kalifatsstaats", etwa auf der Plattform "Im Auftrag des Islam". Vor allem unter jüngeren davon machen sich seit Jahren Bezüge zu salafistischen und jihadistischen Strömungen bemerkbar. 234 Auslandsbezogener Extremismus 235 Auslandsbezogener Extremismus I. Überblick Im nicht islamistischen auslandsbezogenen Extremismus finden sich Organisationen mit Ideologieelementen aus dem Rechtsund Linksextremismus sowie Organisationen, die separatistische Bestrebungen in ihren Heimatländern verfolgen. Die Situation in den jeweiligen Bezugsregionen sowie die Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten bestimmen überwiegend Politik, Strategie und Aktionen der Strukturen in Deutschland. In ihren Heimatländern wollen diese Organisationen meist drastische Veränderungen der politischen Verhältnisse herbeiführen, dort oftmals auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror. Damit verstoßen die von Deutschland aus agierenden Strukturen extremistischer Auslandsorganisationen gegen den Gedanken der Völkerverständigung und können auch die innere Sicherheit gefährden. Den meisten dieser Organisationen gilt Deutschland als sicherer Rückzugsraum. Von hier aus unterstützen sie ihre Heimatorganisationen vor allem propagandistisch, häufig aber auch durch den Nachschub von Geld, Material oder neu rekrutierten Kämpfern. Hierdurch gefährden sie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Von besonderer Bedeutung sind die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) sowie die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Bewegung: die PKK aufgrund gewalttätiger Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten, die linksextremistische DHKP-C mit ihrem offenen Bekenntnis zum bewaffneten Kampf in der Türkei und die "Ülkücü"-Bewegung wegen ihrer beharrlichen und zum Teil auch aggressiven Ablehnung des Gleichheitsgrundsatzes. Zudem zeigt sich im türkischen Rechtsextremismus sowie bei extremistischen Palästinensern ein offener Antisemitismus. 1. Entwicklungstendenzen Agitation und Militanzniveau im auslandsbezogenen Extremismus sind überwiegend von der politischen Entwicklung und den strategischen Richtlinien der Organisationen in den jeweiligen 236 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Heimatländern abhängig. Das den auslandsbezogenen ExtremisZunahme mus prägende Veranstaltungsgeschehen hat nach den pandemieöffentlichkeitsbedingten Einschränkungen in den Vorjahren im Jahr 2022 wieder wirksamer sichtbar zugenommen; das Niveau von vor der Pandemie wurde Veranstaltungen aber noch nicht erreicht. Auch das Vereinsleben nahm wieder zu und erreichte zum Teil wieder das Vor-Pandemie-Niveau. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde von den im Auswirkungen auslandsbezogenen Extremismus beobachteten Gruppierungen des russischen und Einzelpersonen unterschiedlich thematisiert. Innerhalb einer Angriffskriegs gegen heterogenen, prorussischen Community gab es kontroverse Disdie Ukraine kussionen bis hin zu Rechtfertigungen und Verteidigungen des Narrativs der russischen Regierung. Insbesondere in den sozialen Medien traten einzelne Personen mit extremistischen und völkerverständigungswidrigen Äußerungen in Erscheinung. Mit Schwerpunkt im Frühjahr 2022 kam es aus diesem Spektrum zu prorussischen Versammlungen und Autokorsos mit Teilnehmerzahlen im dreibis niedrigen vierstelligen Bereich. Im Verlauf des Jahres nahmen diese öffentlichen Versammlungen wieder ab. Ein überregional dominierender Personenzusammenschluss war hierbei nicht festzustellen. In den kurdischen und türkisch geprägten extremistischen Organisationen wurde der Krieg nur anfangs thematisiert. Überwiegend konnten proukrainische Äußerungen festgestellt werden. Seitens der PKK wurde der Krieg genutzt, um auf die Situation der Kurden hinzuweisen, deren vermeintlich vergleichbare Situation keine entsprechenden Reaktionen im Westen hervorrufe. In linksextremistisch geprägten Organisationen wurden vereinzelt Stimmen laut, die zwar den Krieg als solchen verurteilten, aber auch Verständnis für Russlands Vorgehen äußerten. Kritisiert wurden hier vor allem die NATO und die USA, aber auch der "staatliche Imperialismus" insgesamt. Diese vor allem im Internet und in organisationseigenen Medien geäußerten Positionen waren aber kein Anlass für öffentlichkeitswirksame Proteste oder Straftaten. Die Thematik wurde vielmehr schnell wieder überlagert von für die Organisationen wichtigeren Themen. 237 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 2. Personenpotenzial Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland1 2020 2021 2022 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 14.500 14.500 14.500 Türkischer Rechtsextremismus 11.000 11.000 12.100 Türkischer Linksextremismus 2.550 2.550 2.550 Sonstige 600 600 600 Summe 28.650 28.650 29.750 1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 3. Straftaten mit auslandsbezogener extremistischer Motivation Die Straftaten mit einem auslandsbezogenen extremistischen Hintergrund haben das zweite Jahr in Folge zugenommen. Im Jahr 2022 fiel der Anstieg um 154,4 % auf nunmehr 1.974 Delikte (2021: 776) besonders deutlich aus. Nahezu eine Verdopplung zeigt sich bei den Gewaltdelikten (226 Delikte; 2021: 116). Den größten Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten in diesem Phänomenbereich und an ihrer deutlichen Zunahme haben die 1.229 Delikte, die 2022 in Deutschland im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfasst worden sind. Unter anderem handelt es sich dabei um 56 Körperverletzungen, vier Brandstiftungen und 276 Sachbeschädigungen, 119 Propagandadelikte, 70 Fälle von Volksverhetzung und 81 Nötigungen beziehungsweise Bedrohungen. Ohne diesen mit einer völlig neuen Bedeutung versehenen Bezugspunkt für Straftaten im auslandsbezogenen Extremismus liegen die Straftaten in den übrigen Teilbereichen insgesamt in etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Der Anstieg bei den Gewalttaten bleibt auch ohne den Sondereffekt bestehen - wenn auch weniger deutlich. Zwar gab es im Jahr 238 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 2022 kein Tötungsdelikt (2021: vier Versuche); besonders deutlich ist die Steigerung aber bei den 141 Körperverletzungen (2021: 57) sowie den 50 Widerstandsdelikten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte (2021: 25). Auf 59 mehr als verdoppelt haben sich auch die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (2021: 29). Diese Entwicklungen lassen sich nicht allein durch Straftaten im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg erklären. Vielmehr dürften sie in dem mit Abklingen der Coronapandemie wieder zugenommenen Veranstaltungsgeschehen und damit einhergehenden Konfrontationsund Versammlungsdelikten begründet sein. 58 Straftaten (2021: 122) wiesen einen antisemitischen Bezug auf, davon neun Körperverletzungen (2021: 3) und 24 Volksverhetzungen (2021: 58). Die meisten Straftaten gab es in Nordrhein-Westfalen (780; 2021: 203), Baden-Württemberg (429; 2021: 111) und Berlin (347; 2021: 162). 4. Finanzierung Eine wesentliche Betätigung der verschiedenen Organisationen im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland ist die Beschaffung von Geldmitteln. Diese fließen neben den Strukturen und Aktivitäten in Deutschland und Europa zum Teil auch den Mutterorganisationen in den Heimatländern zu. Diese Finanzierungsströme aufzuklären, strafrechtlich zu verfolgen und dadurch nachhaltig zu stören ist wesentlicher Bestandteil der Gesamtstrategie der Sicherheitsbehörden zur Terrorismusund Extremismusbekämpfung. Hierzu zählt auch die offene Nennung verfassungsschutzrechtlich relevanter Organisationen im Verfassungsschutzbericht. Neben der Aufklärung der Öffentlichkeit erschwert dies den Organisationen ihre Lobbyund Propagandaarbeit und soll das Erlangen von Spenden oder sonstigen Förderungen unterbinden oder zumindest ebenfalls erschweren. So führt beispielsweise die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht nach SS 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung grundsätzlich zur Versagung von Steuervergünstigungen. Als stärkstes Mittel besteht zudem die Möglichkeit der Verfügung von Vereinsoder Betätigungsverboten. Neben Spendensammlungen oder -kampagnen generieren die Organisationen ihre finanziellen Mittel in der Regel vor allem 239 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS aus Mitgliedsbeiträgen oder dem Verkauf von Publikationen wie Schriften, Büchern oder Tonträgern. Weitere Einnahmen werden erzielt bei diversen Veranstaltungen wie Konzerten oder Festivals, zum Beispiel durch den Verkauf von Eintrittskarten und "Solidaritätstickets" oder durch die Erlöse aus dortigen Verpflegungsund Verkaufsständen. "JahresspendenDie PKK erzielte im Jahr 2022 bei ihrer "Jahresspendenkampagne" kampagne" der PKK ("kampanya") allein in Deutschland geschätzt zwischen 16 und 17 Millionen Euro und erreichte damit in etwa wieder das hohe Vorjahresniveau. Die "kampanya" ist in Deutschland die wesentliche Einnahmequelle der PKK. Sie verläuft äußerst konspirativ. Die Spendengelder werden von der Organisation bei den Spendern ausschließlich persönlich und in bar eingesammelt. Die gesammelten Spenden und weitere Einnahmen aus Veranstaltungen, Mitgliedsbeiträgen oder dem Verkauf von Publikationen werden vor allem für den Unterhalt der Organisation und des umfangreichen Propagandaapparats in Europa genutzt. Die Kadereinheit "Wirtschaftsund Finanzbüro" (EMB)102 steuert und kontrolliert die finanziellen Aktivitäten der PKK in Deutschland und Europa. Finanzielle Im Bereich der türkischen linksextremistischen Organisationen Bedeutung von erzielte die DHKP-C in den vergangenen Jahren durch Konzerte "Grup Yorum" für die der ihr zuzurechnenden Musikgruppe "Grup Yorum" ihre höchsDHKP-C ten Einnahmen. Allerdings ist es der Organisation seit 2020 pandemiebedingt wie auch durch exekutive Maßnahmen nicht mehr gelungen, ein größeres "Grup Yorum"-Konzert in Deutschland durchzuführen, sodass hierdurch zuletzt kaum noch Gelder generiert werden konnten. Finanzierung Im türkischen Rechtsextremismus ist die Finanzierung so unterim türkischen schiedlich wie die einzelnen Gruppierungen in diesem Spektrum: Rechtsextremismus Die nicht verbandlich organisierte "Ülkücü"-Szene zeigt überwiegend keine relevanten Finanzierungsaktivitäten, was insbesondere auf fehlende dauerhafte Strukturen zurückzuführen sein dürfte. Anders ist es bei den mitgliederstarken Dachverbänden, welche über regelmäßige Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge und Spenden verfügen. Werden Gebetsräume unterhalten, stellen angebotene Korankurse weitere Einnahmemöglichkeiten dar. Daneben gibt es auch Versuche, durch den Verkauf von Dienstleistungen 102 "Ekonomi ve Maliye Bürosu". 240 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS wie Türkeireisen oder mit verschiedenen Angeboten im Bestattungsbereich zusätzliche Einnahmen zu erschließen oder neue Mitglieder mit diesen Angeboten anzuwerben. Aber auch innerhalb der verbandlich organisierten "Ülkücü"-Bewegung ist die finanzielle Situation nicht einheitlich. Während es bei kleineren Ortsvereinen in der verbandlich organisierten Szene durchaus zu finanziellen Engpässen kommen kann, dürften die großen Dachverbände, die zum Teil über Immobilieneigentum verfügen, besser ausgestattet sein. II. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)103 strebt eine kulturelle Autonomie und lokale Selbstverwaltung für die Kurden in ihren Siedlungsgebieten in der Türkei, aber auch im Nordirak und im Norden Syriens an. Maßgeblich bleibt hierbei allein die von den Führungskadern vorgegebene Parteilinie. Zur Durchsetzung ihrer Ziele rief der Parteigründer Abdullah Öcalan 1984 zum bewaffneten Kampf auf, der seitdem mittels Guerillaeinheiten - in der Türkei insbesondere die "Volksverteidigungskräfte" (HPG)104 und deren "Frauenverteidigungskräfte" (HPJ)105 - gewaltsam geführt wird. Trotz seiner Verhaftung 1999 wird der seitdem in der Türkei inhaftierte Öcalan von der PKK-Anhängerschaft unverändert als unumstrittene Führungsund Symbolfigur verehrt. In Deutschland ist die PKK seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt und von der EU seit 2002 als Terrororganisation gelistet. Hierzulande sind die wesentlichen Tätigkeitsfelder der PKK vor allem die logistische und finanzielle Unterstützung der Gesamtorganisation, die Rekrutierung neuer Anhängerinnen und Anhänger sowie die Durchführung zahlreicher Kundgebungen und Großveranstaltungen zur Propaganda in eigener Sache. Gegenüber Politik und Öffentlichkeit propagiert die PKK ihren Anspruch, die einzige legitime Vertreterin der Angelegenheiten des kurdischen Volkes zu sein. Ein wesentlicher Teil ihrer Lobbyarbeit in Deutschland zielt auf die Aufhebung des Betätigungsverbots. 103 "Partiya Karkeren Kurdistan". 104 "Hezen Parastina Gel". 105 "Hezen Parastina Jin". 241 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS In Europa bemüht sich die PKK seit Jahren um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild. Jedoch kommt es bei öffentlichen Veranstaltungen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder mit türkischstämmigen Nationalisten beziehungsweise türkischstämmigen Rechtsextremisten. 1. Organisationsstruktur Die PKK ist streng hierarchisch aufgebaut und auf ihre Führungsspitze hin ausgerichtet. Die Strukturen in Europa sind nahtlos in den PKK-Aufbau eingegliedert und setzen die von der PKK-Führungsspitze vorgegebenen Ziele ohne eigenverantwortlichen Entscheidungsspielraum um. Struktur in Die PKK-Strukturen in Deutschland gliedern sich in vier Sektoren Deutschland ("Saha"), neun Regionen ("Eyalet")106 und 31 Gebiete ("Bölge"), in denen jeweils ein Führungsfunktionär an der Spitze verantwortlich ist. Die Funktionäre, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, agieren zumeist konspirativ und setzen organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben um beziehungsweise leiten diese an nachgeordnete Ebenen weiter. Dafür nutzt die PKK überwiegend örtliche Vereine, die ihrer Anhängerschaft als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Neben den internen hierarchischen Führungsstrukturen der PKK gibt es ein nach außen in Erscheinung tretendes Geflecht aus PKK-nahen Vereinen. Organisatorisch ist diesen Vereinen in Deutschland die "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED)107 als Dachverband übergeordnet. Ihr nachgeordnet sind fünf regionale Föderationen, die fast das gesamte Bundesgebiet abdecken und in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich wiederum den örtlichen Vereinen vorstehen. Die KON-MED und ihre Untergliederungen mobilisieren im Sinne der PKK zur Teilnahme an verschiedenen Veranstaltungen und Kundgebungen und beteiligen sich an der Öffentlichkeitsund Kampagnenarbeit. 106 Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland/Rheinland-Pfalz und Westfalen. 107 "Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya". 242 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Darüber hinaus versucht die PKK mithilfe sogenannter Massenorganisationen, ihre Anhängerschaft an sich zu binden, indem sie diese nach sozialen Kriterien oder Berufsund Interessengruppen organisiert. Besonders hervorzuheben sind die PKK-Jugendorganisation und die PKK-Studierendenorganisation. Weitere Beispiele sind die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (AKKH/TJK-E)108 sowie Religionsgemeinschaften wie die "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), die "Föderation der demokratischen Aleviten e.V." (FEDA) und der "Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V." (NAV-YEK). Insbesondere die in der Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/ PKK-Jugend"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS)109 aktiven Jugendlichen und organisation jungen Erwachsenen sind ein großes Mobilisierungspotenzial für die zahlreichen Veranstaltungen der PKK. Zudem rekrutieren sie Nachwuchs für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten und begehen in Deutschland mitunter Straftaten oder führen militante Aktionen gegen türkische (halb)staatliche Einrichtungen oder als solche ausgemachte türkische Rechtsextremisten und ihre Trefforte durch. Ein weiterer für die Mobilisierung und Vernetzung bedeutender PKK-StudierendenVerband ist die im Jahre 1991 gegründete PKK-Studierendenorganisation organisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK)110 sowie deren autonome Frauenorganisation "Studierende Frauen aus Kurdistan" (JXK)111. Zu deren regelmäßigen Aktivitäten gehören neben ideologischen Schulungen (Winterund Sommerakademien) und demonstrativen Aktionen im Sinne der PKK die Kampagnenarbeit, zum Beispiel mit Infoständen, sowie kulturelle Arbeit wie das Durchführen von Konzerten, kurdischen Sprachkursen, Filmvorführungen, Ausflügen und Delegationsreisen von Vertretern der Organisation, zum Beispiel für propagandistische Zwecke, in die kurdischen Siedlungsgebiete. Themenund anlassbezogen kommt es auch zu gemeinsamen Aktionen mit deutschen Linksextremisten. 108 Türkisch: "Avrupa Kürt Kadin Hareketi"/Kurdisch: "Tevgera Jinen Kurd li Ewropa". 109 "Gemeinschaft der Jugendlichen"/"Bewegung der revolutionären Jugend". 110 "Yekitiya Xwendekaren Kurdistan". 111 "Jinen Xwendekar en Kurdistan". 243 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 2. Versammlungsgeschehen Mittels zentral gesteuerter, öffentlichkeitswirksamer Propagandaaktionen versucht die PKK in Deutschland und im benachbarten Ausland, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erlangen. Zu diesem Zweck richtet sie regelmäßig Kundgebungen, zentrale Großveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Kampagnen, Hungerstreiks oder Mahnwachen aus. Zentrale GroßIm Jahr 2022 ist es der PKK mit der Ausrichtung von bei ihrer Anveranstaltungen hängerschaft beliebten zentralen Großveranstaltungen gelungen, sich dem Vor-Pandemie-Niveau wieder anzunähern: " Am 19. März 2022 fand in Frankfurt am Main (Hessen) die zentrale Großkundgebung zum traditionellen kurdischen Neujahrsfest Newroz mit 17.000 Teilnehmenden statt (zuletzt 2019 mit 25.000 Teilnehmenden). " Das bei der PKK-Anhängerschaft besonders beliebte "Internationale Kurdische Kulturfestival" wurde am 17. September 2022 in Landgraaf (Niederlande) abgehalten. An der Veranstaltung, die in diesem Jahr zum 30. Mal stattfand, beteiligten sich 10.000 Personen, darunter ein Großteil aus Deutschland (2021: 7.500 Teilnehmende). Anlassbezogene Darüber hinaus organisierte die PKK im Berichtszeitraum zahlreiProteste che Demonstrationen im Bundesgebiet, insbesondere gegen türkische Militäroperationen in den kurdischen Siedlungsgebieten. " Am 18. April 2022 veröffentlichte die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) einen Aufruf des Dachverbands KON-MED zu Protesten in 27 deutschen Städten, die sich gegen am Tag zuvor begonnene türkische Luftangriffe auf Stellungen der PKK und ihrer Schwesterorganisation im Nordirak und Nordsyrien richteten. " Als Reaktion auf den Sprengstoffanschlag mit mehreren Toten und Verletzten am 13. November 2022 in Istanbul verstärkte die Türkei erneut ihre Luftangriffe auf Ziele im Nordirak und in Nordsyrien. Auch hier mobilisierten PKK-nahe Organisationen zu zahlreichen Demonstrationen in ganz Deutschland. Beide Protestwellen erreichten mit Teilnehmerzahlen im jeweils zweibis mittleren dreistelligen Bereich nicht die Art und 244 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Ausmaße, wie sie die Proteste gegen die türkische Bodenoffensive 2019 im nordsyrischen Afrin hatten. Die größten Veranstaltungen mit Bezug zu den beiden oben genannten Militäroffensiven fanden am 30. April 2022 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit über 4.000 und in Berlin am 26. November 2022 mit rund 1.400 Teilnehmenden statt. Der Schwerpunkt bei der Veranstaltung in Berlin, die am 29. Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots stattfand, lag bereits wieder auf der Forderung nach der Aufhebung des Verbots. Die Veranstaltungen verliefen überwiegend friedlich und störungsfrei. Nur vereinzelt kam es zu versammlungstypischen Straftaten wie dem Zeigen verbotener Symbolik, Sachbeschädigungen, Flaschenwürfen oder dem Abbrennen von Pyrotechnik. In wenigen Fällen griffen Teilnehmende auch Polizeikräfte an. 3. Rekrutierungsmaßnahmen Mit Blick auf die fortwährenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften in den kurdischen Siedlungsgebieten ist die PKK nach wie vor bestrebt, insbesondere jugendliche Anhängerinnen und Anhänger für den bewaffneten Kampf aus Deutschland und Europa zu rekrutieren. Eine entscheidende Rolle spielt hierfür die PKK-Jugendorganisation. Neben persönlichen Ansprachen werden Jugendliche gezielt auch in PKK-Medien aufgefordert, sich dem bewaffneten Kampf der PKK anzuschließen. So hieß es beispielsweise sinngemäß in einem türkischsprachigen Editorial in der monatlich erscheinenden Jugendzeitung "Sterka Ciwan": "Wir rufen die gesamte Jugend Kurdistans in Europa dazu auf, den Kampf im Sinne des Vorstoßes 'Kommt zum Freiheitskrieg' zu intensivieren, die Isolation des Führers APO112 zu durchbrechen und Rache für unsere Märtyrer zu nehmen." ("Sterka Ciwan" Nr. 224, Januar 2022) 112 Apo ist die kurdische Bezeichnung für Onkel und ein gängiger Spitzname für "Abdullah". Sie wird von PKK-Anhängern häufig als Synonym für Öcalan verwendet. 245 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Bei den Rekrutierungsbemühungen findet seit einiger Zeit eine enge Kooperation mit dem "internationalistischen Spektrum"113 statt, zu dem auch Linksextremisten zählen. Anlässlich des alljährlichen "Langen Marsches" der PKK-Jugend heißt es hierzu in einem Aufruf: "Auf dieser Grundlage rufen wir alle Kurdinnen und Kurden und ihre Freundinnen und Freunde auf, 'Kurdistan zu verteidigen', sich dem Kampf der Guerilla anzuschließen (...)." (Homepage "Nuce Ciwan", 26. Mai 2022) Seit Beginn der statistischen Erfassung durch das BfV im Juni 2013 haben sich mehr als 300 Personen aus Deutschland in die kurdischen Siedlungsgebiete begeben und sich dort unter anderem Kampfeinheiten der PKK angeschlossen. Von den Ausgereisten sind mindestens 36 Personen dort ums Leben gekommen, über 150 Personen sind mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. Getötete Verschiedene PKK-nahe Medien sowie das Medienzentrum der Kämpferinnen PKK-Guerilla HPG berichteten 2022 über mindestens drei Fälle, und Kämpfer aus in denen in Deutschland rekrutierte Personen im Einsatz für die Deutschland Kampfeinheiten der PKK ums Leben gekommen sind. Die zwei Frauen und ein Mann im Alter zwischen 25 und 30 Jahren waren unabhängig voneinander vor einigen Jahren aus Deutschland in die kurdischen Siedlungsgebiete ausgereist. Alle drei waren schon vor ihrer Ausreise in Deutschland für die PKK aktiv. Dies belegt, dass in Deutschland rekrutierte Personen auch militärisch ausgebildet und im Kampfgebiet im Ausland eingesetzt werden. 4. Medienwesen Zur Verbreitung ihrer Ideologie und Propaganda unterhält die PKK einen umfangreichen Medienapparat, mit dem sie die Gesamtheit der Kurdinnen und Kurden in ihrem Sinne beeinflussen und mobilisieren will. 113 Bei "Internationalisten" handelt es sich um Personen aus verschiedenen Ländern, die oft aus einem linksextremistischen bzw. anarchistischen Spektrum stammen und sich entsprechend der Ideologie des "revolutionären Internationalismus" für unterdrückte Völker oder soziale Gruppen engagieren. Zu den "internationalistischen" Kristallisationspunkten zählt auch die Kurdenfrage und insbesondere die "Revolution" in "Rojava" (gemeint sind die kurdischen Siedlungsgebiete in Nordsyrien). 246 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Von besonderer Bedeutung sind der in Norwegen beheimatete PKK-Fernsehsender "Sterk TV"114 und die in Neu-Isenburg (Hessen) herausgegebene PKK-Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP)115 mit einer täglichen Auflage von etwa 10.000 Exemplaren in türkischer und kurdischer Sprache. Täglich berichtet auch die in den Niederlanden angesiedelte PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF)116 in mehreren Sprachen. Durch das seit August 2008 bestehende Portal "Gerila TV"117 wird mit speziellen Beiträgen der bewaffnete Kampf der Organisation verherrlicht. Mit der in den Niederlanden verlegten, monatlich erscheinenden PKK-Zeitung "Serxwebun"118 soll PKK-Kadern kontinuierlich die ideologische Ausrichtung der PKK vermittelt werden. Über das Internet und die sozialen Medien zielt die PKK vor allem auf jüngere Personen ab. Mit Propagandavideos über die PKKGuerillaeinheiten sollen neue Rekrutinnen und Rekruten für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten gewonnen werden. Am 26. Januar 2022 hat das Bundesverwaltungsgericht die Klagen Bestätigung des der "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH" und der "MIR Verbots zweier PKKMultimedia GmbH" abgewiesen. Die beiden Unternehmen waren Verlage am 12. Februar 2019 als Teilorganisationen der PKK nach dem Vereinsgesetz verboten und aufgelöst worden. Das Gericht bestätigte mit seiner Entscheidung die Einbindung beider Unternehmen in den Medienapparat der PKK in Europa und damit die Rechtmäßigkeit des Verbots. Die "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH" hatte für die verbotene Organisation Propagandamaterial wie einschlägige Bücher und Zeitschriften, aber auch PKK-Devotionalien wie Fahnen, T-Shirts oder Schmuck mit PKK-Symbolik oder dem Bildnis Öcalans im Inund Ausland verbreitet. Die Aufgabe der "MIR Multimedia GmbH" war es, innerhalb der PKK-Strukturen einen kurdischen Musikmarkt zu schaffen. Mit den hierdurch erzielten Einnahmen sollte die PKK finanziell unterstützt werden. Gleichzeitig sollte das Unternehmen die Ideologie der PKK weiterverbreiten. 114 "Stern TV". 115 "Neue Freie Politik". 116 "Ajansa Nuceyan a Firate". 117 "Guerilla TV". 118 "Unabhängigkeit". 247 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 5. Strafverfahren gegen Funktionäre Der Verfolgungsdruck auf PKK-Funktionäre in Deutschland bleibt weiterhin hoch. So wurden auch 2022 wieder mehrere PKK-Führungskader wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung festgenommen oder angeklagt. Verurteilung eines Am 4. November 2022 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) PKK-Regionsleiters München (Bayern) einen PKK-Funktionär wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der Angeklagte war von Juli 2020 bis zu seiner Festnahme am 7. Mai 2021 als Regionsleiter für die PKKRegion Bayern und zugleich als Gebietsleiter der PKK in Nürnberg (Bayern) tätig. In dieser Rolle koordinierte er die wesentlichen Aktivitäten der PKK in den drei zu der Region gehörenden Gebieten München, Nürnberg und Ulm (Baden-Württemberg) und erstattete der PKK-Europaführung hierüber Bericht.119 PKK-Gefangenenhilfe Unterstützung erhalten strafrechtlich verfolgte Funktionäre der PKK durch den "AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V." (AZADI e.V.). Der Verein mit Sitz in Köln (Nordrhein-Westfalen) übernimmt zum Beispiel ganz oder teilweise Anwaltsund Prozesskosten für verurteilte Personen und unterstützt Inhaftierte finanziell. Auf diese Weise sollen Betroffene weiterhin an die Organisation gebunden werden. Es bestehen enge Verbindungen zu PKK-nahen Organisationen und zur linksextremistischen "Roten Hilfe e.V.". 6. Gefährdungspotenzial Die PKK ist die mitgliederstärkste und schlagkräftigste Organisation im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland. Mit der Wiederaufnahme von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen zeigt die PKK, dass sie willens und in der Lage ist, ihre Anhängerschaft in hohem Maße zu mobilisieren und auch darüber hinaus Personen für ihre Anliegen anzusprechen. Zudem gelingt es der PKK auch weiterhin, in Deutschland lebende Personen, dabei vor 119 Vgl. OLG München, Urteil vom 04.11.2022 - 7 St 2/22. 248 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS allem junge Menschen, für die Ausreise zum bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten zu rekrutieren. Insbesondere die politischen und militärischen Entwicklungen Gewalt bei in der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien führen regelmäßig Demonstrationen zu einer deutlichen Emotionalisierung der PKK-Anhängerschaft in Deutschland, die sich auch auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken kann. Permanentes Konfliktpotenzial bieten die zahlreichen im Bundesgebiet durchgeführten Kundgebungen der PKK, bei denen es auch 2022 zu versammlungstypischen Straftaten, Angriffen auf die Polizei und zu Konfrontationen zwischen PKK-Anhängern und türkischen Nationalisten beziehungsweise türkischen Rechtsextremisten kam. So kam es im Verlauf einer Kundgebung am 12. Februar 2022 in Berlin zu einer Körperverletzung durch einen Versammlungsteilnehmer an einem Passanten, nachdem dieser zuvor durch Zeigen des sogenannten Wolfsgrußes die Demonstrierenden provoziert hatte. Im Rahmen einer Kundgebung am 23. Juli 2022 in Hamburg griffen Versammlungsteilnehmende die eingesetzten Polizeikräfte an - ebenfalls nach vorherigen Provokationen durch Außenstehende. Bei solchen Auseinandersetzungen zeigt sich teilweise eine Gefährdungsdimension, in der schwere Körperverletzungen bis hin zu tödlichen Folgen nicht auszuschließen sind. Daneben besteht in Deutschland nach wie vor auch die Gefahr militanter Aktionen gegen (halb)staatliche Einrichtungen der Türkei, wie zum Beispiel Sachbeschädigungen oder Brandstiftungen gegen türkische Konsulate oder staatlich gelenkte türkisch-islamische Vereine. Wenngleich in Europa weiterhin friedliche Veranstaltungen und Aktivitäten im Vordergrund stehen, bleibt Gewalt eine strategische Option der PKK-Ideologie. Die PKK ist in der Lage, zumindest punktuell Gewalt auch in Deutschland einzusetzen, sofern dies aus ihrer Sicht geboten scheint. Darüber hinaus werden Strafund Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhängerschaft zumindest geduldet. 249 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS III. Türkischer Linksextremismus Türkische Linksextremisten verfolgen das Ziel, die Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei gewaltsam zu überwinden und eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Zu diesem Zweck befürworten sie offen Terroranschläge in der Türkei, die von ihren bewaffneten Kampfeinheiten oder Einzelpersonen verübt werden. Gemeinsame ideologische Grundlage der verschiedenen Organisationen ist der Marxismus-Leninismus. 1. Überblick über Organisationen in Deutschland Zu den relevantesten in Deutschland aktiven türkischen linksextremistischen Organisationen gehören die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C)120, die "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP)121, die "Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten" (TKP-ML)122 und die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)123. Deutschland gilt diesen Organisationen als sicherer Rückzugsraum, von dem aus sie ihre jeweilige Mutterorganisation in der Türkei propagandistisch, aber auch finanziell und logistisch sowie durch die Anwerbung neuer Mitglieder unterstützen. Neben öffentlichkeitswirksamen Kundgebungen und eigenen Propagandaveranstaltungen besteht in diesem Spektrum eine enge Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten. "Young Struggle" Ein immer wieder öffentlich in Erscheinung tretendes Beispiel für diese spektrenübergreifende Zusammenarbeit ist "Young Struggle" (YS). Der europäische Dachverband der MLKP-Jugendorganisationen tritt in Deutschland unmittelbar als MLKP-Jugendorganisation auf und bemüht sich hierzulande vor allem um die Gewinnung neuer Mitglieder. Während andere türkische linksextremistische Jugendorganisationen fast ausschließlich aus türkeistämmigen Personen bestehen, ist es YS gelungen, auch deutsche Jugendliche ohne türkischen/kurdischen Hintergrund zu gewinnen. Hierfür besetzt YS regelmäßig auch Themen, die für die 120 "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi". 121 "Marksist Leninist Komünist Parti". 122 "Türkiye Komünist Partisi-Marksist-Leninist". 123 "Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist". 250 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Mutterorganisation MLKP nur von geringem Interesse sind, aber allgemein eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben, wie zum Beispiel aktuell den Klimaund Umweltschutz. Anhängerinnen und Anhänger von YS waren auch bei den Protesten gegen den G7-Gipfel 2022 auf Schloss Elmau in Bayern sichtbar vertreten. Bei solchen und ähnlichen Anlässen agiert YS regelmäßig gemeinsam auch mit deutschen Linksextremisten. Darüber hinaus agieren türkische linksextremistische Organisationen hierzulande vor allem unter Tarnbezeichnungen oder mittels Umfeldund Jugendorganisationen, um ihre Zugehörigkeit zu den in der Türkei auch terroristisch agierenden Mutterorganisationen zu verschleiern. 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C spricht sich für eine revolutionäre Zerschlagung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei aus und zielt auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Sie propagiert einen permanenten bewaffneten Kampf unter der Führung ihres militärisch-propagandistischen Armes, der "Revolutionären Volksbefreiungsfront" (DHKC)124. Denn aus Sicht der DHKP-C können weder Wahlen noch Verhandlungen mit dem "faschistischen oligarchischen Regime der Türkei" zu politischen und sozialen Veränderungen führen. Das alljährlich zur Parteigründung am 30. März veröffentlichte "Bulletin der DHKP"125 enthält ein klares Bekenntnis zur Zielsetzung der DHKP-C, das sinngemäß wie folgt lautet: "Wir versprechen unseren 700 Märtyrern, dass wir solange Widerstand leisten und Krieg führen werden, bis wir eine Welt ohne Klassen und ohne Ausbeutung und ein unabhängiges demokratisches Land aufgebaut haben und bis unser Volk gesättigt ist von Brot und Gerechtigkeit! Wir werden Widerstand leisten und siegen! 124 "Devrimci Halk Kurtulus Cephesi". 125 Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi" - DHKP) ist der politische Arm der DHKP-C. 251 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Der einzige Weg ist die Revolution, die einzige Befreiung ist der Sozialismus!" (DHKP-Bulletin Nr. 55, 26. März 2022, veröffentlicht in der "Halk Okulu" Nr. 124, 27. März 2022) Neben zahlreichen Büchern und Broschüren nutzt die DHKP-C ihre Website "Halkinsesi TV" sowie das Parteiorgan "Halk Okulu" zur Verbreitung ihrer Ideologie. Zum Beispiel heißt es darin sinngemäß: "Wir müssen für den Krieg bereit sein! (...) Heute sind es [vielleicht] nur wir, die den bewaffneten Kampf verteidigen. (...) Als eine Organisation, die seit jeher voranschreitet, ohne Kompromisse in ihren Prinzipien zu machen und ohne von ihren Zielen abzuweichen, sind wir mehr als alle anderen bereit, für diesen Krieg (...)." ("Halk Okulu" Nr. 137, 26. Juni 2022) Bei "Halk Okulu" handelt es sich organisatorisch, funktional und inhaltlich um die Nachfolgepublikation des vormaligen Parteiorgans "Yürüyüs", für das in Deutschland ein Verbreitungsverbot gilt. In Deutschland unterliegt die DHKP-C seit 1998 einem Organisationsverbot. Von der EU ist sie seit 2002 und von den USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation gelistet. Aus diesem Grund tritt die DHKP-C in Deutschland ausschließlich unter Tarnbezeichnungen wie "Volksfront" ("Halk Cephesi") oder "Volksrat" ("Halk Meclisi") sowie über ihre Jugendorganisation "Revolutionäre Jugend" ("Dev Genc")126 in Erscheinung. Örtliche Strukturen verwenden unverfängliche Namen, wie "Halk Kültür Evi" ("Kulturhaus des Volkes"), "Yorum Kültür Evi" oder "Dayanisma Evi" ("Solidaritätshaus"). Aktivitäten Die DHKP-C versuchte 2022, ihre gewohnte Kampagnentätigkeit der DHKP-C in in Deutschland aufrechtzuerhalten. Thematisch konzentrierte sie Deutschland sich dabei vor allem auf die Gefangenensolidarität. Die Beteiligung der Anhängerschaft an Propagandaaktivitäten wie Standkundgebungen, Demonstrationen und internen Zusammenkünften war jedoch deutlich rückläufig. 126 Kurzform für "Devrimci Genclik". 252 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Zwischen dem 16. und dem 18. Mai 2022 wurden eine hochranExekutivmaßnahmen gige Funktionärin und zwei weitere Führungsfunktionäre der gegen Führungskader DHKP-C in Deutschland festgenommen. Hintergrund sind drei Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung. Die festgenommene Funktionärin ist dringend verdächtig, die aktuelle Deutschlandverantwortliche der DHKP-C zu sein. Bei den beiden anderen Personen soll es sich um zwei ehemalige Gebietsleiter für die Regionen Nordund Süddeutschland handeln. Die Festnahmen haben die zuvor schon personell schlecht aufgestellten Leitungsund Vereinsstrukturen der DHKP-C in Deutschland weiter geschwächt. Innerhalb der Anhängerschaft führten die Exekutivmaßnahmen zu einer starken Verunsicherung. Das unmittelbar nach den Festnahmen zunächst bundesweit rege Protestgeschehen der Anhängerschaft klang nach kurzer Zeit wieder ab und mündete in eine Dauerkampagne für die Freilassung der inhaftierten Mitglieder und zur Abschaffung der SSSS 129a, b Strafgesetzbuch (StGB). Die jährliche zentrale Gedenkveranstaltung für die "revolutionä"Märtyrer"-Gedenken ren Märtyrer" fand am 17. April 2022 in Köln mit einem Aufzug und anschließender Saalveranstaltung statt. An der aufgrund der Coronapandemie seit 2019 erstmals wieder in der gewohnten Form durchgeführten Zentralveranstaltung nahmen über 150 Personen (2021: Freiluftkonzert von "Grup Yorum" mit bis zu 150 Personen; 2019: 200 Personen) teil, darunter Funktionäre, Mitglieder und Anhänger der DHKP-C aus dem gesamten Bundesgebiet. Vom 23. Juli bis zum 7. August 2022 führte die DHKP-C ihr tradiFamilienund tionelles Familienund Sommercamp in Südfrankreich durch. ErSommercamp neut war ein deutlicher Teilnehmerrückgang auf nur noch 80 Personen zu verzeichnen (2021: 150; 2020: 200). Das Camp dient der Indoktrination der Teilnehmenden, insbesondere der anwesenden Kinder und Jugendlichen. Auch Mitglieder der Musikgruppe "Grup Yorum" beteiligten sich an dem Camp. Die "Grup Yorum" ist nach wie vor eines der wichtigsten Propa"Grup Yorum" gandainstrumente der DHKP-C. Die Popularität der Musikgruppe erschließt der DHKP-C eine über die eigene Anhängerschaft hinausgehende Zielgruppe potenzieller Unterstützer. Abgesehen von kleineren Auftritten bei demonstrativen Aktionen gelang es "Grup Yorum" seit 2020 nicht mehr, größere Konzertveranstaltungen in 253 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Deutschland durchzuführen. Dafür brachte "Grup Yorum" 2022 mit "Mahalle" ("Das Viertel") einen Film heraus, der europaweit in ausgewählten Kinos gezeigt wurde, darunter auch in einigen deutschen Städten. An der Deutschlandpremiere in Berlin am 19. Mai 2022 nahmen etwa 250 Personen teil. Der Film wurde auf Veranstaltungen und Websites der DHKP-C und in der "Halk Okulu" beworben. Er behandelt für die DHKP-C relevante Propagandathemen wie den Kampf gegen Gentrifizierung oder Drogensucht. Mit der Popularität der "Grup Yorum" soll auf diese Weise über den Kreis von Konzerten hinaus für die DHKP-C geworben werden. Eine über die Anhängerschaft hinausreichende größere Bekanntheit konnte der Film aber nicht erzielen. GefährdungsDie DHKP-C unterliegt in der Türkei unverändert einem hohen potenzial Verfolgungsdruck. Dort besteht die Gefahr für terroristische Anschläge weiterhin fort. In Bezug auf Westeuropa und insbesondere den wichtigen Ruheund Rückzugsraum Deutschland gibt es dagegen keine Anzeichen für eine Abkehr von dem im Februar 1999 erklärten Gewaltverzicht. IV. Türkischer Rechtsextremismus ("Ülkücü"-Bewegung) Die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) entstand Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei. Sie fußt auf einer extrem nationalistischen bis rechtsextremistischen Ideologie, die maßgeblich von Elementen wie Rassismus und Antisemitismus geprägt wird. Innerhalb der Bewegung reicht die ideologische Bandbreite vom Bezug auf Mythen aus vorislamischer Zeit über einen nationalistischen Kemalismus bis in den Randbereich des Islamismus. Das Ziel der Bewegung ist die Verteidigung und Stärkung des Türkentums. Als Idealvorstellung gilt die Errichtung von "Turan" - einem ethnisch homogenen Staat aller Turkvölker unter Führung der Türken. Dafür sollen "Turan" die Siedlungsgebiete aller Turkvölker einverleibt werden. Je nach ideologischer Lesart erstrecken sich diese vom Balkan bis nach Westchina oder Japan. Die "Ülkücü"-Bewegung sieht die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert an. 254 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Die so unterstellte kulturelle und religiöse Überlegenheit äußert sich in der Überhöhung der eigenen türkischen Identität und resultiert in einer - auch völkerverständigungswidrigen - Herabwürdigung anderer Volksgruppen, die zu "Feinden des Türkentums" erklärt werden. Symbol und bekanntestes Erkennungszeichen der "Ülkücü"-Bewegung ist der "Graue Wolf" ("Bozkurt") und der daraus abgeleitete sogenannte Wolfsgruß, bei dem die Finger der rechten Hand am ausgestreckten Arm den Kopf eines Wolfes formen. Oft werden Anhängerinnen und Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung daher auch als "Graue Wölfe" ("Bozkurtlar") bezeichnet. Von den etwa 12.100 in Deutschland lebenden Anhängerinnen und Anhängern der "Ülkücü"-Bewegung sind etwa 10.500 in drei großen Dachverbänden organisiert. Diese vertreten in unterStrukturen und schiedlicher Ausrichtung die verschiedenen Ausprägungen der Entwicklungen in "Ülkücü"-Ideologie. Teilweise handelt es sich bei den Verbänden Deutschland um Auslandsorganisationen extrem nationalistischer türkischer Parteien. Die Verbände sind in der Außendarstellung um ein gemäßigtes Auftreten bemüht und pflegen ihre rechtsextremistische Ideologie eher nach innen, vor allem in den ihnen zugehörigen Vereinen. Dementsprechend zeigt sich auch die Anhängerschaft bei der Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen sowie beim Zurschaustellen von "Ülkücü"-Symbolen in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend. Abgesehen vom Vertreten ihrer mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarenden Ideologie verzichten die Mitglieder der Dachverbände ganz überwiegend auf öffentliche Hassreden oder andere Strafund Gewalttaten. Sie zeigen sich bemüht, sich vom politischen Gegner nicht provozieren zu lassen. Unorganisierte Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung leben ihre meist rassistischen oder antisemitischen Feindbilder dagegen häufig offen aus, etwa in den sozialen Medien, aber auch beim öffentlichen Aufeinandertreffen mit ihren politischen Gegnern, beispielsweise PKK-Anhängern. Insbesondere beim Aufeinandertreffen am Rande von Demonstrationen zeigt sich das hohe Gewaltpotenzial in der unorganisierten Szene. 255 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 1. "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF)127 ist hierzulande der größte "Ülkücü"-Dachverband. Er vertritt die Interessen der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP)128, die als Urorganisation der "Ülkücü"-Bewegung gilt. Der ADÜTDF gehören in Deutschland über 200 lokale Vereine an, in denen etwa 7.000 Mitglieder organisiert sind. In der öffentlichen Darstellung demonstriert der Verband ein gesetzeskonformes Verhalten und ist stark um ein gemäßigtes Auftreten bemüht. Tatsächlich ist die ADÜTDF Verfechterin einer nationalistischrechtsextremistischen Ideologie im Sinne ihrer Mutterpartei MHP. Entgegen ihrem nach außen demonstrierten Integrationswillen und rechtskonformen Auftreten zeigt sie sich überzeugt von der Überlegenheit des Türkentums. Dieses Weltbild verstößt gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz und wirkt einer Integration türkeistämmiger Menschen in die deutsche Gesellschaft entgegen. Diese vor allem innerhalb des Verbands ausgelebte Ideologie dringt durch Äußerungen oder Aktionen einfacher Mitglieder oder lokaler Vereine auch nach außen. Nicht zuletzt aufgrund seiner Mitgliederstärke ist der Verband ein ernst zu nehmender Träger und Verbreiter rechtsextremistischen Gedankenguts unter den in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken und türkeistämmigen Deutschen. So verbreitet und propagiert die ADÜTDF die Schriften des rassistisch-nationalistischen sowie antisemitischen Autors und Historikers Nihal Atsiz (1905-1975), einem der Vordenker der "Ülkücü"-Bewegung. Auch die türkische Unterweltgröße Abdullah Catli (1956-1996), der ein Verfechter der turanistischen Idee war, wird von der Anhängerschaft verehrt. In zahlreichen ADÜTDF-Vereinen wird alljährlich um den 3. Mai der "Tag der Turkisten"129 ge127 "Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu". 128 "Milliyetci Hareket Partisi". 129 Der 3. Mai gilt unter den Turkisten als Gedenktag für die "Rassismus-TuranismusVerfahren" von 1944 bis 1945, bei denen mehrere Vordenker unter dem Vorwurf des Turanismus und der turkistischen Ideologie vom türkischen Staat angeklagt wurden. 256 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS feiert, der an die Proteste gegen die Verhaftung von unter anderem Atsiz und MHP-Gründer Alparslan Türkes (1917-1997) erinnert. Zu den Feindbildern der ADÜTDF gehören neben der PKK und allgemein den Kurden unter anderem auch Juden und Armenier. Zusätzlich prägt der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland den Kurs der ADÜTDF. Insbesondere der Streit um Gebietsansprüche auf Zypern oder Inseln in der Ägäis ist in Äußerungen seitens des Dachverbands oder seiner Mitglieder wiederzufinden, wie das folgende, sinngemäß wiedergegebene Beispiel zeigt: "Zypern ist das Land der Grauen Wölfe, man kann es nicht den Schakalen überlassen!" (Facebook-Seite eines ADÜTDF-Mitglieds, 20. Juli 2022) Neben solchen Postings werden in den sozialen Medien einschlägige Symbole und Gesten geteilt. Beispiele sind der "Wolfsgruß" oder das Verwenden der "Üc Hilal" ("drei Halbmonde"), die als Zeichen für das Osmanische Reich dienen und zugleich das Parteilogo der MHP darstellen. 2. "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) Die "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB)130 hat sich im Jahr 1987 von der heutigen ADÜTDF abgespalten, ohne sich dabei oder in der Folge ideologisch neu auszurichten. Im Vergleich zur ADÜTDF steht die ATIB mit ihren mindestens 2.500 Mitgliedern für einen stärker islamisch orientierten Teil der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung. Durch die Verbreitung der "Ülkücü"-Ideologie entfaltet die ATIB eine desintegrative Wirkung und fördert einen türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen, der von einem extremen Freund-Feind-Denken geprägt ist. Dies führt zur Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums. 130 "Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi". 257 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Die Zuordnung der ATIB zur rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung beruht vor allem auf ihrer organisatorischen Herkunft, ideologischen Gemeinsamkeiten, der Nutzung von "Ülkücü"-Symbolik und den Äußerungen sowie dem Verhalten ihrer Vertreter und einzelner Mitglieder. So bezeichnen die ATÄdegB und ihre Vertreter sich selbst als "Ülkücü". Positive Verweise auf die turanistische Idee durch die ATÄdegB und einzelne Mitglieder belegen eine ideologische Ausrichtung, wie sie in der "Ülkücü"-Bewegung üblich ist. Vordenker der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Ideologie wie Nihal Atsiz, Alparslan Türkes oder Muhsin Yazicioglu (1954-2009) und deren Lehren werden in der ATÄdegB noch heute verehrt und zitiert. Organisatorisch ist die ATIB an keine Partei in der Türkei direkt angebunden. Stattdessen sucht sie die Nähe zu deutschen wie auch türkischen Verbänden und Einrichtungen. Dabei zeigt sich die ATÄdegB um gesellschaftliche Akzeptanz und die damit einhergehenden Mitsprachemöglichkeiten bemüht, nicht zuletzt um dadurch Einfluss auf den politischen Diskurs nehmen zu können. So ist die ATIB beispielsweise Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD) und auch aktuell mit einem Mitglied im Vorstand des ZMD vertreten. Am 17. April 2022 richtete die ATIB anlässlich des Fastenmonats Ramadan erstmals seit Beginn der Coronapandemie wieder ihr traditionelles Fastenbrechen ("Iftar") aus, an dem neben Mitgliedern der ATIB unter anderem auch Vertreter der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (vgl. Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terrorismus, Kap. VIII, Nr. 15), des ZMD sowie die Präsidenten verschiedener Organisationen wie zum Beispiel der Union Internationaler Demokraten (vgl. Berichtsteil Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht, Kap. V) teilnahmen. Auch Personen aus der nicht verbandlich organisierten "Ülkücü"-Szene beteiligten sich an der Veranstaltung. Die Anzahl von mehreren Hundert Teilnehmenden aus unterschiedlichen Kreisen belegt das weitreichende Netzwerk der ATIB innerhalb der "Ülkücü"-Bewegung, in andere extremistische Bereiche und darüber hinaus in nicht extremistische Spektren. 258 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 3. "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) Als weiterer Dachverband ist die "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF)131 der "Ülkücü"-Bewegung zuzurechnen. Die ANF ist die Europaorganisation der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Großen Einheit" (BBP)132. Bei der BBP handelt es sich um eine stärker islamisch ausgerichtete Abspaltung der MHP. Ihre Ideologie eines extrem übersteigerten und gleichzeitig islamisch geprägten Nationalismus mit rechtsextremistischen Ausprägungen richtet sich gleichermaßen gegen ethnische und gegen religiöse Minderheiten. Auch die ANF mit ihren insgesamt etwa 1.000 Mitgliedern gibt sich rechtskonform. In offiziellen Verlautbarungen werden extremistische Äußerungen vermieden. Die ANF sieht sich als Bewahrerin der Interessen einer türkisch-muslimischen Minderheit in Deutschland. Tatsächlich ist der Verband in der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung zu verorten. So verehren Funktionäre der ANF neben Muhsin Yazicioglu auch den MHP-Gründer Alparslan Türkes und gedenken seiner an seinem Todestag, zum Beispiel sinngemäß wie folgt: "Deine Liebe und auch dein Kampf sind unser, mein Anführer. Wir haben den 4. April nicht vergessen, wir werden ihn nicht vergessen und wir werden nicht zulassen, dass er vergessen wird." (Facebook-Seite eines ANF-Funktionärs, 3. April 2022) Die ANF erweitert die klassische "Ülkücü"-Ideologie um den Faktor Religion im Sinne der sogenannten türkisch-islamischen Synthese. Diese ist nicht nur ein primäres Identifikationsmerkmal für die ANF, sondern stellt zugleich eine harte Abgrenzungslinie gegenüber Andersgläubigen dar. Ein Türkentum sei demnach nur in Verbindung mit dem Islam möglich. Das Streben nach einer Vereinigung aller Turkvölker in einem homogenen Staat "Turan" gehört daher genauso zur politischen Agenda wie die Erschaffung einer neuen "Weltordnung" ("Nizam-i Alem") mit der Vision der Weltherrschaft des Islam unter türkischer Führung. 131 "Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu". 132 "Büyük Birlik Partisi". 259 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Der Anspruch auf eine Neuordnung der Welt über den Siedlungsbereich der eigenen türkischen Ethnie hinaus verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Bestandteile der "Ülkücü"Ideologie wie Rassismus, Antisemitismus und Christenfeindlichkeit bestimmen mindestens partiell auch die Ausrichtung der ANF - ergänzt um Versatzstücke aus dem Islamismus. Mit dieser Ideologie richtet sich der Verband gegen Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie die Menschenwürde oder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. 4. Unorganisierte "Ülkücü"-Bewegung Neben der verbandlich organisierten "Ülkücü"-Anhängerschaft werden etwa 1.600 Personen weiteren "Ülkücü"-Kleinststrukturen sowie der unorganisierten "Ülkücü"-Bewegung zugerechnet. Die unorganisierte "Ülkücü"-Bewegung besteht überwiegend aus jüngeren Menschen, die vor allem über die sozialen Netzwerke miteinander in Kontakt stehen, sich mitunter aber auch persönlich begegnen. Dabei pflegen sie ihre Feindbilder und agitieren gegen ihre "Gegner". Vor allem Armenier, Griechen, Juden, Kurden und die USA werden von der "Ülkücü"-Anhängerschaft herabgewürdigt und zu "Feinden des Türkentums" erklärt. Emotionale Hauptbezugspunkte sind die Türkei sowie der Konflikt des türkischen Staates mit der kurdischen PKK. In der weithin unstrukturierten oder nur aus kurzlebigen Organisationen bestehenden Szene ist eine fast durchgehend bedingungslose Loyalität zum türkischen Staat und seiner aktuellen Staatsführung festzustellen. Nicht immer tritt dabei die extremistische Ideologie sofort deutlich zutage. Einzelne Protagonisten der Szene wählen vordergründig einen moderaten, teils integrationsförderlichen Sprachstil, während sie auf anderen Onlinepräsenzen, teilweise unter Verwendung von Aliasnamen, rechtsextremistische Positionen verbreiten. Häufig sind Selbstinszenierungen mit Waffen oder andere Drohgebärden, die Stärke, Überlegenheit und Wehrhaftigkeit ausdrücken sollen, im Internet festzustellen. In der unorganisierten "Ülkücü"-Szene gibt es derzeit keine überregional dominierenden Akteure. Informelle Zusammenschlüsse sind oft nicht von langer Dauer. Allerdings ist weiterhin davon auszugehen, dass Anhänger der "Ülkücü"-Ideologie bereit sind, 260 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS "für die Belange der Türkei" oder gegen "Feinde der Türkei" auch gewaltsam vorzugehen oder regierungskritische Personen gegenüber staatlichen türkischen Stellen zumindest anzuzeigen. V. Antisemitismus im auslandsbezogenen Extremismus Im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland nimmt Antisemitismus vor allem im türkischen Rechtsextremismus und bei extremistischen Palästinensern eine relevante Rolle ein. Bei anderen auslandsbezogenen extremistischen Strukturen ist Antisemitismus dagegen kein ideologisches Kernelement - häufig schon aufgrund fehlender regionaler, religiöser oder politischer Berührungspunkte. Dennoch kommt es auch bei türkischen Linksextremisten anlassbezogen zu israelfeindlichen Stellungnahmen, die jedoch nicht vorherrschend auf Religion und Ethnie, sondern auf den Territorialkonflikt mit den Palästinensern abstellen. Im April 2022 hat das BfV ein aktualisiertes, phänomenübergreifendes Lagebild "Antisemitismus 2020/21" veröffentlicht, das einen Gesamtüberblick über die verfassungsschutzrelevanten Ausprägungen des Antisemitismus in Deutschland gibt.133 Eine Quantifizierung des antisemitisch eingestellten, auslandsbeTürkischer zogenen extremistischen Personenpotenzials ist kaum möglich. Rechtsextremismus Die etwa 12.100 Anhängerinnen und Anhänger der "Ülkücü"-Be("Ülkücü"-Bewegung) wegung hängen einer Ideologie mit antisemitischen Kernelementen an; jedoch leben nicht alle diesen Antisemitismus offen aus. Dennoch hat Judenfeindschaft in der "Ülkücü"-Bewegung einen besonderen Stellenwert. Juden werden hier wegen einer behaupteten biologischen Minderwertigkeit und eines angeblich weltumspannenden verschwörerischen Einflusses angefeindet. Hinzu tritt ein Antizionismus, der sich als einseitige Parteinahme für die Belange der Palästinenser manifestiert. Antisemitismus wird überwiegend von Personen aus der unorganisierten "Ülkücü"-Szene in den sozialen Netzwerken verbreitet, die sich auf Grundlage ihrer Ideologie offen antisemitisch äußern oder entsprechende Aussagen weiterverbreiten. 133 Das Lagebild "Antisemitismus 2020/21" ist unter www.verfassungsschutz.de abrufbar. 261 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Säkulare Hauptanknüpfungspunkt antisemitischer Agitation durch säkuextremistische lare extremistische Palästinenser ist der Territorialkonflikt mit Palästinenser Israel. Juden wird allenfalls die Möglichkeit einer Koexistenz in einem Staat "Palästina" zugestanden. Rassistische Minderwertigkeitszuschreibungen sind dabei von untergeordneter Bedeutung. "Volksfront für die Hauptakteur der in Deutschland aktiven säkularen PalästinenBefreiung Palästinas" serorganisationen ist die 1967 gegründete "Volksfront für die Be(PFLP) freiung Palästinas" (PFLP)134. Seit 2002 ist die PFLP von der EU als Terrororganisation gelistet. Die PFLP bestreitet das Existenzrecht Israels und propagiert offen den bewaffneten Kampf gegen Israel. Ihre antisemitische Agitation ist stark antizionistisch geprägt. Die PFLP verfolgt das Ziel des Aufbaus eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina vor Gründung des modernen Staates Israel mit Jerusalem als Hauptstadt. Dieses Ziel soll durch die Beseitigung der "zionistischen Besatzung" realisiert werden. Extremistische Von den in Deutschland lebenden säkular eingestellten Palästipalästinensische nensern äußern sich einige vor dem Hintergrund des palästinenEinzelpersonen sisch-israelischen Konflikts israelfeindlich. In diesen Äußerungen finden sich zum Teil auch Hinweise auf eine marxistische oder sozialrevolutionäre Einstellung, ohne dass eine Mitgliedschaft in der PFLP oder anderen politischen Palästinenserorganisationen festzustellen wäre. Aus diesem Milieu werden immer wieder Aufrufe zur Gewalt gegen Juden in den sozialen Medien verbreitet. Antisemitismus Das dieser Szene auch abseits fester Organisationszugehörigkeiund Gewalt bei ten in Deutschland innewohnende Mobilisierungspotenzial wird propalästinensischen immer wieder deutlich bei Protestkundgebungen zu jährlich Protesten wiederkehrenden Anlässen wie dem "al-Quds-Tag"135 oder dem "Nakba-Tag"136, aber auch bei spontanen Reaktionen auf aktuelle politische Ereignisse im Nahen Osten. Hierbei sind immer wieder Äußerungen oder Darstellungen mit antisemitischen beziehungsweise antiisraelischen Inhalten sowie eine latente aggressive Grundstimmung unter den Teilnehmenden feststellbar. Zum Teil 134 "Popular Front for the Liberation of Palestine". 135 Al-Quds ist der arabische Name für Jerusalem. Der "al-Quds-Tag" fällt immer mit dem Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan zusammen. 136 Am 15. Mai findet seit 2004 jährlich der "Nakba-Tag" statt, an dem Palästinenser und ihre Unterstützer weltweit der Flucht und Vertreibung aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina in den Jahren 1948/1949 gedenken. Der arabische Begriff "Nakba" bedeutet übersetzt sinngemäß "Katastrophe". 262 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen und Angriffen auf Journalisten oder die Polizei. Der Teilnehmerkreis dieser Kundgebungen besteht größtenteils aus jungen arabischstämmigen Palästinensern. So kam es im April 2022 nach Ausschreitungen auf dem Jerusalemer Tempelberg und Raketenangriffen militanter Palästinenser auf Israel auch in Deutschland zu propalästinensischen Protesten. Solche Kundgebungen erreichen schnell dreibis vierstellige Teilnehmerzahlen. Bei mehreren Veranstaltungen in Berlin kam es zu antisemitischen und völkerverständigungswidrigen Bekundungen sowie zu gewaltsamen Ausschreitungen. Während einer Demonstration am 18. April 2022, dem "Tag der palästinensischen Gefangenen"137, mit rund 700 Teilnehmenden wurden ein Polizeifahrzeug beschädigt sowie Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen. Bei einer Demonstration am 23. April 2022 herrschte teils eine aggressive Grundstimmung, die sich unter anderem gegenüber anwesenden Journalisten entlud. Diese wurden im Verlauf des Demonstrationszugs antisemitisch beleidigt und körperlich angegriffen. Zudem wurden Polizisten mit Holzstangen und Plakaten attackiert. Neben dem Rufen antisemitischer Parolen wurden auch Darstellungen gezeigt, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen. So gab es Plakate mit einem Staat "Palästina" ohne die Grenzen Israels und es wurden Schilder mit der Aufschrift "From the River to the Sea, Palestine will be free" gezeigt. Bei entsprechenden Anlässen muss auch hierzulande weiterhin mit Straftaten oder Äußerungen dieser Art gerechnet werden. 137 An diesem Tag bringen Palästinenser weltweit ihre Solidarität mit palästinensischen Inhaftierten in israelischen Gefängnissen zum Ausdruck. 263 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS VI. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 in der Türkei Leitung/Vorsitz: Abdullah Öcalan (Vorsitzender) Gruppe von Führungskadern Mitglieder/Anhänger 14.500 (2021: 14.500) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Serxwebun" (Zeitung, monatlich) "Yeni Özgür Politika" (Zeitung, täglich) "Sterk TV" (TV-Sender) Betätigungsverbot in Verbotsverfügung des Bundesministers Deutschland: des Innern vom 22. November 1993; das Verbot bezieht sich auch auf alle späteren Umbenennungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" ("Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane" - KADEK) "Volkskongress Kurdistans" ("Kongra Gele Kurdistan" - KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" ("Koma Komalen Kurdistan" - KKK) "Union der Gemeinschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan" - KCK) Jugendorganisation: "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) 264 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zielt auf eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden in ihren Siedlungsgebieten unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen. Maßgeblich bleibt hierbei allein die von den Führungskadern vorgegebene Parteilinie. Die PKK-Guerilla verübt in der Türkei auch terroristische Anschläge, insbesondere gegen Sicherheitskräfte und staatliche türkische Einrichtungen. In Deutschland liegt der Schwerpunkt auf der logistischen und finanziellen Unterstützung der Gesamtorganisation, der Rekrutierung für den bewaffneten Kampf in der Heimatregion und der Aufhebung des Betätigungsverbots. 265 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 1.1 "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) Gründung: Mai 2019 Leitung/Vorsitz: Zübeyde Zümrüt und Engin Sever Regionale "Demokratisches Gesellschaftszentrum Untergliederungen: der KurdInnen in Norddeutschland e.V." (FED-DEM)138 "Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland" (FED-KURD)139 "Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e.V." (FED-MED)140 "Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V." (FCDK-KAWA)141 "Föderation der Völker Kurdistans e.V." (FED-GEL)142 Die "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) ist die Dachorganisation der PKK-nahen Vereine in Deutschland. Ihr sind fünf regionale Föderationen nachgeordnet, welche den örtlichen Vereinen in Norddeutschland (FED-DEM), Ostdeutschland (FED-KURD), Nordrhein-Westfalen (FED-MED), Hessen und Saarland (FCDK-KAWA) sowie BadenWürttemberg und Bayern (FED-GEL) vorstehen. Im Sinne der PKK mobilisiert die KON-MED gemeinsam mit ihren Untergliederungen zu Veranstaltungen und Kundgebungen und beteiligt sich an der Öffentlichkeitsund Kampagnenarbeit. 138 "Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen li Bakure Almanya". 139 "Federasyona Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Almanya". 140 "Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW". 141 "Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan". 142 "Federasyona Gelen Kurdistani". 266 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 30. März 1994 in Damaskus (Syrien) Leitung/Vorsitz: Gruppe von Führungskadern Mitglieder/Anhänger 650 (2021: 650) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Halk Okulu" (wöchentlich) "Devrimci Sol" (jährlich) "Bizim Genclik" (unregelmäßig) "DHKC Milis" (unregelmäßig) Organisationsverbot in Verbotsverfügung des Bundesministers Logo "Dev Genc" Deutschland: des Innern vom 6. August 1998; hierunter fällt auch ein Verbreitungsverbot für die ehemalige Wochenzeitschrift "Yürüyüs" Tarnbezeichnungen: "Volksfront" ("Halk Cephesi") "Volksrat" ("Halk Meclisi") Jugendorganisation: "Devrimci Genclik" (kurz: "Dev Genc") Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) strebt auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus die Errichtung eines sozialistischen Gesellschaftssystems durch gewaltsame Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei an. Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele hält die DHKP-C an der Durchführung von Terroranschlägen in der Türkei fest. Einrichtungen des türkischen Staates bleiben dabei vorrangige Angriffsziele. In Deutschland leisten Anhängerinnen und Anhänger der DHKP-C als sogenannte Rückfront logistische, finanzielle und propagandistische Unterstützung. Ein wichtiges Propagandainstrument ist die der DHKP-C zuzurechnende Musikgruppe "Grup Yorum", über deren Konzerte die Organisation ihre Ideologie verbreitet, Nachwuchs rekrutiert und Gelder generiert. 267 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 3. "Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten" (TKP-ML)143 Gründung: 2019/2020 Leitung/Vorsitz: Gruppe von Führungskadern Mitglieder/Anhänger 650 (2021: 650) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Özgür Gelecek" (Zeitung/Zeitschrift, 14-täglich) Umfeldorganisationen: "Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa" (ATIK)144 "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF)145 "Neue Frau" ("Yeni Kadin") Jugendorganisation: "Neue Demokratische Jugend" (YDG)146 Die maoistisch ausgerichtete "Türkische Kommunistische ParteiMarxisten-Leninisten" (TKP-ML) ist eine der beiden Nachfolgeorganisationen der 1972 von Ibrahim Kaypakkaya gegründeten "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML). Ihr Ziel ist ein bewaffneter revolutionärer Umsturz in der Türkei, um dort ein totalitäres kommunistisches System zu errichten. Im Jahr 2019/2020 kam es aufgrund interner Streitigkeiten zur Spaltung der TKP/ML, die zwei selbstständige Organisationen mit nahezu gleicher Bezeichnung und identischer Ideologie hervorbrachte: die TKP-ML und die neue TKP/ML (vgl. Nr. 4). Deutschland wird von der TKP-ML als Ruheund Rückzugsraum genutzt. Ihre Anhängerinnen und Anhänger leisten hier propagandistische, logistische und finanzielle Unterstützung. Ereignisse in der Türkei werden von der Organisation propagandistisch thematisiert und in ihrem Sinne umgedeutet. Anlassbezogen arbeitet die TKP-ML mit anderen türkischen und deutschen linksextremistischen Organisationen zusammen. 143 "Türkiye Komünist Partisi-Marksist Leninist". 144 "Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu". 145 "Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu". 146 "Yeni Demokratik Genclik". 268 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 4. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)147 Gründung: 2019/2020 Leitung/Vorsitz: Gruppe von Führungskadern Mitglieder/Anhänger 150 (2021: 150) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Yeni Demokrasi" (Zeitung/Zeitschrift, 14-täglich) Umfeldorganisationen: "Verband der Werktätigen MigrantInnen in Europa" (AGEB)148 "Lila-Rot-Kollektiv" ("Mor-Kizil Kolektif", Frauenorganisation) Jugendorganisation: "Jugendinitiative Partizan/MarxistenLeninisten-Maoisten" (PGI/MLM)149 Die maoistisch ausgerichtete "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) steht wie die TKP-ML (vgl. Nr. 3) in der Nachfolge der 1972 gegründeten gemeinsamen Vorgängerorganisation "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML). Deren Spaltung führte in den Jahren 2019/2020 zum Entstehen der neuen TKP/ML und der TKP-ML. An der ideologischen Ausrichtung hat sich nichts geändert. Die neue TKP/ML hält ebenfalls an der ideologischen Lehre des gemeinsamen Vordenkers Ädegbrahim Kaypakkaya fest. So strebt auch die TKP/ ML in der Türkei einen bewaffneten revolutionären Umsturz an mit dem Ziel, das bestehende Gesellschaftssystem zu zerschlagen und ein totalitäres kommunistisches System zu errichten. Deutschland wird von der TKP/ML als Ruheund Rückzugsraum genutzt. Ihre Anhängerinnen und Anhänger leisten hier propagandistische, logistische und finanzielle Unterstützung. 147 "Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist". 148 "Avrupa Göcmen Emekciler Birligi". 149 "Partizan Genclik Inisiyatifi/Marksist-Leninist-Maoist". 269 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 5. "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP)150 Gründung: 1994 in der Türkei Leitung/Vorsitz: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger 600 (2021: 600) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Atilim" (Zeitung, wöchentlich) Umfeldorganisationen: "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-Kon)151 "Föderation der Arbeitsimmigrant/innen in Deutschland e.V." (AGIF)152 Jugendorganisation: "Young Struggle" (YS) Die "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems an. Dabei versteht die MLKP sich als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten. Zur Erreichung ihrer Ziele bedient sich die MLKP in der Türkei auch terroristischer Mittel. In Deutschland agiert die MLKP nicht offen, sondern mittels ihrer Umfeldorganisationen. Die Hauptbetätigungsfelder hierzulande sind dabei die propagandistische Unterstützung des bewaffneten Kampfes im Heimatland, die Gewinnung neuer Mitglieder für die Umfeldorganisationen und das Sammeln von Spendengeldern. Mit Kampagnen und Kundgebungen gedenkt die Organisation regelmäßig ihrer für die Revolution gestorbenen "Märtyrer". Anstelle ihrer "Kommunistischen Jugendorganisation" (KGÖ)153 ist für die MLKP in Deutschland "Young Struggle" (YS) aktiv. Die Organisation wurde 2010 in Stuttgart (Baden-Württemberg) gegründet und fungiert als Dachverband für alle MLKP-Jugendorganisationen in Europa. 150 "Marksist Leninist Komünist Parti". 151 "Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu". 152 "Almanya Göcmen Isciler Federasyonu". 153 "Komünist Genclik Örgütü". 270 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 6. "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) Gründung: 1978 in Frankfurt am Main (Hessen) Sitz: Frankfurt am Main Leitung/Vorsitz: Sentürk Dogruyol Mitglieder/Anhänger 7.000 (2021: 7.000) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Bülten" (Zeitung/Zeitschrift, unregelmäßig) Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) vertritt in Deutschland die Interessen der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) - der Hauptorganisation der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung. Deren übersteigert nationalistische bis rechtsextremistische Ideologie wird auch von der ADÜTDF geteilt. Der streng hierarchisch organisierte Verband hat Deutschland organisatorisch in 13 "Bölge" ("Gebiete") eingeteilt, in denen er nach neueren Erkenntnissen über 200 (2021: 160) Vereine unterhält. 271 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 7. "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) Gründung: 1987 Sitz: Köln (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: bis 22. Mai 2022: Durmus Yildirim ab 22. Mai 2022: Ädegmam Cengiz Mitglieder/Anhänger 2.500 (2021: 1.200) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Referans" (Zeitschrift, zweimonatlich) "Divan" (Zeitung monatlich) Die "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) hat sich 1987 von der heutigen ADÜTDF (vgl. Nr. 6) abgespalten, ohne sich in der Folge ideologisch neu auszurichten. Sie steht mit ihren 24 Ortsvereinen in Deutschland für einen stärker islamisch orientierten Teil der rechtsextremistischen "Ülkücü"Bewegung. 272 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 8. "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) Gründung: 1994 Sitz: Ludwigshafen am Rhein (Rheinland-Pfalz) Leitung/Vorsitz: Erol Yazicioglu Mitglieder/Anhänger 1.000 (2021: 1.200) in Deutschland: Bei der "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) handelt es sich um die Europaorganisation der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Großen Einheit" (BBP). Die BBP versteht sich selbst als Teil der "Ülkücü"-Bewegung, wobei sie stärker islamisch ausgerichtet ist. Wie ihre Mutterorganisation ist auch die ANF der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung zuzurechnen. Ihre Anhängerinnen und Anhänger sind in Deutschland auf lokaler Ebene in etwa 15 Ortsvereinen organisiert. 273 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 9. "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) Gründung: 1967 Sitz: Damaskus (Syrien) Leitung/Vorsitz: Generalsekretär Ahmad Sa'adat (in Israel inhaftiert); Vertreter: Jamil Mazhar Mitglieder/Anhänger 100 (2021: 100) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Al-Hadaf" (früher als Zeitung, heute Onlinepublikation) 274 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Die marxistisch-leninistisch geprägte "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) zählt zum Spektrum der terroristischen palästinensischen Organisationen und ist ideologisch von einem starken Nationalismus geprägt. Sie lehnt die Existenz des Staates Israel ab und verfolgt das Ziel eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina vor Gründung des modernen Staates Israel mit einem ungeteilten Jerusalem als Hauptstadt. Dazu propagiert die PFLP den bewaffneten Kampf und sucht den Schulterschluss mit anderen den Staat Israel bekämpfenden Organisationen, wie "Hizb Allah" und HAMAS (vgl. Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terrorismus, Kap. VIII, Nr. 8 und 9). Anhängerinnen und Anhänger der PFLP begehen nach wie vor terroristische Anschläge, bei denen es auch Todesopfer gibt. Auch hierbei offenbart die PFLP - entgegen ihrem nach außen propagierten Selbstbild - ihren antisemitischen Charakter, indem sie Anschläge gezielt gegen jüdische Israelis richtet. In Deutschland ist die PFLP nicht terroristisch tätig. Die hier aktiven Anhängerinnen und Anhänger verbreiten insbesondere israelfeindliche Propaganda und versuchen, politische Unterstützung sowie Spenden zur Unterstützung ihrer Strukturen und des bewaffneten Kampfes in Nahost zu generieren. Ehemalige Terroristinnen und Terroristen der PFLP genießen bei der Anhängerschaft große Anerkennung und werden gezielt zur Indoktrinierung nach Deutschland eingeladen. Die PFLP unterhält hierzulande auch Kontakte zum deutschen Linksextremismus, vor allem zur "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD, vgl. Berichtsteil Linksextremismus, Kap. VI, Nr. 8) sowie zum "antiimperialistischen" Spektrum (vgl. Berichtsteil Linksextremismus, Kap. III, Nr. 2.3). 275 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 10. Extremistisches/terroristisches Sikh-Spektrum Mitglieder/Anhänger 400 (2021: 400) in Deutschland: Relevante Organisatio"Babbar Khalsa International" (BKI) nen in Deutschland: "Babbar Khalsa Germany" (BKG) Die in Pakistan ansässigen separatistisch-terroristischen Sikh-Organisationen streben die Gründung eines eigenen Sikh-Staates "Khalistan" ("Land der Reinen") auf dem Gebiet des indischen Bundesstaats Punjab an. Zur Erreichung dieses Zieles wenden diese Organisationen sowohl politische als auch terroristische Mittel an. Durch gezielte Anschläge auf indische Politikerinnen und Politiker, militärische Einrichtungen insbesondere im Punjab und auf Religionsführer aus der Glaubensgemeinschaft der Sikhs, die aus Sicht dieser Organisationen nicht den orthodoxen Glauben verbreiten, destabilisieren sie gezielt die Sicherheitslage in Indien. Terroranschläge werden häufig an schlecht oder gar nicht geschützten Orten wie öffentlichen Plätzen oder Einrichtungen durchgeführt, wobei auch Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen werden. Von den schätzungsweise etwa 10.000 bis 15.000 in Deutschland lebenden Anhängerinnen und Anhängern der Religionsgemeinschaft der Sikhs werden bis zu 400 Personen dem extremistischen Sikh-Spektrum zugerechnet. Sie sind hierzulande nicht terroristisch aktiv, unterstützen aber den auch mit terroristischen Mitteln geführten Separationskampf der Sikhs in Indien - vor allem mit propagandistischen Mitteln. Auf internationaler politischer Ebene setzen sie sich für in Indien inhaftierte Anhänger der "Khalistan"Idee ein. Mit regelmäßig stattfindenden Kundgebungen vor den diplomatischen Vertretungen der Republik Indien fordern Anhängerinnen und Anhänger extremistischer Sikh-Organisationen auch hierzulande einen eigenen, von Indien unabhängigen Staat. Diese Protestkundgebungen verliefen in Deutschland bislang gewaltfrei. Im Rahmen von Gedenkveranstaltungen in den über 40 Sikh-Tempeln in Deutschland, den sogenannten Gurdwaras, werden die im Kampf für "Khalistan" gestorbenen Sikh-Anhängerinnen und -Anhänger als "Märtyrer" verehrt. Dabei erhalten die Hinterbliebenen auch finanzielle Unterstützung von den in Deutschland aktiven SikhOrganisationen, die in den "Gurdwaras" regelmäßig Spendengeldsammlungen durchführen, deren Erlöse zum Teil den Familien der "Märtyrer" zukommen. 276 Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht 277 Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht I. Überblick und Entwicklungstendenzen Vielgestaltige und Gegen Deutschland gerichtete Spionageaktivitäten fremder Mächausgefeilte Spionage te werden vielgestaltiger und ausgefeilter; sie umfassen menschliche Quellen genauso wie Cyberangriffe. Diese Aktivitäten stellen eine ernsthafte Bedrohung für Deutschland und deutsche Interessen dar. Fremde Mächte setzen sowohl ihre Nachrichtendienste als auch illegitime oder illegale Methoden und Mittel ein, um so an Informationen zu gelangen, Einfluss auszuüben, Kritikerinnen und Kritiker zu überwachen oder andere Interessen zu verfolgen. Deutschland mit seiner Rolle in EU, NATO und anderen internationalen Organisationen ist Ziel vielfältiger politischer Spionage. Die geopolitischen und geoökonomischen Umbrüche infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der politischen und ökonomischen Verwerfungen nach der Coronapandemie sowie Chinas Streben nach Einfluss und Macht hatten im Berichtsjahr 2022 zur Folge, dass das Agieren fremder Nachrichtendienste immer stärker in den Vordergrund rückte. Zusätzlich stehen Unternehmen und Forschungseinrichtungen weiter im Fokus von Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage und auch strategisch motivierter ausländischer Direktinvestitionen. Staatsterrorismus Eine besonders ernst zu nehmende Gefährdung geht von staatsterroristischen Aktivitäten aus, bei denen ausländische Nachrichtendienste oder andere von fremden Staaten gesteuerte Strukturen zentrale Akteure sind und Entführungen und Mord auf der Agenda stehen. Hohe Gefährdung Spionage, Cyberangriffe, Desinformation sowie unzulässige ausdurch fremde ländische Einflussnahme, Proliferation und Staatsterrorismus Nachrichtendienste haben erhebliche negative Auswirkungen für Deutschland. Insbesondere beeinträchtigt das rechtswidrige Agieren fremder Nachrichtendienste die nationale Souveränität. Außenpolitische Verhandlungspositionen und der gesellschaftliche Zusammenhalt können geschwächt, die freie Meinungsund Willensbildung gestört werden. Die Ausforschung und Unterwanderung 278 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN oppositioneller Gruppen aus Drittstaaten durch ausländische Dienste in Deutschland können zu einem Klima der Angst führen und eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. Spionage und Cyberangriffe verursachen zudem erhebliche betriebsund volkswirtschaftliche Schäden. Angriffe auf unsere wirtschaftliche Prosperität haben außerdem eine destabilisierende Wirkung auf unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Aktivitäten fremder Mächte umfassen auch das Beschaffen Proliferation von Produkten und Wissen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, deren Trägersystemen, anderen Rüstungsgütern oder Elementen neuartiger Waffensysteme. Zusätzlich bemühen sie sich um andere Rüstungsgüter sowie militärisch anwendbare Hochtechnologie. Solche verdeckt durchgeführten staatlichen Beschaffungsaktivitäten sind Folge regionaler Konflikte und gefährden den Frieden. Die Hauptakteure gegen Deutschland gerichteter Spionage, für Vier Hauptakteure nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffe, Proliferation und Einflussnahme sind - mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten - die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. FebruAngriffskrieg ar 2022 bestimmte im Berichtsjahr die Arbeit der Spionageabwehr. Russlands auf die Gerade in Kriegszeiten ist das Agieren der russischen NachrichtenUkraine dienste als fester Bestandteil der russischen staatlichen Sicherheitsarchitektur von hoher Bedeutung für die russische Führung. Vor dem Hintergrund der Sanktionen gegen Russland und der Unterstützung der Ukraine durch westliche Staaten, darunter Deutschland, haben russische Nachrichtendienste ein erhöhtes Aufklärungsinteresse. Zukünftig ist mit klandestineren und aggressiveren Spionageoperationen Russlands sowie von Russland ausgehenden Aktivitäten im Cyberraum zu rechnen. Mit seiner Tätigkeit in der Analyse von Cyberangriffen und Cyberabwehr und durch fremde Staaten gesteuerten APT154-Gruppierungen ist das Zusammenarbeit im BfV ein wichtiger behördlicher Partner in der deutschen CyberCyber-AZ sicherheitsarchitektur. Die Zusammenarbeit mit nationalen und 154 APT steht für "Advanced Persistent Threat" (etwa "fortgeschrittene, andauernde Bedrohung") und bezeichnet einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf IT-Strukturen durch einen gut ausgebildeten und ressourcenstarken Angreifer. 279 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN internationalen Behörden ist ausgesprochen bedeutsam, um Cyberangriffe umfassend aufzuklären. Im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum erfolgt ein stetiger Informationsaustausch zwischen den für Cybersicherheit zuständigen Behörden, um der hohen Bedrohungslage durch Cyberangriffe wirkungsvoll zu begegnen. Diese Kooperationsplattform wurde vor dem Hintergrund der Gefährdungen durch den russischen Angriffskrieg intensiv genutzt. Hybride Bedrohungen Im Zuge des russischen Angriffskriegs rücken sogenannte hybride Bedrohungen zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung. Unter anderem gehört neben Cyberangriffen und Sabotageaktionen auch das gezielte Streuen und Weiterverbreiten von Desinformation zum Repertoire der illegitimen Einflussnahme fremder Staaten. Hierbei versuchen fremde Staaten insbesondere, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen, um so auf politische Entscheidungsprozesse einzuwirken. Fremde Staaten nutzen dazu neben ihren Nachrichtendiensten auch andere staatliche Kapazitäten oder staatlich beeinflusste Organisationen. Entsprechende illegitime Einflussnahmeaktivitäten erfolgen oft auch unter gezielter Verschleierung der Herkunft beziehungsweise Urheberschaft oder Absichten. In der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe zur Strategischen Koordination des Umgangs mit Hybriden Bedrohungen (AG Hybrid) der Bundesregierung, die zu diesen Fragestellungen arbeitet, wirkt auch das BfV mit. Fernmeldeaufklärung Die diplomatischen Vertretungen ausländischer Staaten in Deutschland bieten für die jeweiligen Nachrichtendienste die Möglichkeit zur Überwachung inländischer Kommunikationsverbindungen (z.B. Gespräche mit Mobiltelefonen oder andere drahtlose Kommunikation). Daher muss vor allem im Regierungsviertel in Berlin mit derartigen Spionagemethoden gerechnet werden. II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation Ausweisung Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkt sich auf das russischer Agieren und die Handlungsmöglichkeiten der russischen NachDiplomaten richtendienste in Deutschland aus. Die Bundesregierung hat am 4. April 2022 als Reaktion auf den Überfall auf die Ukraine 40 russische Diplomaten ausgewiesen, bei denen es sich um 280 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Nachrichtendienstangehörige gehandelt hat. Insgesamt sind mehr als 400 Angehörige russischer diplomatischer Vertretungen vor allem aus der EU ausgewiesen worden. Die westlichen Sanktionen, insbesondere die Maßnahmen gegen die russischen Legalresidenturen155, führten zu Bestrebungen der russischen Dienste, ihre Aufklärungsbemühungen anders auszurichten. Russische Nachrichtendienste versuchen, neue Mitarbeiter nach Deutschland an die Legalresidenturen zu bringen oder mit dem Bestand an Personal die frühere Tätigkeit wieder aufzunehmen beziehungsweise weiterzuführen. Mittelund langfristig dürften sie sich darum bemühen, andere Wege der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung einzuschlagen, die ihnen aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit vertraut sind. Dazu gehören reisende Führungsoffiziere, sogenannte Illegale - also mit falscher Identität eingeschleuste Personen, die für Nachrichtendienste aktiv sind -, sowie nicht traditionelle Abdeckungen. Im Kontext des Krieges relevante Themenfelder rücken bei der Informationsgewinnung weiter in den Vordergrund. Darüber hinaus kommt Einflussnahmeaktivitäten in Deutschland eine hohe Bedeutung zu. 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste in Deutschland bewegten sich schon vor Kriegsausbruch seit vielen Jahren auf hohem Niveau. Die nachdrücklichen Spionageaktivitäten erstrecken sich mit unterschiedlicher Intensität auf die Zielbereiche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik sowie Militär. Am 18. November 2022 verurteilte das OLG Düsseldorf (NordrheinWestfalen) einen deutschen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen Deutschland in Tateinheit mit geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen den NATO-Vertragsstaat Vereinigte Staaten von Amerika zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte hatte von Oktober 2014 bis August 2018 zur Informationsbeschaffung eines russischen 155 Getarnter Stützpunkt eines ausländischen Nachrichtendienstes, der sich in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung (z.B. Botschaft, Handelsvertretung, staatliche Fluggesellschaft) befindet. 281 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Nachrichtendienstes in Deutschland beigetragen, indem er seinen an der Russischen Botschaft in Berlin tätigen Kontaktpersonen Dokumente und Informationen übermittelte, die deren Aufklärungszielen entsprachen. Auslieferung an Anfang November 2022 bekannte sich ein ehemaliger Mitarbeiter Großbritannien der britischen Botschaft in Berlin bei einem Prozess in Großbritannien schuldig, Dokumente aus seinem Arbeitsbereich an einen russischen Nachrichtendienst weitergegeben zu haben. Er war im August 2021 in Deutschland festgenommen und später an Großbritannien ausgeliefert worden. Bei den gemeinsamen Ermittlungen deutscher und britischer Behörden konnten zahlreiche Beweise für eine geheimdienstliche Agententätigkeit des Mannes gesichert werden. Im Februar 2023 verhängte ein Gericht in London gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 2 Monaten. Russisches Im Blickpunkt der russischen Nachrichtendienste stehen sämtliAufklärungsinteresse che Politikfelder, die einen möglichen Bezug zu Russland haben. Im Zuge der westlichen Sanktionen wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands rückten die Bündnispolitik im Rahmen der EU sowie der NATO, aber auch die Außenund Wirtschaftspolitik stärker in den Fokus. Von besonderem Interesse sind die (sicherheits-)politischen Ziele Deutschlands sowie seiner Bündnisse im Hinblick auf das Kriegsgeschehen und die diesbezügliche Haltung sowohl gegenüber der Ukraine als auch gegenüber Russland. Mit Blick auf die deutsche Innenpolitik versuchen die russischen Dienste, Informationen zu parteipolitischen Strukturen und Entwicklungsprozessen, zu inhaltlichen Positionen einzelner Parteien sowie zur Einschätzung von Wahlergebnissen zu erlangen. Ein weiterer Schwerpunkt russischer Spionage bleibt, insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs und der Reaktionen der EU, die deutsche und europäische Energiepolitik. Fragen der Energieversorgung sind gerade für Russland als Exporteur fossiler Brennstoffe von besonderer Bedeutung. Seit Längerem nutzte Russland seine Gaslieferungen, um politischen Druck zu erzeugen. Eine mögliche Gasmangellage und die gestiegene Inflation wurden 2022 instrumentalisiert, um Ängste in der Gesellschaft zu vertiefen. 282 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 2. Methodik der Informationsgewinnung Spionageaktivitäten russischer Nachrichtendienste gehen häufig Legalresidenturen von deren Legalresidenturen aus. Diese sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt und beispielsweise in offiziellen diplomatischen und konsularischen Vertretungen untergebracht. Die russischen Nachrichtendienstangehörigen versuchen unter Ausnutzung ihrer diplomatischen Abdeckung mit konspirativen Methoden, aber auch mittels harmlos wirkender Kontaktpflege - sogenannter Gesprächsabschöpfung -, Hintergrundwissen zu deutschen Positionen zu gewinnen, insbesondere im politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich. Zusätzlich spielen soziale Netzwerke eine zunehmende Rolle bei der Anbahnung von Kontakten oder einer offenen Abschöpfung. Neben der Informationsbeschaffung aus den Legalresidenturen Zentrale Steuerung führen die russischen Nachrichtendienste Operationen durch, die aus den Zentralen der Dienste in Moskau erfolgen oder unmittelbar von dort gesteuert werden. Hierzu zählt auch der Einsatz sogenannter Illegaler. In Russland selbst nehmen die Nachrichtendienste gezielt deutGefährdungen in sche Staatsangehörige ins Visier, die sich für längere Zeit beruflich Russland oder privat dort aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Dazu zählen insbesondere Angehörige diplomatischer Vertretungen und anderer Behörden oder Firmen, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Studierende. Die russischen Nachrichtendienste nutzen hierzu die breite Palette der Überwachungsmöglichkeiten Russlands, von den Grenzkontrollen über die Beobachtung von Auslandsvertretungen bis hin zu den Kontrollmöglichkeiten in Wirtschaft und Wissenschaft. Sofern die gewonnenen Informationen die Zielpersonen kompromittieren können, scheuen die Dienste auch vor aggressiven Anwerbungsversuchen nicht zurück. 3. Einflussnahme und Desinformation Über seine Spionageaktivitäten hinaus ist Russland weiterhin beZiele strebt, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und den politischen Diskurs in Deutschland auszuüben. Diese Aktivitäten zielen insbesondere darauf ab, im Verborgenen oder unter Vortäuschung 283 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN falscher Tatsachen Einfluss auf politische Entscheidungsund Funktionsträgerinnen und -träger auszuüben, das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität und Handlungsfähigkeit der demokratischen Institutionen und Mechanismen zu untergraben, die westliche Wertegemeinschaft zu diskreditieren und Bündnisse wie EU und NATO zu schwächen. Die öffentliche Meinung soll im eigenen Sinne beeinflusst sowie die eigene Position im internationalen Machtgefüge gestärkt werden. Dafür greift Russland bedeutende aktuelle politische sowie gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen auf und adaptiert seine Einflussnahmestrategie daran. Angriffskrieg gegen Im Berichtszeitraum traf dies insbesondere auf den Angriffskrieg die Ukraine gegen die Ukraine zu. Die dadurch hervorgerufenen Unsicherheiten, unter anderem im Hinblick auf die Energieversorgung, dominierten ab Februar 2022 das russische Handeln. Strategiewechsel Die schon vorher hochfrequente und umfassende Verbreitung und Zunahme der prorussischer Narrative, staatlicher Propaganda und von DesDesinformation information hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs noch einmal deutlich an Intensität gewonnen. Gerade Verbreitungskanäle im Bereich der sozialen Medien werden von staatlichen oder staatsnahen Akteuren verstärkt genutzt, um dort ihre Inhalte und Narrative an einen möglichst großen Personenkreis zu verbreiten. Hier konnte insbesondere eine gesteigerte Nutzung der Plattform Telegram festgestellt werden, die sich als Verbreitungsweg für Desinformation als bedeutende Alternative zu anderen sozialen Netzwerken entwickelt hat. Diese Abwanderung in Richtung Telegram wurde unter anderem verstärkt durch die europäischen Sanktionen und die damit verbundenen Einschränkungen für russische Staatsmedien in der EU. Neben staatlichen Akteuren spielen Influencerinnen und Influencer sowie Aktivistinnen und Aktivisten eine gesteigerte Rolle als Multiplikatoren von Propaganda und Desinformation für Russland. 4. Cyberangriffe Zwecke von Die russischen Nachrichtendienste nutzen Cyberangriffe auf umCyberangriffen fassende Weise. Dabei stellen die geopolitischen Interessen Russlands die treibende Kraft dar. Die beobachteten Angriffsoperationen sind regelmäßig auf Informationsbeschaffung ausgerichtet, können aber auch Sabotage zum Ziel haben oder dem Zweck der 284 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Einflussnahme dienen. So nutzen russische Cyberakteure auch Cyberangriffe, um Desinformation und Propaganda zu verbreiten, oder unterstützen damit Desinformationskampagnen. Derartige Aktivitäten können sich sowohl konkret gegen einzelne Personen richten als auch gegen ganze Staaten oder Bündnisse, um politische und gesellschaftliche Spannungen zu verstärken oder das Vertrauen in staatliche Stellen zu unterminieren. Letztlich sollen so russische Interessen durchgesetzt und die westliche Unterstützung für die Ukraine geschwächt werden. Russische Cyberangriffe richten sich überwiegend gegen RegieZiele von rungsstellen, Parlamente und Personen in der Politik, gegen StreitCyberangriffen kräfte, Medien, supranationale Organisationen, politische Stiftungen und internationale Wirtschaftsunternehmen sowie Wissenschaftsund Forschungseinrichtungen. Sowohl der Inlandsnachrichtendienst FSB als auch der militäriAngreifer sche Auslandsnachrichtendienst GRU sowie der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (vgl. Kapitel X, Nr. 1) führen mithilfe verschiedener Hackergruppierungen Cyberoperationen durch, die sich in Teilen durch eine hohe technische Qualifikation auszeichnen. Russische APT-Gruppierungen beherrschen eine große Bandbreite unterschiedlicher, teils schwierig aufzuklärender Angriffsmethoden. Insgesamt geht das BfV von einer hohen Dunkelziffer nicht erkannter, qualitativ sehr hochwertiger Cyberangriffe aus. Der Ghostwriter-Komplex verbindet Cyberspionageangriffe mit Ghostwriter Desinformationsund Einflussnahmeoperationen und ist im Jahr 2022 weiterhin durch intensive Angriffsaktivitäten vor allem in Osteuropa aufgefallen. Gerade zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine berichteten ukrainische Stellen regelmäßig über Schadsoftwareund Phishing156-Angriffe des Akteurs gegen dortige Ziele. Im Jahr 2022 waren jedoch erneut auch E-Mail-Konten von Personen im deutschen politischen Raum betroffen. Zielsetzung dieser Angriffe ist es, Passwörter zu erbeuten, um dann Zugang zu persönlichen Informationen zu erlangen. Der betroffene Personenkreis wurde im Verfassungsschutzverbund sensibilisiert. 156 Beim Phishing werden E-Mails an das Opfer versendet, das dazu gebracht werden soll, einen maliziösen Link anzuklicken oder sensible Daten wie Passwörter oder TAN-Nummern preiszugeben. 285 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN APT 29 APT 29 (auch als Cozy Bear oder The Dukes bekannt) ist eine Angreifergruppierung, die seit mindestens 2008 agiert und bereits Ziele in Deutschland angegriffen hat. APT 29 ist weiterhin aktiv und geht dabei hoch spezialisiert vor. Der Fokus liegt auf Informationsbeschaffung, insbesondere mit Bezug zum russischen Angriffskrieg und dem damit verbundenen westlichen Engagement in Form von Sanktionen und Unterstützung der Ukraine. Bereits vor dem Krieg wurden vor allem westliche Außenministerien mit Phishing-E-Mails im Rahmen der von IT-Dienstleistern Diplomatic Orbiter getauften Kampagne angegriffen. APT 28 APT 28 (auch als Sofacy, Fancy Bear, Pawn Storm oder Sednit bekannt) ist eine russische Angriffsgruppierung, die seit mindestens 2004 weltweit aktiv ist. Zu ihrem Tätigkeitsprofil zählen neben Spionageangriffen auch Desinformationsund Propagandakampagnen im Cyberraum. APT 28 war auch im Jahr 2022 weltweit aktiv; primär gegen politische Organisationen, aber vor allem im Umfeld des russischen Angriffskriegs. APT 28 zählt weiterhin zu den aktivsten und gefährlichsten Cyberakteuren weltweit. Snake Bei der APT-Gruppierung Snake (auch als Uroburos oder Turla bekannt) handelt es sich um eine äußerst klandestin vorgehende, technisch sehr versierte Gruppierung mit internationaler Zielauswahl, die mindestens seit dem Jahr 2005 aktiv ist. Angriffe erfolgen sehr zielgerichtet und passgenau; bei hochwertigen Zielen geht die Gruppierung besonders ausdauernd und vorsichtig vor. Infektionen werden oftmals über lange Zeiträume aufrechterhalten, bis eine weitere Ausbreitung im Netzwerk des Opfers und eine Datenausleitung erfolgen. Der Fokus liegt vor allem auf Außenministerien und diplomatischen Vertretungen, sonstigen Regierungseinrichtungen sowie supranationalen Organisationen. Weitere Aufklärungsziele waren weltweit unter anderem das Militär, Polizeiund Grenzschutzbehörden, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sowie mehrere Technologieunternehmen. Im Zuge des russischen Angriffskriegs hat Snake im zunehmenden Maß Ziele in der Ukraine angegriffen. Gefährdung durch Durch einzelne Cyberoperationen russischer Akteure zeigt sich Cybersabotage auch die Bereitschaft zur Sabotage. Hier besteht ein erhöhtes Gefährdungspotenzial. Gezielte Cybersabotageangriffe bergen die Gefahr sogenannter Spillover-Effekte, also Auswirkungen auf weitere Systeme, die nicht primäres Angriffsziel sind. Ein solcher Effekt 286 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN machte sich bereits am ersten Tag des Angriffskriegs am 24. Februar 2022 bemerkbar. Durch einen Cyberangriff auf das Satellitensystem KA-SAT/Viasat kam es auch zu Auswirkungen auf die Fernwartungssysteme deutscher Windkraftanlagen. Der Cyberangriff auf KA-SAT/Viasat wurde durch die EU, die USA und das Vereinigte Königreich am 10. Mai 2022 Russland zugeschrieben. Destruktive Cyberangriffe richteten sich immer wieder auch gegen Hacktivisten deutsche Websites, beispielsweise von Flughäfen, Banken und Behörden. Dazu nutzten russische und prorussische Hacktivisten157 DDoS-Angriffe158. Teilweise waren die betroffenen Websites vorübergehend nicht mehr erreichbar. Das Ausmaß der Beeinträchtigung war allerdings gering. Ziel der hacktivistischen Akteure ist eher ein propagandistischer Erfolg als tatsächliche Spionage oder nachhaltige Sabotage. Im Bereich Cybercrime setzen mutmaßlich russische Cyberakteure vor allem Ransomware159-Angriffe gegen deutsche Stellen und Unternehmen ein. Obwohl häufig keine direkten Verbindungen zu russischen staatlichen Stellen erkennbar sind, ist eine Instrumentalisierung durch diese im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands möglich. 5. Gefährdungspotenzial Schon vor Beginn des Angriffskriegs Russlands waren der Bundesrepublik Deutschland durch russische Spionageaktivitäten erhebliche außenund sicherheitspolitische sowie wirtschaftliche Schäden entstanden. Aufgrund des seither nun noch einmal intensivierten Aufklärungsinteresses russischer Nachrichtendienste, der offensiveren Desinformationsaktivitäten sowie der Cyberangriffe auf deutsche Behördennetze, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ergibt sich nunmehr eine weiter angestiegene Gefährdung. 157 Hacktivisten verwenden Computer sowie Rechnernetze als Protestmittel, um politische und ideologische Ziele zu propagieren und zu erreichen. 158 Distributed-Denial-of-Service-Angriff: Einzelne Systeme senden eine sehr große Zahl von Anfragen an einen Server mit dem Ziel, dass dieser mit der schieren Menge überfordert ist und aufgrund der Überlastung nicht mehr in der Lage ist, seine Dienste anzubieten. 159 Als Ransomware werden Schadprogramme bezeichnet, die den Zugriff auf Daten und Systeme einschränken oder verhindern und diese Ressourcen nur gegen Zahlung eines Lösegeldes (englisch "ransom") wieder freigeben. 287 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Neuausrichtung Während die Ausweisung russischer Diplomaten eine vorübergehende Schwächung der russischen nachrichtendienstlichen Kapazitäten darstellt, ist mittelbis langfristig mit einem Ausweichen auf alternative Wege der Informationsbeschaffung zu rechnen. Die sanktionsbedingten Zugangshemmnisse für russische Nachrichtendienste werden voraussichtlich zu einer Neuausrichtung führen. Grundsätzlich ist weiterhin von der Fähigkeit und dem Willen russischer Nachrichtendienste zu komplexen Operationen in Europa auszugehen. Insbesondere von nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Kontext des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine geht eine hohe Gefährdung aus. Hierbei sind neben politischer Spionage die militärische Aufklärung, Wirtschaftsspionage und die Aufklärung Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) zu nennen. Russland kann auf eine aus seiner Sicht sich verschärfende Lage mit physischen und cyberbasierten Sabotageaktivitäten reagieren. Im Hinblick auf Cyberaktivitäten hat sich die bereits vor dem Angriffskrieg hohe Gefährdungslage weiter verschärft. Als Handlungsoptionen betrachtet Russland neben Cyberspionage auch Cybersabotage, wobei Kollateralschäden und Spillover-Effekte rücksichtslos in Kauf genommen werden. In dem Maße, in dem nachrichtendienstliche Operationen mit menschlichen Quellen für Russland schwieriger werden, dürften komplexe Cyberoperationen zur Beschaffung von Informationen für die russischen Dienste noch größere Bedeutung gewinnen. III. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China Die Nachrichtendienste Chinas sind mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet und dienen maßgeblich dem Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Sie spielen eine wesentliche Rolle im Kontext des von der Staatsund Parteiführung verfolgten Ziels, bis 2049 Weltmacht mindestens auf Augenhöhe mit den USA zu werden und den globalen Führungsanspruch der Volksrepublik durchzusetzen ("Chinese Dream"). Sie sind ebenso beteiligt am Umbau der Volkswirtschaft zu einer führenden Industrienation sowie an der Umsetzung wirtschaftspolitischer 288 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Masterpläne - unter anderem des 14. Fünfjahresplans sowie der Initiativen "Made in China 2025" und "China Standards 2035" - zur Erlangung von Marktund Technologieführerschaft in strategischen Sektoren. Zudem sind die chinesischen Dienste in Einflussnahmeaktivitäten involviert, mit denen die KPCh versucht, die Interessen der Staatsund Parteiführung im Ausland durchzusetzen. 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Der Bedarf der Staatsund Parteiführung an Erkenntnissen über Aufklärungsziele supranationale Einrichtungen wie EU und die Vereinten Nationen sowie die Bündnispolitik des Westens wächst mit der Bedeutung Chinas als Global Player. In Deutschland stehen die Ziele Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Militär im Fokus chinesischer Dienste; außerdem werden oppositionelle Gruppen bekämpft. In Politik und Verwaltung werden Informationen zu politischen wie wirtschaftspolitischen Positionen Deutschlands mit Bezug zur Volksrepublik gewonnen. Für die Realisierung seiner ambitionierten Industriepolitik nutzt China Spionage in Wirtschaft und Wissenschaft, versucht, ganz oder teilweise deutsche Unternehmen der Spitzentechnologie zu kaufen, und wirbt gezielt Wissensträgerinnen und -träger an. Erkenntnisse zu Struktur, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr stehen ebenso auf der Agenda chinesischer Dienste wie die Beschaffung moderner Waffentechnik aus der deutschen Verteidigungsindustrie. Zudem bekämpfen chinesische Behörden weltweit unterschiedliche chinesische oppositionelle Gruppen als "Fünf Gifte"160. 2. Methodik der Informationsgewinnung Aus den chinesischen Legalresidenturen in Deutschland erfolgt Aktivitäten aus überwiegend eine offene Informationsbeschaffung einschließlich Legalresidenturen eines Monitorings von Medien und sonstigen offenen Publikationen. Daneben sammeln Angehörige der Legalresidenturen Informationen im Rahmen harmlos wirkender Kontaktpflege. Diese 160 Dies sind die nach mehr Unabhängigkeit strebenden ethnischen Minderheiten der Uiguren und Tibeter, die regimekritische Falun-Gong-Bewegung, die Demokratiebewegung und die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit der Insel Taiwan; darüber hinaus stehen Angehörige der Hongkonger Demokratiebewegung im Fokus. 289 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Gesprächsabschöpfung zielt insbesondere auf aktive und ehemalige Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Politik und Wirtschaft. Zu den Aufgaben der Nachrichtendienste gehören ferner die Kontrolle und Steuerung der in Deutschland ansässigen chinesischen Auslandsgemeinde. Durch die enge institutionelle Anbindung von chinesischen Unternehmen, Studierendenorganisationen sowie kulturellen Vereinen und Instituten soll linientreues Verhalten sichergestellt und die sogenannte Einheitsfront im Ausland gestärkt werden. Dazu werden auch Angehörige der Diaspora für Maßnahmen gegen chinesische Oppositionelle und zur propagandistischen Unterstützung der Politik der Staatsund Parteiführung instrumentalisiert. Chinesische ÜberseeDer engen Anbindung der in Deutschland lebenden ethnischen Polizeistationen Chinesinnen und Chinesen dienen auch die sogenannten Übersee-Polizeistationen (ÜPS). Dabei handelt es sich nicht um offizielle diplomatische Einrichtungen, sondern um informelle Übersee-Dependancen lokaler chinesischer Polizeieinheiten aus typischen Auswandererregionen Chinas. Diese werden nicht von chinesischen Polizeibeamten, sondern von verdienten, linientreuen Auslandschinesen - zum Teil mit deutscher Staatsangehörigkeit - geleitet. Es handelt sich um illegitime Parallelstrukturen, die China zur Ausspähung und Beeinflussung der chinesischen Diaspora in Deutschland nutzen könnte. Zu ihren Aufgaben gehören die Unterstützung bei diversen polizeilichen und behördlichen Angelegenheiten (z.B. Eheschließungen, Meldewesen, zivilrechtliche Angelegenheiten), aber auch das Sammeln von Informationen über Mitglieder der Diaspora oder über Meinungsbilder und die Propagierung ideologischer Leitlinien der KPCh in der Diaspora. Chinesische Die Nachrichtendienste setzen zur Informationsgewinnung in Journalistinnen und Deutschland tätige chinesische Auslandskorrespondentinnen Journalisten und -korrespondenten ein, die eng an die chinesische Botschaft in Berlin angebunden sind und in erster Linie offene Gesprächsabschöpfung betreiben. Zugleich nutzt China deren Kontaktnetzwerk sowie die Reichweite der von ihnen verfassten Beiträge, um in Deutschland die Narrative der KPCh für ein positives Chinabild zu verbreiten. 290 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Nachrichtendienstliche Operationen zur verdeckten InformaZentrale Steuerung tionsbeschaffung werden hauptsächlich unmittelbar aus den und Anwerbung zentralen beziehungsweise regionalen Büros der Dienste in Chimenschlicher Quellen na gesteuert. Bei Aufenthalten in China werden Zielpersonen aus Deutschland mit hochwertigen Zugängen oder mit einer aussichtsreichen zukünftigen Entwicklung angesprochen und mit der Aussicht auf Entlohnung angeworben. Anknüpfungspunkt für solche Werbungsmaßnahmen sind beispielsweise Veranstaltungen im akademischen Umfeld in China. Die in der Folge stattfindenden Treffs werden überwiegend in Drittländern oder in China durchgeführt, um operative Risiken in Deutschland zu reduzieren. Die Steuerung erfolgt meist persönlich, aber auch über webbasierte verschlüsselte Kommunikation, insbesondere über den chinesischen Messengerdienst WeChat. Neben dem akademischen Umfeld bieten insbesondere die umfassenden Überwachungsmaßnahmen in China weitere Ansätze für nachrichtendienstliche Operationen. Die Angaben bei der Beantragung eines Visums für Chinareisen erleichtern es den chinesischen Nachrichtendiensten, für sie interessante Personen automatisiert herauszufiltern. Im Fokus stehen besonders für Studiumsoder Forschungszwecke, aus geschäftlichen oder touristischen Gründen Einreisende sowie die dort lebenden Angehörigen der deutschen diplomatischen Vertretungen. China verfolgt auch weiterhin ein ambitioniertes und langfristiges Programm, um in zukunftsweisenden Bereichen der Hochtechnologie Anschluss an die führenden Industrienationen zu erlangen. Die Staatsund Parteiführung strebt dabei auch eine globale Technologieführerschaft an. Dieses Ziel soll spätestens im Jahr 2049 zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik erreicht werden. China betreibt bereits seit Jahren ein umfassendes System des Staatlich gesteuerter Technologieund Know-how-Transfers, um seine zivile und miKnow-howund litärische Entwicklung voranzutreiben. Besonders im Fokus steTechnologietransfer hen dabei Emerging Technologies (EMT) wie Quantentechnologie, nach China Künstliche Intelligenz, Hyperschalltechnik, Überwachungstechnologie oder Biotechnologie, denen militärisch eine immer größere Bedeutung zukommt. Im Jahr 2022 war Deutschland innerhalb der EU erneut eines der wichtigsten Ziele chinesischer Investitionen, die auf legalem Weg 291 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN den Zugriff auf Technologien, Know-how oder geistiges Eigentum ermöglichen. Direktinvestitionen bieten China nicht nur die Möglichkeit, Innovationsrückstände auszugleichen und einen technologischen Vorsprung zu erzielen, sondern eröffnen auch das Tor zu politischer Einflussnahme, Spionage und Sabotage. Direktinvestitionen in Bereichen wie insbesondere sensible Technologien oder Kritischen Infrastrukturen können überdies Risiken für die öffentliche Sicherheit in Deutschland bergen. Das Ausmaß dieser Aktivitäten kann zudem zu einer Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit des Industrieund Technologiestandorts Deutschland und zur Aushebelung marktwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten führen. Letztlich drohen daraus Wohlstandsverluste und in der Konsequenz Risiken für die Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Unabhängigkeit Deutschlands zu erwachsen. Zum ganzheitlichen Ansatz des staatlich gesteuerten Transfers von Know-how und Technologien zählen neben Investitionen auch Forschungskooperationen und Talentprogramme, wobei die verschiedenen Vorgehensweisen zum Teil ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken. China versteht es, für Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft Anreize zu setzen, um Informationen zu beschaffen. Obendrein gelingt es dem Staat, intrinsisch motivierte Personen in ihrem Entschluss zu bekräftigen, bereits vorhandenes Wissen nach China zu transferieren, ohne auf den Einsatz klassischer nachrichtendienstlicher Mittel und Methoden zurückgreifen zu müssen. Wegen dieses umfassenden Vorgehens zur Informationsgewinnung ist China die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage sowie ausländische Direktinvestitionen in Deutschland. 3. Politische Einflussnahme Um die Ambitionen der KPCh erfolgreich umsetzen zu können, bedarf es eines für China wohlwollenden Umfeldes im Ausland; erzeugt werden soll dies über Einflussnahmeaktivitäten in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Im politischen Bereich bemüht sich die chinesische Seite, gut vernetzte deutsche (aktive und ehemalige) Angehörige der Politik als 292 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN "Lobbyisten" für chinesische Interessen zu gewinnen. Sofern sie die Politik der Volksrepublik kritisieren, werden deutsche Politikerinnen und Politiker aber auch unter Druck gesetzt. Im Bereich von Bildung und Forschung drohen Chinas Aktivitäten und Kooperationsformate die akademische Freiheit zu unterminieren. Die chinesischen Konfuzius-Institute dienen innerhalb der Einflussnahmestrategie der KPCh insbesondere dazu, ein makelloses Chinabild zu verbreiten. Auch auf einen Teil der Mitglieder der chinesischen Diaspora sowie regimetreue Studierende greift die KPCh zu. Diese werden insbesondere zur Unterdrückung von Kritik an der Politik der KPCh sowie zur Verbreitung der offiziellen Narrative der Partei im Ausland instrumentalisiert, um auf ihr soziales und berufliches Umfeld Einfluss auszuüben. Zudem versuchen staatliche chinesische Akteure, führende Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft unter Ausnutzung der Abhängigkeit einzelner deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt für die Durchsetzung der Interessen der KPCh zu instrumentalisieren. Die Staatsund Parteiführung setzt außerdem bei "unerwünschtem" Verhalten ausländischer Unternehmen und Regierungen zum Zweck der Abschreckung auf öffentlichkeitswirksame Sanktionierung und staatlich gesteuerte Boykotte in China. 4. Cyberangriffe Auch im Jahr 2022 verübten mutmaßlich staatliche oder staatlich gesteuerte chinesische Akteure gezielt Cyberangriffe auf Unternehmen, Behörden und Privatpersonen sowie auch gegen politische Institutionen. Hier sollen Informationen über politische Meinungsbildung, Entscheidungsprozesse sowie Positionen der deutschen Regierung zu Fragen der deutschen und europäischen Außenpolitik mit Auswirkungen auf den chinesischen Staat erlangt werden. Langfristig sind vor allem strategische Methoden der CyberspioVerstärkte politische nage gegen westliche Demokratien zu betrachten, die zur DurchCyberspionage setzung chinesischer Interessen dienen. Das BfV beobachtete im Jahr 2022 anhaltende Angriffskampagnen wahrscheinlich chinesischer staatlicher Cyberakteure insbesondere gegen politische Ziele 293 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN in Europa - auch in Deutschland - und weitere westliche Staaten. Hauptakteure sind die Gruppierungen APT 15 und APT 31. APT 15 Die Cyberakteure hinter APT 15 sind seit mindestens 2010 aktiv. In den vergangenen Jahren konnten sie sich in zahlreichen Ländern Zugänge zu sensiblen Einrichtungen und Informationen verschaffen. APT 15 nutzt dabei Methoden und Werkzeuge, die eine Urheberschaft staatlich gelenkter Cyberakteure chinesischen Ursprungs vermuten lassen. Die Aufklärungsaktivitäten von APT 15 gegen politische Ziele, beispielsweise gegen Parteien und Regierungsnetzwerke, haben im Berichtszeitraum weiterhin stark zugenommen. Nach Einschätzung des BfV erfolgen sie zur Einrichtung eines dauerhaften Zugriffs auf die angegriffenen Netzwerke. Neben politischen Zielen intensivierte APT 15 seine Aufklärungsund Überwachungsmaßnahmen gegen uigurische und tibetische Minderheiten im Ausland mittels der Verbreitung von Schadsoftware für mobile Endgeräte. APT 31 APT 31 richtet seine seit mindestens 2014 zu verzeichnenden Cyberspionageaktivitäten seit Ende 2018 vor allem gegen politische Institutionen in westlichen Staaten. Im Berichtszeitraum standen besonders europäische Staaten - darunter auch Deutschland - im primären Aufklärungsinteresse. Dabei setzten die Angreifer vermehrt technische Scans (u.a. Schwachstellenscans) gegen im Internet erreichbare Systeme der Angriffsziele ein und nutzten gefundene Schwachstellen konsequent aus. Einmal im Netz der Opfer, nutzt APT 31 zu einem großen Teil die dort verfügbaren Mittel und setzt nur vereinzelt spezifische eigene Schadsoftware ein, um sich gezielt in den Opfersystemen fortzubewegen. Eine umfangreiche Ausleitung von Daten erfolgt nur noch teilweise, um möglichst lange unentdeckt zu bleiben. Meistens ist ein zielgerichtetes Vorgehen zu beobachten. Oft reicht hierfür bereits der Zugang zu bestimmten Servern aus. Beispielsweise können über den E-MailServer einer angegriffenen Institution relevante Informationen zentral mitgelesen werden. Insgesamt zielen die Angriffe darauf ab, einen langfristigen Zugang zu Informationen politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger zu etablieren sowie die Positionierung westlicher Politikerinnen und Politiker zu aus chinesischer 294 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Sicht kritischen Fragen, beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte, aufzuklären. Um die global führende "Hightech Nation" zu werden, nutzt China Wirtschaft als Ziel die Fähigkeiten der Nachrichtendienste zur Cyberspionage dafür, sensible Informationen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zu beschaffen. Intensives Interesse besteht insbesondere an relevanten Zukunftstechnologien wie Biomedizin, Luftund Raumfahrttechnik, neuen Werkstoffen und Materialien, Robotertechnologie und künstlicher Intelligenz, maritimen Technologien, E-Mobilität, Informationstechnologie und Halbleitern. Diese Felder werden nicht nur innerhalb Chinas selbst gezielt gefördert, sondern stehen auch im Fokus der gegen das Ausland gerichteten Aufklärungsaktivitäten. Hinter der seit mindestens 2010 aktiven Gruppierung APT 27 werAPT 27 den freie Akteure vermutet, die im Auftrag oder mit Unterstützung des chinesischen Staates agieren. Angriffsziele sind weltweit hauptsächlich Unternehmen aus dem Hochtechnologiebereich oder der Rüstungsindustrie. Die Angriffe gegen europäische Ziele nahmen auch 2022 weiter zu. Die Gruppierung nutzt dafür unter anderem aktuelle und zumeist öffentlich noch nicht bekannte Softund Hardwareschwachstellen aus (Zero-Day-Exploits). Auch in Deutschland wurden 2022 Ziele im Hochtechnologiebereich erfolgreich angegriffen. Bei den bekannten Zielen handelt es sich zum Teil um Dienstleistungsunternehmen, die einen größeren Kundenstamm aus verschiedenen Branchen betreuen. 5. Gefährdungspotenzial Die globalen Ambitionen Chinas werden mit einem generellen Streben nach immer mehr Macht zur Ausgestaltung des eigenen Gestaltungsund Führungsanspruches verfolgt und lassen eine weitere Intensivierung der Spionageaktivitäten wie auch der Einflussnahmeaktivitäten durch staatliche Akteure erwarten. China handelt bei seiner strategischen Ausrichtung planvoll und langfristig und denkt nicht in Jahren oder Legislaturperioden. Ähnlich langfristig ist auch die offensive Cyberstrategie, die durch umfangreichen Wissenstransfer einen wichtigen Beitrag zu den industrieund geopolitischen Zielen des Landes leisten soll. Die 295 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Cyberspionageoperationen dürften deshalb noch ausgefeilter werden. Sieht die Staatsund Parteiführung ihre wesentlichen Interessen verletzt, ist sie bereit, in eigener Sache die öffentliche Meinung mit illegitimen Mitteln zu beeinflussen oder auch Druck auszuüben, um ihre Interessen durchzusetzen. Dies betrifft in Deutschland auch chinesische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und chinesisch-stämmige Deutsche mit dem Ziel, diese zu einem parteikonformen Verhalten zu bewegen. IV. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die (geo-)politische Lage im Nahen und Mittleren Osten sowie die Demonstrationsund Protestbewegung in Iran prägen die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der Theokratie. Iran versteht sich als Regionalmacht - mit einer ausgeprägten antiwestlichen sowie antiisraelischen Stoßrichtung. Damit einhergehend ist das iranische Regime an Informationen über die künftige Politik des Westens interessiert - beispielsweise über die deutsche Außenund Sicherheitspolitik. Vorgehen gegen Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und EinzelpersoOppositionelle und nen im Inund Ausland stellt jedoch den Schwerpunkt iranischer sowie Kritikerinnen nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar. Diese gelten aus Sicht und Kritiker der Machthaber Irans als Gefährdung für den Fortbestand des Regimes. Besonders deutlich zeigte sich das am harten Vorgehen der Machthaber in Iran gegen Demonstrierende im Zusammenhang mit den seit September 2022 stattfindenden Protesten gegen die Staatsführung. Neben den USA hat Iran den Staat Israel, dessen Repräsentanten sowie exponierte Unterstützer zu seinen Feinden erklärt. Hierzu können auch führende Vertreterinnen und Vertreter jüdischer Organisationen in der Diaspora gehören. Deshalb gehören auch Ausspähungsaktivitäten gegen (pro-)israelische sowie (pro-)jüdische Ziele in Deutschland unverändert zum Tätigkeitsfeld der Spionage Irans. Der Ton des Machtapparates auch gegenüber Deutschland hat sich 2022 im Zuge der Proteste und internationalen Solidarisierung verschärft. Beispielsweise hat die iranische Führung "den 296 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Westen" und namentlich auch Deutschland für die Proteste verantwortlich gemacht. Hauptsächlich gehen die gegen Deutschland gerichteten AktiviAkteure täten weiterhin vom Ministry of Intelligence (VAJA161, zumeist MOIS abgekürzt) aus. In seinem Fokus stehen insbesondere die in Deutschland aktiven iranischen Oppositionsgruppen. Neben dem MOIS ist die auch geheimdienstlich agierende Quds Force der Iranischen Revolutionsgarden162 in Deutschland aktiv. Ihre umfangreichen Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-)israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran setzen auch Staatsterrorismus staatsterroristische Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ein. Maßgebliche staatsterroristische Ziele sind die Einschüchterung und Neutralisierung Oppositioneller, aber auch die Bestrafung von "Verrätern" oder "Überläufern". Ausspähungsaktivitäten iranischer Nachrichtendienste dienen der Vorbereitung staatsterroristischer Aktivitäten, darunter Entführung oder sogar Tötung der Zielperson. Seit 2019 werden international immer wieder aufwendige, komVerschleppung/ plexe und professionell durchgeführte Entführungen hochranEntführung nach Iran giger Zielpersonen aus dem oppositionellen Spektrum durch iranische Nachrichtendienste durchgeführt. Diesen Auslandsoperationen gehen teilweise langjährige Ausforschungsaktivitäten voraus. Auch in Deutschland lebende Personen können Opfer solcher Operationen iranischer Stellen werden, insbesondere bei Reisen in Anrainerstaaten Irans. Iranreisende - sowohl iranische als auch deutsche StaatsangehöAnbahnung/ rige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willVerhaftung bei Reisen kürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden. nach Iran Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. 161 In Farsi: Vezarat-e Ettela'at-e Jomhouri-ye Eslami-ye Iran - VAJA. 162 In Farsi: Sepah Pasdaran. 297 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Den Betroffenen drohen mehrtägige Befragungen durch iranische Nachrichtendienste, bei denen erheblicher Druck auf sie ausgeübt wird. Ziel dieser oft unter Vorwand eingefädelten Verhöre ist es, die Personen zur Aufgabe ihrer oppositionellen Aktivitäten zu zwingen oder sie nachrichtendienstlich zu verpflichten. Iranreisende können sich diesem Druck im Land kaum entziehen, weshalb die iranischen Dienste offenbar bevorzugt so vorgehen. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informationsund Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden. Die Nachrichtendienste verlangen darüber hinaus teilweise Sicherheiten oder eine Kaution von den Reisenden, um so finanziellen Druck aufzubauen und damit eine Mitarbeit zu erzwingen. In manchen Fällen mussten sogar Grundstücke in Iran verpfändet oder übereignet werden. Gefährdung von Besonders gefährdet sind Personen mit deutscher und iranischer Doppelstaatern Staatsangehörigkeit. Diese werden in Iran grundsätzlich als Inländer behandelt, da Doppelstaatsangehörigkeiten durch Iran nicht anerkannt werden. Gleichzeitig nutzt Iran jedoch die zweite Staatsbürgerschaft zur Ausübung politischen Drucks. Es ist davon auszugehen, dass Iran auch weiterhin gezielt westliche Monound Doppelstaater unter konstruierten Vorwänden festnimmt und als Druckmittel einsetzt. Dies dient der Durchsetzung seiner politischen Ziele, um beispielsweise den Austausch gegen im Ausland inhaftierte Personen zu erreichen. Cyberangriffe Staatlich gesteuerte iranische Cyberakteure nutzen seit mindestens 2013 Cyberangriffe zur Informationsgewinnung; dabei entwickeln sie ihre Fähigkeiten stetig weiter. Die Angriffe richten sich unter anderem gegen Israel und die USA sowie Ziele im Mittleren und Nahen Osten. In Deutschland fokussiert sich die iranische Cyberspionage vorwiegend auf Institutionen im Bereich Bildung und Forschung. Die in Deutschland beheimatete, europaweit größte iranische Community ist ebenfalls iranischen Cyberangriffen ausgesetzt. 298 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Hierbei werden hauptsächlich Spear-Phishing-Angriffe163 durchgeführt oder aktuelle Sicherheitslücken ausgenutzt. Die Angriffe zeichnen sich durch ein hochwertiges Social Engineering sowie den Einsatz frei verfügbarer und zielgerichtet angepasster Schadsoftware aus. Darüber hinaus werden zunehmend selbstentwickelte Schadsoftware und Angriffswerkzeuge sowie teilweise auch Ransomware164 eingesetzt, um den Verdacht auf Cyberkriminelle zu lenken. Die iranische Opposition, aber auch (pro-)israelische beziehungsGefährdungsweise (pro-)jüdische Ziele werden in Deutschland weiterhin Ziel potenzial iranischer Nachrichtendienste sein. Das Gefährdungspotenzial ist in den letzten Jahren angestiegen und blieb auch im Berichtszeitraum auf einem hohen Niveau. Daher unterliegen insbesondere exponierte Einzelpersonen und Gruppierungen grundsätzlich einer höheren Gefährdung. Es ist davon auszugehen, dass iranische Nachrichtendienste die dortigen Interessen auch weiterhin mit allen Mitteln - auch durch Gewalttaten und sogar Tötungen - verfolgen werden. Iranische Akteure werden ihre Fähigkeiten im Bereich der Cyberangriffsoperationen weiter professionalisieren. Wegen der umfassenden Sanktionen wird Iran weiter versuchen, Know-how, Informationen und Produkte mithilfe von Cyberangriffen zu beschaffen. V. Nachrichtendienste der Republik Türkei Die türkischen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden sind zentrale Stellen im türkischen Staatsapparat. Sie dienen der türkischen Regierung, dem Staatspräsidenten und dessen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) zur Durchsetzung der Regierungspolitik, der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und 163 Besonders bei APTs verwendete Variante des Phishing. Dabei wird die PhishingMail für einen kleinen Empfängerkreis oder sogar nur eine Einzelperson maßgeschneidert. 164 Als Ransomware werden Schadprogramme bezeichnet, die den Zugriff auf Daten und System einschränken oder verhindern und diese Ressourcen nur gegen Zahlung eines Lösegeldes (englisch "ransom") wieder freigeben. 299 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN nicht zuletzt der Informationsbeschaffung, um politische Entscheidungen vorzubereiten. Viele Zielbereiche Türkische Nachrichtendienste spähen in Deutschland Vereinigungen und Einzelpersonen aus, die tatsächlich oder mutmaßlich in Opposition zur türkischen Regierung stehen. Vorrangiges Aufklärungsziel sind aber Organisationen, die die Türkei als extremistisch oder terroristisch einstuft. Dazu gehören die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) (vgl. Berichtsteil Auslandsbezogener Extremismus, Kap. II, Ausführungen zur PKK) und die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Verurteilungen Am 14. Juli 2022 verurteilte das OLG Düsseldorf (Nordrhein-Westwegen falen) einen türkischen Staatsangehörigen wegen geheimdienstgeheimdienstlicher licher Agententätigkeit in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubAgententätigkeit tem Erwerb und Besitz von Munition zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Der Verurteilte hatte gestanden, personenbezogene Daten von in Deutschland lebenden türkischen Oppositionellen an türkische Nachrichtendienste übermittelt zu haben. Außerdem verurteilte das OLG Düsseldorf einen deutschen Staatsangehörigen als Zuträger dieses Verurteilten am 10. November 2022 unter anderem wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Haftstrafe von neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Methodik In Deutschland bestehen für türkische Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden wegen der großen türkeistämmigen Gemeinde und der Vielzahl türkischer Organisationen und Institutionen sowie der großen Zahl diplomatischer Vertretungen günstige Gelegenheiten zur Informationsbeschaffung. In der Türkei richtet sich der Blick entsprechender türkischer Stellen auch auf Angehörige deutscher diplomatischer Vertretungen. Darüber hinaus belegen zahlreiche Haftfälle sowie Ausund Einreisesperren für Türkeireisende aus Deutschland das hohe Strafverfolgungsinteresse türkischer staatlicher Stellen. Verfolgt werden dabei auch in Deutschland grundrechtlich geschützte Aktivitäten. Staatliche Flankiert werden die Aktivitäten türkischer NachrichtenEinflussnahme dienste und Sicherheitsbehörden durch Einflussnahmeversuche auf türkeistämmige Gemeinschaften in Deutschland, die auch Auswirkungen auf den politischen Willensbildungsund 300 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Entscheidungsfindungsprozess in der deutschen Gesellschaft insgesamt haben können. So ist der größte staatsbeziehungsweise regierungsnahe InterUID essenverband die 2004 gegründete Union Internationaler Demokraten (UID) mit Sitz in Köln. Sie fächert sich in eine Vielzahl von Regionalverbänden und Ortsvereinen auf. Ihre Verbindungen zur Türkei stellt sie durch 2022 vermehrt stattfindende Treffen mit AKP-Funktionären und türkischen Regierungsmitgliedern öffentlich zur Schau. Deutschland bleibt für türkische Nachrichtendienste und SicherGefährdungsheitsbehörden weiterhin eines der vorrangigen Ausforschungspotenzial ziele. Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten werden auf hohem Niveau fortgesetzt und richten sich auch weiterhin hauptsächlich gegen Personen, die vermeintlich oder tatsächlich die türkische Regierung kritisieren oder gegen sie opponieren. Auch die Einflussnahmeaktivitäten türkischer staatsoder regierungsnaher Organisationen werden im türkischen Wahljahr 2023 fortgeführt werden. VI. Nachrichtendienste sonstiger Staaten Im Sinne einer "360deg-Bearbeitung" werden im Rahmen der Aufklärungsund Abwehraktivitäten der Spionageabwehr sämtliche illegalen nachrichtendienstlichen Aktivitäten bearbeitet, denn es ist in keinem Fall zu tolerieren, dass ausländische Nachrichtendienste in oder gegen Deutschland Spionage betreiben. Die nordkoreanischen Nachrichtendienste sind für die AufrechtNordkoreanische erhaltung der inneren Sicherheit und Unterstützung des herrNachrichtendienste schenden Regimes verantwortlich. In Deutschland gibt es aktuell keine akkreditierten Angehörigen eines nordkoreanischen Nachrichtendienstes. Akkreditierte Diplomaten sind unmittelbar dem nordkoreanischen Außenministerium unterstellt und haben kaum nachrichtendienstliche Erfahrung. Nordkoreanische Nachrichtendienste nutzen weltweit offensive Cyberoperationen für die Informationsgewinnung über diplomatische und politische Prozesse, zur Wirtschaftsspionage sowie 301 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN zur Devisenbeschaffung. Für Institutionen des Finanzsektors und Kryptowährungsbörsen westlicher Staaten besteht ein anhaltendes Risiko. Von Wirtschaftsspionage sind vornehmlich Unternehmen aus Bereichen betroffen, für die sich der nordkoreanische Staat das Ziel gesetzt hat, die Weiterentwicklung in besonderem Maße voranzutreiben. Hierzu zählen Verteidigung, Luftund Raumfahrt sowie Energieund Agrartechnologie. Im Fokus stehen auch Personen, die sich mit der politischen und humanitären Lage auf der koreanischen Halbinsel oder mit Proliferationsthemen befassen. Dies gilt auch für zwischenstaatliche Organisationen, die etwa mit der Verhängung, Durchsetzung und Evaluation internationaler Sanktionen gegen den nordkoreanischen Staat betraut sind. Im Jahr 2022 erfolgten in westlichen Staaten Cyberspionageangriffe zur Erbeutung geschützten Know-hows aus Unternehmen der Luftund Raumfahrtsowie der Antriebstechnologie. Deren Mitarbeitende wurden gezielt über Online-Karrierenetzwerke von vermeintlichen Headhuntern kontaktiert. Dabei wurden ihnen unter dem Vorwand eines Stellenangebots manipulierte Dokumente übersandt. Nachrichtendienste Sowohl pakistanische als auch vietnamesische Nachrichtendienste von Pakistan, sind auch in Deutschland aktiv und beobachten hier lebende AnVietnam sowie gehörige oppositioneller Gruppierungen. Gleichzeitig versuchen arabischen Staaten sie, Einfluss auf die jeweilige hiesige Diaspora sowie die Wahrnehmung des eigenen Landes in Deutschland zu nehmen. Die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens sind in Deutschland ebenfalls nachrichtendienstlich aktiv; das belegen unter anderem Verurteilungen wegen Spionage für beispielsweise ägyptische, syrische oder marokkanische Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren. Im November 2022 erfolgte die Festnahme eines mutmaßlichen marokkanischen Agenten in Nordrhein-Westfalen, der Anhänger einer oppositionellen Bewegung aus Marokko in Deutschland ausgespäht haben soll. Zum Aufklärungsspektrum arabischer Nachrichtendienste gehören vor allem die in Deutschland ansässigen Auslandsgemeinden. 302 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die Dienste legen den Begriff "Terrorismus" zum Teil sehr weit aus und versuchen, Oppositionelle in Deutschland auszuspähen und als Extremisten zu diskreditieren. Daneben besteht die Gefahr, dass außereuropäische Regionalkonflikte, wie beispielsweise zwischen Saudi-Arabien und Iran, mit nachrichtendienstlichen Mitteln auch in Deutschland ausgetragen werden. Die Nachrichtendienste der Region haben darüber hinaus ein Interesse daran, Politik, Medien und Verwaltungshandeln in Deutschland durch klandestine Methoden im eigenen Sinne zu beeinflussen. Die Nachrichtendienste aus der "360deg-Bearbeitung" nutzen menschGefährdungsliche Quellen genauso wie Cyberangriffe und andere moderne potenzial technische Mittel. Die vielgestaltigen Bedrohungen durch Spionage und Einflussaktivitäten aus diesem Bereich wird das BfV weiter aufklären und abwehren. VII. Proliferation Staaten, die nach Massenvernichtungswaffen streben165, sind bei der Entwicklung und Herstellung solcher Waffen und Trägersysteme auf den Weltmarkt angewiesen, auch wenn sie teilweise erhebliche eigene technologische Fortschritte verzeichnen. Deshalb versuchen sie, erforderliche Güter und Wissen und zudem andere Rüstungsgüter sowie militärisch anwendbare Technologie auch in Deutschland zu beschaffen. Allerdings verhindern die strengen deutschen und europäischen Exportkontrollbestimmungen solche Einkäufe auf dem regulären Markt. Proliferationsrelevante Staaten versuchen daher, diese Bestimmungen zu umgehen. Dazu beschaffen sie die Produkte über Drittländer (sog. UmgeUmgehungsversuche hungsausfuhren), schalten Tarnfirmen ein oder machen bei "Dual Use"-Gütern - Produkten, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können - falsche Angaben über den Verwendungszweck. Die diese Geschäfte begleitenden Finanztransfers laufen über verzweigte Firmenund Bankennetzwerke, um so den Ursprung von Käufern zu verschleiern. 165 Es handelt sich um Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABCWaffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 303 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Deutsche Universitäten, Fachhochschulen, wissenschaftliche Institute und Forschungsgesellschaften sowie Forschungsabteilungen in der Industrie kommen für Studierende und Personen aus Wissenschaft und Forschung proliferationsrelevanter Länder in Betracht, wenn es um mögliche Quellen zur Beschaffung von proliferationsbezogenem Wissen geht. Islamische Die Verfassungsschutzbehörden konnten 2022 eine konstant hohe Republik Iran Anzahl an Anhaltspunkten für proliferationsrelevante Beschaffungsversuche von Iran für sein Nuklearprogramm feststellen. Die Verhandlungen zur Wiederherstellung des "Atomabkommens" Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) sind 2022 ins Stocken geraten. Daher besteht das Teilembargo der EU fort, welches die Weitergabe proliferationsrelevanter Güter verbietet sowie Embargos für Waffen und Trägersysteme vorsieht. Vor dem Hintergrund des gewaltsamen Vorgehens der iranischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstrationsund Protestbewegung sowie der Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die EU weitere Sanktionen gegen Iran erlassen. Neben seinem Atomprogramm verfolgt Iran eines der umfangreichsten Raketenprogramme im Nahen und Mittleren Osten. Im Bereich der iranischen Trägertechnologie-/Raketenprogramme sind die Beschaffungsaktivitäten in Deutschland anhaltend hoch - mit steigender Tendenz. Russische Föderation Dem BfV liegen Hinweise auf russische proliferationsrelevante Aktivitäten unter Umgehung von Sanktionen und Verschleierung tatsächlicher Endverwender vor. Bereits im Juli 2014 hatte die EU aufgrund der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ein Waffenembargo, Handelsbeschränkungen und Einschränkungen beim Zahlungsverkehr beschlossen. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg hat die EU seit Ende Februar 2022 mehrere Sanktionspakete gegen Russland erlassen, die deutlich über die bisherigen Beschränkungen hinausgehen. Diese umfassen neben umfangreichen Finanzsanktionen auch ein Verbot für die Lieferung sämtlicher Güter und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungsund Sicherheitssektors beitragen könnten.166 166 Konsolidierte Fassung vom 14.12.2022 der EU-Verordnung Nr. 833/2014 vom 31.07.2014 sowie konsolidierte Fassung vom 14.11.2022 der EU-Verordnung Nr. 269/2014 vom 17.03.2014. 304 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Vor diesem Hintergrund konnte das BfV im Berichtszeitraum vermehrt tatsächliche Anhaltspunkte für proliferationsrelevante Beschaffungsversuche unter Einbindung russischer Nachrichtendienste mit konkretem Deutschlandbezug verifizieren. Dabei wurde eine zunehmende Verschleierung russischer Beschaffungsbemühungen zur Umgehung von Sanktionen festgestellt. Bei den beschafften Produkten handelte es sich vorwiegend um "Dual Use"-Güter, die einer militärischen beziehungsweise proliferationsrelevanten Endverwendung zugeführt werden sollten. Intensive russische Beschaffungsbemühungen sind auch künftig zu erwarten. Deren Aufklärung und Verhinderung zählt weiterhin zu den Schwerpunkten der Proliferationsabwehr. Am 15. Juli 2022 verurteilte das OLG Dresden (Sachsen) einen deutVerurteilung schen Staatsangehörigen wegen gewerbsmäßiger Verstöße gegen wegen Verstoßes das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Der verurteilte Unternehmer gegen AWG hatte ohne Genehmigung von 2017 bis 2020 verschiedene Güter mit doppeltem Verwendungszweck nach Russland exportiert, darunter technische Geräte und Laborausrüstung, die für die Entwicklung von ABC-Waffen oder die Entwicklung von Flugkörpern zu deren Ausbringung verwendet werden können. Das OLG verurteilte den Angeklagten zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Die Taterträge von rund 986.000 Euro wurden zugunsten des Bundes eingezogen. Die Proliferationsbemühungen der Volksrepublik China sind Volksrepublik China gänzlich anders gelagert als die anderer Proliferationsstaaten: Bedeutsame chinesische Bemühungen zur Wissensoder Güterbeschaffung in den Bereichen ABC-Waffen und Trägertechnologie sind in Deutschland nicht zu beobachten. Hier ist China technologisch bereits weit fortgeschritten und dürfte daher weitgehend autark sein. China arbeitet im Bereich der EMT mit Hochdruck an seinem "Sprung an die Weltspitze" - unter massiver und vielfältiger Nutzung des deutschen Marktes und der deutschen Wissenschaftslandschaft. Die entsprechenden Transferkanäle, wie die (Forschungs-)Güterbeschaffung im Rahmen regulärer Geschäftsbeziehungen, ausländische Direktinvestitionen in Form von Unternehmenserwerben oder Wissenschaftsund Forschungskooperationen, sind ausgesprochen vielfältig und häufig weder 305 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Gegenstand von Sanktionen oder internationalen Restriktionen noch von nationalen Exportbeschränkungen. Dies offenbart eine besondere Anfälligkeit Deutschlands für Abflüsse hiesiger Hochtechnologie. Das ist umso brisanter, als insbesondere EMT mit zivil-militärischem "Dual Use"-Charakter das Potenzial haben, gerade in ihrem Zusammenspiel, zukünftige militärische Auseinandersetzungen in einem Maße zu beeinflussen, das der Wirkung von Massenvernichtungswaffen nahekommt. Aufgrund der Rechtslage hinsichtlich der Exportkontrolle für EMT kann das BfV zudem meist nur im Rahmen nachrichtendienstlicher Aufklärung und Analyse mit anschließender Sensibilisierung von Politik und Unternehmen gegensteuern. Islamische Pakistan gehört zu den weltweit vier Ländern, welche den AtomRepublik Pakistan waffensperrvertrag und die dazugehörigen Sicherheitsabkommen nicht unterzeichnet haben. Der Staat betreibt neben einem zivilen auch ein umfassendes militärisches Nuklearund Trägertechnologieprogramm. Der Ausbau des eigenen Kernwaffenpotenzials durch die Entwicklung und Stationierung neuer nuklearfähiger Raketen sowie die Produktionssteigerung bei spaltbaren Materialien sind für Pakistan von großer Bedeutung. Auch im Jahr 2022 waren in Deutschland und zahlreichen anderen westlichen Ländern Anhaltspunkte für proliferationsrelevante pakistanische Beschaffungsversuche festzustellen, wenngleich diese durch die Coronapandemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen und Erschwernisse im weltweiten Warenverkehr beeinträchtigt waren. Intensive verdeckte Bemühungen zur Fortentwicklung des pakistanischen Nuklearund Trägertechnologieprogramms sind auch zukünftig zu erwarten. Demokratische Nordkorea verfügt über ein weit fortgeschrittenes KernwaffenVolksrepublik Korea und Raketenprogramm. Der Besitz nuklearer Waffen gilt dem Re(Nordkorea) gime als essenzielles Element der Machterhaltung und Legitimation. 2022 führte das Land so viele Raketentests durch wie in keinem Jahr zuvor, darunter auch Tests von modernen Kurzstreckenraketen für taktische Kernwaffen und Interkontinentalraketen. Zudem stellte Nordkorea offenbar einen der im Jahr 2018 demonstrativ gesprengten Teststollen des Kernwaffen-Testgeländes Punggye-ri wieder her, wahrscheinlich um eine zukünftige Wiederaufnahme des Kerntests zu ermöglichen. 306 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Im Jahr 2022 öffnete Nordkorea erstmals seit Beginn der Coronapandemie seine Landgrenzen für den Güterverkehr mit China und Russland. Nach wie vor importiert das Land Waren aus anderen Staaten über seinen Seehafen in Nampo. In Anbetracht der zuvor beobachteten Interessensbekundungen an "Dual Use"-Gütern in Deutschland ist auch weiterhin von einem hohen nordkoreanischen Interesse an solchen Beschaffungen in Deutschland auszugehen. Hierfür spricht auch die Aufrechterhaltung der Kontakte zu deutschen Geschäftspartnern. Der Rat der EU hat die umfassenden restriktiven Maßnahmen Arabische gegen das syrische Regime 2022 erneut um ein Jahr verlängert. Republik Syrien Dennoch sind Beschaffungsaktivitäten Syriens auch künftig anzunehmen. Das als Hauptträger der syrischen Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen geltende Scientific Studies and Research Center (SSRC) mit einem Netzwerk von Tarnfirmen und Zwischenhändlern spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Auf Deutschland bezogen bewegten sich die Beschaffungsbemühungen 2022 auf einem sehr niedrigen Niveau. Der mögliche Einsatz weltraumgestützter Technik und Systeme Militärische im Rahmen von Konflikten hat für viele Staaten an Bedeutung Raumfahrtgewonnen. Daher ist denkbar, dass auch Deutschland und seine programme Bündnispartner Opfer eines solchen Einsatzes sein könnten. Im Zusammenhang mit solchen Konflikten könnten sich unterschiedliche Szenarien ergeben. So könnten Kommunikationsund Aufklärungssatelliten gezielt gestört oder zerstört werden, militärische Satelliten zu Waffen umfunktioniert oder Satelliten für Cyberangriffe oder zur Echtzeitüberwachung von Kommunikation wie Bewegungen in Luftund Seeverkehr genutzt werden. Auch die deutsche Raumfahrtindustrie, die Hochtechnologiefelder in Elektronik, Robotik, Mess-, Steuerund Regeltechnik sowie neuen Werkstoffen bündelt, ist Ziel illegaler Beschaffungsaktivitäten. Insbesondere Russland und China nutzen hierbei Beschaffungswege und -methoden wie im Rahmen ihrer anderen Proliferationsbestrebungen. 307 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VIII. Prävention in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung Im Rahmen der Prävention trägt das BfV dazu bei, dass sich Wirtschaft und Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung eigenverantwortlich gegen Ausforschung, illegalen und illegitimen Wissensund Technologietransfer, Sabotage sowie Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können. Schwerpunkt Im Berichtsjahr 2022 war die Arbeit des Präventionsbereichs weRusslands sentlich durch den russischen Angriffskrieg und die aus ihm resulAngriffskrieg tierenden Gefährdungen geprägt. Im Mittelpunkt stand der Schutz von Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor Spionageund Sabotageaktivitäten, aber auch vor möglichen Kollateralschäden durch Angriffe auf andere Ziele. "Sicherheitshinweise" Die neuen Publikationsformate "Sicherheitshinweis für die Wirtfür die Wirtschaft schaft" und "Sicherheitshinweis für Politik & Verwaltung" werden sowie für Politik und seit Beginn des russischen Angriffskriegs lagebezogen an die jeVerwaltung weiligen Zielgruppen versendet. Darin informiert das BfV deutsche Unternehmen und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie Beschäftigte in der Verwaltung über die aktuelle Bedrohungslage und spricht Handlungsempfehlungen aus, beispielsweise zum Schutz vor nachrichtendienstlicher Anbahnung oder zur Stärkung der IT-Sicherheit.167 Im Jahr 2022 hat das BfV zudem begonnen, Listen mit "Indicators of Compromise" (IoC)168 an einen wachsenden Verteilerkreis deutscher Unternehmen und Einrichtungen zu versenden. Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden sollen so in die Lage Versand von versetzt werden, ihre Resilienz gegenüber Cyberangriffen fremder IoC-Listen Nachrichtendienste zu stärken. Der russische Angriffskrieg und seine Folgen für den Wirtschaftsund Wissenschaftsstandort standen auch im Mittelpunkt lagebezogener Ad-hoc-Sensibilisierungen besonders gefährdeter 167 Der "Sicherheitshinweis für die Wirtschaft" ist abrufbar unter www.verfassungsschutz.de sowie www.wirtschaftsschutz.info und wird über den Twitter-Kanal des BfV bekannt gemacht. 168 Bei IoCs handelt es sich um technische Merkmale, welche dem Detektieren von Cyberangriffen dienen. Ein IoC ist ein übrig gebliebenes Beweismittel eines erfolgten Cyberangriffs auf einem Endgerät. 308 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden sowie von Veranstaltungen wie der 15. BfV/ASW-Sicherheitstagung im März 2022. Zudem prägte das Thema die Agenda der deutschen G7-Präsidentschaft. Der Präventionsbereich des BfV war in diesem Zusammenhang intensiv in den internationalen Fachaustausch zu Fragen des Wirtschaftsschutzes eingebunden. Die neuen "Informationsblätter zum Wirtschaftsschutz" beleuch"Informationsblätter ten überblicksartig Themen, die für Sicherheitsverantwortliche in zum WirtschaftsUnternehmen von andauernder Relevanz sind und zu denen das schutz" und BfV regelmäßig Anfragen erhält. Sie dienen als Handreichung zur SPOC-Magazin Sensibilisierung von Beschäftigten und umfassen Themen wie "Schutz vor Phishing", "Methoden der Spionage: HUMINT" oder "Sicherheit auf Geschäftsreisen".169 Eine Ausgabe des "SPOC"-Magazins mit Schwerpunkt auf den aktuellen Herausforderungen durch Spionage in Wirtschaft und Forschung rundet das Produktportfolio des Präventionsbereichs ab.170 Der präventive Wirtschaftsschutz ist ein zentrales Anliegen des Prävention im gesamten Verfassungsschutzverbunds. Die VerfassungsschutzVerbund behörden von Bund und Ländern arbeiten dabei Hand in Hand zusammen. Darüber hinaus engagiert sich das BfV bei der Weiterentwicklung der durch das BMI koordinierten "Initiative Wirtschaftsschutz". Als Dachbündnis verzahnt diese die Expertise von Sicherheitsbehörden (BfV, BKA, BND und BSI) sowie Wirtschaftsund Sicherheitsverbänden (BDI, DIHK, ASW Bundesverband und BDSW), um die Resilienz des Wirtschaftsund Wissenschaftsstandorts Deutschlands akut, präventiv und strategisch gegenüber digitalen, hybriden und physischen Sicherheitsrisiken zu stärken. Gemeinsam werden auf der Basis belastbarer Gefährdungslagebilder ganzheitliche und nachhaltige Lösungsansätze als Hilfe zur Selbsthilfe entwickelt, die auf der Informationsund Kommunikationsplattform www.wirtschaftsschutz.info zugänglich sind. 169 Die "Informationsblätter zum Wirtschaftsschutz" sind in deutscher und englischer Sprache erhältlich und werden auf www.verfassungsschutz.de und www.wirtschaftsschutz.info zur Verfügung gestellt. 170 Das SPOC-Magazin ist abrufbar unter www.verfassungsschutz.de. 309 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN IX. Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2022 leitete der Generalbundesanwalt insgesamt 28 neue Ermittlungsverfahren im Bereich der Spionage ein (2021: 25 Verfahren). Davon betrafen 26 Ermittlungsverfahren den Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB) und ein Ermittlungsverfahren den Verdacht des Landesverrats (SS 94 StGB). Im Berichtszeitraum wurden vier Haftbefehle vollstreckt. Vier Personen wurden wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit rechtskräftig verurteilt. 310 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN X. Strukturen und Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste 1. Russische Föderation SWR Ziviler Auslandsnachrichtendienst Slushba Wneschnej Raswedki Leitung: Sergej Narischkin Beschäftigte: mindestens 15.000 Der SWR ist für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie zuständig. Zu seinen Aufgaben zählen ferner die Ausforschung von Zielen und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtenund Sicherheitsdienste sowie die elektronische Fernmeldeaufklärung. Der SWR ist daneben im Bereich von Cyberspionageoperationen aktiv, darunter gegen Hochwertziele westlicher Staaten, insbesondere in Hinblick auf russisches Erkenntnisinteresse zu Außenund Sicherheitspolitik. Der Dienst wirkt zudem an der Bekämpfung von Proliferation und Terrorismus mit. GRU Militärischer Glawnoje RaswedywaAuslandsnachrichtendienst telnoje Uprawlenije Leitung: Admiral Igor Kostjukow Beschäftigte: ca. 37.000 (inkl. ca. 25.000 SpetsNaz171) Zu den Aufgaben der GRU gehört die Beschaffung von Informationen in den Bereichen Militär und Sicherheitspolitik. Zu den Zielobjekten zählen die Bundeswehr, die NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen sowie organisationsübergreifend militärisch nutzbare Technologien. Neben Cyberspionage führt die GRU auch Cybersabotageoperationen durch. 171 Militärische Spezialeinheit der GRU. 311 FSB Inlandsnachrichtendienst Federalnaja Slushba Besopasnosti Leitung: Armeegeneral Alexander Bortnikow Beschäftigte: ca. 350.000, davon mehr als 200.000 im Grenzschutzdienst Zu den Aufgaben des FSB gehören die Spionageabwehr, die Beobachtung oppositioneller Gruppierungen sowie die Bekämpfung von Extremismus, Terrorismus und Organisierter Kriminalität. Zudem zählen der Schutz der russischen Industrie vor Wirtschaftsspionage, der Schutz ausländischer Investoren vor Wirtschaftskriminalität sowie die Sicherung der Staatsgrenzen zu seinen Aufgaben. Der FSB betreibt auch Gegenspionage im Ausland und ist in der Cyberspionage aktiv. 2. Volksrepublik China MSS Ziviler Inund AuslandsMinistry of State nachrichtendienst Security Leitung: Minister Chen Yixin Das MSS ist sowohl mit Abwehrals auch mit offensiven Spionageaktivitäten im Ausland betraut. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle unter den chinesischen Diensten ein. Das Ministerium ist für die Bekämpfung von Gefahren für die staatliche Ordnung und Sicherheit zuständig und hierfür auch mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und klärt oppositionelle chinesische Gruppierungen auf. 312 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN MID Militärischer Inund AuslandsnachMilitary Intelligence richtendienst Directorate Das MID ist weltweit, auch offensiv, tätig. Es entsendet Militärattaches und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Es ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen. Im Zuge der Militärreform ist das MID verpflichtet worden, sich auf militärisch-strategische Aufklärungsziele zu konzentrieren wie Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind aber auch Politik sowie Wissenschaft und Technik mit militärischem Bezug. NSD Technischer militärischer Network Systems Nachrichtendienst Department Das NSD ist der Teilstreitkraft PLA Strategic Support Force (SSF) unterstellt. Es betreibt weltweite Fernmeldeaufklärung und Cyberspionage und ist für Telekommunikationsüberwachung, IT-Sicherheit und Cyberabwehr im Militär zuständig. MPS Ministerium für Öffentliche Sicherheit Ministry of Public Security Leitung: Minister Wang Xiaohong Das MPS ist zuständig für öffentliche Sicherheit und Ordnung und kann auf die Ordnungsund Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MPS über nachrichtendienstliche Einheiten, die auch verdeckt im Ausland tätig sind und deren Aufgaben sich teilweise mit dem MSS decken. Überdies kontrolliert und zensiert das MPS die Medien und den Internetverkehr. 313 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN IDCPC Internationale Abteilung des ZK der International DepartKPCh ment of the Central Committee of the Communist Party of China Leitung: Minister Liu Jianchao Das IDCPC hat Ministeriumsrang und ist für den Dialog der KPCh mit ausländischen Parteien des gesamten politischen Spektrums zuständig. Darüber hinaus führt es verdeckte politische Einflussoperationen durch und nutzt auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung. 3. Islamische Republik Iran VAJA/MOIS Ziviler Inund Ministry of Auslandsnachrichtendienst Intelligence172 Leitung: Minister Esmaeil Khatib VAJA/MOIS ist wegen seiner Größe und Bedeutung für den Machterhalt der Regierung eines der mächtigsten Ministerien. In seiner Funktion als Minister hat der Leiter des VAJA/MOIS einen Sitz im Kabinett. Kernaufgabe ist die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen im Inund Ausland, auch durch Staatsterrorismus. Darüber hinaus werden im westlichen Ausland Informationen aus den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Wissenschaft beschafft. 172 In Farsi: Vezarat-e Ettela'at-e Jomhouri-ye Eslami-ye Iran - VAJA. 314 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN IRGC-IO Militärischer Inund AuslandsIslamic Revolutionary nachrichtendienst Guard Corps Intelligence Organization173 Leitung: Mohammad Kazemi Der Nachrichtendienst der Iranischen Revolutionsgarden ist sowohl für Spionage im Ausland als auch für Abwehraufgaben im Inland zuständig. Quds Force174 Militärische Spezialeinheit (auch: al-Quds-Einheit, Quds-Brigaden oder Sepah-Qods) Leitung: Brigadegeneral Ismail Ghaani Die Spezialeinheit der Revolutionsgarden ist auf extraterritoriale und verdeckte militärische Operationen (z.B. in Afghanistan, Irak, Libanon, Syrien) sowie auf nachrichtendienstliche Ausspähungen spezialisiert. 4. Republik Türkei Türkische Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden Das Aufklärungsinteresse türkischer Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Deutschland gilt grundsätzlich allen Organisationen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Ihre vorrangigen Ziele sind die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und die Gülen-Bewegung. Weitere Aufklärungsziele bilden wirtschaftliche, politische, militärische und technologische Themen innerhalb Deutschlands und dessen Rolle innerhalb von EU und NATO. 173 In Farsi: Sepah Pasdaran. 174 In Farsi: Niru-ye Quds (diese Bezeichnung der Einheit wird von dem arabischen Namen für Jerusalem "al-Quds" abgeleitet). 315 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 316 Geheimund Sabotageschutz 317 Geheimund Sabotageschutz Zielsetzung Der Geheimschutz dient dem Schutz von Informationen, die durch eine staatliche Stelle als Verschlusssache (VS)175 eingestuft worden sind. Der Sabotageschutz hat die Aufgabe, lebensund verteidigungswichtige Einrichtungen vor Sabotagehandlungen zu schützen. Solche Einrichtungen sind entweder für die Funktionsfähigkeit des Staates unverzichtbar oder können im Sabotagefall die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden. Personeller GeheimWesentliches Element des personellen Geheimund Sabotageund Sabotageschutz schutzes sind Sicherheitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG). Durch sie wird festgestellt, ob eine Person die erforderliche Zuverlässigkeit für eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit besitzt. Das SÜG bestimmt, wann eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich ist. Im Bereich des personellen Geheimschutzes ist dies bei einem tatsächlichen oder potenziellen Zugang zu Verschlusssachen der Fall, die als VS-VERTRAULICH oder höher eingestuft sind. Beim vorbeugenden personellen Sabotageschutz ist die Tätigkeit an einer sicherheitsempfindlichen Stelle einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung (festgeschrieben in der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung - SÜFV) maßgeblich. Darüber hinaus sind Sicherheitsüberprüfungen auch nach spezialgesetzlichen Grundlagen vorgesehen.176 175 Nach SS 4 Abs. 1 SÜG sind VS im öffentlichen Interesse, insbesondere zum Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig von ihrer Darstellungsform. VS können auch Produkte und die dazu gehörenden Dokumente sowie Schlüsselmittel zur Entschlüsselung, Verschlüsselung oder Übertragung von Informationen sein (Kryptomittel). Geheimhaltungsbedürftig im öffentlichen Interesse können auch Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs-, Steueroder sonstige private Geheimnisse oder Umstände des persönlichen Lebensbereichs sein. 176 Zum Beispiel im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel-10-Gesetz), im Satellitendatensicherheitsgesetz (SatDSiG), im Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) sowie im Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG). 318 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Das SÜG sieht drei Überprüfungsarten vor: " einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü1), " erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2), " erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3). Im Geheimschutz richtet sich die Art der Sicherheitsüberprüfung nach der Höhe des Geheimhaltungsgrades der Verschlusssachen, zu denen die betroffene Person Zugang erhalten soll. In die Ü2 und Ü3 wird auch die mitbetroffene Person177 einbezogen, bei der ebenfalls die jeweils erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden. Im Sabotageschutz erfolgt eine reduzierte Form der Ü2. Grundlage jeder Sicherheitsüberprüfung ist die persönlich abzugebende Sicherheitserklärung der betroffenen Person. Hierin sind die für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben zu machen. Die Sicherheitsüberprüfung setzt die Zustimmung sowohl der betroffenen als auch der mitbetroffenen Person voraus. Ziel der Sicherheitsüberprüfung ist festzustellen, ob eine Person Sicherheitsrisiko die für die jeweilige sicherheitsempfindliche Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und damit ein Sicherheitsrisiko ausgeschlossen werden kann, welches einer Verwendung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Ein Sicherheitsrisiko kann dabei auch bei der mitbetroffenen Person liegen. Es erfordert tatsächliche Anhaltspunkte " für Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (dies können z.B. Verstöße gegen Strafvorschriften, übermäßiger Alkoholkonsum, Abhängigkeit oder Konsum von Betäubungsmitteln oder Medikamenten sowie bestimmte psychische Erkrankungen sein), 177 Mitbetroffene, in die Überprüfung einzubeziehende Person ist: die volljährige Ehegattin oder der volljährige Ehegatte, die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner oder die volljährige Partnerin oder der volljährige Partner, mit der oder dem die betroffene Person in einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft lebt (Lebensgefährtin oder Lebensgefährte). 319 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ " für eine besondere Gefährdung bei möglichen Anbahnungsund Werbungsversuchen178 (dies können z.B. verwandtschaftliche Verbindungen in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken, Verhaltensweisen, die eine Person unbedingt vor Dritten verborgen halten will und sie daher erpressbar erscheinen lassen, oder Überschuldung sein) oder " für Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (wenn eine Person sich bspw. für eine extremistische Organisation aktiv einsetzt oder sie Dritten wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Sprache, ihrer Herkunft oder ihrer religiösen oder politischen Anschauungen die Anerkennung ihrer Menschenwürde und Rechte verweigert). Auswirkungen Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraides Angriffskriegs ne hat zu einer Neubewertung derjenigen Risiken geführt, die aus Russlands gegen Verbindungen in und nach Russland beziehungsweise verbündedie Ukraine ten Staaten resultieren. Das Risiko nachrichtendienstlicher Anbahnungsversuche muss generell als inzwischen deutlich erhöht betrachtet werden. Dies gilt auch für die Gefahr staatlich gesteuerter Sabotagehandlungen gegen Kritische Infrastrukturen, insbesondere gegen solche der Informationsund Kommunikationstechnik sowie der Energieversorgung. Solche Sabotageakte sind auch und gerade in Gestalt von Cyberattacken mit hohen Schadensrisiken behaftet. Spionagegefährdungen ergeben sich auch aus der Prognose eines intensivierten nachrichtendienstlichen Vorgehens Russlands gegen deutsche Unternehmen, unter anderem auf dem Rüstungs-, Logistikund Technologiesektor. Gerade wenn intensive persönliche Verbindungen nach Russland oder einem Partnerstaat bestehen, etwa durch dort lebende Angehörige, eröffnet dies russischen Nachrichtendiensten vielfältige Möglichkeiten, bis hin zur Erpressung zur Zusammenarbeit unter Androhung von Repressalien gegen Angehörige oder Freunde im russischen Machtbereich. Daher sind die seit Kriegsausbruch zur Anwendung kommenden strengeren Maßstäbe bei Sicherheitsüberprüfungen nicht als Generalverdacht gegen die betroffenen Personen zu verstehen. Vielmehr dient dieser Schritt auch dem Zweck, deren Angehörige und Freunde vor künftigen russischen Repressionen zu bewahren. 178 In Betracht kommen ausländische Nachrichtendienste, Vereinigungen im Sinne der SSSS 129 bis 129b Strafgesetzbuch (StGB) sowie extremistische Organisationen, die Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) verfolgen. 320 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Dem Schutz auch der betroffenen Personen selbst gelten die im Juni 2022 vom Bundesministerium des Innern und für Heimat in Kraft gesetzten Reisebeschränkungen gemäß SS 32 SÜG. Danach sind sämtliche Personen, welche eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, die eine Ü2 oder höher erfordert, verpflichtet, Reisen in Staaten im Einflussbereich der Russischen Föderation rechtzeitig anzuzeigen. Eine Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur Person oder eine besondere sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch ausländische Nachrichtendienste erwarten lassen. Damit gelten erstmals seit Ende des Kalten Krieges wieder allgemeine Reisebeschränkungen, um bis auf Weiteres der verschärften nachrichtendienstlichen Gefährdungslage Rechnung zu tragen. Die Entscheidung, ob für eine Person eine Sicherheitsüberprüfung Maßnahmen erforderlich ist und ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, trifft die Beder Sicherheitsschäftigungsbehörde oder - sofern die Person bei einem Unterüberprüfung nehmen beschäftigt ist - das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Das BfV führt die für die jeweilige Überprüfungsart vorgesehenen Maßnahmen nach SS 12 SÜG durch und nimmt dadurch eine wichtige Serviceaufgabe für die vorgenannten Bedarfsträger wahr. Zu den Maßnahmen zählen insbesondere die Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und der anderen Nachrichtendienste des Bundes sowie von Polizeiund Justizbehörden. Zudem können bei allen Überprüfungsarten öffentlich zugängliche Informationen zu der betroffenen Person im Internet recherchiert werden. Bei einer Ü3 werden - zusätzlich zu den Maßnahmen der Ü1 und Ü2 - die von der betroffenen Person angegebenen Referenzpersonen sowie weitere geeignete Auskunftspersonen befragt. Die im Rahmen des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens erlangten Informationen und Erkenntnisse werden vom BfV auf ihre Sicherheitserheblichkeit geprüft und bei der Erstellung eines abschließenden Votums berücksichtigt. Auf dessen Grundlage entscheidet die Beschäftigungsbehörde beziehungsweise das BMWK über den Einsatz der betroffenen Person in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. 321 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Entwicklungen Die Sicherheitsüberprüfung ist ein geeignetes Mittel, um sensible Tätigkeiten nur an besonders zuverlässige Personen zu übertragen. In den letzten Jahren hat sich der Kreis der zu überprüfenden Personen kontinuierlich erweitert. Gleichzeitig wird dieser Personenkreis durch die Auswirkungen von Globalisierung und Migration stetig internationaler. Auslandsaufenthalte und Beziehungen in Risikostaaten erhöhen oftmals den Aufwand und die Dauer einer Sicherheitsüberprüfung. Im Vordergrund steht dabei aber stets, gesellschaftliche, wirtschaftliche und individuelle Interessen mit dem staatlichen Interesse an einem effektiven Geheimund Sabotageschutz in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. Das BfV wirkte im vergangenen Jahr an über 77.000 Sicherheitsüberprüfungen im Geheimund Sabotageschutz mit. Das Überprüfungsaufkommen steigt kontinuierlich an. Das BfV trägt diesem Umstand mit der Konzeption, Pilotierung und Einführung weitgehend digitalisierter Arbeitsprozesse Rechnung. Die Anzahl der Sicherheitsüberprüfungen verteilt sich nahezu gleichmäßig auf Beschäftigte in Behörden und Beschäftigte in Unternehmen. Im Jahr 2022 wurden im Geheimschutz 12.784 einfache Sicherheitsüberprüfungen, 39.012 erweiterte Sicherheitsüberprüfungen und 2.697 erweiterte Sicherheitsüberprüfungen mit Sicherheitsermittlungen durchgeführt. Hinzu kamen 6.089 Überprüfungen im Bereich des Sabotageschutzes sowie 16.641 Aktualisierungen. Schulung und Ergänzend zu den Maßnahmen des personellen Geheimschutzes Sensibilisierung bietet das BfV den Geheimund Sabotageschutzbeauftragten in Behörden179 regelmäßig Schulungen an. Hierbei haben sich onlinebasierte Webinare zu einem erfolgreichen und teilnahmestarken Format entwickelt. Im Rahmen der Schulungen werden Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern der Verfassungsschutzbehörden sowie rechtliche Themen behandelt. Gleichzeitig wird ein 179 Die Geheimbzw. Sabotageschutzbeauftragten in Behörden sind in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen für die Durchführung der Bestimmungen des SÜG und der dazu ergangenen Regelungen verantwortlich. Sie nehmen Aufgaben im Zusammenhang mit der Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen wahr und sorgen dafür, dass sicherheitsempfindliche Tätigkeiten nur nach Maßgabe des Gesetzes übertragen werden. Ferner treffen sie die abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit der Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Sie sind Ansprechstellen für die Mitarbeitenden in allen Fragen des personellen Geheimbzw. Sabotageschutzes. 322 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ praxisorientierter Austausch gefördert. Des Weiteren stellt das BfV Materialien zur Verfügung, um auch bei den Geheimnisträgerinnen und Geheimnisträgern selbst ein nachhaltiges Sicherheitsbewusstsein zu fördern. 323 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 324 "Scientology-Organisation" (SO) 325 "Scientology-Organisation" (SO) Die "Scientology-Organisation" (SO) beabsichtigt, weltweit eine "scientologische Gesellschaft" zu etablieren. Sie orientiert sich an einem Gesellschaftsbild, das auf den Schriften des Gründers und der Leitfigur Lafayette Ron Hubbard (1911-1986) basiert. In seinem erstmalig 1950 veröffentlichten Buch "Dianetik" entwickelte Hubbard eine Methode, die er als "Technologie", "Dianetik" beziehungsweise "Scientology" bezeichnete. Diese soll den Nutzer von jeglichen psychischen und physischen Belastungen befreien und somit die Erschaffung des perfekten Menschen (auch "Clear" oder "Nichtaberrierter"180 genannt) vorantreiben. Im Zuge dieses Prozesses sollen Menschen, die nicht zu den "Clears" beziehungsweise "Nichtaberrierten" gehören, Grundrechte und die Menschenwürde abgesprochen werden. "Eines Tages wird es vielleicht ein viel vernunftgemäßeres Gesetz geben, das nur Nichtaberrierten erlaubt, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen." (L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", 3. überarbeitete Ausgabe, Kopenhagen, 2007, S. 373) Ideologie Laut Hubbard ist "wahre Demokratie" nur dann zu erreichen, wenn das demokratische Subjekt ausschließlich aus "Nichtaberrierten" besteht. In diesem Kontext erachtet sich die SO selbst als Führungselite, die durch die Anwendung der Lehren Hubbards den Rest der Menschheit regieren sollte. Ein solches - die Demokratie ersetzendes - System einer allein herrschenden, scientologischen Regierung ist mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes unvereinbar. Alle Staatsgewalt ginge in solch einem System weder vom Volke aus noch wäre sie durch eine ununterbrochene Legitimationskette an das Volk gebunden. Eine Distanzierung von den verfassungsfeindlichen Aussagen Hubbards durch die heutige SO findet nicht statt. Struktur In Deutschland besitzt die SO neben drei repräsentativen Zentren, sogenannten Idealen Orgs, zwölf weitere Niederlassungen, die je nach Größe und Ausstattung "Missionen" beziehungsweise "Orgs" 180 Vgl. Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", 3. überarbeitete Ausgabe, Kopenhagen, 2007, S. 537 ff. 326 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) genannt werden. Darüber hinaus besitzt die SO zwei sogenannte Celebrity Centres. Bei diesen Einrichtungen handelt es sich um besonders serviceorientierte Niederlassungen, die prominenten Persönlichkeiten vorbehalten sind. Die Mitgliederzahl der SO in Deutschland liegt wie im Vorjahr weiterhin bei rund 3.600 Personen. Die angestrebte scientologische Gesellschaftsordnung soll im SinStrategie ne Hubbards durch eine langfristig ausgerichtete Expansionsstrategie, eine Maximierung der finanziellen Einnahmen sowie durch die Bekämpfung ihrer Kritikerinnen und Kritiker erreicht werden. Nach außen stellt sich die SO als unpolitische Religionsgemeinschaft dar. Mit der fortschreitenden Rücknahme der Auflagen zur EinschränAktivitäten kung der Coronapandemie führte die SO wieder mehr Aktivitäten durch. So konnten im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutschlandweit wieder vermehrt Kundgebungen, Informationsstände sowie Verteilaktionen festgestellt werden. Die im Zuge der Coronapandemie etablierten Kursund Seminarangebote im virtuellen Raum mit Webinaren, Onlinebriefings und weiteren Onlineveranstaltungen blieben weiterhin verfügbar.181 Diese nutzt die SO strategisch, um niedrigschwellig scientologische Inhalte einem erweiterten Empfängerkreis nahezubringen, neue Mitglieder zu werben, Finanzmittel zu generieren und die Expansion der SO zu unterstützen. Diese Ziele verfolgen auch die Aktivitäten im Rahmen des sogeKampagnen nannten Golden Age of Admin182, welches 2022 durch den höchstrangigen US-amerikanischen SO-Funktionär David Miscavige183 verkündet wurde. Führungspersonen aller "Orgs" wurden dazu aufgefordert, zur größten Scientology-"Org" der Welt nach Clearwater in Florida (USA) zu reisen, um neue Techniken zur bestmöglichen Verbreitung scientologischen Gedankenguts sowie neuartige Kursund Ausbildungsinhalte aufzunehmen, die sich noch näher an den ursprünglichen ideologischen Inhalten, wie sie durch Hubbard erarbeitet wurden, orientieren sollen. Dadurch sollen die 181 Homepage "Scientology Deutschland" (20. November 2022). 182 "Goldenes Zeitalter der Verwaltung". 183 Vorsitzender des "Religious Technology Center" (RTC), welches als Verwalter der Urheberund Markenrechte Hubbards dient und über die Anwendung scientologischer Techniken wacht. 327 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Expansionsbestrebungen der SO in den "Orgs" effizienter gestaltet und stärker befördert werden. Broschüren Auch 2022 führte die SO-Tarnorganisation "The Way to Happiness" für Kinder bundesweite Verteilaktionen der Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" durch. In Ergänzung hierzu wurden wie auch schon im Jahr 2021 speziell auf Kinder ausgerichtete Formate verbreitet. Die Broschüre "Wie man gute Entscheidungen trifft"184 als kindgerechtes Äquivalent zur Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" und der Podcast "Tierische Abenteuer von Amandas Bauernhof"185 illustrieren die verstärkten Bemühungen der SO, die gesellschaftliche Wahrnehmung der Organisation vom Kindesalter an zu beeinflussen. 184 Homepage Good Choices (20. November 2022). 185 Audio-Streamingdienst Spotify (20. November 2022). 328 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Sitz: Los Angeles (USA) ("Church of Scientology International", CSI) München (Bayern) ("Scientology Kirche Deutschland e.V.", SKD) Leitung/Vorsitz: USA: David Miscavige Deutschland: Helmuth Blöbaum Mitglieder/Anhänger 3.600 (2021: 3.600) in Deutschland: Publikationen/Medien Streamingdienst: (Auswahl): "Scientology Network" Zeitungen/Zeitschriften: "Impact" "International Scientology News" "The Auditor" "Source" "Freewinds" Broschüren: "Der Weg zum Glücklichsein" Podcast: "Tierische Abenteuer von Amandas Bauernhof" 329 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Teil-/NebenorganisatioNeun "Kirchen" in Deutschland, nen (Auswahl): darunter zwei "Celebrity Centres" "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e.V." (KVPM) "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben" "Youth for Human Rights" "NARCONON" "CRIMINON" "International Way to Happiness Foundation" Die "Scientology-Organisation" (SO) beabsichtigt, weltweit eine "scientologische Gesellschaft" zu etablieren. Dieses Ideal der SO basiert dogmatisch auf den Schriften des Gründers und der Leitfigur Lafayette Ron Hubbard (1911-1986), die nach wie vor maßgeblich sind. In ihnen wird deutlich, dass in einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen wesentliche Grundund Menschenrechte, wie beispielsweise die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, ebenso wenig gewährleistet sind wie das Recht auf Gleichbehandlung. Zur Erreichung dieses Ziels verfolgt die SO eine langfristig angelegte Strategie. 330 Anhang 331 VERBOTSMASSNAHMEN Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2022 (Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind die Verbote unanfechtbar) Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Nationalistische Front" (NF) 26.11.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Deutsche Alternative" (DA) 08.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Nationale Offensive" (NO) 21.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Arbeiterpartei Kurdistans" 22.11.1993 Strafgesetzwidrigkeit, AE (PKK)/"Nationale BefreiGefährdung der inneren Sicherheit ungsfront Kurdistans" (ERNK) und öffentlichen Ordnung und Teilorganisationen, sowie außenpolitischer Belange "Föderation der patriotischen Deutschlands Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e.V." "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Kurdistan Informations20.02.1995 Ersatzorganisation des rechtskräftig AE büro" (KIB) alias verbotenen "Kurdistan Komitee e.V." "Kurdistan Informationsbüro in Deutschland" "Freiheitliche Deutsche 22.02.1995 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Arbeiterpartei" (FAP) mäßige Ordnung gerichtet RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 332 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Revolutionäre 06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE Volksbefreiungsparteidung der inneren Sicherheit Front" (DHKP-C) Ersatzorganisation der am 9. Februar 1983 rechtskräftig verbotenen "Revolutionären Linken" ("Devrimci Sol") "Türkische 06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE Volksbefreiungsparteidung der inneren Sicherheit Front" (THKP-C) "Blood & Honour" Division 12.09.2000 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Deutschland (B&H) mit mäßige Ordnung gerichtet "White Youth" Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Kalifatsstaat" 08.12.2001 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT und 35 Teilorganisationen 14.12.2001 mäßige Ordnung gerichtet 13.05.2002 16.09.2002 Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele "al-Aqsa e.V." 31.07.2002 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung (finanzielle Unterstützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozialvereine) RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 333 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 Leugnung und Verharmlosung des ISiT Verlegerin der EuropaHolocaust in volksverhetzender Ausgabe der türkischWeise sprachigen Tageszeitung "Anadolu'da Vakit" Verbreitung antisemitischer/ antiwestlicher Propaganda "Bremer Hilfswerk e.V."186 SelbstaufISiT lösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 Nachfolgeorganisation des rechtsISiT kräftig verbotenen "al-Aqsa e.V." "Collegium Humanum" (CH) 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mit "Bauernhilfe e.V." mäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze 186 Das BMI hatte am 3. Dezember 2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e.V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 334 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Verein zur Rehabilitierung 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE der wegen Bestreitens des mäßige Ordnung gerichtet Holocaust Verfolgten" (VRBHV) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Mesopotamia Broadcast 13.06.2008 Verstoß gegen den Gedanken der AE A/S", "Roj TV A/S" Völkerverständigung "VIKO Fernseh Produktion 13.06.2008 Teilorganisation von "Roj TV A/S" GmbH" "al-Manar TV" 29.10.2008 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung "Heimattreue Deutsche 09.03.2009 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Jugend - Bund zum Schutz mäßige Ordnung gerichtet für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Ideologische Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut "Internationale Humanitäre 23.06.2010 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Hilfsorganisation e.V." (IHH) Völkerverständigung "Hilfsorganisation für natio30.08.2011 Vereinszweck gegen die verfassungsRE nale politische Gefangene mäßige Ordnung gerichtet und deren Angehörige e.V." (HNG) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 335 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Dawa FFM" einschließlich 25.02.2013 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT der Teilorganisation "Intermäßige Ordnung gerichtet nationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V." Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "an-Nussrah" 25.02.2013 Teilorganisation des rechtskräftig ISiT verbotenen Vereins "Millatu Ibrahim" "DawaTeam 25.02.2013 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT Islamische Audios" mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Waisenkinderprojekt 02.04.2014 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Libanon e.V." (WKP) Völkerverständigung (Umbenennung in "Farben für Waisenkinder e.V." am 16.10.2014) "Islamischer Staat" (IS) alias 12.09.2014 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT "Islamischer Staat im Irak" mäßige Ordnung gerichtet alias "Islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien" Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 336 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Tauhid Germany" (TG) 26.02.2015 Ersatzorganisation des rechtskräftig ISiT verbotenen Vereins "Millatu Ibrahim" "Altermedia Deutschland" 04.01.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Weisse Wölfe Terrorcrew" 10.02.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsRE (WWT) mäßige Ordnung gerichtet "Die Wahre Religion" (DWR) 25.10.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "linksunten.indymedia" 14.08.2017 Vereinszweck und -tätigkeit gegen LE die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Mezopotamien Verlag und 01.02.2019 Teilorganisation der mit Verfügung AE Vertrieb GmbH" des Bundesministeriums des Innern vom 22.11.1993 verbotenen PKK "MIR Multimedia GmbH" 01.02.2019 Teilorganisation der mit Verfügung AE des Bundesministeriums des Innern vom 22.11.1993 verbotenen PKK RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 337 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Combat 18 Deutschland" 06.12.2019 Vereinszweck und -tätigkeit gegen RE (C18 Deutschland) die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Geeinte deutsche Völker 14.02.2020 Vereinszweck und -tätigkeit gegen RuS und Stämme" (GdVuSt) die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Teilgerichtet organisation "Osnabrücker Landmark" Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Hizb Allah" 26.03.2020 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Nordadler" 20.05.2020 Vereinszweck und -tätigkeit gegen RE die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 338 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Sturm-/Wolfsbrigade 44" 27.10.2020 Vereinszweck und -tätigkeit gegen RE die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Deutsche Libanesische 15.04.2021 Ersatzorganisationen des rechtskräfISiT Familie e.V.", "Menschen für tig verbotenen "Farben für WaisenMenschen e.V.", "Gib Frieden kinder e.V."/"Waisenkinderprojekt e.V." Libanon e.V." (WKP) "Ansaar International e.V." 05.05.2021 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT einschließlich Teilorganisamäßige Ordnung gerichtet tionen: "WorldWide ResistanceZuwiderlaufen gegen Strafgesetze Help e.V.", "Aktion Ansar Deutschland e.V.", "SomaliVerstoß gegen den Gedanken der sches Komitee Information Völkerverständigung und Beratung in Darmstadt und Umgebung e.V. (SKIB)", "Frauenrechte ANS.Justice e.V.", "Änis Ben-Hatira Help e.V./Änis Ben-Hatira Foundation", "Ummashop", "Helpstore Secondhand UG", "Better World Appeal e.V." RE = Rechtsextremismus RuS = Reichsbürger und Selbstverwalter LE = Linksextremismus AE = Auslandsbezogener Extremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 339 REGISTER Register A Al-Hadaf (Publikation) .................................... 274 Adil Düzen (Gerechte Ordnung) ................. 229 al-Hashimi al-Qurashi, Abu al-Hasan...............................................189, 211 Agententätigkeit .......................... 281 f., 300, 310 al-Hashimi al-Qurashi, Ajansa Nuceyan a Firate (ANF - Firat News Abu Ibrahim ................................................189, 211 Agency) ...................................244, 247, 259 f., 273 al-Husaini al-Qurashi, Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg Abu al-Husain .............................................189, 211 (AKUT [+C]) ........................................................... 168 al-Ikhwan al-Muslimun (MB - MuslimAktionsbündnis ............................... 142, 159, 170 bruderschaft) ........................187, 204, 221, 225 f. Aktionsfeld ...............77, 126, 135, 139, 161, 200 al-Kataib (Medienstelle) .................................. 217 Aktion Solidarität..................................................74 al-Malahem Media (Medienstelle).............. 216 Akzelerationismus ................................................54 al-Manar TV (TV-Sender) ......................219, 335 al-Ahed al-Akhbari (Onlinemagazin) ....... 219 Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (ADÜTDF - al-Andalus (Medienstelle)............................... 214 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in al-Aqsa e.V............................................. 221 f., 333 f. Deutschland e.V.) ............................... 256 f., 271 f. al-Aqsa TV (TV-Sender) ................................... 221 Almanya Göcmen Isciler Federasyonu AL AZAIM FOUNDATION (AGIF - Föderation der Arbeitsimmigrant/ (Medienstelle) ....................................................... 198 innen in Deutschland e.V.) ............................. 270 al-Baghdadi, Abu Bakr .................................... 212 Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu (ATIF - Föderation der Arbeiter aus der al-Banna, Hasan .................................................. 225 Türkei in Deutschland e.V.) ............................ 268 al-Batarfi, Khalid ................................................ 216 al-Naba (Onlinemagazin) ............ 191, 198, 211 al-Fadschr (Publikation).................................. 228 al-Qaida ..................................... 180 ff., 187, 190 f., 194, 197, 199 f., 206, 213 al-Furqan (Medienstelle) ................................. 211 al-Qaida auf der Arabischen al-Gama'a al-Islamiya ...................................... 225 Halbinsel (AQAH) ............................ 187, 200, 216 340 REGISTER al-Qaida im Irak.................................................. 211 antifa nt - Autonome Antifa München ... 170 al-Qaida im islamischen Maghreb Antifaschismus...............126, 130 f., 133 ff., 175 (AQM).......................................................... 187, 214 f. Antifaschistische Aktion..............................134 f. al-Quds-Tag........................................ 203, 207, 262 Antifaschistische Initiative, Heidelberg ... 168 al-Rashta, Ata Abu (alias Abu Yasin)........... 224 Antifaschistischen Aktion Süd al-Shabab (Harakat al-Shabab ("Antifa Süd")........................................................ 135 al-Mujahidin - Bewegung der Mujahidin-Jugend) ...................................187, 217 Antiimperialisten ...................138, 157, 171, 275 Alternative für Deutschland Antikapitalismus ................................................ 175 (AfD, Verdachtsfall).......................50 f., 73, 88 ff., 93, 132, 151, 162 Antikapitalistische Linke München .......... 171 al-Waie (Publikation)........................................ 224 Antimilitarismus ...................................... 139, 141, 146, 161 f., 164, 175 al-Waqiyah TV (Onlinefernsehsender)..... 224 Antirepression .................................. 126, 137, 146 al-Zallaqa (Medienstelle) ................................. 214 Antisemitismus ......................48, 68 ff., 180, 185, al-Zawahiri, Aiman ................182, 190, 199, 213 205 ff., 223 f., 236, 254, 260 ff. Amaq (Nachrichtenagentur) ................199, 211 Antizionismus ............................................223, 261 Anarchismus ..................................135, 153, 156 f. APT 15 ..................................................................... 294 Anarchisten............................153 f., 156 f., 163 ff. APT 27 ..................................................................... 295 Anarchosyndikalismus.................................... 157 APT 28 ..................................................................... 286 Angriffskrieg ..............43, 48 f., 61 ff., 69, 75, 80, APT 29 ..................................................................... 286 85 f., 106, 119, 121, 126, 138 f., 141, 149, 151, 161, 198, 201, 237 ff., 278 ff., APT 31 ..................................................................... 294 282, 284 ff., 304, 308, 320 APT-Gruppierung ................................. 279, 285 f. Anschlussfähigkeit ..................69 f., 82, 99, 105, 113, 120, 141, 162 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - Partiya Karkeren Kurdistan) ...........165, 236 ff., 240 ff., Antifa .........................................................132 ff., 170 255, 257, 260, 264 ff., 300, 315, 332 Antifa AK Köln .................................................... 170 Arranca! (Publikation) ..................................... 168 341 REGISTER as-Sahab (Medienstelle)................................... 213 Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu (ANF - Föderation der Weltordnung ATIB - Union der Türkisch-Islamischen in Europa) ................................................ 259 f., 273 Kulturvereine in Europa e.V. (ATIB - Avrupa Türk Islam Kültür Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi Dernekleri Birligi) .....................................257, 272 (ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.) ............257, 272 Atilim (Publikation) .......................................... 270 Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu Atomwaffen Division Deutschland.......53, 57 (ATIK - Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa) ............................... 268 Atsiz, Nihal .......................................................256 ff. AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen Attentäter-Fanszene ........................................ 63 f. und Kurden in Deutschland e.V. (AZADI e.V.) ........................................................... 248 Aufgabe des Verfassungsschutzes ..........18, 21 Aufgewacht (Publikationsorgan der B Freien Sachsen) ...............................................86, 99 Babbar Khalsa Germany (BKG) .................... 276 Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten.............................................. 290 Babbar Khalsa International (BKI) ............. 276 Aussteigerprogramm ..........................................23 Badi, Muhammad .............................................. 225 Ausweisung ..................................................280, 288 Basisdemokratische Linke, Göttingen ..... 168 Autonome............................126 ff., 135, 140, 150, Basisgruppe Antifaschismus (BA), 154 ff., 161 f., 164, 169 f., 243 Bremen.................................................................... 170 Avantgarde .................................. 98, 149, 177, 213 Betätigungsverbot ................165, 188, 203, 211, 219, 224, 239, 241, 245, 264 f. Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu (AvEG-Kon - Konföderation der unterBevölkerungsaustausch .....................................89 drückten Migranten in Europa) .................. 270 Bewegung der Mujahidin-Jugend Avrupa Göcmen Emekciler Birligi (al-Shabab - Harakat al-Shabab (AGEB - Verband der Werktätigen al-Mujahidin) .................................... 187, 199, 217 MigrantInnen in Europa) ............................... 269 Bewegung der revolutionären Jugend Avrupa Kürt Kadin Hareketi (AKKH/ (TCS - Tevgera Ciwanen Soresger) ....243, 264 Tevgera Jinen Kurd li Ewropa, TJK-E - Kurdische Frauenbewegung in Europa)....243 Bin Ladin, Usama ......................................182, 213 342 REGISTER Bismarcks Erben ................................................. 114 Chinesische Übersee-Polizeistationen (ÜPS) ......................................................................... 290 Bizim Genclik (Publikation) .......................... 267 Church of Scientology International Blockade .................................127, 140, 143 f., 162 (CSI)........................................................................... 329 Blood & Honour Division Clear ......................................................................... 326 Deutschland (B&H)..................................... 55, 333 Combat 18 Deutschland .......................... 57, 338 "Blut-und-Boden"-Ideologie ...........................70 Communist Action & Theory, Marburg ... 170 Bölge................................................................242, 271 COMPACT. Der Tag ..............................................75 Bozkurt/Bozkurtlar (Grauer Wolf/Graue Wölfe) ..................255, 257 COMPACT Geschichte ..................................... 101 Braunkohle...................................................141, 145 COMPACT-Magazin GmbH ...... 49, 51, 61, 73, 75 f., 80, 87, 91, 93, 101 Bülten (Publikation) ......................................... 271 COMPACT Spezial ............................................. 101 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI).............20 COMPACTTV ....................................................... 101 Bündnis.....................................83, 140, 142 f., 146, Coronapandemie .....................48 f., 60, 65 f., 69, 156, 158 f., 161 f., 169 f., 175 83, 86, 93, 99, 116 f., 119, 121 f., 196 f., 239, 253, 258, 278, 306 f., 327 Büyük Birlik Partisi (BBP - Partei der Großen Einheit) ....259, 273 Corona-Schutzmaßnahmen ............. 48, 60, 65, 70, 74, 105 f., 117 C Cozy Bear ............................................................... 286 Camia (Publikation) .......................................... 231 CRIMINON ........................................................... 330 Catli, Abdullah ..................................................... 256 Critique'n'act, Dresden.................................... 170 Cayir, Nusret ......................................................... 230 Cyberangriffe .......................... 258, 277 ff., 284 f., 287, 293 f., 298 f., 303, 307 f. Celebrity Centres .......................................327, 330 Cyber-AZ Cengiz, Ädegmam ....................................................... 272 (Nationales Cyber-Abwehrzentrum) ........ 279 Chatgruppen .......................................53, 68, 121 f. Cybercrime............................................................ 287 343 REGISTER D Devrimci Genclik (Dev Genc) .............252, 267 Darknet ..........................................................167, 198 Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (DHKC - Revolutionäre VolksbefreiungsDayanisma Evi .................................................... 252 front) ...............................................................251, 267 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi de.indymedia (Internetplattform) .........131 f., (DHKP-C - Revolutionäre Volksbefreiungs134, 137 ff., 145 ff., 151, 165 ff. partei-Front ) .............236, 240, 250 ff., 267, 333 Delegitimierungsspektrum .........117 ff., 121 f. Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP - Revolutionäre Volksbefreiungspartei) .... 251 f. Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Norddeutschland e.V. (FEDDevrimci Sol (Publikation) ............................ 267 DEM - Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen li Bakure Almanya)............. 266 DHKC Milis (Publikation)............................... 267 Demonstrationsgeschehen ...................... 48, 74, Dianetik .................................................................. 326 87, 106, 119 Diaspora .....................................290, 293, 296, 302 Deradikalisierung .....................................183, 194 DIE RECHTE............................... 49, 50 f., 82 f., 97 Der Flügel ..........................................................51, 88 DIE ROTE HILFE (Publikation) ..........160, 173 Der III. Weg .....49, 50 f., 56, 61 f., 71 f., 84 f., 98 Die Wahre Religion (DWR) ...................196, 337 Der Schelm ........................................................... 57 f. Diktatur des Proletariats................................. 153 Desinformation........................... 278, 280, 283 ff. Direkte Aktion (Publikation) ........................ 172 Deutsche Kommunistische Partei Direktinvestitionen ........................ 278, 292, 305 (DKP) .................................. 146, 149, 156, 158, 175 Distributed-Denial-of-Service-Angriffe Deutsche Libanesische Familie e.V. (DDoS-Angriffe) .................................................. 287 (DLF) ................................................................219, 339 Divan (Publikation) ........................................... 272 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. Dogmatische Linksextremisten ........ 142, 148, (DMG).................................................187, 204, 225 f. 156 ff., 165 Deutsches Reich.................................................. 104 Dogru Haber (Publikation) ............................ 223 Deutsche Stimme (Publikation) .......82, 87, 94 Dogruyol, Sentürk ............................................. 271 Deutsche Stimme Verlags GmbH ..................96 Droukdal, Abdelmalik ...................................... 214 344 REGISTER DS-TV (YouTube-Kanal) .....................................94 F Dual Use-Güter .................................... 303, 305 ff. Fancy Bear ............................................................. 286 Fantasiedokumente .......................................... 107 E Echokammer................................................. 63, 123 Farben für Waisenkinder e.V. (FfW)...................................................... 219, 336, 339 Einflussnahme...........127, 142 f., 180, 202, 226, 278 ff., 283 ff., 289, 292 f., 295, 300 f. Fechtner, Gabi ...................................................... 176 Ein Prozent e.V. (Verdachtsfall) ............... 51, 71, Federasyona Civaka Demokratik a 73, 77 f., 79, 91, 93 Kurdistaniyan (FCDK-KAWA - Föderation der demokratischen Gesellschaften Einzeltäter ...... 181, 189, 194 f., 200, 206, 212 f. Kurdistans e.V.) .................................................... 266 Eklat Münster ...................................................... 170 Federasyona Civaka Demokratik a Ekonomi ve Maliye Bürosu Kurdistaniyen li Bakure Almanya (EMB - Wirtschaftsund Finanzbüro) ..... 240 (FED-DEM - Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen Elsässer, Jürgen ......................................... 75 f., 101 in Norddeutschland e.V.) ................................ 266 Ende Gelände (Kampagne) ....140, 143 ff., 169 Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW (FED-MED - Entführung ..................................................278, 297 Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e.V.) ....................... 266 Entrismus............................................................... 159 Erbakan, Fatih ...................................................... 231 Federasyona Gelen Kurdistani (FED-GEL - Föderation der Völker Kurdistans e.V.)..... 266 Erbakan, Necmettin ................................229, 231 Federasyona Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Erbakan-Stiftung................................................ 231 Almanya (FED-KURD - Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland) ......................... 266 Ethnopluralismus ............................ 74, 78 f., 100 Fernmeldeaufklärung ................... 280, 311, 313 Europavertretung der Erbakan-Stiftung ...231 Festung Europa ......................................................83 European Fight Night .........................................67 Ewiger Bund ......................................................... 112 Finanzierungsaktivitäten ...............59, 188, 240 Eyalet ....................................................................... 242 Fischer, Matthias ............................................84, 98 345 REGISTER Föderation der Arbeiter aus der Türkei Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland in Deutschland e.V. (ATIF - Almanya (FED-KURD - Federasyona Kurdistaniyen Türkiyeli Isciler Federasyonu) ...................... 268 Azad li Rojhilate Almanya) ............................ 266 Föderation der Arbeitsimmigrant/innen in Freie Sachsen ....49 ff., 60 f., 76, 82, 86 f., 99, 101 Deutschland e.V. (AGIF - Almanya Göcmen freiheitliche demokratische Grundordnung Isciler Federasyonu) .......................................... 270 (fdGO).....18, 21, 24, 26, 110, 126, 130, 153, 181 Föderation der demokratischen Aleviten Freiheitsund Demokratiekongress e.V. (FEDA).............................................................. 243 Kurdistans (KADEK - Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane)............................... 264 Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V. (FCDK-KAWA - Freiräume ..............................................75, 151, 155 Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan) ..................................................... 266 Fremdenfeindlichkeit/ fremdenfeindlich ...........................................29, 52 Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e.V. (FED-MED - Frühwarnsystem ............................................... 17 f. Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW) .................................... 266 FSB (russischer Inlandsnachrichtendienst) ...................285, 312 Föderation der Türkisch-Demokratischen Fünf Gifte ............................................................... 289 Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF - Almanya Demokratik Ülkücü Furkan Gemeinschaft .............................187, 232 Türk Dernekleri Federasyonu) ..... 256 f., 271 f. Furkan Haber (Nachrichtenportal) ............ 232 Föderation der Völker Kurdistans e.V. (FEDGEL - Federasyona Gelen Kurdistani)...... 266 Furkan Nesli Dergisi - Öncü Neslin Sesi (Publikation) ......................................................... 232 Föderation der Weltordnung in Europa (ANF - Avrupa Nizam-i Alem Furkan Stiftung für Bildung und Dienst Federasyonu) ...........................................259 f., 273 (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) ................ 232 Franz, Frank ..................................................81 f., 94 G Frauenverteidigungskräfte (HPJ - G20-Gipfel ....................................................127, 138 Hezen Parastina Jin) .......................................... 241 Gamifizierung.........................................................64 Freewinds............................................................... 329 Geeinte deutsche Völker und Stämme Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) .....157, 172 (GdVuSt).....................................................108 f., 338 346 REGISTER Gefährdungspotenzial ............ 111 ff., 121, 150, Golden Age of Admin....................................... 327 197, 248, 254, 286 f., 295, 299, 301, 303 Good Choices ....................................................... 328 Gegenkultur...............................................75, 77, 95 Goyim Partei Deutschland (GPD) ..................55 Geheimschutz .........................................318 f., 322 Grauer Wolf/Graue Wölfe Gemeinsames Extremismusund (Bozkurt/Bozkurtlar) ...............................255, 257 Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) ...........19 Great Reset ....................................... 69, 71, 86, 117 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) .....................................................19 Großer Austausch ..................... 74, 78 f., 92, 100 Gemeinschaft der Jugendlichen Groupe Salafiste pour la Predication et (Komalen Ciwan) .......................................243, 264 le Combat (GSPC - Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) ................................... 214 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK - Koma Komalen Kurdistan) ............ 264 Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) .................................................... 149, 156, 159 Gemeinschaft der Verkündigung und Mission (TJ - Tablighi Jama'at) ............187, 227 Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t., Marburg .................. 168 Gemeinwohldörfer............................................ 108 Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime (JNIM - Jama'at Nasr Gemeinwohlkasse (GK) ................................... 108 al-Islam wal Muslimin) .............187, 199, 214 f. Generalbundesanwalt (GBA) .................57, 110, Grup Yorum ................................... 240, 253 f., 267 122, 253, 310 GRU (russischer militärischer AuslandsGeneration Islam............................. 184, 203, 224 nachrichtendienst) ...................................285, 311 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) ................. 229 Guerilla ................................................ 241, 246, 265 Gerila TV (Guerilla TV)..................................... 247 Gülen-Bewegung ............................................... 315 Geschichtsrevisionismus/geschichtsGümüs, Edip ........................................................ 223 revisionistisch ......48, 76, 78 f., 94, 97, 101, 105 Gurdwara ............................................................... 276 Gesprächsabschöpfung ..........................283, 290 Ghaly, Iyad Ag ...................................................... 215 H Ghostwriter........................................................... 285 Hacktivisten.......................................................... 287 Gib Frieden e.V............................................219, 339 Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) ......................... 190 347 REGISTER Hakkhaber.com (Website) .............................. 233 Hinweistelefon .......................................................23 Halk Cephesi (Volksfront) .....................252, 267 Historischer Materialismus........................... 153 Halkinsesi TV ....................................................... 252 Hizb Allah (Partei Gottes) ................. 180, 186 f., 205 f., 219 ff., 275, 338 Halk Kültür Evi ................................................... 252 hizb.org.uk (Website) ........................................ 224 Halk Meclisi (Volksrat) ............................252, 267 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Halk Okulu (Publikation) ............ 252, 254, 267 Befreiung) ........................ 184, 187, 203, 224, 334 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - hizb-ut-tahrir.info (Website) ........................ 224 Islamische Widerstandsbewegung) ...........180, 186 f., 192, 205 ff., 220 ff., 225, 275 Holocaust ....................................... 69 f., 105, 334 f. Haniya, Isma'il .................................................... 221 Homophobie/homophob ............................. 71 f. Hans-Litten-Archiv e.V. ..........................160, 173 Hubbard, Lafayette Ron .....................326 f., 330 Hausbesuche ................................................. 60, 130 Hungerstreik ...............................................165, 244 Hurseda (Onlinemagazin) .............................. 223 Hausprojekt .............................................................75 Huseynisevda (Onlinemagazin) .................. 223 Hedschra-Kalender (Hicri Takvim Avrupa)...................................... 233 Huth, Stefan .......................................................... 174 Heinrich XIII. P. R. ................................. 110, 113 f. Hybride Bedrohungen ..................................... 280 Heißer Herbst ............................................... 48, 164 I Hekmatyar, Gulbuddin ................................... 218 Ibnat al-Islam (Onlinemagazin) .................. 213 Heldengedenken .................................. 49, 85, 137 Ideale Org/Org ...............................................326 ff. Hezb-e Islami-ye Afghanistan (HIA - Islamische Partei Afghanistans) .........187, 218 Idealisten-Bewegung (ÜlkücüBewegung) ....................236, 240 f., 254 ff., 271 f. Hezen Parastina Gel (HPG - Volksverteidigungskräfte).................................241, 246 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ........................................................51, 73, 100 f. Hezen Parastina Jin (HPJ - Frauenverteidigungskräfte)........................... 241 I Furiosi, Düsseldorf .......................................... 168 348 REGISTER I'LAM FOUNDATION (Website).................. 198 Internationales Komitee der Vierten Internationale (IKVI) ........................................ 178 Illegale ............................................................281, 283 Internationales Kurdisches illegaler Wissensund Kulturfestival ....................................................... 244 Technologietransfer.......................................... 308 Internationalistische Liste/MLPD ............. 177 Imam-Ali-Moschee ..................................204, 228 International Scientology News ................. 329 Im Auftrag des Islam (Internetplattform)............................................ 234 International Way to Happiness Foundation............................................................ 330 Impact ..................................................................... 329 Interventionistische Linke (IL) ....... 161, 168 f. Imperialismus................ 126, 149, 157, 177, 237 INZAR (Publikation) ......................................... 223 INCITE THE BELIEVERS (Onlinemagazin) ................................................. 199 islamfeindlich ...............................50, 74, 184, 203 Indicators of Compromise (IoC) ................. 308 Islamic Revolutionary Guard Corps Intelligence Organization (IRGC-IO) ........ 315 Informationsblätter zum Wirtschaftsschutz .............................................. 309 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) ... 243 Informationsgewinnung ...............19, 281, 283, Islamische Gemeinschaft der schiitischen 289 f., 292, 298, 301 Gemeinden Deutschlands e.V. (IGS) ...204, 228 Initiative Wirtschaftsschutz.......................... 309 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) ................................................................. 226 In/Progress, Braunschweig............................ 170 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. INSPIRE (Publikation) ..................................... 200 (IGMG) ............................................................204, 231 Institut für Staatspolitik (IfS) Islamische Partei Afghanistans (HIA - (Verdachtsfall) .............................51, 73, 78, 91, 93 Hezb-e Islami-ye Afghanistan) ...........187, 218 Instrumentalisierung ......................... 48, 60, 287 Islamischer Staat (IS) .....................180 ff., 186 f., 189, 198, 208, 211, 336 International Department of the Central Committee of the Communist Party of Islamischer Staat - Provinz Khorasan China (IDCPC)...................................................... 314 (ISPK)............................................182, 190, 198, 212 Internationale Humanitäre Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Hilfsorganisation e.V. ....................................... 335 (IZH)....................................................... 187, 204, 228 349 REGISTER Islamische Widerstandsbewegung K (HAMAS - Harakat al-Muqawama al-Islamiya)....... 180, 186 f., 205 ff., 220 ff., 275 Kalifat ............................191, 196, 212, 224, 233 f. islamistischer Terrorismus .............180 ff., 188, kalifat.com (Website) ........................................ 224 194 f., 208 ff. Kalifatsstaat ..........................187, 208, 233 f., 333 Ismail Aga Cemaati (IAC) ................................ 230 Kampagnenfähigkeit ........................................ 161 Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden ................. 222 Kampf der Nibelungen (KdN) .........................67 J Kampfkultur............................................................81 Jabhat al-Nusra (JaN) ........................................ 190 Kampfsport ................................................ 59, 65 ff. Jahresspendenkampagne (kampanya) ..... 240 Kampfsportgruppierung ...................................57 Jama'at Nasr al-Islam wal-Muslimin Kampfsportveranstaltung .........................59, 66 (JNIM - Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime) ....... 187, 199, 214 Kapitalismus ...........................54, 130, 146, 153 f., Jihad..............................180 ff., 190 ff., 194, 196 ff. 157 f., 169, 172, 175, 177 f. Jihadisten/jihadistisch ............ 180 ff., 186, 189, Kaplan, Metin ....................................................233 f. 192, 197 ff., 206, 210, 213 f., 216 f., 234 Kaypakkaya, Ädegbrahim ....................................268 f. jihadistische Gruppierungen ...............180, 182 Kern-al-Qaida ......187, 190 f., 199, 213, 215, 217 Jinen Xwendekar en Kurdistan (JXK - Studierende Frauen Kurdistans) ... 243 Khalistan ................................................................ 276 Joint Comprehensive Plan of Action khilafah.com (Website) .................................... 224 (JCPoA) .................................................................... 304 Khomeini, Ruhollah ......................................... 203 Jugendinitiative Partizan/MarxistenLeninisten-Maoisten (PGI/MLM - Kilic, Hasan ........................................................... 230 Partizan Genclik Inisiyatifi/MarksistLeninist-Maoist) ................................................. 269 Klassenkampf ................................... 153, 172, 178 Junge Alternative für Deutschland Kleingruppen ................. 127, 133, 150, 154, 164 (JA, Verdachtsfall) .............................. 51, 73, 91 ff. Kleinstgruppen .............................189, 194, 212 f. Junge Nationalisten (JN) .................. 49, 83, 94 f. Klimaprotestbewegung ......................... 127, 149, junge Welt (jW, Tageszeitung)..............142, 174 151, 156, 162, 177 350 REGISTER Klimaproteste .................127, 142 ff., 151 f., 177 Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa (ATIK - Avrupa Türkiyeli Klimaschutz .......................................119, 121, 127, Isciler Konfederasyonu) .................................. 268 141 f., 146 f., 162, 164, 321 Konföderation der Gemeinschaften KurKnockout 51 (KO 51) .....................................57, 67 distans in Deutschland e.V. (KON-MED - Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen Köbele, Patrik ....................................................... 175 li Almanya) ......................................... 242, 244, 266 Kohlmann, Martin .........................................86, 99 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon - Avrupa Ezilen Kohorte UG Göcmenler Konfederasyonu) ....................... 270 (Onlineshop Phalanx Europa) ...................... 100 Köklü Degisim (Publikation) ........................ 224 Konfuzius-Institute........................................... 293 Koma Civaken Kurdistan (KCK - Union Kongra Gele Kurdistan (KONGRA GEL - der Gemeinschaften Kurdistans) ................ 264 Volkskongress Kurdistans) ............................. 264 Koma Komalen Kurdistan (KKK - GemeinKongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane schaft der Kommunen in Kurdistan) ........ 264 (KADEK - Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) ........................................ 264 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) ..............................................243, 264 Königreich Deutschland (KRD) ......107 f., 114 Kommission für Verstöße der Psychiatrie konspirativ ......19, 150, 194, 197, 240, 242, 283 gegen Menschenrechte Deutschland e.V. (KVPM) .................................................................... 330 Kritik&Praxis, Frankfurt am Main ............. 170 Kommunismus ................................................... 153 Kritische Infrastruktur (KRITIS) ....... 110, 122, 128, 145, 288, 292, 320 Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ - Komünist Genclik Örgütü)............ 270 Kubitschek, Götz ............................................78, 79 Kommunistische Partei Chinas kulturelle Autonomie .............................241, 265 (KPCh)..........................................288 ff., 292 f., 314 Kulturrevolution ...................................................73 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ........................................................................ 175 Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH/TJK-E -Türkisch: Avrupa Kürt Kommunistische Plattform (KPF) .............. 158 Kadin Hareketi/Kurdisch: Tevgera Jinen Kurd li Ewropa) .................................................. 243 Komünist Genclik Örgütü (KGÖ - Kommunistische Jugendorganisation) .... 270 Kurdistansolidarität .......................................... 165 351 REGISTER Kuytul, Alparslan ............................................... 232 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ...........146, 149 f., 158, 176 f., 275 KVLTGANG .......................................................... 76 f. Massenvernichtungswaffen ....279, 303, 306 f. L Mazhar, Jamil ....................................................... 274 Lagebild .................................................68, 206, 261 Mebrak, Yazid (alias Youssef Abu Ubaydah al-Annabi) .......................................... 214 Landgericht (LG) .......... 54 ff., 109, 122 f., 209 f. Medienstelle ................. 198 f., 211, 213 f., 216 f. Landtagswahl ...................................................... 83 f. Menschenfeindlichkeit................................48, 64 Legalresidenturen ........................... 281, 283, 289 Menschen für Menschen e.V. ...............219, 339 Lila-Rot-Kollektiv (Mor-Kizil Kolektif, Frauenorganisation) ........................................ 269 Messenger ............................................................. 198 Linke Aktion Villingen-Schwenningen ... 171 metapolitisch ...................................................... 72 f. Linke Presse VerlagsFörderungsund Mezopotamien Verlag und Vertrieb Beteiligungsgenossenschaft junge Welt GmbH .............................................................247, 337 e.G. (LPG) ................................................................ 174 Militanz................................................ 154, 169, 236 linksunten.indymedia (Internetplattform)...................................167, 337 militärische Raumfahrtprogramme ......... 307 Military Intelligence Directorate M (MID, chinesischer militärischer Inund 1. Mai Zeitung (Publikation) ......................... 171 Auslandsnachrichtendienst) ......................... 313 maoistisch-stalinistisch .................................. 177 Milli Gazete (Publikation) .............................. 231 Märtyrer ..................208, 245, 251, 253, 270, 276 Milli Görüs-Bewegung ..... 180, 187, 204, 229 ff. marx21 (trotzkistisches Netzwerk) ............ 159 Milli Görüs (Nationale Sicht) ........................ 229 Marxisten ........................... 153, 158 f., 250, 268 f. Milliyetci Hareket Partisi (MHP - Partei der Nationalistischen Marxistische Blätter (Publikation) ............. 175 Bewegung) ...................................... 256 f., 259, 271 Marxistische Leninistische KommunisMinistry of Intelligence (VAJA, zumeist tische Partei (MLKP - Marksist Leninist abgekürzt MOIS, iranischer ziviler Inund Komünist Parti) ......................................250 f., 270 Auslandsnachrichtendienst) ................297, 314 352 REGISTER Ministry of Public Security Nakba-Tag .............................................................. 262 (MPS, chinesisches Ministerium für Öffentliche Sicherheit) .................................... 313 NARCONON ......................................................... 330 Ministry of State Security Nasrallah, Hassan ............................................... 219 (MSS, chinesischer ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst) ......................312 f. Nationaldemokraten (YouTube-Kanal) ......94 MÄdegR Multimedia GmbH .........................247, 337 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)...16, 49 ff., 57, 81 ff., 86 f., 94 ff., 99 Miscavige, David ........................................327, 329 Nationale Sicht (Milli Görüs) ........................ 229 Mischszene ...................................................106, 113 Nationalismus ist keine Alternative Missionen ...........................................................326 f. (NIKA) .............................................................162, 170 Mobilisierung................ 62, 82 f., 85, 119 f., 127, Nationalsozialismus/ 154 f., 194, 197, 203, 207, 224, 243 nationalsozialistisch ......................50, 58, 70, 76, Mofatteh, Mohammad Hadi ........................ 228 81, 82, 90, 94, 98, 105, 335 mole (englisch: Maulwurf, Publikation).....170 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ...........................................................................56 Mor-Kizil Kolektif (Lila-Rot-Kollektiv, Frauenorganisation) ......................................... 269 NATO ...................................61, 126, 139, 142, 237, 278, 281, 282, 284, 311, 315 Moschee................................ 64, 90, 204, 206, 218, 220, 223, 226, 228 Naturrecht ....................................................104, 114 Mursi, Mohammed ............................................ 225 Neonazi/neonazistisch .......49, 61, 66 f., 83, 97 Muslimbruderschaft (MB - al-Ikhwan Network Systems Department al-Muslimun) .......................187, 204, 221, 225 f. (NSD, chinesischer militärischer technischer Nachrichtendienst) ................. 313 muslimfeindlich/ Muslimfeindlichkeit ..............................78, 80, 89 Neue Demokratische Jugend Muslim Interaktiv ........................... 184, 203, 224 (YDG - Yeni Demokratik Genclik).............. 268 Neue Frau (Yeni Kadin) .................................... 268 N Neue Rechte....................................................... 72 ff. Nachberichtspflicht .............................................58 Neue Stärke Partei ....................49, 50, 51, 61, 81 Nachrichtendienstliches Informationssystem (NADIS) ......................................................17 Neue Weltordnung (NWO) ...................111, 117 353 REGISTER Newroz .................................................................... 244 Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP - Milliyetci Hareket Nichtaberrierte.................................................... 326 Partisi)............................................... 256 f., 259, 271 NSU 2.0.......................................................................54 parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen .....................51 Nuce Ciwan (Onlinepublikation)................ 246 Partiya Karkeren Kurdistan (PKK - Arbeiterpartei Kurdistans) ............ 165, 236 ff., O 241 ff., 255, 257, 260, 264 ff., 300, 315, 332 Oberlandesgericht (OLG) .....................54 f., 112, Partizan Genclik Inisiyatifi/Marksist122, 133, 138, 160, 208 ff., 248, 281, 300, 305 Leninist-Maoist (PGI/MLM - Jugendinitiative Partizan/Marxisten-LeninistenÖcalan, Abdulllah...................241, 245, 247, 264 Maoisten) ............................................................... 269 Öffentlichkeitsarbeit ................................ 22, 155, Pawn Storm .......................................................... 286 158, 160, 173, 204 Permanente Revolution.................................. 178 Okzident Media UG ................................... 73, 100 personeller Geheimschutz....................318, 322 O Mujahideen in the West Personenpotenzial .......... 22, 51, 88, 105 f., 126, (Onlinemagazin) ................................................. 200 128, 150, 183, 186 f., 195 ff., 238 Organisierte Linke Heilbronn ...................... 168 Perspektif (Publikation) .................................. 231 Outings..................................................... 130 ff., 166 Perspektive Kommunismus (PK) ....157 f., 171 Özgür Gelecek (Publikation) ......................... 268 Phalanx Europa..................................... 73, 93, 100 Phishing........................................... 285 f., 299, 309 P PI-NEWS ................................................. 51, 61, 79 f. Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ)...192 Podcast ............................................ 78 f., 196, 328 f. Parlamentarisches Kontrollgremium ..... 19 f. Politaufkleber (Internetversandhandel) ....57 Partei der Befreiung (HuT - Hizb Popular Front for the Liberation of ut-Tahrir) .......................... 184, 187, 203, 224, 334 Palestine (PFLP - Volksfront für die Befreiung Palästinas) ........................... 262, 274 f. Partei der Großen Einheit (BBP - Büyük Birlik Partisi)................................................259, 273 POSITION (Publikation) ................................. 175 354 REGISTER Postautonome ..................................................... 155 Realität Islam .................................... 184, 203, 224 Prävention ..........................................................308 f. REBELL (Jugendverband) .........146, 149, 176 f. PRISMA - IL Leipzig .......................................... 168 Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden ....................................... 67 f. Pro Chemnitz ..........................................................99 Proliferation ................... 278 f., 302, 303 ff., 311 Rechtsextremistische Erlebniskultur ...... 65 f. Propaganda .............106, 165, 182 f., 188 f., 191, Rechtsextremistische 194, 197 ff., 205 f., 222, 241, Musikveranstaltungen.................................... 65 f. 246 f., 252 ff., 275, 284 ff., 334 rechtsterroristisch .........................52 ff., 56, 63 f. Protest/Protestgeschehen................48 f., 60 ff., 73 ff., 106, 116 ff., 127, 137, 141 ff., 151, Reconquista .............................................................74 158, 161 ff., 244 f., 251, 253, 262 f., 296 f., 304 Redical [M], Göttingen ..................................... 170 Punjab...................................................................... 276 Referans (Publikation) ..................................... 272 Q Regelanfrage ............................................................58 QAnon-Theorie ................................................... 111 Reichsbürger ..............................32 f., 51, 67 f., 71, Quds Force (iranische militärische und 103 ff., 117, 120 ff., 332 nachrichtendienstliche Spezialeinheit) ............................................297, 315 Rekrutierung .......................................84, 152, 188, 224, 241, 245 f., 265 Quellen.............................19, 278, 288, 291, 303 f. Querdenken-Bewegung.................................. 118 Religious Technology Center (RTC)........... 327 Querfront ..................................................................62 Remigration .............................................................74 Repression ................... 134, 137 f., 147, 165, 173 R Revolutionäre Aktion Karlsruhe................. 171 Radikalisierung ............ 53, 63 f., 89, 117, 122 f., 150, 183, 202, 207, 224, 227 Revolutionäre Aktion Stuttgart................... 171 Ransomware ................................................287, 299 Revolutionäre Volksbefreiungsfront Rassismus/rassistisch ....................... 48, 54, 97 f., (DHKC - Devrimci Halk Kurtulus 131, 160, 163, 254 ff., 260 Cephesi) ................................................................. 251 355 REGISTER Revolutionäre Volksbefreiungspartei Sabotageschutzbeauftragte ........................... 322 (DHKP - Devrimci Halk Kurtulus Partisi) ..................................................................... 250 Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben........................................................................ 330 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulus Saha .......................................................................... 242 Partisi-Cephesi) ................. 236, 240, 251 ff., 267 Sahelstaaten.......................................................... 215 Revolution des Proletariats ........................... 153 Salafismus........................ 180, 184, 195, 197, 203 REVOLUTION (REVO) ..................................... 149 Salafisten/salafistisch.......... 180 f., 183 ff., 187, Risalat al-Ikhwan (Publikation)................... 225 195 ff., 201 f., 206, 234 Rojava (kurdische Siedlungsgebiete Salafistische Gruppe für Predigt und in Nordsyrien).............................................163, 246 Kampf (GSPC - Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat).......................... 214 Rote Fahne (Publikation) ................................ 176 SALAM! Zeitschrift für junge Muslime Rote-Hilfe-Archiv .....................................160, 173 (Publikation) ......................................................... 228 Rote Hilfe e.V. (RH) ...............................159 f., 173 Sanktionen ....................................... 63, 279, 281 f., 284, 286, 299, 302, 304 ff. Roter Aufbau Hamburg (RAH)..................... 171 Schadsoftware .................................. 285, 294, 299 Rückkehrer ............................................................ 193 Schanze Eins UG & Co. KG ............... 73, 75, 100 Russland ................. 63, 69, 75, 80, 126, 142, 198, 237, 279, 280 ff., 304 f., 307 f., 320 Scharia ............................................................199, 227 Rzehaczek, Paul......................................................95 Scharnierfunktion ....................................161, 169 S Schiiten/schiitisch ....... 187, 190, 204, 220, 228 Sa'adat, Ahmad .................................................... 274 Schreiber, Peter ......................................................96 SAADET Europa e.V..................................204, 230 Scientific Studies and Research Center (SSRC)....................................................................... 307 Saadet Partisi (SP) ............................................... 230 Scientology Kirche Deutschland e.V. ........ 329 Sabotage ................................. 17, 127, 140, 143 ff., 147, 280, 284, 286 f., 292, 308 Scientology Network ........................................ 329 Sabotageschutz................................17, 318 f., 322 Scientology-Organisation (SO) ....... 326, 329 f. 356 REGISTER Sednit ....................................................................... 286 Sikh/Sikhs.............................................................. 276 see red!, Düsseldorf ........................................... 168 Skillsharing-Camps........................................... 145 Selbstbezichtigungsschreiben... 147, 154, 166 Snake ........................................................................ 286 Selbstverwalter.............. 32, 51, 67 f., 71, 104 ff., Social Engineering............................................. 299 109, 111, 113 f., 117 f., 120, 122 Social-Media ............. 77, 86 f., 99, 185, 196, 203 Selbstverwaltung...................................104 f., 241 Sofacy....................................................................... 286 Seminarund Gesundheitszentrum ......... 108 Sonderkommando 1418 (SKD 1418) .....53, 57 Seriat.net (Website)............................................ 233 Soziale Netzwerke ....................................203, 224, Serxwebun (Publikation) .......................247, 264 232, 234, 260 f., 283 f. Sever, Engin .......................................................... 266 Sozialismus ...............................126, 135, 153, 175 Sezession (Zeitschrift) ..................................... 78 f. Sozialistische Alternative (SAV)................... 159 S.H.A.E.F..................................................... 105, 111 f. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) .................................................... 146, 149, 175 Shahid-Stiftung................................................... 220 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Shumukh al-Islam (Internetforum) .......... 198 (SED) ......................................................................... 175 Sicherheitsbehörden .... 19, 38, 53 f., 66 ff., 160, Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ...... 178 181, 188, 192, 195 f., 239, 299 ff., 309, 315 Sozialistische Organisation Solidarität sicherheitsempfindliche (Sol) ........................................................................... 159 Tätigkeit ................................................. 318 f., 321 f. Sozialistische Perspektive, Göttingen....... 168 Sicherheitshinweis für die Wirtschaft...... 308 Spear-Phishing-Angriff ................................... 299 Sicherheitshinweis für Politik & Verwaltung ............................................................ 308 Spendensammlungen ............ 85, 205, 223, 239 Sicherheitsrisiko .............................. 193, 319, 321 SPOC-Magazin .................................................... 309 Sicherheitsüberprüfung...................... 17, 318 ff. Staatenbund Deutsches Reich ..................... 114 Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) ..... 318 Staatsmedien ........................................................ 284 Siedlungsbestrebungen ........................... 50, 70 f. Staatspolitischer Salon .......................................79 357 REGISTER Staatsterrorismus ............................ 278, 297, 314 Terrorismusfinanzierung ......................188, 209 Sterka Ciwan (Publikation)............................ 245 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS - Bewegung der revolutionären Jugend) ......243, 264 Sterk TV (TV-Sender) ...............................247, 264 Tevgera Jinen Kurd li Ewropa (TJK-E/ Strukturdaten .....17, 21, 94, 114, 168, 211, 264 Avrupa Kürt Kadin Hareketi, AKKH - Kurdische Frauenbewegung in Europa) ....243 Studierende Frauen Kurdistans (JXK - Jinen Xwendekar en Kurdistan) ............................... 243 Thaler, Philip ........................................................ 100 Stützpunkte ...............................................84, 95, 98 The Auditor ........................................................... 329 subkulturell.......................................................... 65 f. The Dukes .............................................................. 286 Swaid, Khallad .................................................... 226 Theorie.Organisation.Praxis, Berlin .......... 170 SWR (russischer ziviler AuslandsThe Way to Happiness (Leitfaden) ............. 328 nachrichtendienst) ...................................285, 311 Tor-Netzwerk ....................................................... 167 Synagoge ......................................................... 64, 206 Tötungsdelikte...........................26 f., 29 f., 32, 34, Syndikat.................................................................. 172 37 f., 41, 45, 52, 111 Systemwechsel ................................................94, 97 trotzkistisch ..............................149, 156, 159, 178 Szeneobjekt ........................................................... 136 Tuareg-Stämme ...............................................214 f. Turan ..................................................254, 256, 258 f. T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Türkes, Alparslan ...........................................257 ff. Verkündigung und Mission) ................187, 227 Türkische Hizbullah (TH) .................. 187, 223 f. Tag X .............................................110, 122, 134, 145 Türkische Kommunistische ParteiTaleban ................................................. 190, 198, 218 Marxisten-Leninisten (TKP-ML - Türkiye Komünist Partisi-Marksist Tanzim Hurras al-Din (THD) ........................ 190 Leninist) ..................................................... 250, 268 f. Tarnfirmen ...................................................303, 307 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML - Telegram.........................................63, 73, 106, 119, Türkiye Komünist Partisi/Marksist121, 182, 197, 200, 284 Leninist) ..................................................... 250, 268 f. 358 REGISTER Türkische Nachrichtendienste und unstrukturiertes rechtsextremistisches Sicherheitsbehörden ......................... 299 ff., 315 Personenpotenzial ................................................51 Türkiye Komünist Partisi-Marksist Leninist Uroburos ................................................................ 286 (TKP-ML - Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten).......... 250, 268 f. Ustaosmanoglu, Mahmud ............................ 230 Türkiye Komünist Partisi/MarksistLeninist (TKP/ML - Türkische V Kommunistische Partei/MarxistenVandreier, Christoph ........................................ 178 Leninisten)................................................ 250, 268 f. Vaterländischer Hilfsdienst........................... 114 Turla ......................................................................... 286 Velioglu, Hüseyin ............................................... 223 TV Furkan (Onlinefernsehsender) ............. 232 Verband der Studierenden aus Kurdistan U (YXK - Yekitiya Xwendekaren Kurdistan) .............................................................. 243 ...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis................................................ 143, 162, 170 Verband der Werktätigen MigrantInnen in Europa (AGEB - Avrupa Göcmen Üc Hilal (drei Halbmonde) ............................. 257 Emekciler Birligi)................................................ 269 Ukraine ..... 43, 48 f., 61 ff., 69, 85 f., 121, 126 f., Verdachtsfall ...............................72 f., 77 ff., 88 ff. 138 f., 198 ff., 237 ff., 278 ff., 284 ff., 320 Verdeckte Ülkücü-Bewegung (IdealistenInformationsbeschaffung .....................132, 291 Bewegung) .................. 236, 240 f., 254 ff., 271 ff. Vereinigung der neuen Weltsicht in Umar, Ahmad (alias Abu Ubaidah) ............. 217 Europa e.V. ............................................................. 231 Umgehungsausfuhren ..................................... 303 Vereinte Patrioten...........................................121 f. Ummah Wahida (Onlinemagazin) ............. 213 Verfassunggebende Versammlung ............ 114 Union der Gemeinschaften Kurdistans Verfassungsschutzverbund ................... 58, 111, (KCK - Koma Civaken Kurdistan) .............. 264 207, 285, 309 Union Internationaler Demokraten Verhinderung von Waffenbesitz bei (UID) ................................................................258, 301 Rechtsextremisten ................................................58 unsere zeit (Publikation) ........................148, 175 Verlag 8. Mai GmbH .......................................... 174 359 REGISTER Verlag Antaios (Verdachtsfall) ............ 73, 78 ff. W Vernetzung/Vernetzungsbestrebung ......... 50, Waffenaffinität ............................................. 58, 113 63 f., 66, 73, 76 f., 80 ff., 91, Waffenbehörde ............................................ 58, 113 93, 99, 106 f., 161 ff., 164 f., 185 waffenrechtliche Erlaubnisse ................ 58, 113 Verschlusssache (VS) ......................................318 f. Waisenkinderprojekt Libanon e.V. Verschwörungstheorien/verschwörungs(WKP) ..........................................................219 f., 339 theoretisch .......................... 53, 68 f., 71, 76, 78 f., 86, 89, 91, 99, 104 f., 111, 114 WeChat.................................................................... 291 Weigler, Sebastian .................................................95 Vielschreiberei ..................................................... 107 Widerstand......... 86, 99, 101, 104 f., 111 f., 117, VOICE OF KHURASAN 121, 144 f., 148 f., 220, 222, 225 (Onlinemagazin) ................................................. 198 Wirtschaftsschutz .............................................. 309 völkisch-biologistisch .........................................71 Wirtschaftsund Finanzbüro völkisch-nationalistisch ......................55, 89, 93 (EMB - Ekonomi ve Maliye Bürosu) ......... 240 Wirtschaftsunternehmen ....................132, 139, Volksbegriff ........................................70, 78, 89, 92 141, 146, 148, 285 Volksfront für die Befreiung Palästinas Woche der Demokratie ................................... 120 (PFLP - Popular Front for the Liberation of Palestine).............................................. 262, 274 f. Wolfsgruß ........................................... 249, 255, 257 Volksfront (Halk Cephesi) .....................252, 267 Wolves of Manhattan (Onlinemagazin) .....200 Worch, Christian ...................................................97 Volksgemeinschaft .................................48, 94, 98 World Institute of Scientology Enterprises Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele (WISE) ...................................................................... 330 Kurdistan - KONGRA GEL) ........................... 264 World Socialist Website (Publikation)...... 178 Volksrat (Halk Meclisi) ............................252, 267 Wutwinter .........................................................48, 62 Volksverteidigungskräfte (HPG - Hezen Parastina Gel) ....................................................... 241 Y vorpolitischer Raum .......................73, 77, 82, 95 YATIM-Kinderhilfe e.V............................221, 334 360 REGISTER Yazicioglu, Erol .................................................... 273 Young Struggle (YS) ..............................250 f., 270 Yazicioglu, Muhsin .........................................258 f. Youth for Human Rights ................................ 330 Yekitiya Xwendekaren Kurdistan Yürüyüs (Publikation) .............................252, 267 (YXK - Verband der Studierenden aus Kurdistan) .............................................................. 243 Z Yeni Demokrasi (Publikation) ...................... 269 Zentralrat der Muslime ................................... 258 Yeni Demokratik Genclik (YDG - Neue Demokratische Jugend)................................... 268 Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. (NAV-YEK) ............................................................. 243 Yeni Kadin (Neue Frau) .................................... 268 Yeni Özgür Politika Zentrum für Analyse und Forschung (YÖP, Tageszeitung) ..................................247, 264 (ZAF) ............................................................................18 Yildirim, Durmus ............................................... 272 Ziviler Ungehorsam .......................................... 144 Yorum Kültür Evi ............................................... 252 Zümrüt, Zübeyde................................................ 266 361 REGISTER 362 REGISTERANHANG Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2022 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A Aktion Solidarität 74 Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg (AKUT [+C]) 168 al-Aqsa e.V. 221 f., 333 f. al-Gama'a al-Islamiya 225 al-Ikhwan al-Muslimun (MB - Muslimbruderschaft) 187, 204, 221, 225 f. Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu 256 f., 271 f. (ADÜTDF - Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. ) Almanya Göcmen Isciler Federasyonu (AGIF - Föderation der 270 Arbeitsimmigrant/innen in Deutschland e.V.) Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu (ATIF - Föderation der 268 Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V.) al-Qaida 180 ff., 187, 190 f., 194, 197, 199 f., 206, 213 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 187, 200, 216 al-Qaida im Irak 211 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 187, 214 f. al-Shabab (Harakat al-Shabab al-Mujahidin - Bewegung der 187, 217 Mujahidin-Jugend) Antifa AK Köln 170 antifa nt - Autonome Antifa München 170 Antifaschistische Aktion Süd ("Antifa Süd") 135 Antifaschistische Initiative, Heidelberg 168 Antikapitalistische Linke München 171 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - Partiya Karkeren Kurdistan), 165, 236 ff., 240 ff., 255, alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 257, 260, 264 ff., 300, 315, 332 ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa 257, 272 e.V. (ATIB - Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi) Atomwaffen Division Deutschland (AWDD) 53, 57 363 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Aufgewacht (Publikationsorgan der Freien Sachen) 86, 99 Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu (AvEG-Kon - 270 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa) Avrupa Göcmen Emekciler Birligi (AGEB - Verband der 269 Werktätigen MigrantInnen in Europa) Avrupa Kürt Kadin Hareketi (AKKH/Tevgera Jinen Kurd li 243 Ewropa, TJK-E - Kurdische Frauenbewegung in Europa) Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu (ANF - Föderation der 259 f., 273 Weltordnung in Europa) Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi (ATIB - Union der 257, 272 Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.) Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu (ATIK - Konföderation 268 der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa) AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in 248 Deutschland e.V. (AZADI e.V.) B Babbar Khalsa Germany (BKG) 276 Babbar Khalsa International (BKI) 276 Basisdemokratische Linke, Göttingen 168 Basisgruppe Antifaschismus (BA), Bremen 170 Bewegung der Mujahidin-Jugend (al-Shabab - Harakat 187, 199, 217 al-Shabab al-Mujahidin) Bewegung der revolutionären Jugend (TCS - Tevgera Ciwanen 243, 264 Soresger) Bismarcks Erben 114 Blood & Honour Division Deutschland (B&H) 55, 333 C Combat 18 Deutschland (C18 Deutschland) 57, 338 Communist Action & Theory, Marburg 170 COMPACT-Magazin GmbH 49, 51, 61, 73, 75 f., 80, 87, 91, 93, 101 COMPACTTV 101 CRIMINON 330 Critique'n'act, Dresden 170 364 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl D Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in 266 Norddeutschland e.V. (FED-DEM - Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen li Bakure Almanya) Der III. Weg 49, 50 f., 56, 61 f., 71 f., 84 f., 98 Der Schelm 57 f. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 146, 149, 156, 158, 175 Deutsche Libanesische Familie e.V. (DLF) 219, 339 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. (DMG) 187, 204, 225 f. Deutsche Stimme Verlags GmbH (DS Verlag) 96 Devrimci Genclik (Dev Genc - Revolutionäre Jugend) 252, 267 Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (DHKC - Revolutionäre 251, 267 Volksbefreiungsfront) Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP - Revolutionäre 251 f. Volksbefreiungspartei) Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C - 236, 240, 250 ff., 267, 333 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DIE RECHTE 49, 50 f., 82 f., 97 Die Wahre Religion (DWR) 196, 337 E Eklat Münster 170 Ekonomi ve Maliye Bürosu (EMB - Wirtschaftsund Finanzbüro) 240 Erbakan-Stiftung 231 Europavertretung der Erbakan-Stiftung 231 Ewiger Bund 112 F Farben für Waisenkinder e.V. (FfW) 219, 336, 339 Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan (FCDK-KAWA - 266 Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V.) Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen li Bakure 266 Almanya (FED-DEM - Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Norddeutschland e.V.) Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW 266 (FED-MED - Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e.V.) 365 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Federasyona Gelen Kurdistani (FED-GEL - Föderation der Völker 266 Kurdistans e.V.) Federasyona Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Almanya 266 (FED-KURD - Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland) Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. 268 (ATIF - Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu) Föderation der Arbeitsimmigrant/innen in Deutschland e.V. 270 (AGIF - Almanya Göcmen Isciler Federasyonu) Föderation der demokratischen Aleviten e.V. (FEDA) 243 Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V. 266 (FCDK-KAWA - Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan) Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens 266 in NRW e.V. (FED-MED - Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW) Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in 256 f., 271 f. Deutschland e.V. (ADÜTDF - Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) Föderation der Völker Kurdistans e.V. (FED-GEL - Federasyona 266 Gelen Kurdistani) Föderation der Weltordnung in Europa (ANF - Avrupa Nizam-i 259 f., 273 Alem Federasyonu) Frauenverteidigungskräfte (HPJ - Hezen Parastina Jin) 241 Freie Arbeiter*Innen-Union (FAU) 157, 172 Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland (FED-KURD - 266 Federasyona Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Almanya) Freie Sachsen 49 ff., 60 f., 76, 82, 86 f., 99, 101 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans 264 (KADEK - Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Furkan Gemeinschaft 187, 232 Furkan Stiftung für Bildung und Dienst (Furkan Egitim ve 232 Hizmet Vakfi) G Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 108 f., 338 Gemeinschaft der Jugendlichen (Komalen Ciwan) 243, 264 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK - Koma 264 Komalen Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Generation Islam 184, 203, 224 366 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Gib Frieden e.V. 219, 339 Goyim Partei Deutschland (GPD) 55 Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat 214 (GSPC - Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) Grup Yorum 240, 253 f., 267 Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) 149, 156, 159 Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t., Marburg 168 Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime 187, 199, 214 f. (JNIM - Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin) H Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) 190 Halk Cephesi (Volksfront) 252, 267 Halk Meclisi (Volksrat) 252, 267 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - Islamische 180, 186 f., 192, 205 ff., Widerstandsbewegung) 220 ff., 225, 275 Hans-Litten-Archiv - Verein zur Errichtung und Förderung 160, 173 eines Archivs der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter*innenbewegung und der sozialen Bewegungen e.V. (HLA) (nicht selbst als extremistische Gruppierung, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, aufgeführt, sondern als Unterstützer einer solchen Gruppierung) Hezb-e Islami-ye Afghanistan (HIA - Islamische Partei 187, 218 Afghanistans) Hezen Parastina Gel (HPG - Volksverteidigungskräfte) 241, 246 Hezen Parastina Jin (HPJ - Frauenverteidigungskräfte) 241 Hizb Allah (Partei Gottes) 180, 186 f., 205 f., 219 ff., 275, 338 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) 184, 187, 203, 224, 334 I I Furiosi, Düsseldorf 168 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 51, 73, 100 f. In/Progress, Braunschweig 170 International Way to Happiness Foundation 330 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. 335 Interventionistische Linke (IL) 161, 168 f. Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 243 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden 204, 228 Deutschlands e.V. (IGS) 367 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 226 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 204, 231 Islamische Partei Afghanistans (HIA - Hezb-e Islami-ye 187, 218 Afghanistan) Islamischer Staat - Provinz Khorasan (ISPK) 182, 190, 198, 212 Islamischer Staat (IS) 180 ff., 186 f., 189, 198, 208, 211, 336 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 187, 204, 228 Ismail Aga Cemaati (IAC) 230 Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden 222 J Jabhat al-Nusra (JaN) 190 Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin (JNIM - Gruppe für die 187, 199, 214 Unterstützung des Islam und der Muslime) Jinen Xwendekar en Kurdistan (JXK - Studierende Frauen 243 Kurdistans) Jugendinitiative Partizan/Marxisten-Leninisten-Maoisten (PGÄdeg/ 269 MLM - Partizan Genclik Inisiyatifi/Marksist-Leninist-Maoist) Junge Nationalisten (JN) 49, 83, 94 f. junge Welt (jW) 142, 174 K Kalifatsstaat 187, 208, 233 f., 333 Knockout 51 (KO 51) 57, 67 Kohorte UG (Onlineshop Phalanx Europa) 100 Koma Civaken Kurdistan (KCK - Union der Gemeinschaften 264 Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Koma Komalen Kurdistan (KKK - Gemeinschaft der Kommunen 264 in Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) 243, 264 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen 330 Menschenrechte e.V. (KVPM) Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ - Komünist Genclik 270 Örgütü) Kommunistische Plattform (KPF) 158 Komünist Genclik Örgütü (KGÖ - Kommunistische 270 Jugendorganisation) 368 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya 242, 244, 266 (KON-MED - Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V.) Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa 268 (ATIK - Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu) Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V. 242, 244, 266 (KON-MED - Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya) Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa 270 (AvEG-Kon - Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu) Kongra Gele Kurdistan (KONGRA GEL - Volkskongress 264 Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane (KADEK - Freiheits264 und Demokratiekongress Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Königreich Deutschland (KRD) 107 f., 114 Kritik&Praxis, Frankfurt am Main 170 Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH/TJK-E - Avrupa 243 Kürt Kadin Hareketi/ Tevgera Jinen Kurd li Ewropa) KVLTGANG 76 f. L Lila-Rot-Kollektiv (Mor-Kizil Kolektif, Frauenorganisation) 269 Linke Aktion Villingen-Schwenningen 171 Linke Presse Verlags-, Förderungsund Beteiligungsgenossen174 schaft junge Welt e.G. (LPG) M marx21 159 Marxistische Leninistische Kommunistische Partei 250 f., 270 (MLKP - Marksist Leninist Komünist Parti) Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 146, 149 f., 158, 176, f., 275 Menschen für Menschen e.V. 219, 339 Milli Görüs-Bewegung 180, 187, 204, 229 ff. Mor-Kizil Kolektif (Lila-Rot-Kollektiv, Frauenorganisation) 269 Muslim Interaktiv 184, 203, 224 Muslimbruderschaft (MB - al-Ikhwan al-Muslimun) 187, 204, 221, 225 f. 369 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl N NARCONON 330 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 16, 49 ff., 57, 81 ff., 86 f., 94 ff., 99 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 56 Neue Demokratische Jugend (YDG - Yeni Demokratik Genclik) 268 Neue Frau (Yeni Kadin) 268 Neue Stärke Partei (NSP) 49, 50, 51, 61, 81 O Okzident Media UG 73, 100 Organisierte Linke Heilbronn 168 P Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) 192 Partiya Karkeren Kurdistan (PKK - Arbeiterpartei Kurdistans), 165, 236 ff., 241 ff., 255, alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 257, 260, 264 ff., 300, 315, 332 Partizan Genclik Inisiyatifi/Marksist-Leninist-Maoist 269 (PGI/MLM - Jugendinitiative Partizan/Marxisten-LeninistenMaoisten) Perspektive Kommunismus (PK) 157 f., 171 Phalanx Europa 73, 93, 100 PI NEWS 51, 61, 79 f. Politaufkleber (Internetversandhandel) 57 Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP - Volksfront 262, 274 f. für die Befreiung Palästinas) PRISMA - IL Leipzig 168 Pro Chemnitz 99 R Realität Islam 184, 203, 224 REBELL 146, 149, 176 f. Redical [M], Göttingen 170 REVOLUTION (REVO) 149 Revolutionäre Aktion Karlsruhe 171 Revolutionäre Aktion Stuttgart 171 370 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC - Devrimci Halk 251 Kurtulus Cephesi) Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP - Devrimci Halk 250 Kurtulus Partisi) Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C - Devrimci 236, 240, 251 ff., 267 Halk Kurtulus Partisi-Cephesi) Rote Hilfe e.V. (RH) 159 f., 173 Roter Aufbau Hamburg 171 S SAADET Europa e.V. 204, 230 Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben 330 Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC - Groupe 214 Salafiste pour la Predication et le Combat) Schanze Eins UG & Co. KG 73, 75, 100 Scientology Kirche Deutschland e.V. 329 Scientology Network 329 Scientology-Organisation (SO) 326, 329 f. see red!, Düsseldorf 168 Shahid-Stiftung 220 Sonderkommando 1418 (SKD 1418) 53, 57 Sozialistische Alternative (SAV) 159 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 146, 149, 175 Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) 178 Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) 159 Sozialistische Perspektive, Göttingen 168 Staatenbund Deutsches Reich 114 Studierende Frauen Kurdistans (JXK - Jinen Xwendekar en 243 Kurdistan) T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und 187, 227 Mission) Taleban 190, 198, 218 Tanzim Hurras al-Din (THD) 190 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS - Bewegung der revolutionären 243, 264 Jugend) Tevgera Jinen Kurd li Ewropa (TJK-E/Avrupa Kürt Kadin 243 Hareketi, AKKH - Kurdische Frauenbewegung in Europa) 371 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Theorie.Organisation.Praxis, Berlin 170 Türkische Hizbullah (TH) 187, 223 f. Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten 250, 268 f. (TKP-ML - Türkiye Komünist Partisi-Marksist Leninist) Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten 250, 268 f. (TKP/ML - Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist) Türkiye Komünist Partisi-Marksist Leninist (TKP-ML - Türkische 250, 268 f. Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten) Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML - 250, 268 f. Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) U ...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis (uG) 143, 162, 170 Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK - Koma Civaken 264 Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) V Vaterländischer Hilfsdienst 114 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK - Yekitiya 243 Xwendekaren Kurdistan) Verband der Werktätigen MigrantInnen in Europa 269 (AGEB - Avrupa Göcmen Emekciler Birligi) Verfassunggebende Versammlung 114 Verlag 8. Mai GmbH 174 Volksfront (Halk Cephesi) 252, 267 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP - Popular Front 262, 274 f. for the Liberation of Palestine) Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL - Kongra Gele 264 Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Volksrat (Halk Meclisi) 252, 267 Volksverteidigungskräfte (HPG - Hezen Parastina Gel) 241 W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 219 f., 339 Wirtschaftsund Finanzbüro (EMB - Ekonomi ve Maliye Bürosu) 240 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 330 372 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Y YATIM-Kinderhilfe e.V. 221, 334 Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK - Verband der 243 Studierenden aus Kurdistan) Yeni Demokratik Genclik (YDG - Neue Demokratische Jugend) 268 Yeni Kadin (Neue Frau ) 268 Young Struggle (YS) 250 f., 270 Youth for Human Rights 330 Z Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. (NAV-YEK) 243 373 BILDNACHWEIS Bildnachweis 60 t.me/ freiesachsen 64 https:// steamcommunity.com/profiles/76561199127530340 65 https:// nsbp.shop/en 67 w ww. facebook.com 67 t.me/ kdn2013 71 https:// www.materialvertrieb.de 75 www. compact-online.de 75 t.me/ friedenmitrussland 76 t.me/ kvltgang 77 www. einprozent.de 78 www. facebook.com 79 www. facebook.com 79 www. pi-news.net 81 https:// neue-stärke.eu 82 https:// deutsche-stimme.de/netzwerktag 83 https:// die-rechte.net 84 https:// der-dritte-weg.info 85 t.me/ agjugend 86 freiesachsen.info 86 https:// sachsenversand.shop 88 www. afd.de 91 www. facebook.com 107 http:// koenigreichdeutschland.org/de 108 https:// gemeinwohlkasse.org 108 https:// www.bige.bayern.de/infos_zu_extremis-mus/reichsbuerger_und_selbstverwalter/organisatio-nen_und_szene/organisationen/index.html 120 https:// t.me 127 dpa 127 dpa 127 dpa 130 dpa 374 BILDNACHWEIS 134 https:// de.indymedia.org 136 dpa 136 dpa 138 dpa 138 dpa 139 dpa 141 ruestungsindustrie.noblogs.org 143 dpa 143 dpa 145 dpa 145 dpa 146 dpa 147 dpa 149 www. facebook.com 150 dpa 154 dpa 156 dpa 160 https://www. rote-hilfe.de 164 dpa 165 https://de. indymedia.org 184 dpa 237 dpa 241 dpa 244 dpa 245 dpa 247 www. facebook.com 249 dpa 253 www.halkinsesitv .info 253 https://www. labournet.de 254 https://mahallefilm .com 254 https://aze. media 255 dpa 261 dpa 375 BILDNACHWEIS 262 dpa 263 dpa 278 dpa 278 dpa 280 Cyberabwehrzentrum 282 dpa 284 dpa 286 BfV 287 dpa 289 dpa 293 dpa 301 https://uid .org 303 dpa 308 BfV 309 BfV 309 BfV 318 iStock 320 iStock 321 iStock 322 iStock 322 iStock 328 https://good - choices.net/ 376 NOTIZEN 377 NOTIZEN 378 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern und für Heimat Alt-Moabit 140 10557 Berlin Redaktion: Bundesamt für Verfassungsschutz Satz & Layout: Satzweiss.com Print Web Software GmbH, Saarbrücken Druck: Kern GmbH, Bexbach Der Verfassungsschutzbericht 2022 ist auch über das Internet abrufbar, unter: www.bmi.bund.de www.verfassungsschutz.de ISSN: 0177-0357 Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. 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